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Trotzdem es nun aber Winter und kalt geworden war, trug Mack auf Sirilund doch noch keinen roten Schal um den Bauch. Durchaus nicht. Es war wie ein Wunder, sein tückisches Magenleiden mußte auf halbem Wege innegehalten haben und umgekehrt sein. Mack hatte noch niemals kräftiger gelebt als jetzt, und Haar und Bart auch noch nie mit größerer Sorgfalt gefärbt. Er hatte für alles einen Gedanken. Als die neuen großen Fahrzeuge gekauft waren, wurden die Kajüten darauf alle vergrößert und in hellen Farben angestrichen. Das wirkt nicht allein gut auf den Führer, sagte Mack, das wirkt auch wieder zurück auf das Ansehen der Reederei. Außerdem hatte Mack jetzt sehr viel für ein kleineres Dampfschiff übrig, das in der Zeitung ausgeschrieben war; bei der ersten neuen Erweiterung des Fischereibetriebes auf den Lofotinseln wollte er dafür stimmen, daß ein Dampfschiff gekauft würde.

Auch vergaß er jetzt ebensowenig wie früher die Angelegenheiten daheim mit väterlicher Hand zu lenken. Als Benoni seinen alten Kameraden Wächter Svend zum Führer eines der neuen Fahrzeuge vorschlug, dachte Mack sofort daran, daß Svend und Ellen ja dann nicht länger mehr in einer Kammer wohnen könnten. Es wurde ihnen am andern Ende des Gesindehauses ein großes neues Heim eingerichtet, dort, wo der Vogt während der Thingversammlung sein Arbeitszimmer gehabt hatte.

In diesem Jahr verkaufte Mack nicht alle Federn und Daunen von seinen Schären. Er ließ die schönsten und feinsten aussuchen und sich daraus ein wunderbares Kissen nähen, und das sollte sein neues Kissen für die Badewanne sein. Die junge Petrine in Torpelviken, das neue Stubenmädchen, die erst in ihrem siebzehnten Jahr war, konnte wohl nicht mit so alten schweren Sachen umgehen, und außerdem sagte es Mack zu, daß er für jedes neu eintretende Stubenmädchen ein neues Kissen hatte: Es konnte nun eine Weile grün sein, wenn es eine Zeitlang rot oder blau oder gelb gewesen war. Ah, aber jetzt ging es dumm zu mit den Federn für das neue Kissen. Sie lagen da und wurden auf einem Brett im Feuerhaus getrocknet und schön gekräuselt, und eines Morgens waren sie verbrannt. Keiner hatte es getan, keiner begriff, wie das zugegangen war. Und Ellen, die einmal Ellen, das Stubenmädchen gewesen war, schrie am lautesten über das Unglück und sagte, sie habe es nicht getan. Aber ich begreife auch nicht, wozu er ein neues Badekissen braucht, sagte sie; denn er darf nicht einmal ein anderes Badekissen haben! sagte sie zu Bramaputra. Aber Mack dachte anders. Jetzt kam Weihnachten, ja, jetzt kam der Weihnachtsabend und er wußte, was er wollte. Er ließ am Laden einen Anschlag machen, daß er sofort feine Federn und Daunen zu hohen Preisen kaufe. Und war das nicht genau so, als käme ein Befehl heraus, mit Federn anzutreten? Es kamen denn auch wunderbar viel Federn nach Sirilund in diesen Tagen; ja, so viel, daß Mack selbst Halt gebot.

Und Rosa blieb da. Und Mack wäre nicht der väterliche Herr für alle gewesen, hätte er nicht auch an Rosas Wohl und Wehe gedacht. Weshalb konnte sie nicht einschlagen und Benoni den Haushalt führen? Sie war doch frei geworden. Er wollte ihr den Schritt erleichtern und ihn in ihren Augen besser aussehend machen, er sagte:

Du solltest auch noch aus einem andern Grunde daran denken, meinem Kompagnon das Haus zu führen  ... Und er sagte Kompagnon, um Benoni möglichst herauszustreichen.

Was ist das für ein Grund?

Ein Grund, so groß, daß er allein genügen müßte: Du hattest doch das Kind so gern, die Martha? Na. Mein Kompagnon will Martha zu sich nehmen, wenn er jemand findet, der sein Haus versorgt.

Hat er das gesagt?

Ja.

Ich kann nicht, antwortete Rosa und schüttelte den Kopf.

Mack sprach weiter:

Das ist prächtig von Hartvigsen, finde ich. Marthas Vater, der gute Steen aus dem Laden ist wirklich nicht immer nett gegen ihn gewesen, aber –

Ich kann nicht, wiederholte Rosa. Es ist unmöglich.

Aber wenn du uns wenigstens zu Weihnachten im Laden ein wenig helfen wolltest, dann könnte er selbst mit dir reden.

Nein, ich kann heuer nicht im Laden helfen, sagte Rosa wie zuvor, ich muß wieder heim.

So reiste Rosa heim auf den Pfarrhof.

Und es wurde Weihnachten.

Als aber Mack am Weihnachtsabend sein gewohntes Bad bereitet haben wollte, stellte es sich heraus, daß zwar das wunderbare Kissen fertig, in die gewaltige Zinkwanne jedoch ein betrüblich großes Loch gestoßen worden war. Und der Schmied war betrunken und konnte es nicht verlöten. Und es gab gar keine Hilfe; das Herkommen war gebrochen. Aber weshalb war jetzt der Schmied so sinnlos betrunken, gerade da Mack selbst ihn brauchte? Seit dem Vormittag war er umhergegangen und hatte Unsinn geschwätzt, dann war er von Ellen eingeladen worden, von ihr, die einmal Zimmermädchen gewesen war, und Wächter Svend war nicht zugegen gewesen, aber Ellen hatte so reichlich Branntwein eingeschenkt, daß der Schmied, der alte Mann, schließlich nichts mehr von sich wußte. Oh, diese Ellen, sie war so verzweifelt über das, was sie getan hatte, und fragte in ihrem Schmerz, ob man die Wanne nicht mit ein wenig dicker Grütze verstopfen könne. Nein nein, sagte Bramaputra. Aber können wir denn nicht Nadel und Faden nehmen und es zustopfen? fragte Ellen, und da fing sie an hysterisch zu lachen vor Verzweiflung über das, was sie mit dem Schmied angestellt hatte. Aber Mack hatte sofort einen anderen Plan bereit: Er wollte eines der Heckboote vom Funtus auf sein Zimmer stellen und mit Badewasser füllen lassen und das Kissen als ein schönes Lager auf den Boden des Schiffes legen. Es wurde nach Wächter Svend gesandt; als er aber vor der Haushälterin stand und den Befehl entgegennahm, sagte er: Liebe Leute! und ließ die Mütze bis zum Knie herabhängen, keines von den Booten ist ja seit dem Herbst mehr im Wasser gewesen. Die lecken ja wie ein altes Schwein! sagte Wächter Svend höflich und verbeugte sich dazu.

Da gab es also gar keinen Rat mehr.

Und jetzt war es auch noch, als sollte in diesem Jahr alles verkehrt gehen: als Mack den Brief von seiner Tochter Edvarda in Finnland öffnete, diesen jährlichen Brief, den sie zu Weihnachten heimschrieb, fuhr er heftig zusammen und ging sofort ans Fenster und dachte nach. Es war ein kurzer Brief: Edvarda war Witwe geworden. Sie kam im Frühling heim.

Mack beherrschte sich, empfing die Gäste, empfing den Leuchtturmwächter Schöning wie gewöhnlich, empfing Benoni, der jetzt Teilhaber und Chef war, und der noch dazu so abenteuerlich reich war. Mack führte ihn zum Sofa und dankte ihm immer wieder, weil er zu diesem Abend gekommen war. Er wandte sich an den Leuchtturmwächter und fragte:

Aber Madam Schöning?

Ich weiß nicht, antwortete der Leuchtturmwächter und sah sich nicht nach ihr um.

Sie kommt doch wohl?

Wer? sagte der Leuchtturmwächter.

Es war ihm alles so gleichgültig, er verachtete diese Fragen und diesen Ferdinand Mack und sein ganzes Haus. Und da war nun der gewesene Grubenbesitzer Benoni Hartvigsen, blinzelte mit blauen Augen und goß, auf dem Sofa sitzend, sein einfältiges Wesen des reichen Mannes aus. Im Speisezimmer hörte man die Mädchen umhergehen und den Tisch decken, mit innerlicher Freude über diesen Abend im Jahr! Oh, hingen hier nicht Bilder an den Wänden, wäre es nicht auszuhalten!

Dann kam Madam Schöning. Sie brachte Entschuldigungen vor, weil sie zu früh gekommen sei. Sie sind durchaus nicht zu früh gekommen, beste Madam Schöning, sagte Mack; Ihr Mann ist seit einer Viertelstunde da. Soso, antwortete sie und sah ihren Mann nirgends, sah nicht den Schatten von ihrem Mann.

Bei Tisch hielt Mack seine feierlichen Reden. Er sprach von der Tochter Edvarda, er hoffe, daß die Baronin Edvarda sich ihres alten Heimes erinnere und es nun im Frühling besuchen werde  ... Kein Wort von der Katastrophe; es war ja Weihnachtsabend.

Dann sprach Mack für Benoni, ein schönes Prosit dem Kompagnon, der so freundlich gewesen sei, heute abend zu kommen. Darauf für das Leuchtturmwächterspaar, endlich für alle seine Leute. Und dieses ganze Heer von Menschen, das auf Sirilund im Brot stand, saß wie Kinder unter Macks ergreifenden Worten da, ja, Bramaputra benützte das Taschentuch. Aber Fredrik Mensa hatte nicht mit seinem Bett an den Tisch getragen werden können; oh, aber er lag durchaus nicht allein an einem solchen Abend, eine Frau saß bei ihm und fütterte ihn und las ihm die Andacht vor und hielt mit ihm durch dick und dünn aus. An der anderen Wand in der Kammer lag Ellens kleiner Junge und mußte sich allein behelfen, er schrie und strampelte, lächelte, strampelte und schrie wieder. Aber er störte die beiden sehr in ihrer Andacht, und Fredrik Mensa rief ein paarmal in Wut: König David, König David! Zum Teufel; ho! worauf die Frau antwortete: Ja, da habt Ihr recht, denkt an den König David in der Bibel!  ... Des guten Aussehens halber kam Ellen einen Sprung vom Fest im Speisezimmer herüber, drehte das Kind auf die andere Seite und ging wieder. Sie war mit anderen Dingen beschäftigt, mit dem, was jetzt bevorstand: wenn die Gäste gegangen waren, sollte ja wohl die Durchsuchung beginnen. Aber nicht um alles in der Welt sollte es diesem jungen Ding, dieser Petrine aus Torpelviken, gelingen, eine silberne Gabel in ihr Hemd zu stecken  ...

Benoni fragte Mack:

Na, Rosa wußte wohl also keine Haushälterin für mich?

Wie peinlich das für ihn war, ja, ganz ratlos fragte er, dieser mächtige Mann! Es fehlte ihm eine Dame, die sein Hauswesen leitete, und er konnte sie nicht für all sein Geld auftreiben.

Mack bat ihn, bis zum Frühjahr zu warten:

Lieber Freund, warten Sie bis zum Frühjahr, ich bitte Sie darum. Im Frühjahr kommt meine Tochter heim, und die beiden Damen kennen einander gut  ...

Während der Feiertage will Benoni einmal durch den Gemeindewald in die Kirche der Nachbargemeinde gehen. Er tut das zum Vergnügen, er kann ja in diesen vielen Feiertagen ebensogut auch einmal die Rede des großen Pfarrers Barfod hören. Da es sich nicht mehr für ihn schickte, zu Fuß zu gehen, bekam er Pferd und Spitzschlitten von Mack zu dieser Fahrt und lieh sich dazu noch Macks Seelöwenpelz aus. Ich habe mir noch keinen Pelz angeschafft, sagte Benoni zu Wächter Svend, der hinten auf dem kleinen Sitzbrett saß. Benoni hatte seine Bedenken gehabt, Svend zum Kutscher zu nehmen, denn jetzt war dieser Svend ein verheirateter Mann und noch dazu zum Schiffer auf einem großen Fahrzeug befördert worden. Du wirst mich wohl nicht gerne fahren? fragte Benoni. Das wäre eine schöne Schande, wenn ich Hartvigsen nicht fahren wollte, antwortete Svend seinerseits.

Dies spielte sich auf dem Hof Sirilund ab.

Sie fuhren an Benonis Haus vorbei, wo sie Flaschen und Mundvorrat in den Schlitten mitnahmen. Benoni brachte seine Schaftstiefel und bat Wächter Svend, sie anzuziehen, und das waren die berühmten Schaftstiefel mit lackierten Umschlägen, mit denen Benoni selbst so manches Mal geprunkt hatte.

Zieh sie an, sagte Benoni.

Es war ihm zur Gewohnheit geworden, in einem milden und bestimmten Ton zu sprechen; der Reichtum hat ihn aufgerichtet, hat ihm mehr Haltung gegeben, seinen Anzug würdiger gemacht, seine Sprache zum Teil umgebildet. Hoho, wie das Geld Benoni zum Menschen machen konnte! Als aber Benoni Wächter Svend bittet, die Schaftstiefel anzuziehen, antwortet dieser nach alter Gewohnheit:

Was werden Sie dann selbst haben?

Benoni steckt seine Füße in den Fußsack aus Bergen mit dem Aufschlag aus Hundefell. Da zieht Svend die Schaftstiefel an, und sie waren wie Kleinodien an seinen Beinen.

Wenn sie dir passen, kannst du sie gleich behalten, sagte Benoni.

Und Wächter Svend antwortet:

Das ist ja viel zu viel. Das werden Sonntagsschaftstiefel für mein ganzes Leben sein.

Dann tranken sie ein paar Schnäpse und fuhren los.

Unterwegs unterhielten sie sich über allerhand; so fuhren sie durch diese Gegenden, in denen Benoni jeden Wacholderstrauch und jede Kiefer und jeden Felsen kannte. Hier war er in Regen und Sonnenschein gegangen und hatte die Post des Königs in einer Löwentasche getragen, und dort war nun leider auch die Höhle, wo er und Rosa, die Pfarrerstochter, ausgeruht hatten. Oh, diese Höhle!

Kannst du nicht ein wenig singen? fragt er über die Schulter zurück.

Singen? Hm. Es ist, als hätte ich keine Gabe mehr, antwortet Svend. Es widerfährt einem so vieles!

Und als sie weiter drinnen im Gemeindewald die Flasche öffneten und einige Schnäpse zu sich nahmen, wurde es Wächter Svend so seltsam weich ums Herz und er sprach so gerührt, gerade als sei er hungrig und vertrüge keinen kräftigen Schluck.

Die Sache ist die, daß ich heute eigentlich noch nichts gegessen habe, sagte er. Es ist eine Schande, das zu sagen.

Der Mundvorrat kam heraus, Weihnachtsessen, Fladen.

Weshalb hast du nicht gegessen?

Es ist meine eigene Schuld! Aber es widerfährt einem eben so vieles! antwortet Svend. Er läßt durchblicken, daß es am Morgen zwischen ihm und Ellen eine kleine Verstimmung gegeben hat und er danach kein Essen hinunterbringen konnte.

Sie fahren und fahren. Wächter Svend sagt:

Wenn ich meinen Diamanten noch hätte und mir bei Ihnen im Laden eine Kiste mit Glas herausschwindeln könnte, würde ich daran denken, wieder zu wandern anzufangen.

Benoni dreht sich im Schlitten nach ihm um:

Jetzt, wo du Schiffer wirst!

Svend wiegt den Kopf.

Und mit Frau und Kind und allem miteinander!

Ja, antwortet er, freilich, aber  ...

Der gute Wächter Svend war nun wohl ein halbes Jahr verheiratet gewesen, er sang nicht mehr von den Sorosimädchen und tanzte nicht mehr auf den Wegen. Das fiel ihm nicht mehr ein. Ein halbes Jahr war jetzt eine endlose Zeit. Er hatte die bekommen, die er wollte, jawohl; aber jetzt war keine angenehme Ungeduld und Spannung mehr in ihm, jetzt war er froh um jeden Tag, den er hinter sich hatte. Und jeden Morgen erwachte er zu demselben Zustand, daß er nichts mehr zu erwarten hatte, zweihundertmal hintereinander hatte es sich wiederholt: er war aufgestanden und Ellen war aufgestanden, ihre Kleider waren die gleichen, sie zogen sie an wie gestern. Ellen blickte zum Fenster hinaus und zu Macks Fenster hinüber, ob seine beiden Vorhänge herunter gelassen wären und alles in Ordnung sei. Dann sagte sie, mit den gleichen unausstehlich bekannten Worten, was für Wetter sei; das aber sagte sie wohl nur, um zu verhehlen, wo ihre Augen umherschweiften. Nur ungern machten sie in dem kleinen Zimmer einander Platz, beide gingen umher und warteten darauf, daß der andere zuerst hinausgehen und aus dem Wege sein würde; und ohne ein Wort zu sagen, trennten sie sich. Zweihundertmal. Und so würde es wohl noch etliche tausend Male weiter gehen.

Du bist nicht mehr du selbst, sagte Benoni. Im Frühjahr, wenn du mit deinem Fahrzeug von den Lofotinseln heimkommst, kannst du in dein neues großes Heim einziehen.

Das ist zu viel, allzuviel.

Gedeiht das Kind? fragt Benoni.

Ja, es gedeiht. Es hat braune Augen, aber es ist ein schönes Kind, ich habe es gern.

Hast du es schon einmal im Arm gehalten?

Nein.

Du hast es nicht im Arm gehalten?

Ich war dazu entschlossen, aber  ...

Du solltest es in den Arm nehmen und ein wenig halten, rät Benoni.

So, Sie sagen das?

Ja, das sage ich. Denn die braunen Augen – das kann eben nicht anders sein! Aber  ...

Dann gelangten sie ans Ziel und fuhren auf dem Pfarrhof ein, daß der Neuschnee aufstaubte.

Ein Herr im Pelz, Hartvigsen selbst; ein, zwei Knechte kamen herbei und spannten das Pferd aus. Bitte, bitte, gehen Sie hinein! Nein danke! Benoni grämt sich im Innern wegen einer alten Erinnerung, die in ihm bohrt: er hatte auf diesem Pfarrhof einmal eine gewisse hartherzige Erklärung unterschreiben müssen; dann wurde diese gleiche Erklärung auf seinem eigenen Kirchberg vom Lensmann verlesen. Und später war Rosa seine Verlobte gewesen und hatte dann wieder mit ihm gebrochen, dann hatte sie sich mit einem anderen verheiratet, mit Nikolai vom Küstershof. Jaja  ...

Benoni wandert in seinem ganzen Staat den Kirchberg hinauf, teilt langsam die Gruppen der Leute, die grüßend zur Seite weichen; alle kannten ihn. Ein Bote kommt, ob Hartvigsen nicht so freundlich sein wolle, bei den Pfarrersleuten vorzusprechen und etwas Warmes zu sich zu nehmen? Nein danke, er hat Geschäfte zu erledigen; nach dem Gottesdienst würde er vielleicht kommen und mit Dank annehmen. Er hat keine Geschäfte zu erledigen; aber ein so großer Mann kann sich immer mit irgendeinem von all diesen Menschen etwas zu schaffen machen; der Kreis seiner Tätigkeit reicht so weit; er braucht zum Beispiel Leute zur Reise nach den Lofotinseln auf den neuen Fahrzeugen. Allerdings braucht er den ersten Schritt nicht selbst zu tun und jemand zu fragen; wenn er nicht bereits von Bewerbern dicht umringt ist, hat das seinen Grund allein in vertiefen Ehrfurcht der Leute. Dann kommt einer nach dem andern, zieht die Mütze ab und setzt sie zögernd wieder auf, obwohl es ordentlich kalt ist: Ob Hartvigsen ihnen nicht den Gefallen tun könne, ihnen auf einem der Kutter einen Platz zu verschaffen? Und Benoni steht wie ein Denkmal in Pelz und pelzbesetzten Überstiefeln da und ist ein freundlicher und gutherziger Herr gegen alle: Ich werde daran denken, antwortet er und schreibt den Namen auf; komm in den nächsten Tagen zu mir. Freilich darf ich die Leute aus meiner eigenen Gemeinde auch nicht vergessen, aber  ...

Da kommt Pfarrer Barfod den Berg herauf gegangen und bleibt in vollem Ornat bei Benoni stehen und bittet ihn, doch keinesfalls an seiner Tür vorbei zu gehen. Benoni dankt, er wolle sehen, ob er nach dem Gottesdienst Zeit habe; dem Herrn Pfarrer gehe es gut?

Seht, eine solche Frage hatte Benoni Hartvigsen in früheren Zeiten dem Pfarrer Barfod nicht stellen können.

Rosa kam den Berg nicht herauf. So würde sie heute vielleicht nicht in der Kirche sein. Gut.

Da aber kam sie trotzdem. Benoni grüßte mit seiner Pelzmütze, und Rosa ging puterrot an ihm vorbei. Arme Rosa, sie hatte wohl ihre Neugierde nicht bezähmen können, sondern Benoni doch im Pelz sehen wollen. Sie ging den Weg zur Sakristei.

Eine Weile steht Benoni da und sammelt sich. Dann sagt er zu dem ersten Bewerber, der ihn um etwas gebeten hat: Jaja, du hast es wohl nicht so leicht; komm in den nächsten Tagen zu mir und hole dir Gerätschaften. Gott segne Euch! antwortet der Mann. Und Benoni geht in die Kirche.

Es geschah mit Absicht, daß er sich gleich neben der Türe hinsetzte, die Leute machten große Augen: er konnte sich oben an der Chortüre hinsetzen, tat es aber nicht! Rosa saß im Stuhl der Pfarrersfamilie und blickte ihm entgegen; sie wurde wieder rot und erbleichte langsam. Sie trug das Pelzwerk aus Blaufuchs.

Er knöpfte seinen Pelz auf. Er wußte genau, daß der Platz, den er eingenommen hatte, nicht für die Herren war; sowohl der Lensmann als auch einige kleine Handelsleute von den Schären saßen weiter vorne. Aber Benoni füllte feinen Sitz gut aus und adelte den geringen Platz in dieser Stunde. Sicherlich war mehr als einer da, der sich nun schämte und sich weit hinter Hartvigsen, den mächtigen Hartvigsen, wünschte; wollte Gott, sie wären heute nicht in die Kirche gegangen! dachten sie wohl.

Gleich nach der Predigt ging ein Teil der Gemeinde hinaus; Benoni knöpfte seinen Pelz zu und ging mit. Er wollte Rosa nicht mehr länger quälen; die Leute hatten dagesessen und sie angesehen und dann ihn und dann wiederum sie und hatten sich der alten Verlobung erinnert. Wie hat sie sich weggeworfen! dachten die Leute wohl. Benoni ging zu seinem Schlitten hinunter, und Wächter Svend folgte seinem Herrn dicht auf den Fersen und fragte, ob er anspannen solle? Ja, sofort! Auf dem Hof aber verbreitete sich das Gerücht, daß Hartvigsen an seinem Schlitten stehe; bei Gott im Himmel, er ist im Begriff heimzufahren! Die Pfarrersfrau kommt die Treppe heruntergeeilt und geht in dem kalten Wetter und durch den Neuschnee bis zu Benoni hin, reicht ihm gut und treuherzig die Hand und bittet ihn, es nicht zu verschmähen, durch ihre Türe einzutreten. Da sie doch nun die Freude hätten, ihn zu sehen.

Während sie so dastehen, kommt auch Rosa von der Kirche. Arme Rosa, sie war wohl neugierig geworden und wollte sehen, ob Benoni sofort wieder heimführe. Da kam sie nun. Die Mutter rief ihr zu:

Nein, Hartvigsen will unbedingt heimfahren. Komm doch und bitte ihn mit mir, zu bleiben.

Rosa ist so verlegen, sie ist jetzt zu nichts nütze und bringt nur die Worte heraus:

Wollen Sie nicht so freundlich sein und hereinkommen?

Benoni macht sich nicht größer, als er ist, das braucht er nicht; er schiebt es nur einfach auf den langen Weg und den kurzen Tag, daß er sofort fahren müsse.

Es ist jetzt Mondschein, sagte Rosa.

Ja, es ist jetzt Mondschein, sagt auch ihre Mutter.

Ich weiß nicht recht? wendet sich da Benoni an Wächter Svend und blickt ihn fragend an. Meinst du, wir können noch ein wenig verweilen?

Wächter Svend weiß sich solcher Gesellschaft anzupassen, er reißt die Mütze herunter, verbeugt sich und antwortet:

Wir haben sicher einen schönen Tag und einen guten Weg.

Ich bin übrigens in diesen Zeiten nicht mehr so ganz mein eigener Herr, erklärt Benoni, indem er den Damen nachfolgt; ich habe so viel mit der Ausrüstung für alle Fahrzeuge zu tun.

Wie merkwürdig war das! Hier ging nun Rosa, hier, dicht an seiner Seite, und kurz darauf setzte sie sich in dasselbe Zimmer wie er, hörte seinen Worten zu, sah ihn ab und zu an und antwortete sogar ein wenig. Als Pfarrer Barfod von der Kirche kam und man sich zu Tisch setzte, erhielt Benoni einen Gegenstand nach dem anderen von Rosa, wenn sie sah, daß ihm etwas fehlte. Das war alles so seltsam, wie im Traum. Er kämpfte mit einer unangenehmen Unsicherheit: in welchem Ton sollte er sprechen und wie oft durfte er sie ansehen? Er war doch mit diesem Menschenkind verlobt gewesen, hatte sie geküßt, hatte das Haus für sie gebaut; es hatte nur wenig zur Hochzeit gefehlt.

Nach Tisch zogen sich der Pfarrer und seine Frau zu ihrem Mittagsschlaf zurück. Das war immer so. Jetzt aber war Benoni ja mit seiner alten Liebsten allein im Zimmer! Wollen Sie nicht so gut sein und ein wenig spielen? sagte er da; aber vielleicht stört das die Alten? Ja, das tut es freilich, denkt sie wohl; wahrscheinlich stört es die Alten. Aber sie setzt sich doch zum Spielen hin. Er findet es wunderbar, niemals hat er etwas Ähnliches gehört, und er empfindet es wie eine Zärtlichkeit von ihr ihm gegenüber, daß sie so spielt. Bald lehnt sie den Körper nach rechts, bald nach links, das Haar ruht schwer auf dem Nacken, und darunter ist der Hals, der weiße Hals.

Er dankte ihr so herzlich: Das war das Schönste, was ich je gehört habe! sagt er. Als sie geendet hat, sitzen sie eine Weile alle beide verlegen da. Ja, Ihr habt wohl manches Mal dagesessen und gespielt, ehe Ihr es so gekonnt habt, sagt er. Ach ja, lächelt sie leise, aber ich kann ja noch gar nicht viel. Sie reden ein wenig von allerhand Dingen, sein Reichtum hilft ihm dabei vorwärts, er ist nun der, der er ist und versteht klug zu antworten, wenn sie ihn etwas über die neuen Fahrzeuge fragt. Die Zeit vergeht, vergeht rasch, Benoni weiß, daß die Alten bald zurückkommen werden. Na, er hat ein Anliegen an Rosa, er ist in seinem guten Recht und fragt:

Ich weiß nicht, ob Mack mit Ihnen wegen mir gesprochen hat?

Er saß da und beobachtete, wie sich sofort die feine Falte über ihrer Nase zusammenzog.

Mack meinte, daß Sie möglicherweise eine Haushälterin für mich wissen könnten.

Nein, antwortete sie.

Nein, nein. Ich dachte nur, ob Sie im Süden unten vielleicht jemand kennen. Anders war es nicht gemeint.

Sie schüttelte den Kopf:

Nein, ich weiß niemand.

Pause. Benoni sah auf seine Uhr. Weshalb kamen die Alten nicht! Er mochte nicht erklären, daß dies einzig und allein Macks Einfall gewesen war. Im übrigen war es ja wohl auch nicht so schlimm. Er erhob sich, trat näher an ein Bild an der Wand heran und sah es an. Dann ging er zu einem anderen Bild. Rosa schien so einsam dort zu sitzen. Höflich fragte er.

Ja, auf Sirilund soll ich wohl grüßen?

Ja, danke.

Als die Alten eintraten, hatten die Jungen eben diese Worte ausgesprochen. Es sollten für lange Zeit die letzten sein. Nach dem Kaffee nahm Benoni Abschied und fuhr heimwärts. Jetzt hatte es keinen Sinn mehr, zu warten, bis Edvarda im Frühling heimkäme; die Sache war entschieden.

Es war heller Mondschein und Nordlicht; Benoni fuhr wieder durch die bekannten Gegenden. Auf dem Gipfel des Berges, in dem die Höhle war, konnte er sehen, daß dort oben der Wind blies, der den Neuschnee zu einer Schraube aufwirbelte.

Borre aekked, grüßte es auf dem Weg.

Benoni antwortete und ließ vorbeifahren  ...

Der Frühling kam, und Macks Tochter Edvarda stieg vom Postschiff an Land. Das aber ist eine andere Geschichte und ein anderes kleines Buch, das Rosa heißt.

 


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