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Dann kam der Weihnachtsabend heran, und Benoni war bei Mack zu Gast, Rosa aber war heimgereist. Sie hatte sich nicht von Benoni verabschiedet, als sie abreiste, doch Macks Haushälterin sollte ihn vielmals grüßen.
Es herrschte keine rechte Weihnachtsstimmung in Macks geräumiger Großstube, Benoni war an anderes gewöhnt. Wenn er an einem Weihnachtsabend so allein für sich saß, pflegte er zwischen den Schnäpsen ein Bruchstück eines Psalmes zu singen und eine Andacht zu lesen. Hier war so unheimlich viel leerer Platz in der Stube, nicht einmal Stühle waren da, sondern nur einige Sofas, die Stühle waren zum Abendessen ins Speisezimmer hinübergestellt worden.
Mack hatte nach alter guter Sitte den Kronleuchter mit den hundert Kristallen angezündet und ging selbst in schönen Kleidern und perlgestickten Pantoffeln auf und ab und rauchte behaglich aus einer langen Pfeife. Er sprach nicht wie gestern und vorgestern von Fischpreisen, Handel und Köderfisch, sondern anläßlich dieses Abends über Kleinigkeiten und Geschichten, die er in den Zeitungen gelesen hatte, und von dem Großvater, der eine Zeitlang in Holland gelebt hatte. Dazu schenkte er dann und wann Benoni ein Glas Wein ein und trank selbst ein Glas.
Dann öffnete die Haushälterin die Türe zum Speisezimmer, bitte schön, sie möchten nun zum Abendessen kommen! Mack ging voran und Benoni folgte. Es herrschte hier die gleiche Helligkeit, an der Decke war ein Lüster und auf dem langen Tisch standen vier Paar Kerzen.
Nun öffnete die Haushälterin auch die Türe zur Küche und meldete: Bitte schön, kommt Ihr da draußen nun herein!
Und langsam und umständlich kamen alle Leute und Bedienstete des Handelsplatzes herein: Die Knechte, die beiden Schmiede, die Speicherleute, der Bäcker, der Böttcher, die Ladengehilfen, die beiden Müller, beinahe alle mit ihren Frauen, aber ohne die Kinder; außerdem die Köchin, die Stallmagd und das Stubenmädchen Ellen. Zuletzt kamen die beiden weißhaarigen Gemeindearmen Fredrik Mensa und Mons. Von diesen beiden Greisen war Mons als erster nach Sirilund gekommen, er brachte damals, reihum auf jedem Hof einige Wochen zu und sollte nun hier seine drei Wochen bleiben. Ach ja, es war nun lange her, das war damals gewesen, als Ferdinand Mack noch verheiratet und die Tochter Edvarda ein kleines Mädchen war. Als aber die drei Wochen um waren, weigerte sich Mons, zu einem anderen zu gehen, mit entblößtem Kopf stand er vor Mack und Madam Mack und bat, bleiben zu dürfen. Du kannst bleiben! sagte Mack. Oh, Mack war nicht der, der jemand fortjagte, dieser große Herr! So blieb Mons auf dem Hof, hackte Holz und schwätzte mit sich selbst und hatte es gut, ja, Kleider und Essen bekam er reichlich. Mons war ein großer, gebeugter, alter Mann, ein langbärtiger Moses mit krummer Nase, er war nachsichtig und mild wie ein Kind. Als zwölf Jahre vergangen waren und Macks Hausfrau gestorben und die Tochter Edvarda erwachsen war, da wurde Mons in den Armen und im Rücken so schwach, daß er nicht mehr alle Öfen mit Holz versorgen konnte. Da machte er auf eigene Faust Bekanntschaft mit Fredrik Mensa, der ebenso alt und verbraucht war, damit er Hilfe bei seiner Arbeit, einen Kameraden und ein wenig Unterhaltung im Holzschuppen hätte. Fredrik Mensa ging dann auch zu Mack und zu Edvarda Mack und stand barhäuptig vor ihnen mit der Bitte, bleiben zu dürfen. Und Mack war noch der gleiche wie früher: du kannst bleiben! sagte er. Von diesem Tag an lebten die beiden Gemeindearmen auf Sirilund, hielten sich zueinander, beschäftigten sich ein bißchen mit dem Holz und gingen immer mehr in ihre zweite Kindheit hinüber. Und während Mons mit seinen Riesenschultern groß und mächtig war, war Fredrik Mensa mager und lang wie eine Sehenswürdigkeit, und es war wohl deshalb, daß seine Tochter so schön und gut gewachsen war und später Zimmermädchen auf Sirilund wurde. Und dann verheiratete sie sich mit dem Untermüller ...
Es war ein reichbesetzter Abendtisch. Und für alle gab es silberne Löffel und Gabeln, für arm und reich.
Warum kommen der Leuchtturmwächter und seine Frau nicht? fragte Mack.
Wir haben sie gebeten.
Bittet sie noch einmal.
Ellen, das Stubenmädchen mit dem schmalen und beweglichen Körper, lief augenblicklich zum Leuchtturmwächter hinüber. Niemand rührte das Essen an, ehe sie kamen, nur ein Schnaps wurde getrunken, den der Gehilfe Steen einschenkte.
Die Leuchtturmwächtersleute waren ein bescheidenes, nichtssagendes Paar, ihren kleinen Verhältnissen entsprechend in abgenützten und altmodischen Kleidern, mit Gesichtern, die das freudlose Leben und der verderbliche Müßiggang auf dem Leuchtturm vorzeitig stumpfsinnig gemacht hatte. Wie überdrüssig sie einander waren und wie schwer es ihnen fiel, sich höflich zu betragen und einander eine Schüssel zu reichen!
Unten am Ende des Tisches saß die Frau des Untermüllers, und sie mußte die beiden Gemeindearmen ein wenig versorgen, weil sie so schlaff waren. Hoho, vor zwanzig Jahren ging sie hübsch und schön durch die Stuben von Sirilund, später aber war sie immer fetter geworden und hatte nun ein Doppelkinn. Aber sie war immer noch schön und hatte eine feine Hautfarbe, es lag nichts Altes über ihr. Weiter oben saß Jakobine, die sich mit Ole Menneske verheiratet hatte. Sie war vom Süden gekommen, von Helgeland, sie war dunkel und flink und hatte ganz klein gelocktes Haar, deshalb nannte man sie Bramaputra. Niemand hätte es geglaubt, daß der verwelkte Leuchtturmwächter einmal in einer guten Stunde diesen Namen für sie erfunden hatte.
Mack saß da und blickte über den Tisch hinunter und kannte alle. Und beinahe alle Mädchen und Frauen kannten ihn sehr gut, und an jedem Weihnachtsabend saß er da und blickte über den Tisch hinunter in die bekannten Gesichter und hatte seine Erinnerungen.
Und sollte man es glauben, daß auch die Brust der Frau des Untermüllers schwer atmete und sie voller Erinnerungen war? Und sollte man es glauben, daß auch Bramaputra in gleicherweise mit den Augen sprühte und ihren krausen Kopf voll Gedanken hatte? Als mehr Branntwein kam, trank sie ihr Glas aus und wurde wilder und streckte die Füße weit unter den Tisch. Aber was Mack betraf, konnte niemand seinem energischen Gesicht ansehen, daß seine Arme jemals gut und weich und seine Blicke zärtlich sein konnten. In passenden Zwischenräumen erhob er sein Glas und sagte auch zu Steen, dem Gehilfen: Du vergißt wohl nicht, die Gläser überall zu füllen? Als er merkte, daß der arme Mundschenk keine Zeit fand, sein Essen in Frieden zu verzehren, änderte er seine Anordnung und befahl dem Gehilfen Martin, die eine Seite des Tisches mit Getränk zu versorgen. Alles hielt Mack in Ordnung, und dabei redete er über allerhand Kleinigkeiten, die seine Gäste interessieren konnten.
Nur die Greise Fredrik Mensa und Mons hörten nichts, sondern aßen stumpfsinnig und schwerfällig wie Tiere. Mons' Kopf sinkt immer tiefer in den Wollschal und seine Schultern werden kolossal. Fredrik Mensa dagegen ragt unentwegt in die Höhe, mager und geierartig, aber sein Verstand ist ebenso ausgestorben wie der des andern. Sie sind wie zwei Tote aus den Gräbern, ihre Finger haben die langsamen Bewegungen der Maden angenommen. Wenn Fredrik Mensa irgend etwas auf dem Tisch erblickt, das er nicht erreichen kann, richtet er sich auf, um hinzukommen und es zu holen. Was ist denn, was willst du? fragt die Tochter leise und zupft ihn; dann schiebt sie ihm irgendein Stück zu essen in die Hand, und er ist auch damit zufrieden. Mons sieht freundlich auf eine Schüssel mit Speck und fängt an, darin zu wühlen; rasch hilft man ihm eine Scheibe herauszunehmen. Mons sieht dem Stück an, daß es aus irgendeinem Grund schwer zu bekommen war, – jetzt aber hat er es; er bestreicht es dick mit Butter und fängt zu essen an. Ein Stück Brot wird ihm in die Hand gesteckt. Die Maden umklammern das Brot und halten es fest. Bald ist die Speckscheibe verzehrt, Mons sucht sie auf seinem Teller, aber sie ist weg. Du hast Brot in der Hand, sagt die Frau des Untermüllers, und Mons ist auch damit zufrieden und fängt an, das Brot zu essen. Tauche es zuerst in den Tee, wird ihm gesagt; denn alle möchten den Leichen so gerne helfen und für sie sorgen. Da entdeckt jemand, daß der Arme ja nur trockenes Brot in der Hand hat, und eilt mit Butter und Leckereien herbei. Wie ein mißgestalteter Riese, wie ein Fels sitzt Mons da und läßt sich füttern, und wenn er nun auch die Brotscheibe verzehrt hat, starrt er auf seine Hand und sagt wie ein Mensch: Ist sie fort? – Ist sie fort? wiederholt Fredrik Mensa wie ein Papagei und ist genau so stumpfsinnig.
Diese beiden Greise, das Gesicht mit Fett verschmiert, mit schmutzigen Händen und stinkend vor Alter, verbreiten an dem untersten Tischende einen Ekel ohnegleichen, eine Vertiertheit, die sich zu beiden Seiten des Tisches nach oben verpflanzt. Hätte man nicht im Speisezimmer bei Mack gesessen, hätte man alle möglichen Dinge angefangen. Nicht ein vernünftiges Wort hört man von den Gästen dort unten am Tischende, alle haben ihren Sinn darauf eingestellt, dem Verfall aufzuwarten. Dann wird Mons müde vom Essen, er sitzt da und sieht starr auf die Lichter am Tisch und fängt an darüber zu lachen. Haha, sagt er und seine Augen sehen wie zwei Geschwüre aus. Der Teufel hol mich, jetzt ist er vergnügt. Haha, lacht auch Fredrik Mensa ungeheuer ernst und ißt weiter. Die Ärmsten, auch sie haben ihre Freuden, sagen die Leute ringsum. Nur die Frau des Untermüllers hat noch so viel Verstand, daß sie sich schämt.
Und in das ganze Haus ist nicht ein einziges Kind hereingekommen ...
Nun kamen die süßen Sachen und der Sherry auf den Tisch. Nichts fehlte an dieser Mahlzeit.
Haben jetzt alle etwas im Glas? fragte Mack. Dann wollen wir es wie gewöhnlich auf das Wohl meiner Tochter, der Baronin Edvarda leeren.
Wie richtig und vornehm väterlich das war! Ja, ja, dieser Mack, welch ein Respekt ging doch von ihm aus!
Benoni saß die ganze Zeit da und beobachtete seinen Herrn, wie er in die Serviette hustete und nicht über den ganzen Tisch hinweg, und wie er mit der Gabel umging. Auch Benoni war seinerseits der reinste Teufelskerl; in allen Lagen nahm er sich etwas zum Muster, stets trug er ein nützliches Wissen mit sich fort, wenn er einen Ort verließ. Als deshalb Mack mit ihm anstieß, war er so weit gekommen, daß er ganz richtig danken konnte und sich wie ein großer Herr benahm. Ja, Benoni war auf dem besten Wege, Mack gleich zu werden.
Der Gastgeber trank dem Leuchtturmwächter und seiner Frau zu – Sirilunds einzigen Nachbarn nach der Seeseite – Prosit! Und die alte Dame wurde verlegen und rot, obwohl sie fünfzig Jahre alt und Mutter zweier verheirateter Töchter mit Kindern war. Der Leuchtturmwächter sah Mack mit seinem welken Gesicht idiotisch an: Na – soso! Er nahm sein Glas und trank, ohne sich zu übereilen. Aber wie seltsam doch seine Hand zitterte; war das deshalb, weil Mack ihn für einen Menschen hielt, mit dem man anstoßen konnte? Dann sank er wieder in seine Idiotie zurück.
Jetzt hält Mack eine Rede auf alle seine Leute: er wolle niemand nennen und niemand vergessen, alle arbeiteten sie getreulich, und er danke ihnen. Ein fröhliches Weihnachten euch allen!
Wie dieser Mann reden konnte! Wo in aller Welt nahm er die Worte her? Die Gäste waren nun gerührt. Bramaputra griff nach dem Taschentuch. Der Schmied hatte sich in früheren Jahren nicht viel daraus gemacht, nach dieser Rede mit anzustoßen, denn in ihm saß ein ewiger Haß. Aber es war eine alte Geschichte, es waren so viele mit hineingezogen worden, sowohl seine junge Frau, die dabei umkam, als auch Mack selbst und dazu noch ein Fremder, ein Jäger, der Leutnant Glahn hieß. Das war alles einige Jahre her, und seine Frau war in Glahn vernarrt gewesen, aber Mack hatte sie bezwungen und zu jeder Zeit genommen. Der Schmied erinnerte sich ihrer noch, sie hatte Eva geheißen, seine Frau, und war klein gewesen. Aber an viel mehr erinnerte er sich nicht mehr, das tägliche Leben war weiter gegangen, bis er nun hier saß und mit Mack auf ein fröhliches Weihnachten anstieß. Und der ewige Haß war ausgelöscht ...
Ja, sind nun alle satt ...? fragte Mack.
Alle erhoben sich. Ellen, das Stubenmädchen, fing sofort an, die weißen Stühle mit der Vergoldung in die andere Stube zurückzutragen, und dorthin ging auch Mack und lud die Leuchtturmwächtersleute und Benoni ein, ihm zu folgen. Alle die anderen Gäste wurden eingeladen, den Abend über im Speisezimmer zu bleiben und ein oder zwei Gläser Toddy zu trinken. Dort drinnen spricht man bereits lebhaft von Schnäpsen und Weinen.
Wenn Sie nun ein wenig spielen möchten, Madam Schöning, sagte Mack und deutete auf den kleinen Mozartflügel.
Nein, sie könne nicht spielen. Ganz und gar nicht. Spielen? Daß Herr Mack so scherzen möge!
Sie haben uns doch in früheren Jahren auch ein wenig vorgespielt?
Nein, nein. Wann? Durchaus nicht. Aber ihre Töchter könnten ein wenig, sie hätten sich selbst ein wenig beigebracht, seit sie verheiratet seien. Sie seien sehr musikalisch.
Sie, die aus einem feinen Haus und eine geborene Brodtkorb sind, wollen Sie behaupten, daß Sie nicht Klavierspielen gelernt haben? Ich habe es ja außerdem selbst gehört.
Nein, ich bin aus keinem feinen Haus. Ich? Wie Sie scherzen!
Ihre Eltern besaßen doch das ganze Kirchspiel? Glauben Sie, daß ich das nicht wüßte!
Meine Eltern? Sie besaßen vielleicht einige Höfe. Und sie hatten große ausgedehnte Besitzungen, aber – Nein, Herr Mack, das mit dem Kirchspiel ist nur eine Fabel. Meine Eltern waren Bauern, wir besaßen einen Hof, hatten einige Pferde und ein paar Kühe, aber das alles war nicht der Rede wert.
Währenddessen geht der Leuchtturmwächter mit der Brille auf der Nase umher und betrachtet die Bilder an den Wänden. Es ist ihm so herzlich gleichgültig, worüber seine Frau mit Mack spricht, oh, wie entsetzlich wohlbekannt ihm ihre Stimme ist! Sie sind dreißig Jahre verheiratet gewesen, elftausend Tage haben sie zusammen in einem Haus gewohnt.
Mack hat den Deckel vom Instrument zurückgeschlagen.
Nein, nein, sagt Madam Schöning, ich habe es nicht mehr versucht, seit ich jung war. Es müßte denn ein Psalm sein, aber –
Flammend rot und lächerlich erregt setzt sie sich hin. Mack öffnet die Türe zum Speisezimmer und hebt nur die Hand ein wenig in die Höhe, dann wird es still dadrin.
Bei den ersten Tönen gibt es dem Leuchtturmwächter einen ganz kleinen Ruck, einen Augenblick noch steht er da und starrt die Wände idiotisch an, aus Trotz, um sich nicht in seinen eigenen Gedanken stören zu lassen, dann setzt er sich auf einen Stuhl. Aber er sorgt dafür, daß er seiner Frau den Rücken gut zuwendet. Und nun spielt Madam Schöning eine Psalmenmelodie aus dem Gedächtnis.
Als der Choral zu Ende und noch einmal durchgespielt worden ist, sinkt Madam Schöning zurück und spielt nicht mehr.
Vielen Dank! sagt Mack zu ihr. Dann schließt er die Türe zum Speisezimmer wieder, damit die Leute da drinnen tun und lassen können, was sie wollen.
Auf einem gewaltigen silbernen Tablett wird Kognak, Wasser und Würfelzucker hereingebracht und Mack sagt, bitte schön, die Herren möchten sich bedienen! Er mischt zwei Gläser, eines für sich selbst und eines für Madam Schöning. Dann geht er zum Leuchtturmwächter hin und spricht auch mit ihm ein wenig:
Ja, dieses Bild dort hat mein Großvater aus Holland mitgebracht.
Und das dort ist eine Szenerie von Malta, sagt der Leuchtturmwärter und deutet hin.
Richtig! antwortete Mack aufmunternd; konnten Sie das erkennen?
Ja.
Woran erkennen Sie es?
Es steht darunter.
Jaso, sagt Mack und begreift, daß er den Kopf des Idioten im Augenblick unterschätzt hatte. Ich glaubte, Sie seien auf Malta gewesen und erkennten es wieder.
Nun sitzt Madam Schöning ihrerseits da und überhört geflissentlich jedes Wort, das ihr Gatte ausspricht. Oh, wie sie seinen schmalen Rücken mit den hinausstehenden Schulterknochen kennt! Sie fängt wieder an leise zu spielen, um seine bekannte Stimme nicht hören zu müssen.
Denn Sie haben doch einmal ein Schiff geführt, sagt Mack weiter zum Leuchtturmwächter. Da dachte ich, Sie seien möglicherweise auch auf Malta gewesen.
Ein welkes Lächeln fliegt über das Gesicht des Leuchtturmwächters:
Allerdings bin ich auf Malta gewesen.
Wirklich! Na also!
Aber wenn ich zum Beispiel eine Landschaft von Helgeland sehe, erkenne ich sie doch nicht, bloß deswegen, weil ich in Norwegen gewesen bin.
Nein, hehe, nein, natürlich! antwortet Mack und es wird ihm klar, daß dies hier ein Idiot ist, vor dem man sich in acht nehmen muß, es hat keinen Zweck, sich mit ihm zu unterhalten.
Mack trinkt Benoni zu und sagt ein paar Worte:
Siehst du, mein lieber Hartvigsen, das hier sind nun alles ererbte Sachen, die Möbel und die Zuckerdose dort und die Bilder an den Wänden, das Silberzeug und alles im Haus. Das ist der Teil, der auf Sirilund entfiel, der andere Teil ging an meinen Bruder Mack auf Rosengaard. Ach ja, nach mir wird das wohl an den Meistbietenden verkauft werden. Da mußt du dich dann umtun, Hartvigsen.
Es kommt nun darauf an, wer von uns zuerst stirbt.
Mack schüttelt dazu nur den Kopf. Dann geht er wieder zu Madam Schöning hinüber, damit sie nicht allein sitzen solle.
Benoni aber dachte bei sich selbst: das hat Mack jetzt nur zu mir gesagt, um irgend etwas zu reden, denn er hat doch eine Tochter, die alles erben wird. Weshalb will er mir da Lust darauf machen?
Nein, sehen Sie, Madam Schöning, dieses Instrument dort steht nun nur so da, seit meine selige Frau gestorben ist. Hier gibt es niemand, der darauf spielt. Aber ich kann es doch nicht hinauswerfen, es ist ein teures Klavier.
Madam Schöning stellt eine vernünftige Frage:
Aber Ihre Tochter spielte doch, so lange sie daheim war?
Nein, sie konnte nicht spielen. Nein. Baronin Edvarda hatte kein Interesse für so etwas. Ach, Madam Schöning! Und ich, der weite Wege gehen würde, um Musik zu hören! Na, Rosa Barfod spielt ja, wenn sie hier ist; sie ist musikalisch.
Da kam Benoni ein großer und abenteuerlicher Gedanke: wie, wenn er der Baronin zum Trotz sich Macks Klavier eintauschte? Er brauchte es für seine Stube, schon im nächsten Mittsommer würde er es brauchen. Ob Mack wohl seine Worte mit einer kleinen Absicht gesagt hatte?
Die Leute im Speisezimmer sind jetzt ziemlich laut geworden, sie veranstalten offenbar ein Spiel, trotz der Heiligkeit des Ortes lachen Männer und Frauen laut auf. Man hört ein Glas zu Boden fallen.
Sie interessieren sich für Gemälde, sagt Mack wieder zum Leuchtturmwächter. Das hier zum Beispiel ist von der Küste Schottlands. Wie traurig und kahl sieht es dort aus!
Es ist sehr merkwürdig, sagt der Leuchtturmwächter.
Finden Sie? Aber es gibt da doch nur Stein und Sand, nichts gedeiht.
Oh doch.
Da?
Der Sand hat eine schöne Farbe, und das hier sind Säulen aus Basalt. Und im großen und ganzen wächst doch recht viel auf Stein und Sand.
Ein wenig wächst da ja.
Die Kiefer steht auf dem Felsen und wird jeden Tag reicher an Saft und Kraft. Und sie beugt sich nicht im Sturm, sie steht nur da und rauscht.
Na – von diesem Gesichtspunkt aus betrachtet, äußert Mack erstaunt über die vielen Worte des Leuchtturmwächters.
Es gibt ein Gewächs, das heißt Asphodelus, fährt der Wächter fort und versetzt Mack in immer größeres Erstaunen. Es treibt einen mannshohen Stengel mit einigen violetten Blüten. Aber dort, wo es wächst, wächst nichts anderes, das ist das Zeichen für tote Erde, für Sand, Wüste.
Merkwürdig! Haben Sie diese Blume gesehen?
Oh ja. Ich habe sie gepflückt.
Wo?
In Griechenland.
Merkwürdig! sagt Mack wieder und fühlt sich diesem Idioten gegenüber immer unsicherer. Ja, Ihr Wohl, Madam Schöning! sagt er dann und rettet sich auf gute Art.
In diesem Augenblick schlägt die große Wanduhr elf klingende Schläge auf einer Glocke.
Darf ich Ihnen nun noch einen kleinen Tropfen mischen, Madam Schöning, sagt Mack.
Nein, tausend Dank, wir müssen jetzt wieder zum Leuchtfeuer heim, antwortet Madam Schöning; daheim ist nur Einar, um aufzupassen.
Sie sprechen ein wenig hierüber. Madam Schöning hat sich erhoben und bleibt stehen, die Hand bereit, um Abschied zu nehmen; als aber Mack sie nach dem Sohn Einar, der taubstumm ist, fragt, vergißt sie sich und setzt sich wieder.
Plötzlich sagt der Leuchtturmwächter, während er auf die Uhr an der Wand sieht:
Ich sehe, es ist elf Uhr; nun muß ich zur Lampe heim.
Er sagte das, als hätte seine Frau dieses gleiche Thema noch gar nicht berührt; er fing beim Anfang an, auf kahlem Grunde, so sehr waren für ihn die Worte seiner Frau ungesprochen. Er leert sein Glas, reicht Mack die Hand zum Abschied und geht zur Türe, wo er wiederum ein Bild ansieht. Madam Schöning ihrerseits übereilt sich keineswegs, sondern spricht mit Mack zu Ende, ehe sie geht. Langsam folgt der Mann ihr nach, einzig und allein deshalb, weil er gerade in diesem Augenblick mit der Betrachtung des letzten Bildes fertig ist.
Jetzt sind Mack und Benoni allein. Der Lärm im Speisezimmer nimmt zu, eine der Frauen kreischt auf und man hört einen dumpfen Fall.
Da drinnen sind sie anscheinend lustig, sagt Benoni lächelnd. Es war, als gehöre er selbst durchaus nicht zu dieser Lustigkeit.
Aber Mack antwortet nichts hierauf und ist nicht vertraulich. Er schließt das Klavier, bläst darüber hin und reibt es mit seinem Batisttaschentuch ab. Aber das tat er sicherlich nur, um zu zeigen, ein wie feines und kostbares Klavier das war.
Willst du dir nicht noch ein Glas brauen? sagt er zu Benoni.
Nein, vielen Dank, antwortet Benoni.
Im Speisezimmer nebenan hört man den Bäcker laut singen. Seine Freunde wollen ihn zur Ruhe bringen und zeihen ihn der Betrunkenheit, wogegen er protestiert. Nur ab und zu unterscheidet man einzelne Stimmen.
Entschuldige mich einen Augenblick, sagt Mack. Braue dir jetzt ein neues Glas, ich will nur ...
Damit geht Mack in die Küche hinaus, er wollte wohl eine Anordnung geben. Er begegnet seiner Haushälterin, und Benoni hört ihn sagen:
Wenn der Bäcker müde ist, können Ole Menneske und der Böttcher ihn heimbringen.
Kein Vorwurf, nicht ein ärgerliches Wort über den unglückseligen Bäcker! Aber der schlaue Benoni nickte in Gedanken und sagte sich: Da wird Mack drei Männer auf einmal los, und ihre Frauen bleiben zurück!
Mack sagt ferner zur Haushälterin:
Sie sind wohl so gut und denken an mein Bad!
Ja.
Da wird es Benoni klar, daß der Abend schon weit vorgeschritten ist und daß Mack bald auf sein Zimmer hinaufgehen will. Ja, Macks Bäder waren berühmt, er badete auch so häufig, daß alle es wußten. In der Wanne lag ein weiches Federkissen und ein Kopfkissen und darauf ruhte er gut und behaglich. Oh, es wurden unvergleichliche Dinge von seinem Bad erzählt und von denen, die ihm dabei halfen, und von den vier silbernen Engeln an seinem Bett.
Als Benoni gute Nacht sagen will, ist Mack immer noch der beste Wirt und nötigt ihn, sich ein neues Glas zu mischen. Gemächlich sprechen sie über allerhand Kleinigkeiten, Benoni faßt sich den Mut zu fragen, was ein solches Ding wie dieses Klavier kosten könne. Aber Mack schüttelt den Kopf, an einem solchen Abend kennt er keine Klavierpreise.
Es wird schon etwas kosten, sagt er. Meine Stammväter fragten nicht nach dem Preis, wenn sie nur das bekamen, was sie haben wollten. Drüben in der Kleinstube steht ein Nähtisch aus Rosenholz, er ist mit Silber und Ebenholz eingelegt, den solltest du dir einmal ansehen.
Die Haushälterin kommt wieder herein und sagt bestürzt:
Das Silberzeug ... heuer fehlen drei Gabeln.
So? sagt Mack nur. Ach, das ist wohl der alte Scherz, jeden Weihnachtsabend pflegen Sie uns damit zu erschrecken. Voriges Jahr kamen die Gabeln doch wieder zum Vorschein?
Ja.
Sie sind daran gewöhnt, daß ich selbst die Gabeln bei ihnen suche, sie finden es so lustig, wenn ich sie auf meinem Zimmer untersuche und sie bestrafe. Das ist nur so ein alter Brauch auf dem Hof.
Die Haushälterin ist nicht beruhigt.
Jakobine und die Frau des Untermüllers helfen mir beim Abspülen, sagt sie. Dann zähle ich das Silberzeug, und Jakobine fängt zu weinen an und sagt, sie sei es nicht gewesen. Dann fängt auch die Frau des Untermüllers zu weinen an.
Das gehört dazu, antwortet Mack lächelnd. Die sind wie die Kinder. Weint nicht auch die Bäckersfrau?
Nein. Doch, das weiß ich nicht.
Ist bei mir oben alles in Ordnung?
Ja.
Dann laß die Bäckersfrau zuerst kommen.
Die Haushälterin geht. Lächelnd wendet Mack sich zu Benoni und meint, ja, nun habe er an anderes zu denken als hier gemütlich bei einem Toddy zu sitzen, nun müsse er rechtsprechen. Ach ja, man müsse dem alten Brauch folgen.
Benoni nimmt Abschied und Mack begleitet ihn bis zur Türe. Draußen im Gang treffen sie auf die Bäckersfrau, die bereits auf dem Weg über die Treppe hinauf ist.