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Zu Ostern kamen viele Fischer für eine Woche nach Hause. Sie brachten große Lofotdorsche für ihre Familien mit heim, ein einzelnes Boot hatte oft Fisch für zwanzig Häuser dabei, außerdem brachten sie viele Grüße von allen denen, die noch draußen geblieben waren. Da Benoni selbst nicht fortkommen konnte, denn er mußte den Fischkauf für drei Fahrzeuge überwachen, sandte er Wächter Svend mit einer Bootsmannschaft nach Hause, und diesem selben Svend war ein goldener Ring und ein goldenes Kreuz für Rosa Barfod anvertraut. Und Rosa war wieder daheim auf dem Pfarrhof, so daß Svend den langen Weg durch den Gemeindewald ins Nachbarkirchspiel hinübergehen mußte, um die Sachen abzuliefern. Es war auch ein Brief dabei.
Wächter Svend blieb über Ostern auf dem Pfarrhof. Er hatte seinen guten Humor mitgebracht und sang den Leuten auf dem Hof vor, so oft sie ihn darum baten. Hellbärtig und hellhäutig war er, und sein Körper war voller Kraft. Er trug Wasser, sowohl in den Stall wie in die Küche.
Einmal kam Rosa in die Gesindestube, als er dastand und sang.
Nur weiter, sagte sie.
Und Wächter Svend ließ sich nicht nötigen, er fuhr in seinem Wächtergesang fort:
Viele unsrer Brüder draußen
pflügen wohl in dieser Nacht
ferne Meere, die das Brausen
wilder Stürme schrecklich macht.
Gott steh' ihnen bei,
jetzt, da die Uhr schlägt drei,
von Tod und Verderben sie befrei'.
Das wollte ich übrigens sagen, fing er dann zu sprechen an, hier in der Gegend singt man nicht. Die sind Tag für Tag wie die Tiere. Wenn ich einem Mann begegne und ihn frage, ob er singen kann, so kann er es nicht. Ich könnte mich oft wirklich ärgern.
Singst denn du die ganze Zeit? fragt ein Mädchen.
Ja, das tue ich. Ich gräme mich nicht immerfort, ich lache und freue mich. Es gibt wirklich viele, denen es schlechter geht als mir und die sich sorgen müssen. Aber das muß ich sagen: Hartvigsen kann singen.
So? fragt Rosa plötzlich.
Jawohl. Wenn er die Andacht liest und den Psalm singt, singt keiner lauter als er.
Singt er oft auf den Lofotinseln?
Ja, ja, Hartvigsen singt. Ja, das tut er.
Du mußt ihm vielen Dank für die Sendung ausrichten, sagte Rosa.
Wächter Svend verbeugt sich. Oh, dieser Svend, er war aus der Stadt und bewandert in der Höflichkeit, deshalb verbeugt er sich jetzt und sagt:
Ja, danke. Und ich soll wohl einen Brief zurückbringen?
Ach nein, antwortet Rosa. Einen Brief? Nein, von hier gibt es nichts zu schreiben.
Ja, ja, sagt Wächter Svend da und ist etwas erstaunt.
Nein, Rosa wußte nichts, was sie ihrem Verlobten hätte schreiben können. Sie hatte den Ring anprobiert, und die Weite war gut erraten; aber wie schwer ihre Hand von dem dicken Ring wurde! Die ganze Hand wurde ihr fremd. Dann betrachtete sie das Kreuz. Es war ein großes Goldkreuz, an einem schwarzen Samtband zu tragen, wie es Mode war. Aber sie hatte schon vorher ein Kreuz gehabt, ein kleines Kreuz, das sie zur Konfirmation bekommen hatte. Am ersten Ostertag ging sie mit Ring und Kreuz umher, dann legte sie beide Dinge ab. Den Brief hatte sie einmal gelesen und ihn im Grunde nicht anders erwartet, als er war; aber sie las ihn später nicht wieder.
Vielleicht sollte sie doch Benoni ein paar Worte senden und ihm danken? Das war wohl nicht zu viel von ihr verlangt. So setzte sie sich am Abend hin und schrieb schön und herzlich: Lieber Benoni, obwohl es schon spät in der Nacht ist, und so weiter. Und der Ring paßt und ich habe das Kreuz an ein schwarzes Samtband gefädelt, und so weiter. Und uns daheim geht es allen gut und jetzt bin ich so schläfrig, gute Nacht. Deine Rosa.
Sie wollte diese Zeilen am nächsten Morgen abgeben, aber als sie hinunterkam, war Wächter Svend bereits gegangen. Denn Wächter Svend hatte auch einen Brief vom Schiffer Hartvigsen an Mack auf Sirilund, und morgen war der dritte Ostertag, da mußte er sich beeilen.
So ging Wächter Svend durch den Gemeindewald zurück, sang ein wenig, schwätzte ein wenig mit sich selbst und dachte an allerhand, hob die Schultern in die Höhe und ging. Er war nicht lange unterwegs; als er nach Sirilund kam, war es noch hell, obwohl die Tage noch so kurz waren. Er lieferte den Brief an Mack ab und wollte hier übernachten und auf Antwort warten.
Benonis Brief an Mack handelte von den Preisen für Fische, Leber, Rogen und Salz, wieviel er gekauft habe und wie die Aussichten seien. Ferner habe er sehr viel Köderhering zu einem guten Preis verkauft. Zum Schluß hatte Benoni, der dicht vor der Heirat stehende Mann, nach dem Klavier in der Großstube und nach dem Nähtisch aus Rosenholz in der Kleinstube gefragt, ob Mack ihm diese Dinge abtreten würde und welchen Preis er dafür verlange. Da auf den Lofotinseln weder ein Klavier noch auch ein Nähtisch aus Rosenholz aufzutreiben seien, ausgenommen die gewöhnlichen Fichtenholztische, an denen sie nicht nähen könne, würde Mack ihm einen Gefallen erweisen. Ehrerbietigst B. Hartvigsen von der Galeasse.
Mack setzte sich hin, um zu antworten, daß es allerdings einen Verlust für ihn bedeute, Klavier und Nähtisch in seinem Haus entbehren zu müssen, aber aus Gefälligkeit gegen Benoni selbst und auch weit sein liebes Patenkind nach den genannten Gegenständen seufze, ja, offenbar nicht ohne sie leben könne, wolle er sie ihm zu einem noch näher zu bestimmenden Preis abtreten ...
Wächter Svend hielt sich am Abend in der Gesindestube auf, sang Lieder und trieb Unsinn. Der muntere Bursche hatte sich sofort, als er ankam, ein Bett auf dem Speicher des Gesindehauses ausgesucht, unter dem Vorwand, daß er von seiner Wanderung so tödlich erschöpft sei. Und es fing an stockfinster rings um ihn zu werden, und schön und warm war es auf dem Speicher, so daß Wächter Svend beinahe fest eingeschlafen wäre. Aber er hatte nicht die Geduld, länger als eine gute Stunde liegen zu bleiben, dann schlich er sich wieder hinunter. Unten war jetzt Licht angezündet, und am Fuß der Treppe begegnete ihm eine aufgeregte Person. Es war der Großknecht des Hofes.
Es entspann sich ein lächerlicher Zank zwischen den beiden:
Ich hätte die größte Lust, dich hinauszuwerfen, sagte der Knecht.
Wächter Svend lachte nur und antwortete:
Hast du?
Mein Amt ist, auf alles in der Gesindestube aufzupassen. Das hat Mack selbst gesagt.
Was habe ich getan?
Du bist auf dem Speicher gewesen, du kommst eben von dort ... Jakobine! rief der Knecht die Treppe hinauf.
Ja, antwortete Bramaputra von oben.
Da hörst du's, sie ist oben.
Was schert mich das! antwortet Wächter Svend. Ich habe mich nach der Wanderung da oben ein wenig ausgeruht.
Du schliefst verbotenerweise. Jakobine ist mit Ole Menneske verheiratet.
Konnte ich das wissen? Ich bin fremd hier. Ich bin aus der Stadt.
Jetzt will ich dir eines sagen: du bist ein Racker, der von Hof zu Hof wandert, erklärte der Knecht.
Auspeitschen sollte man dich für dein loses Maulwerk, antwortete der Wächter.
Und du gehörst gerädert, sagte der Knecht rasend. Hörst du was ich sage: gerädert!
Es ist eine halsbrecherische Sache, einen einen Racker zu nennen! In jeder ordentlichen Stadt würdest du für dein loses Maul das Halseisen bekommen, antwortete der andere darauf.
Bramaputra fragte über die Treppe herunter, worüber sie sich zankten. Kaum aber hatte Wächter Svend einen Zuhörer bekommen, an dem ihm gelegen war, als er innerlich fest und stark wurde, er trat dem Knecht dicht unter die Augen und schüttelte seine Faust ganz langsam:
Wenn du dich jetzt nicht sofort packst, dann nehme ich dich und schüttele dich, daß dir die Ohren wackeln, sagte er.
Bramaputra kam ganz herunter, furchtlos und mit kleinen Locken und neugierig.
Seid Ihr denn ganz närrisch, sagte sie.
Du solltest nicht so gutmütig sein, warnte der Knecht sie. Ole Menneske ist nur auf den Lofotinseln, er kommt schon wieder heim.
Da sah Wächter Svend so aus, als ob er etwas vorhabe, und er fragte:
Hast du etwas gesagt?
Nein, antwortete der Knecht, mit dir mache ich keine langen Geschichten, dich schmeiße ich einfach hinaus.
Bramaputra griff ein, sie schob ihren Arm in den des Knechtes und zog ihn zur Seite.
Ihr solltet nicht so raufen, sagte sie. Jetzt ist das heilige Osterfest und alles miteinander. Komm jetzt mit mir.
Und der Knecht ging mit ihr in die Gesindestube.
Wächter Svend blieb im Gang zurück, pfiff vor sich hin und überlegte. In Wirklichkeit war es gar nicht Bramaputra, sondern Ellen, das Stubenmädchen, das ihm im Kopf steckte; er hatte sie ein paarmal gesehen und mit ihr gescherzt und ihr verschiedene kleine Zärtlichkeiten erwiesen. Sie wird wohl noch nachkommen! dachte er und ging auch in die Gesindestube. Und nun fing Wächter Svend an zu singen und umzutreiben, und Ellen, das Stubenmädchen, kam tatsächlich nach kurzer Zeit und war den ganzen Abend über da: Ja, wäre nicht Ostern gewesen, hätten sie sicherlich zu tanzen angefangen.
Mitten in dieser Lustigkeit kam Mack selbst zur Türe herein; er trug einen Brief in der Hand. Es wurde totenstill in der Gesindestube, und jeder einzelne wünschte sich gewiß weit fort, ein solcher Respekt ging von dem alten Herrn aus. Aber Mack sah sich kaum um; es schickte sich nicht für ihn, kleinlich und griesgrämig gegen die Dienstboten zu sein.
Willst du Hartvigsen diesen Brief übergeben, sagte er nur zu Wächter Svend.
Und Wächter Svend nahm den Brief in Empfang, verbeugte sich kunstgerecht und antwortete: Joho, der würde sicher abgegeben werden!
Dann kehrte Mack um und ging wieder.
Kurze Weile noch herrschte Stille, dann nahm die Lustigkeit überhand und wurde noch viel schlimmer als zuvor, weil alle sich wie entronnen fühlten. Dort hatte Mack gestanden, das hatte er gesagt, genau wie einer von uns. Oh, dieser Mack!
Wächter Svend rief:
Jetzt singen wir das Lied: O, ihr Sorosimädchen! Folgt jetzt gut mit. Denkt daran, daß nach jedem Vers, den ich singe, Ihr anderen im Chor einfallen und im Sprechton sagen müßt: O, ihr Sorosimädchen! So habe ich es gelernt. So, jetzt fange ich an.
Können wir nicht auch ein wenig tanzen? fragt Bramaputra dreist. Dieses Menschenkind hatte nun den Teufel im Leib.
Warnend antwortet der Großknecht:
Jaja, noch ist Ole Menneske auf den Lofotinseln, aber ...
Rutsch mir morgen mit Ole Menneske den Buckel herunter, antwortet Bramaputra und schlängelt sich, von Tanzlust gepackt, auf ihn zu.
Und der Knecht wurde so weit mitgerissen, daß er sie ansah und sagte:
Wenn wenigstens nicht Ostern wäre.
Rutsch mir morgen auch mit Ostern den Buckel herunter, antwortete Bramaputra.
Da kam der Knecht heran und fing an, sie im Tanz zu drehen. Und er hatte keine geringen Kräfte beim Tanz. Nach den beiden kam Wächter Svend mit Ellen, dem Stubenmädchen, und nach ihnen wiederum kamen noch zwei Paare. Ein Junge, der eine Ziehharmonika besaß, wurde geholt, es kam zu einem richtigen Tanz, ja, es wurde ein großes Vergnügen für alle. Aber die zwei weißen Gemeindearmen Fredrik Mensa und Mons saßen in einem Winkel und sahen zu und waren gleichsam wie entseelte Körper aus einer anderen Welt. Ab und zu redeten sie miteinander, fragten und antworteten, ganz, als sei das, was sie sagten, notwendig. Aber sie befanden sich in einem lustigen Stumpfsinn, die reinsten Himmelhunde; für sie war das Ganze sicher eine Stube, die sich einige Menschen geholt hatte, um mit ihnen zu tanzen. Bisweilen griffen sie mit ihrem embryoartigen Händen in die Luft, wie um die Stube im Zaum zu halten.
Und Wächter Svend – wo waren nur er und Ellen, das Stubenmädchen, hingekommen? Sie hatten sich weggeschlichen, sie standen beieinander und redeten gute Worte zusammen und er umarmte sie zweimal fest und küßte sie. Sie war so schlank, und Ellen war ihr kleiner Name, sie war ein herrliches Menschenkind. Wenn er etwas Zärtliches zu ihr sagte, drückte sie die Augen zu und war verliebt, sie auch. Alles war reizend an ihr: du hast so kleine und kalte Hände, es ist gut, sie zu halten und zu wärmen, sagte er. Außerdem ist Ellen so leicht auszusprechen, es ist ein dänischer Name.
Wie jung und verliebt waren sie alle beide!
Tags darauf kehrte Wächter Svend wieder nach den Lofotinseln zurück.