Gustaf af Geijerstam
Alte Briefe
Gustaf af Geijerstam

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12

Als ich heimgekommen war, überraschte es mich, daß meine Frau mir keine Fragen stellte. Und nachdem ich ein paar Minuten vergeblich darauf gewartet hatte, sagte ich in gleichgültigem Ton, daß ich Frau Dagmar getroffen und sie nach Hause begleitet hatte. »Ich habe es gesehen,« antwortete Olga, und ich bildete mir ein, einen Zug des Mißvergnügens in ihrem Gesichte zu entdecken. Aber sie setzte das Thema nicht fort, und ich freute mich darüber, als wäre dies die Bestätigung, daß ich nicht über jene Steine straucheln konnte, die gewöhnliche Sterbliche fürchten.

Auf mich hatte jedoch dieser kleine Vorfall keine andere Wirkung, als daß meine Gefühlshärte zunahm. Olga stand mir von nun an im Wege, und wo ich ging, glaubte ich ihre Augen zu sehen, die mich verfolgten. Wenn ich bei Frau Dagmar saß, wenn ihr Kopf auf meiner Schulter lag, wenn ihre Lippen den meinen begegneten, stets glaubte ich diese großen, fragenden Augen zu erblicken, die ich in meiner Einbildung wie Sterne von der mondbeleuchteten Terrasse hatte blinken sehen. Die Entfernung war ja viel zu groß. Ich konnte sie nicht gesehen haben. Und doch sah ich sie vor mir, als hätte ich sie gerade damals gesehen. Aber sie flößten mir kein anderes Gefühl ein als das, daß ich mich um jeden Preis von ihnen befreien mußte.

Da war zufällig ein Tag bestimmt, an dem wir an einer großen Künstlermaskerade teilnehmen sollten. Es war die letzte große Unterhaltung des Jahres, und Frau Dagmar und ich hatten einander diese Nacht als ein Jubelfest versprochen, bevor der Sommer kam. Wir wollten Abschied von jenem Winter nehmen, den wir als unser eigenstes Besitztum betrachteten, und ich hatte Olga en passant erzählt, daß ich diese Maskerade zu besuchen gedachte.

Zu meiner Überraschung kam sie eines Tages und sagte mir, daß sie auch hingehen wollte. Ich war so überrascht, daß ich kaum eine Antwort fand. »Meinst du, daß ich zu alt bin?« sagte Olga. Und ich glaubte, Ironie aus ihrer Stimme herauszuhören. Aber ich tat, als ob ich es nicht merkte, und begnügte mich, etwas über ihre Abneigung gegen Maskeraden im allgemeinen hinzuwerfen. Auch sie umging meine Antwort, als dächte sie an etwas, das sie nicht verraten wollte, und antwortete bloß, daß sie nun dieses eine Mal wollte, und darum würde sie gehen. Ich erwiderte, daß ich mich darüber freute, daß sie mitkommen wolle. Und ich sprach die Wahrheit. Es kam mir wirklich vor, als verliehe die Anwesenheit meiner Frau dem Feste einen mystischen Reiz, einen Zusatz raffinierten Triumphs, den ich wie Feuerströme mein Blut durcheilen fühlte, und nie vergesse ich, wie ich mit meiner Frau am Arm in den Festsaal trat, nach der Loge auslugend, wo wir Frau Dagmar und ihren Mann treffen sollten.

Im ersten Augenblick durchzuckte mich ein plötzliches Gefühl des Unbehagens, als ich von weitem Frau Dagmar entdeckte. Sie war als Bébé angezogen, und das kleine Mützchen saß kinderweich auf ihrem reichen, braunen Haar, während die Halbmaske den Mund und das kindlich runde Kinn frei ließ. Sie sprach mit Kinderstimme und war von Kavalieren umgeben, die laut und ohne ihre Worte zu wählen plauderten. Ich sah in einem Blick das ganze feine weiße Kleid, das ihren Körper, der unter diesem imitierten Hemde, das die Büste bloß ließ, unbekleidet schien, zugleich verhüllte und verriet. Ruhig, als stände sie im Paradeanzuge, konversierte sie mit allen diesen Männern, deren Blicke jede Linie ihres Körpers taxierten, und instinktiv, wie sie alles faßte, mußte sie begriffen haben, daß ihr Betragen meine Mißstimmung hervorrief, denn als ich ihre Hand faßte, gab diese mir, ohne daß jemand außer mir das mindeste zu merken brauchte, einen Druck, der mir versicherte, daß all dies für mich war – nur für mich, und aus den Augen leuchtete mir durch die Maske ein Blick entgegen, der mit einem Male meine ganze Mißstimmung verjagte. Ich hatte das Gefühl, als spannte eine Stahlfeder jeden Muskel in meinem Körper; und meiner selbst und meines Glückes sicher bot ich Frau Dagmar meinen Arm, und wir verschwanden in dem Gewühl von Farben, Masken, Fräcken und entblößten Frauengliedern.

Es war, als sammelte sich die Überreizung meines ganzen Lebens zu einer einzigen kostbaren Essenz, die mir den Genuß dieser magischen Nacht schenkte. Das Leben war ein Karneval, in dem Frau Dagmar und ich, enthüllt und maskiert, umhergingen, der ganzen Welt offen zeigend, daß wir zusammenhielten, in diesem Wirbel, in dem die dröhnenden Töne des Orchesters den Schmerz des Lebens übertönten. Es war nicht Laster, es war nicht Tugend, nicht Freude und nicht Schmerz, es war nicht Scham, nicht Unschuld, es war weder Glück, noch Verzweiflung – es war nichts von alledem, was zwei Menschen aneinanderkettet und Leben um sich schafft. Wir waren wie zwei Besessene, die sich von den wirklichen Werten des Lebens entfernt haben und im Tanz nur den Wirbel, im Schaum des Weins den Taumel, im Lärm der Musik die Betäubung suchen. Wir jagten aus einem Zimmer ins andere, wir suchten uns einen einsamen Platz, da wo eine Portiere zwischen zwei Holzsäulen niederfiel, und uns umarmend saßen wir da, selbst ungesehen, und sahen, wie die Masken des Karnevals an uns vorbeieilten.

Ich weiß nicht, woher mir der Gedanke kam. Aber es war mir plötzlich, als verbärgen diese Masken, die die Gesichter der Frauen bedeckten, eine Schönheit, die nicht wirklich existierte, sondern tot und welk war und in ihrer Illusion nur die kurze Stunde währte, solange das Gaslicht brannte und das Orchester noch nicht seine letzte Fanfare geblasen hatte. Es kam auf dieser Maskerade nie zu einer Demaskierung. Denn niemand wollte das sehen, was, wie jeder wußte, unter der schwarzen Seide war, die die Kraft der Illusion in der Orgie der Berauschung aufrecht erhielt. Unter diesen Masken waren die Gesichter toter Frauen, und ihre Augen brannten in leeren Augenhöhlen. Die Wangen waren nackte Knochen, die in einer prachtvollen Chevelure abschlossen. Und all diese Männer, die ohne Masken, in steifen Feiertagskleidern, die Frauen herumjagten, trinkend, scherzend, plaudernd, sie wußten, was sie suchten, und sie vergaßen für diese Nacht ihre teuer erkaufte Erfahrung. Es war die unschöne Nacktheit, die entblößt und doch nicht entblößt war, es waren Arme, die sie im Gedränge küßten, Nacken, die sie berührten, wenn sie vorbeistreiften. Diese vollen Körper waren es, die die Männer lockten, und sie vergaßen, daß auf ihnen Köpfe ohne Leben saßen, in deren leeren Höhlen nur die Augen brannten. Das Ganze war eine danse macabre von Toten, die nach Leben dürsteten und sich in idiotischem Taumel bei den Tönen eines unmenschlichen Höllenkonzerts umherschwangen.

All dies kam mir in den Sinn, während Frau Dagmar in meinem Arm ruhte, und ihr Körper schien mir aufgelöst und freigegeben wie der eines nackten Weibes. Aber diese Gedanken erschreckten mich nicht. Sie erhöhten die Wärme ihrer Küsse, sie vereinigten sich wie rieselnde Perlen mit dem moussierenden Schaum des Champagners, sie wirkten so wie wenn ein süßer Trank in einen herben verwandelt wird, um perverse Gaumen zu reizen. Und die Phantasie von diesen Gedanken erfüllt, legte ich meinen Arm um ihre Bébétaille und walzte mit ihr durch das große Zimmer, während ihre braunen Locken gleich Flaumfedern meine Wange liebkosten.

Diese Gedanken verfolgten mich noch, als wir soupiert hatten und um den gedeckten Tisch saßen, Zigaretten rauchend und vom Tanze ausruhend. Die Stimmung war fieberheiß, und die Worte flogen wie Raketen durch die Luft. Ich saß hinter dem Sessel Frau Dagmars, mit meiner Hand auf dessen Lehne, und als wäre sie müde, lehnte sie sich, ohne sich umzuschauen, zurück, indem sie ihren bloßen Rücken auf meiner Hand ruhen ließ. Ich sah auf und begegnete quer über den Tisch Olgas Blick. Ich sah dessen Ausdruck nicht. Aber ich fühlte, wie er meinen Rausch steigerte, und ohne zu wissen, was ich tat, erhob ich mein Glas und trank ihr zu. Als ich diese Bewegung machte, merkte ich, daß Frau Dagmar lachte.

Ich erwachte erst aus meinem wunderlichen seelischen Rausch, als ich wieder allein mit dem Bébé am Arm ging und plötzlich zu fühlen glaubte, daß der Griff ihrer Hand, die meinen Arm hielt, erschlaffte.

»Woran denkst du?« sagte ich.

»Ich denke daran, daß das unsere letzte Nacht ist,« sagte sie und lachte.

Ich begriff damals nicht, was sie meinte. Ihre Worte waren nur ferne, bedeutungslose Laute, die mein Ohr erreichten, aber nicht zu meinem Verstande vordrangen.

»Frage mich heute nicht,« bat sie. »Jetzt will ich tanzen.«

Und als ich sie wieder zu unserer Loge führte, flüsterte sie mir ins Ohr:

»Es ist Zeit, daß du deine Frau nach Hause begleitest.«

 


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