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Erste Reise.
Von den Quellen des Mains bis Würzburg

Wenden wir uns jetzt wieder nach Osten, und der geneigte Leser folge mir an den Fuß des langen Gebirges, das von dieser Seite unseren Kreis begrenzt und mit zwei Gipfeln, dem Ochsenkopf und dem Schneeberg, weit nach Franken und Böhmen hineinragt. Es führt seinen Namen von dem Fichtenreichtum, der seine Täler und Berge bedeckt: Fichtelgebirge, Mons piniferus, und dient zur Verbindung des Thüringer Waldes mit dem Erzgebirge und dem Böhmerwald. Der Flächenraum, den es einnimmt, wird etwa vierzig Quadratmeilen betragen. Im Nordwesten und im Nordosten geht das Gebirge in ein wellenförmiges Hochland über, im Westen und im Süden aber hat es einen steilen Abfall in Wiesengründe und eine flache Hochebene, aus denen sich einzelne, freistehende Kegelberge erheben, wie z. B. der rauhe Kulm. Der Kern des Gebirges besteht aus Granit, der von Gneis und Glimmerschiefer umgeben wird; im Norden und im Nordwesten findet sich Schiefer, im Süden und im Südwesten gibt es jüngere Flözgebilde. Erze birgt es in seinem felsigen Schoß, aber ein köstlicheres Produkt weint die öde Einsamkeit seiner Natur. Wie die Tränen aus einem Greisenauge, die auf das blonde Lockenhaupt des Enkels herabrinnen, so läßt das alte Gebirge diamantene Tropfen aus seinem Boden perlen und niederrieseln zu den Tälern, wo sie Segen, Glück und Wohlstand um sich verbreiten. Vier Flüsse sind es, die hier entspringen und ihren Lauf nach allen vier Weltgegenden nehmen; ihre Anfangsbuchstaben liegen in dem lateinischen Wort MENS, und ein altes Distichon in derselben Sprache lautet also:

MOENUS ubi patet et cum SALA nobilis EGRUS
Et NABUS ex uno fonte lacuque fluunt.

Ein deutsches, dem Anschein nach aus dem Ende des siebzehnten Jahrhunderts, läßt sich darüber folgendermaßen vernehmen:

Vier Littern eine Sylb, ein kleines Wörtchen bringen,
So doch vier Flüsse sind, MENS, rathe, sie entspringen
Auf unserm Fichtelberg, Main, Eger, Nab und Saal,
Die zeigen an der Stirn Wort, Sylb und Litternzahl.

Der markgräflich brandenburgische Hofprediger Groß sagt sogar in einer Predigt von diesen Flüssen: »Vier herrliche Trost-Ströme aus der unendlichen Bronnquell der Güte Gottes, vom Berge des Herrn hervorfließend«, und er bezeichnet mit dieser Phrase weit besser als die Gegenstände, die er schildern wollte, den süßlichen und aufgeblasenen Kanzelstil seiner Zeit. Wie dem auch sei, so ist der Lauf gedachter Flüsse folgender: die Eger geht nach Osten, die Saale nach Norden, die Naab nach Süden und der Main, derjenige, mit dem wir uns hier beschäftigen, dessen Lauf wir verfolgen wollen auf einer Reise von Bayreuth nach Würzburg, gegen Westen.

Hoch auf dem Gebirge, unter dem großen Felsen des Ochsenkopfes, zwischen diesem und dem Schneeberg, befand sich noch vor nicht zu langer Zeit ein See von bedeutendem Umfang und unglaublicher Tiefe. Dieser See war mit finsteren Wäldern umgeben, das Bild des heiteren Himmels zeigte sich schwarz in seiner düsteren Flut, und die Einsamkeit, die rings auf derselben herrschte, wurde nur zuweilen durch einiges wilde Geflügel unterbrochen, wenn es mit lautem Schreien darüber hinzog. Die Gegend dieses hochgelegenen, kalten und einsamen Gewässers, die Seelohe genannt, war verrufen bei den Landleuten und ist es noch heutigen Tages. Der See hat jetzt eine andere Gestalt angenommen, eine schönere aber nicht; er ist Moor und Sumpf geworden. Zu Ende des siebzehnten Jahrhunderts ließ die markgräfliche Regierung ihn, zur Verstärkung des Naabflusses, durch einen tiefen Stollen abgraben, was zur Folge hatte, daß er nach und nach zuwuchs und von einem mit Moos und Binsenstöcken zusammengefilzten Rasen überzogen wurde, über den mit einer Stange zu gehen man allenfalls wagen durfte, doch immer einiger Gefahr des Versinkens ausgesetzt war.

In diesem ehemaligen See, der jetzt eine grüne, moorige Fläche ist, wird der schönste Strom geboren, der prächtig durch Franken dahinfließt. Es ist zwar nur eine seiner Quellen – wir werden die anderen auch aufsuchen –, der sogenannte Weiße Main aber tritt aus dem Fichtelsee und wird schon eine Viertelstunde von da, nachdem er in die großen Flößweiher getreten ist, zum Flößen des Holzes gebraucht, das der gewinnsüchtige Holzhändler auf seinen jugendlichen Rücken lädt. Wie die Gespielen zum Gespielen, so hüpfen und springen aus dem Moos ihrer Grotten verschiedene kleine Bäche herbei – das Schimmelbächlein, der Fröbersbach und der von dem Schneeberg herabstürzende Fischerbach, das Goldbächlein, die von Gefrees und Berneck hereilende, Perlen führende Ölsnitz vereinigen sich mit dem jungen Fluß, der, indem er durch Blumenufer dahinplätschert, bereits Hammerwerke und Mühlen treibt.

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Berneck

Wir verlassen ihn einen Augenblick, um in dem nahen Städtchen Berneck einzukehren, das im Kessel hoher Berge liegt, von denen einige mit den Ruinen alter Schlösser oder mit Kapellen geschmückt sind und dessen Mauern die kindliche Ölsnitz bespült, welche dem Main ein unschuldiges und kostbares Spielwerk aus ihrer geheimnisvollen Kammer mitbringt – die Perle.


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