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12

Jung-Arentsen ist auf einer langen Reise. Er ist heute morgen früh aufgestanden und ist jetzt am hohen Tag mitten im Gemeindewald, auf dem Weg in das Nachbarkirchspiel. Er wandert zu Fuß, es ist Samstag und mildes Winterwetter.

Wie denn – dieser rechtsgelehrte Mann, was hat er vor? Der bequeme Arentsen, der faule Trödler, warum macht er sich diese Mühe? Das weiß Gott allein. Aber Jung-Arentsen sagt sich, daß er im Interesse seines Geschäftes arbeitet. Ist er nicht in die Kirche seiner eigenen Gemeinde gegangen, um weit und breit bekannt zu werden, und geht er jetzt nicht aus dem gleichen Grund morgen in die Nachbarkirche? Jung-Arentsen hat Pläne, er will Recht sprechen und den Leuten das Gesetz in vielen Kirchspielen auslegen. Na, aber vor dem Frühling wird es doch keine Arbeit für ihn geben, weil alle Männer auf den Lofotinseln sind und die Gemeinde ohne Geld ist, was hat er dann heute vor?

Jung-Arentsen wischt den Schnee von einem Baumstumpf ab und macht sich einen Sitz zurecht. Dann ißt er seinen Proviant, trinkt dazu gehörig aus der Flasche, trinkt noch einmal, zweimal ordentlich und ausgiebig, leert die Flasche und wirft sie in den Schnee. Ah, das erleichtert, wenn die schwere Flasche fort ist! denkt Jung-Arentsen. Und er ist nicht im mindesten betrübt darüber, daß die Flasche leer geworden ist, denn er hat noch eine volle dabei.

Ein stiller und schöner Wintertag in Wald und Feld! Gar nicht langweilig dieses eine Mal, im Gegenteil, wirklich interessant, dieses eine Mal! – Jung-Arentsen wirft den Kopf zurück und späht umher, er hat etwas gehört. Da kommt ein Mensch – he, so ein Zufall! Es ist Rosa.

Sie grüßen und sind alle beide überrascht.

Willst du zu uns? sagt er.

Ja. Und du zu uns?

Ich gehe im Interesse meines Geschäftes. Ich muß mich so viel wie möglich bei allen Kirchen zeigen, um bekannt zu werden.

Rosa hält es auch für notwendig, ihren Weg zu begründen:

Ich muß nach Sirilund. Ich bin heuer noch nicht dort gewesen.

Aber je mehr sich das erste Erstaunen über die Begegnung hier im Gebirge gelegt hat, desto mehr steht ein großer Ärger in ihnen beiden darüber auf, daß sie sich gerade heute auf die Wanderung begeben haben. Oh, daß sie nicht länger hatten warten können! Für Rosa sieht es ja nicht ganz so schlimm aus, denn sie ist seit Edvardas Tagen, seit der Zeit, da sie noch im kurzen Kleid ging, gewohnt, Sirilund von Zeit zu Zeit aufzusuchen. Aber Jung-Arentsen denkt erbittert bei sich selbst: hätte ich nur heute noch abgewartet! Na, aber sollte er deswegen nicht Manns genug sein, einen Ausweg zu finden?

Ich dachte schon beinahe, daß du heute von daheim fortgehen würdest, sagte er.

So?

Und deshalb ging ich. Ich wollte bei deiner Kirche sein, wenn du abwesend warst.

Durchschaute sie seinen Vorwand? Sie lachte und sagte Dank, vielen Dank!

Ich dachte mir, du würdest dir nicht viel daraus machen, weil du  ... Da wollte ich dir einmal zu Gefallen sein.

Du bist ja mächtig ernst geworden, sagte sie mißtrauisch. Findest du es schön, daß du es abwartest, bis ich fort bin, um zu uns heimzukommen?

Der alte Bursche fühlte sich bei all diesem Ernst nicht sehr wohl.

Wenn du es so auffaßt, dann will ich lieber umkehren und mit dir gehen, erklärte er.

Sie gingen einige Schritte.

Nein, sagte sie, dann kehre lieber ich um. Denn ich habe auf kein Geschäft zu achten.

So drehten sie wieder um und begaben sich in Rosas Heimat.

Sie gingen und gingen, schwätzten allerhand, stritten nicht, Jung-Arentsen wurde schlapp von den guten Schlucken, die er aus der Flasche getan hatte.

Geh du nur. Ich habe etwas im Stiefel, sagte er und blieb zurück.

Rosa ging eine Weile, wandte sich um und wartete. Wie ein Junge kam er nach, wie ein Tänzer, und er machte einen Witz über wundgelaufene Füße. Dann ging er plötzlich auf sie los und fragte, ob sie immer noch mit dem Postbenoni verlobt sei.

Ja, das sei sie. Schweig stille, nicht ein Wort.

Du weißt sehr gut, daß das ein Unsinn ist, sagte er.

Sie schien etwas Scharfes erwidern zu wollen, wurde aber auf einmal ganz still und wohlerzogen. Hm, sagte sie. Und vielleicht war sie im Grunde auch einer Meinung mit ihm.

Sie gehen immer weiter. Es wird zwei Uhr, es wird drei Uhr, auf dem Berg oben bläst es ein wenig, dann und wann flimmert ein Stern am Himmel auf. Jung-Arentsen spricht wieder leise und brav, ehrlich gestanden, er war wieder faul, er hatte schon seit heute morgen böse mit der Flasche gehaust, nun blieb ihm nichts übrig als fortzusetzen. Er war kein Trinker, sondern nur ein geübter Bummler, der glaubte, auf einer solchen Wanderung müsse es gut sein, eine Flasche Branntwein dabei zu haben  ... Es wurde vier Uhr, der Weg fängt an, sich auf die andere Seite des Berges zu neigen, im Wald wird es wärmer, die Erde wird dunkler.

Es kann schon sein, daß es ein Unsinn ist, sagt Rosa plötzlich.

Er mußte erst nachdenken, um sich zu erinnern, was er vor so langer Zeit gesagt hatte und worüber sie nun mit ihm einig war. Jaja, reiner Unsinn, antwortete er, was für ein Mann wäre das für dich? Reiner Unsinn.

Aber du darfst das nicht sagen, wandte sie heftig ein. Das ist wirklich häßlich, wenn du das sagst.

Dann laß ich es bleiben  ... Es ist auch verteufelt, so weit zu gehen, wenn man nicht daran gewöhnt ist; jetzt ist an den Hosenträgern etwas nicht in Ordnung. Du mußt dort vorne auf mich warten.

Sie ging weiter. Als er sie einholte, ging der Mond gerade vor ihnen auf, es wurde ein schöner Abend.

Da ist auch der Mond, sagte er wieder belebt. Und er schwatzte weiter, deutete in die Luft, blieb stehen und sagte: Horch, der Sturm der Stille! Bald darauf redete er mit seinem unbeschwerten Gemüt beharrlich weiter: So etwas, auch noch Vollmond! Wie er einen anstarrt. Das muß dir doch ganz peinlich sein, daß der Bursche dir so gerade ins Gesicht blickt.

So? Warum denn?

Du, die mit dem Postbenoni verlobt gewesen ist.

Sie antwortete nicht. Nein, wie war es nur möglich, daß sie sich so wohlerzogen benahm und nichts Scharfes erwiderte? Nun hatte Jung-Arentsen gesagt: verlobt gewesen ist. Er sagte, daß es vorbei sei.

Borre aekked! grüßt es auf dem Weg.

Ibmel adde! antwortet Rosa abwesend. Es war der Lappe Gilbert, und er wollte nach Sirilund.

Grüße von uns, sagte Jung-Arentsen.

Und der Lappe Gilbert grüßte schön von ihnen, er ging vom ersten Haus ins zweite und dritte Haus und sagte überall das gleiche: Mit Benoni und Rosa, der Pfarrerstochter, wird es wohl nichts werden! Ah, welch ein Meister war er, die Neuigkeit von diesem Mondscheinabend zu verbreiten.

Merkwürdig, daß ich gerade an diesem Abend den Lappen Gilbert wieder treffen mußte, sagte Rosa gedankenvoll.

Sie kamen an den Pfarrhof. Jung-Arentsen wurde wie ein wichtiger Gast empfangen, den ganzen Abend über gab es gutes Essen und starken Toddy bei Pfarrer Barfod. Und als der Toddy gewirkt hatte, mußte Rosas Mutter oft über Jung-Arentsen mit seinem luftigen Geschwätz lächeln.

Ihre Mutter ist jetzt wohl recht vergnügt? konnte die Pfarrersfrau sagen.

Ich versichere Ihnen, gnädige Frau, ich habe keinen Frieden vor ihrer Fürsorge.

Und die Pfarrersfrau lächelt und entschuldigt sie: die Arme, sie ist ja eine Mutter!

Sie rüstet mich mit zwei Paar Fäustlingen aus.

Sie Ärmster!

Ärmster? Ja, aber daß ich es aushalte kommt nur von meiner Zählebigkeit.

Da mußte die Pfarrersfrau herzlich lachen, weil der Rechtsgelehrte ein so lustiger Kerl war.

Als die Pfarrersleute sich zur Ruhe begaben, blieben Jung-Arentsen und Rosa noch lange sitzen. Sie kamen auch gut überein, Jung-Arentsen war viel vernünftiger geworden, Rosa hatte ihn noch nie so ernsthaft und zusammenhängend reden hören. Sie gingen im Grunde nun beide davon aus, daß doch sie einander heiraten wollten; dieser Einfall mit Benoni war eine Torheit gewesen. Die alte vierzehnjährige Gewohnheit hatte sie wieder zusammengeführt, und das war auch das Natürlichste. Jung-Arentsen sprach ganz offen von ihren Aussichten für die Zukunft: Sie würden sicher gut werden, es sollte ein Taubenhaus und einen Schuppen geben, hehe. Die Boote, die zu Ostern heimgekommen waren, hatten auf den Lofotinseln von seiner Heimkehr berichtet, und er hatte bereits jetzt Briefe von verschiedenen Leuten bekommen, die seine Hilfe in Anspruch nahmen. Zu denken, daß sie nicht hatten warten können, bis sie heimkamen, vor lauter Angst, die Gegenpartei könnte ihn kapern. Hehe.

Rosa sagte:

Aber was soll ich mit Benoni machen!

Ja, was sollst du mit ihm machen! sagte auch Jung-Arentsen und legte eine andere Bedeutung in ihre Worte. Du wirfst ihn hinaus.

Rosa schüttelte den Kopf:

Das geht nicht. Natürlich muß ich auf irgendeine Weise Schluß machen, aber  ... Ich werde ihm schreiben.

Keineswegs. Das ist nicht nötig.

Erst noch vor ein paar Tagen bekam ich wieder einen Brief von ihm, sagt Rosa. Wart ein wenig, ich will ihn holen. Ich habe nicht darauf geantwortet, es war so schwer.

Rosa ging, um den Brief zu holen. Und unterdessen dachte sie an den Ring und an das Kreuz und dachte auch an die Stube und an die große Kammer, die Benoni um ihretwillen an sein Haus angebaut hatte. Dann dachte sie an einen bestimmten Tag im Mittsommer.

Er ist ein wenig sonderbar geschrieben, aber – sagte sie entschuldigend zu Jung-Arentsen und faltete den Brief auseinander. Sie war ernst und ganz wehmütig. Überhaupt kommt es ja weder auf die Buchstaben noch auf die Worte an, fügte sie hinzu.

Worauf kommt es denn dann an?

Auf den Sinn, antwortete sie kurz, um jeden Spott zurückzuweisen.

Aber Benonis Brief war so geschraubt, ach, wie schwer war es doch, über dieses kuriose Schreiben nicht zu lachen. Er schrieb ungefähr so, er greife wirklich nur ungernen Sinnes zur Feder, aber vor allem möchte er berichten, daß es gesundheitlich gut gehe. Ferner sei er über ihr Schweigen mit Wächter Svend tiefbetrübt gewesen. Nur zwei Zeilen schon wären ihm für den ganzen Winter eine Freude gewesen; aber sie habe wohl nicht Gelegenheit dazu gehabt. Was die Ladung betreffe, so kaufe er nach bestem Vermögen und stehe auf Macks Seite, es gebe jedoch viele Käufer, die die Preise hinaufschraubten  ... Ich muß dir doch erzählen, daß ich bei dem Besitzer der Insel zwei Paar Tauben bekommen habe und sie im Frühjahr für unser Taubenhaus mit heimbringe. Es sind zwei weiße und zwei blaue. Daran kannst du sehen, daß du stets und immer in meinen Gedanken bist, ja, daß ich dir bis zum Tode treu bin. Geliebte Rosa, wenn es dir in den Sinn kommen sollte, mir jemals zu schreiben, so vergiß nicht den Namen der Galeasse Funtus dazuzusetzen, denn es gibt hier überall so viele Galeassen und Fahrzeuge. Und wie würde ich dir danken und dich segnen und den Brief wie eine Blume an meiner Brust bewahren. An Neuigkeiten kann ich berichten, daß wir einen guten Pfarrer bekommen haben, der besucht nicht nur uns, die wir an Bord sind, sondern auch die Fischer in den elendesten Hütten. Und wir, die wir uns vom Morgen bis zum Abend auf See und Meer umhertreiben, haben ein verantwortungsvolles Leben und können zu jeder Zeit abberufen werden. So kenterte neulich ein Helgelandsboot von Ranen auf Helgeland am vergangenen Mittwoch Mittag, und ein Mann namens Andreas Helgesen blieb. Die anderen wurden vom Kiel gerettet, aber sie verloren alles, was sie besaßen und alle ihre Gerätschaften, die aus Angeln bestanden. Ich will nun für dieses Mal mein simples Geschreibe schließen und dich um eine freundliche Antwort bitten, da ich dich aus allen meinen Kräften und Vermögen liebe. Aber als du mich zu deinem Lebensbegleiter erwähltest, sahest du auch nicht auf hohen Stand oder Kenntnisse, sondern auf mein geringes Herz. Noch etwas habe ich lange vorgehabt, dir zu verheimlichen und es dir nicht zu erzählen, ehe ich heimkäme, jetzt aber habe ich mir überlegt, daß es am besten ist, ich erzähle es, nämlich, daß ich zwei Briefe an Mack geschrieben und zwei Antworten darauf bekommen habe, und daß wir einig sind und ich nun also das Klavier, auf dem du spielst, und den Nähtisch aus Rosenholz in der Klein-Stube gekauft habe. Das werde ich zu unserem Haus hinunterfahren und es soll eine kleine Gabe von mir sein, wenn ich heimkomme. Lebewohl und schreibe bald. Dein B. Hartvigsen, mein Name. Der Name der Galeasse ist Funtus.

Aber du lieber Gott, das ist ja ein Brief von einem Unterirdischen! sagte Jung-Arentsen, seine Augen standen vor Erstaunen weit offen.

Das möchte ich nicht behaupten, antwortete Rosa. Aber sie war sehr verlegen und steckte den Brief sofort in die Tasche.

An Neuigkeiten kann ich berichten, daß wir einen guten Pfarrer bekommen haben, murmelte er und schielte zu ihr hinüber.

Uff, warum habe ich ihn dir gezeigt! rief sie aus und erhob sich rasch.

Während sie ärgerlich und verstimmt irgend etwas in Ordnung brachte, konnte er sich nicht zurückhalten, sondern fuhr neckend fort:

Wie hieß doch dieser Mann, dieser Helgeländer, der blieb? Andreas Helgesen, glaube ich? Merk dir das.

Rosa antwortete von irgendwo in der Stube:

Du siehst nicht all das, was er für mich getan hat. Da hat er nun auch noch das Klavier und Madam Macks Nähtisch für mich gekauft.

Ja, das entgeht dir nun.

Nicht weil es mir entgeht, sondern weil er es kaufte und sich in so große Unkosten gestürzt hat! Nein, es ist abscheulich von mir, ich möchte am liebsten heulen.

Ach was! sagte er gereizt und erhob sich:

Rosa wurde ärgerlich:

Was sagst du? Hast du denn gar kein Herz? Jetzt will ich ihm schreiben, ich gehe jetzt sofort hinauf und schreibe ihm. Er soll auf jeden Fall einen kleinen Brief bekommen für alles, was er Gutes für mich gewollt hat.

Ich werde den Brief morgen mitnehmen, antwortete Jung-Arentsen.


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