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Kitzingen,

zwei Stunden von Dettelbach. Das Maintal wird immer lieblicher, immer reicher, immer entzückender. Stundenlang Weinberge von schönen Formen, Schloß an Schloß, Dorf an Dorf, Städtchen an Städtchen. Dem Anschein nach sollte man glauben, Wohlstand, Reichtum und Überfluß haben sich in diese glückliche Gegend geflüchtet. Kitzingen, schon weit sichtbar, streckt eine schöne steinerne Brücke über den Strom und ist eine wahre Perle von Städtchen. Wein und Bier (das Bier, das hier gebraut wird, ist vortrefflich und geht weit ins Ausland), überhaupt Handel und Verkehr haben seine Einwohner bereichert, und die Bethmanns und die Rothschilds darunter, deren es in der Tat nicht wenige gibt, haben viel zur Verschönerung der Stadt beigetragen. Überall erheben sich große, elegante Häuser mit Comptoirs, Kaufleute mit London-Mienen sitzen darin, und der junge Dandy der Handelswelt ist in solcher Anzahl vorhanden, daß man glauben könnte, wenigstens in Frankfurt zu sein. Ist nun die City Kitzingens oder der untere, dem Fluß zugeneigte Teil der Stadt von handeltreibendem Gewühl erfüllt, so herrscht dagegen im oberen, im Westende, die erhabene Ruhe der Spekulation.

Genug, es gibt nur ein Kitzingen. Den Ursprung seines Namens weist die naive Chronik Zeil.»Topogr. Franc. f. M.«, S. 51. – Hönn. »Lex. topogr. aller fränkischen Orte«, S. 123. folgendermaßen nach: »Bruschius in seiner Monasteriologia meldet: daß zu Zeiten Kaisers Henrici II. allda nur ein Dorf, Namens Gottfeld gestanden, so hernach von einem königlichen Schafhirten, Kitz genannt, diesen Namen bekommen habe.« Edler Kitz! für dieses Erbe danken dir späte Geschlechter.

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Kitzingen

Wir sind im Begriff, gutmütig zu lächeln, als wir am Zeughaus, dem sogenannten Leidenhof, vorübergehen und hier plötzlich ernst, mehr als ernst: wehmütig und traurig werden. Etwas Entsetzliches geschah in diesem Hof, etwas so Furchtbares, daß unser Blut bei der bloßen Vorstellung davon erstarrt. Markgraf Casimir nämlich, der Herr der ermordeten Pagen, geriet außer sich vor Zorn, als er deren Tod erfuhr. Er war ein Mann noch in den Jahren der Leidenschaften und von wild aufbrausendem Gemüt. Habsüchtig, fürstenstolz bis zum Übermaß, griff die Empörung der Bauern ihn in den tiefsten Tiefen seiner Seele an, und er gelobte ihnen unauslöschliche Rache. Zog Bischof Konrad dreißig Tage lang mit dem Scharfrichter durch sein Land und ließ Köpfe abhauen, wo er hinkam, so war er doch noch ein Engel des Erbarmens, ein Vater der Gnade im Vergleich zu Casimir, als dieser wieder zu strafen Macht hatte. Aus der Schlacht von Königshofen kommend, zog er mit starker Begleitung von Kriegstruppen und einer Menge von Gefangenen nach Kitzingen, das seit dem Jahre 1443 vom Hochstift in Ansbach verpfändet und mithin seiner Landeshoheit unterworfen war.

Und es war an einem Morgen, die Sonne schien hell und warm, als der Hof des damaligen Amtshauses, wo der Markgraf mit seiner Beischläferin residierte, seine Zugänge öffnete und Trompetengeschmetter die Neugierigen herbeirief, die sich auch bereits in großer Anzahl eingefunden hatten und nur auf diesen Augenblick warteten. Bewaffnete Reisige waren aufgestellt im Hof, und in dessen Mitte erhob sich ein niedriges Gerüst, mit nacktarmigen Männern besetzt und mit allerlei schauerlichen Instrumenten, welche noch schauerlicher aussahen als diese. Ein Block zeigte sich mit darauf eingehacktem glänzendem Beil, da zeigten sich Stühle von unheilkündender Gestalt, Zangen, Messer, und an dem einen Ende des weitläufigen Gerüsts wirbelte der Rauch eines Feuers auf, das Knaben anbliesen und unterhielten. – Ängstliche Stille herrschte unter dem herandrängenden Volk. Zaghafte Spannung lag auf allen Gesichtern, und die Herzen schlugen kaum. Nur der Markgraf im Schloß blickte heiterer um sich, als es seit langem geschehen war. Seine Lippen, in der vergangenen Zeit oft so fest, so zürnend, so ingrimmig geschlossen, öffneten sich zum Lächeln und zeigten anmutsvoll eine Reihe blendender Zähne. Sein schwarzes Auge sprühte vor Glut, aber es war nicht die Glut ungestillten Verlangens, sondern das sanfte Feuer einer befriedigten Seele, die sich ihres Glückes bewußt wird. Seine Hand, soeben erst in der Schlacht eisern und ein Schrecken der Feinde, ruhte weich und zärtlich in den Händen seines Kebsweibes, das leise zitterte. Casimir war schön und ein Liebling der Weiber, aber keiner treu. »Warum so bleich, Hildegard?« fragte er. »Geh, du bist eine kleine Närrin! Zieh noch das rosenfarbene Band durch dein Haar, das ich so wohl leiden mag – du weißt es und hast es vergessen?«

»Nicht vergessen«, entgegnete die Dame schüchtern, »aber mir fehlte heute die Lust, mich zu schmücken. Das Hämmern der Zimmerleute im Hof seit gestern abend stört meine Ruhe, weil ich weiß, woran sie bauten. Und der heutige Morgen nun vollends – sein schönes Sonnenlicht beengt mir das Herz; nein, Casimir, verlangt nicht, daß ich mich schmücke.«

»Wie gesagt, eine kleine Närrin bist du, aber eine anmutige doch; komm, küß mich, Hildegard. Mir ist so wohl wie dem Durstigen, der soeben den Rand des Kelchs an seine Lippen setzt. Habe ich nicht danach gedürstet, mich an diesen Bluthunden zu rächen bei Tag und bei Nacht? Habe ich Ruhe gehabt seit einem Jahr vor Ingrimm und Schmerz? Sind sie nicht die Geier, die an meinem Leben nagten, die Wölfe, die in meine Hürde brachen? Und jetzt liegt dieser Geier mit gebrochenen Fittichen vor mir, und dieser Wolf heult im Fußeisen. Dessen sollte ich mich nicht freuen? – Ich bin glücklich, Hildegard, und will, daß Ihr es auch seid.«

Hildegard zog die Hand ihres Gebieters an ihre Lippen und sank dann vor ihm auf die Knie. »Gnade, Herr Markgraf«, sagte sie zitternd, »Gnade für die Unglücklichen! O seid mild und barmherzig, und laßt das Furchtbare nicht geschehen.«

»Weib!« rief der Markgraf mit Zügen, die sich verfinsterten.

»Ich flehe dich um Gnade an, mein Casimir, o verweigere sie mir nicht, teurer Mann, erhöre mein Flehen!« Und die weichherzige Buhlerin umfaßte seine Füße und vergoß einen Strom von Tränen und bot alles auf, um den harten Sinn ihres fürstlichen Geliebten zu erweichen. Aber es war umsonst.

»Habt Ihr vergessen«, sagte der Markgraf, »daß die Mörder meiner Edelknaben unter den Gefangenen sind, die Anführer der Schwarzen Rotte, Luft und Klunk? Sie haben das Verbrechen gesehen und nicht verhindert, darum sollen sie aufhören zu sehen. Ich will nicht an ihr elendes Leben, aber an ihre Augen; mein Richterschwert ist für bessere Köpfe geschliffen. Fort! Geht in Euer Gemach, das nach dem Garten hinausschaut, wenn Ihr das Gewinsel armer Sünder nicht hören könnt.«

Und es hob bald darauf an. Neun Bürger des Städtchens machten den Anfang des Strafgerichts auf der Blutbühne im Amtshof. Sie wurden einer nach dem andern geköpft, als wäre es eine Kleinigkeit; aber was dann folgte, war bei weitem ärger. Die Henkerbuben bliesen frisch in das Feuer, die Eisen glühten, und hundertvierundzwanzig gesunde Augen wurden damit geblendet. Hände wurden auf dem Block von ihren Armen getrennt, Finger von den Händen, die Zunge selbst in ihrer heiligen Wohnung war nicht mehr sicher. Gewinsel, Geheul und Gebrüll schwellte wie eine wachsende Flut über das atemlose Städtchen.

So hatte es denn doch auch einst seinen tragischen Augenblick, welcher Ursache ist, daß die Muse der Geschichte einen Moment lang bei ihm verweilt, was vielleicht sonst nicht geschehen sein würde, denn ihr goldener Griffel, der Rom und Athen so oft und so gern schrieb, daß er Übung darin bekam, scheint sich gegen das Wort Kitzingen zu sträuben. Daran ist aber niemand schuld als der königliche Schafhirte, der seinen Namen bei den Göttern verantworten mag. Verlassen wir Kitzingen und folgen unserem alten Führer, dem Strom. Er leitet uns zwischen seinen immer prächtiger sich gestaltenden Weinbergen hin an deren Fuß, wo ihre geharnischten Wächter, Städte und Flecken liegen. Sulzfeld, der reichste Ort, an den wir stoßen, ist ein Marktflecken mit zehn Türmen, Toren und Mauern – ein kleiner borstiger, an das Ufer gelagerter Igel. Marktstefl hat ein moderneres Ansehen und helle, offene, freundliche Häuser. Hierauf folgt, abermals in einer Biegung des Tals sehr malerisch und angenehm gelegen, ein kleines, kleines Städtchen Nürnberg, ein Städtchen voll massiver Paläste, wahrhaft opulent gebaut, mit einem Hafen, in dem ein buntes, zweimastiges Schiff liegt, und einem Hafenkai.

Welche Türme erheben sich dort auf dem andern Ufer des Stroms? Sollte es Würzburg schon sein? Nicht doch, es ist nur die Stadt Frickenhausen. Eine Stadt grüßt hier die andere; die Beschlüsse des Senats von Marktstefl, an das Stadttor geheftet, könnte der Turmwächter von Marktbreit, mit einer guten Brille bewaffnet, lesen; die Stundenschläge der Kathedrale von Marktbreit vernimmt ein Frikkenhausener Ohr, wenn es gen Osten lauscht, und wendet es sich gen Westen, so vernimmt es das Getöse einer anderen vielgetürmten Schwesterstadt, deren Name an die erhabensten Dinge erinnert. An den Göttervater erinnert er, welcher einst die schöne Jungfrau Europa entführte – an ein Wesen, dessen Bild, von Gold geformt, Völker anbeteten, an die majestätischen und blutigen Spiele von Spanien und an jene gewaltige Kraft, die ihren Sitz im Genick erwählte und von den Poeten zum Sinnbild physischer Stärke aufgestellt wurde. Aber zugleich auch an die Geduld der Engel, die alles trägt und alles erduldet und alles vergibt, an eine grenzenlose Ausdauer, beim bescheidensten Anspruch an Raum im Reich der Gedanken – ach und noch an wie viele andere Tugenden! Hätte dein Name, o


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