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Was ist es, das ich mir selbst entwirren muß? Das, das ist? Nichts anderes, als daß ich, der ich vier Jahre verheiratet war, Witwer geworden bin. Es ist gar nichts anderes, als was alle Tage geschieht, und das einzige, was für mich Interesse hat, ist, daß es mir geschehen ist. Es liegt nichts Unerhörtes darin, daß man eine Frau betrauert. Ich muß sterben, sie muß sterben, alle müssen wir sterben. Das ist der Lauf der Welt.
Wie ich hier einsam sitze, befreit von all den teilnahmsvollen Blicken, die ich erwidern, all den beklagenden Händedrücken, die ich mit gesenktem Haupte entgegennehmen muß, weiß ich, daß ich sie nicht betrauere. Hundertmal ist der Gedanke durch mein Hirn gezuckt: wenn sie nun stürbe! Hunderte Male habe ich diesen Gedanken zu Ende gedacht, mir vorgestellt, was für ein Gefühl es sein würde, wenn ich mich wieder frei wüßte, und immer habe ich es als eine Erleichterung empfunden. Immer habe ich geglaubt, daß dieser Tag das Rätsel entschleiern würde, das zwischen uns beiden war, dies wunderliche Rätsel, das darin lag, daß ich mich an einen Menschen gebunden wußte, dessen Schicksal mir im Grunde gleichgültig war. Aber ich fühle keine Erleichterung. Wie eine entsetzliche Schwere lastet ihr Tod auf meinem Gewissen. Es ist mir, als hätte ich ihn hervorgerufen, weil ich ihn so lebhaft wünschte, oder vielleicht gerade dadurch. Ich habe mir so oft diese Lösung unseres Schicksals gedacht, daß meine Gedanken vielleicht die ihren erreicht, sich in ihre Seele hineingebohrt haben mit jener Macht, die Gedanken über das Leben eines andern besitzen, und ihre Widerstandskraft gelähmt, als der erste, schwache kühle Atemhauch des Todes ihre warme Wange berührte.
Es mag ein Wahn sein, und natürlich ist es ein Wahn, niemand, der seinen gesunden Verstand hat, kann sich ernsthaft einen solchen Vorwurf machen. Es ist ein Traumbild, von einer krankhaften Phantasie hervorgerufen, ein Gaukelspiel, aus Unruhe und Überreizung geboren. Tausendmal habe ich mir das selbst gesagt, aber nie ist es mir gelungen, auch nur für einen Augenblick seine dämonische Macht über meine Seele abzuschwächen.
Dieser Gedanke verfolgt mich unablässig, er hat mir in den letzten Nächten den Schlaf geraubt. Ja, er hat mich dazu gebracht, Gespenster zu sehen. Ich sehe nicht sie, die jetzt tot ist. Aber wenn ich ab und zu einmal einschlummere, versinke ich in eine Art wunderlicher Betäubung, während der ich zu wissen glaube, daß ich schlafe. Sobald diese Betäubung mich überkommt, merke ich, daß ich nicht allein bin. Ein dunkles, wunderliches Tier, das mir einem Hunde zu gleichen scheint, aber dessen Konturen ich nicht unterscheiden kann, folgt mir, wohin ich gehe. Ich glaube nämlich in dieser Art Betäubung, daß ich auf bin und gehe. Ich gehe durch eine Wohnung, in der kein Licht angezündet ist, und wo viele Türen sind. Ich will nicht rasch gehen. Denn da, glaube ich, wird mein Verfolger meine Absicht, zu entfliehen, merken. Obgleich ich seine Augen nicht sehen kann, weiß ich doch die ganze Zeit über, daß dieser Schatten eines Tieres mir mit seiner Aufmerksamkeit folgt. Ich gehe darum vorwärts, als ginge ich in Gedanken, nähere mich einer der versperrten Türen, und öffne sie langsam, wie aus Zerstreutheit. Ohne mich zu beeilen, ohne Hast, gehe ich durch die geöffnete Tür und schließe sie lautlos hinter mir. Ich habe sie geschlossen. Ich weiß, daß ich sie geschlossen habe. Aber bevor ich noch meine Finger von der Klinke hebe, fühle ich, wie die Tür aufgleitet, obgleich meine Hand noch den Türgriff hält. Ich habe nicht einmal den Willen, zuzuhalten, weiß bloß, daß die Kraft, die mich zwingt, zu öffnen, meine eigene paralysiert. Ich sehe und fühle gleichzeitig, daß ein schwarzer, zottiger Körper an meinem eigenen vorbeistreift, und ich weiß, daß ich ihm nicht entfliehen kann. Aber ich gehe aus einem Zimmer ins andere, gehe unaufhörlich, von diesem Gespenst gefolgt, das mich weder betrachtet, noch sich einen Laut entschlüpfen läßt, und wenn ich erwache, glaube ich es durch jene versperrte Tür entschwinden zu sehen, deren Schlüssel in meiner Lade liegt.
Mit einem seltsamen Gefühl von Trotz liege ich wach und denke an den Traum. Und ich versuche mich selbst zu überzeugen, daß niemand für seine bösen Gedanken verantwortlich sein kann. Ich kann nichts dafür, daß meine Frau gestorben ist. Ich kann nichts dafür, daß meine Liebe zu ihr erlosch. Sie verschwand eines Tages, als ich am wenigsten daran dachte, und als das Gefühl für sie selbst sich in mir wandelte, da sah ich auch sie und alles, was ihrer war, mit anderen, fremden Augen.
So denke ich und versuche meine Augen zum Schlummer zu schließen. Aber wieder kommt derselbe Traum und bemächtigt sich meiner Sinne, gleichsam aus der Betäubung hervortretend, in der ich zu wissen glaube, daß ich schlafe. Wieder gehe ich von Zimmer zu Zimmer, von meinem geheimnisvollen Begleiter gefolgt. Und ich sehe endlich, daß die Räume, in die er mir folgt, vom Eßzimmer in den Salon, vom Salon in die Schlafkammer, von der Schlafkammer in den langen, leeren Korridor, wo Schränke und Türen versperrt sind, – daß dies meine eigene Wohnung ist, dieselbe, die einmal unsere war, meiner Frau und meine.
Da ist auch all das geschehen, was mir jetzt den Schlummer raubt und mein Herz kalt macht.