Gustaf af Geijerstam
Alte Briefe
Gustaf af Geijerstam

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16

Einige Tage später sah ich meine Frau abreisen. Sie hatte unseren kleinen Gunnar mitgenommen, und ich wußte, daß ich es als eine Erleichterung empfinden würde, ganz allein sein zu können. Im Coupéfenster sah ich wie in einem Rahmen meine Frau und den Knaben, die mir zum Abschied winkten. Ich hörte die Dampfpfeife zischen, sah wie der Zug sich in Bewegung setzte und wußte, daß Olga mit Gunnar fort war. Ich wandte mich um und ging, bevor der Zug den Perron verlassen hatte. Ich ging mit dem Gefühl, daß sie beide für immer fortgereist waren und nie wiederkommen würden. Alles war aus. Meine Frau hatte mich verlassen, und nichts von dem, was gewesen, würde wieder so werden, wie es einstmals war.

Lange hatte ich dieses Gefühl, und lange lebte ich in einer Schwermut, die einen Schleier zwischen meine Gefühle und die Welt um mich breitete. Es war beinahe, als hätte ich mich aufs neue daran gewöhnen müssen, zu leben, das Leben so um mich zu sehen, wie es wirklich war.

Aber nach und nach wuchs aus diesem Chaos, das mich umgab, eine Empfindung hervor, als wäre etwas leichter zu tragen geworden. Als wäre eine Last von meiner Brust genommen, so daß ich wieder anfangen konnte zu atmen, als hätte ich lange im Dunkeln gesessen und sähe nun die Ahnung des kommenden Tages grauen – so war mir zumute. Und mit der Nebenempfindung, wie seltsam es war, daß etwas Derartiges möglich sein konnte, merkte ich, daß ich begann, mich nach den Briefen meiner Frau zu sehnen.

Sie waren kurz, und sie erzählten nur von alltäglichen Begebenheiten, nichts von dem, was sie selbst dachte oder fühlte. Ich las diese kleinen Briefchen wieder und wieder, und ich zwang mich gleichsam zu Tätigkeit und Energie durch das Verlangen, das ich empfand, ihren Sinn kennen zu lernen und zu deuten. Gerade das, daß sie nie etwas von mir schrieb, nur von ihrem täglichen Leben, am meisten von Gunnar, rief in mir die Vorstellung hervor, daß sie alles wußte, was mich einmal von ihr getrennt, daß sie daran arbeitete, ihren Schmerz zu überwinden, so wie ich selbst den meinen, aber daß sie für das Kind lebte und Tag für Tag mehr von mir fortglitt.

Ich dachte oft daran, daß sie mich nie nach Frau Dagmar gefragt hatte. Sie war aus unserer Welt verschwunden, ohne daß ein Wort darüber gesprochen wurde. Es war, als hätte Olga es nicht einmal bemerkt. Je mehr ich daran dachte, desto klarer wurde es mir, daß ich mit meiner Vermutung, daß Olga alles wisse, recht hatte. Und aus dieser Gewißheit entsproß ein neues Gefühl, das so still und warm kam, wie wenn die Sonne Grün auf der Erde erweckt, die der Waldbrand verheert und mit Asche gedüngt hat. Ich begann, an meine Frau mit einem weichen wunderlichen Gefühl zu denken, das um Vergebung bat. Ich ersehnte den Tag, an dem sie wiederkehren würde, ich hatte keinen anderen Wunsch, als daß sie noch einmal an meiner Seite leben sollte, wie früher. Ich vermochte nur nicht zu glauben, daß dies je Wirklichkeit werden könnte.

Alles, was einmal an Liebe und Vertrauen zwischen uns beiden gewesen, stieg aus der Vergangenheit empor. Die Zwischenzeit versank in Vergessenheit, und die Erinnerungen aus den Tagen unseres Glücks kamen eine nach der anderen, tauchten aus der Tiefe des Verflossenen empor, besuchten mich in den Gedanken meiner Einsamkeit und verbreiteten Wärme in meinem Herzen.

Und aus all dem löste sich immer mehr und mehr das Gefühl meines Unrechts ab. Alle Theorie von der Unberechenbarkeit und dem Recht der Liebe verschwand aus meiner Seele, und ich begriff, daß sie hier nichts zu sagen hatte. Für mich waren das jetzt nur leere Phrasen, die es nicht vermochten, die Wahrheit zu bemänteln, daß ich Fluch über mein eigenes Leben gebracht hatte.

Ich kann die Unruhe nicht beschreiben, in der ich lebte, nicht die Tage dieses wunderlichen Sommers schildern, in dem ich strebte, die Scherben meines eigenen zersplitterten Lebens zusammenzusetzen. Ich erinnere mich an nichts Besonderes, das vorfiel, an keinen Tag, der verschieden von den anderen war. Ich wohnte einsam in dem gelben Hause, und ich ließ die Tage verstreichen, von dem heimlichen Glauben getragen, daß mir das Leben schließlich etwas von jener ungeahnten Lösung schenken würde, die zuweilen kommt, wenn jede Möglichkeit erloschen scheint.

Da kam eines Tages ein Brief von meiner Frau. Er war wie alle ihre übrigen Briefe, der Ton der gleiche, es war keine Spur von Erregung oder Unruhe darin. Aber unten auf der letzten Seite fand ich diese Worte: »Ich hoffe, daß Du das ordnest, bis ich komme, so daß wir gleich in unsere neue Wohnung ziehen können. Du verstehst das vielleicht nicht. Aber nicht einmal eine Woche würde es mir möglich sein, in diesen Räumen zu wohnen, die für mich peinvollere Erinnerungen bergen, als Du je ahnen kannst.«

Lange saß ich mit diesem Briefe in meiner Hand. Ich las diese Zeilen wieder und wieder, und ich glaubte aufs neue zu verstehen, daß Olga alles wußte. Ich verstand auch, daß es bloß von mir selbst abhing, sie wieder zu gewinnen. Meine Augen füllten sich mit Tränen, und es war mir, als machte schon die Hoffnung, die ich hegte, meine Seele von etwas rein, von dem ich mich allein nie hätte befreien können. Während ich daran dachte, wurde ich von der Sehnsucht ergriffen, Olga alles zu sagen, was geschehen war und geschehen hätte können, alles rückhaltlos in einem Briefe niederzuschreiben. Nichts schien mir ärger, als dieses verbissene Schweigen, das meine Zunge band und selbst meine Briefe leer und inhaltlos machte. Ich wollte mit einem Schlage alles wegfegen, was uns trennte, und es schien mir, daß in diesen wenigen Worten, die ich wieder und wieder buchstabierte, etwas wie eine Bitte lag, daß ich sprechen möge.

Aber gleichzeitig war es, als hielte eine milde Hand mich zurück. Ich wagte nicht zu schreiben, oder ich konnte nicht. Es schien mir so leicht, allzu leicht. Aber wenn ich sie wieder vor mir sah, da wollte ich ihr alles sagen, ihr das gestehen, was sie wußte und was sie nicht wußte: daß ich wie ein Tor gehandelt, daß ich des Lebens Gold für falschen Flitter von mir geworfen, daß meine Schuld grenzenlos war, aber meine Scham und Demütigung noch größer.

Kurz und ohne jeden Zusatz schrieb ich nur diese Worte: »Ich werde tun, was Du willst. Wenn Du kommst, wird alles für unsere Übersiedlung bereit sein.«



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