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Man sagt, es sei bitter, seine Frau zu betrauern. Ich weiß es nicht. Ich weiß nur, daß es bitterer ist, sie nicht zu betrauern.
Am Tage nach dem Begräbnis ging ich zeitig morgens zur Schule, und, als sei nichts geschehen, wollte ich in das Klassenzimmer treten, wo meine Schüler mich erwarteten. Da traf ich im Korridor den Direktor, der mir die Hand reichte und mich mit einem, wie es mir vorkam, wunderlichen Ausdruck in Stimme und Miene fragte:
»Kommen Sie wirklich heute, Herr Lektor?«
»Natürlich komme ich.«
Er drückte mir die Hand und sagte mir ein paar Worte, mit denen er mir seine besondere Hochachtung bezeugen wollte. Ich bekam augenblicklich den Eindruck, daß er ironisch sprach, und mit einem Gefühl der Verstimmung betrat ich die Klasse. Was meinte er? Sieht man es mir wirklich an, daß ich nicht trauere? Wollte er sagen, daß er es passender gefunden hätte, wenn ich ein paar Tage zu Hause geblieben wäre, oder meinte er wirklich nur, was seine Worte besagten, nämlich, daß es großartig sei, wenn man seinen Gefühlen Zwang anlege, um nur seine Pflicht zu tun? Im selben Moment fielen meine Blicke auf die Schüler, die sich bei meinem Eintritt erhoben hatten und mich stehend begrüßten, während ich auf den Katheder zuging. Es lag ein angenommener Ernst auf allen Gesichtern, etwas von einer hoch hinaufgeschraubten Stimmung, die das ganze Zimmer erfüllte und sich beinahe zu einem Luftstrom des Bedauerns vereinte, direkt auf mich zuging, mich umspann und mir einen Dank für dieses Mitgefühl abzwingen wollte, das bei diesen Fünfzehnjährigen gewiß ganz und gar romantischer Natur war. Ich mußte mich abwenden, um das scharfe Lächeln zu verbergen, das nahe daran war, mich zu verraten, und als ich mich imstande fühlte, meine Gesichtszüge hinreichend zu beherrschen, forderte ich die jungen Leute durch ein Kopfnicken auf, sich zu setzen, und begann die Lektion wie gewöhnlich, ohne von ihrer Teilnahme Notiz zu nehmen. Ich merkte, daß sich etwas wie getäuschte Erwartung auf diese Knabenversammlung legte, und mit Mühe nur konnte ich mich aufrecht erhalten, bis die Lektion zu Ende war. Ich ging hastig hinaus, schlich mich auf einem Umweg an meinen Kollegen vorbei und brachte die Pause in einem Teil des Hofes zu, wo niemand sich aufzuhalten pflegte. Durch die Fenster sah ich jedoch, wie man mir aus dem Innern des großen Gebäudes mit mitleidigen Blicken folgte, denen ich nicht begegnen konnte; und je mehr ich mich bemühte, nicht nach dieser Richtung zu sehen, desto deutlicher fühlte ich, wie aller Augen mich suchten. Die zehn Minuten der Pause erschienen mir so unnatürlich lang, daß ich zweimal auf die Uhr sehen mußte, um mich zu vergewissern, daß die Zeit nicht stille stand, und als ich endlich die Schulglocke läuten hörte, rief sie mich herein, um in einem neuen Klassenzimmer denselben beklagenden Mienen, demselben teilnahmsvollen, stummen Gruß zu begegnen. Viermal im Laufe des Vormittags machte ich diese Tortur durch, und als endlich die Stunde der Befreiung schlug, wurde ich im Korridor von einem Kollegen aufgehalten, der mit schwermütigem Ausdruck in Blick und Stimme den Trauerfall beklagte. Ich glaube, ich hätte ihm ins Gesicht schlagen können.
Wie von bösen Geistern verfolgt, eilte ich heim; ich ging durch Seitengassen, um keine Bekannte zu treffen, und ich atmete erst auf, als ich wieder in meinem Zimmer stand, und wußte, daß die Tür hinter mir verschlossen war und niemand gegen meinen Willen das Recht meiner Einsamkeit stören konnte.