Gustaf af Geijerstam
Alte Briefe
Gustaf af Geijerstam

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9

Eines Tages geschah es, daß ich eine Stunde früher als gewöhnlich zum Mittagessen nach Hause kam. Ich hörte Stimmen im Salon, und ich wußte, daß meine Frau Besuch hatte. Ich war von meiner Arbeit ermüdet und wäre am liebsten allein geblieben. Aber aus purer Unentschlossenheit konnte ich mich nicht aufraffen, meine Tür zu schließen, sondern zeigte mich auf der Schwelle. Dann konnte ich nicht mehr umkehren, und als hätte mich jemand geschoben und gezwungen, ging ich in den Salon, wo ich meine Frau in lebhaftem Gespräch mit einer bekannten Dame fand.

Ich hatte sie früher oft gesehen, und wir kannten sie seit einiger Zeit, ohne daß es doch zu einem Verkehr zwischen uns gekommen war. Sie wohnte im Djurgärden (Tiergarten) in einer Villa, die ihr Mann, der Künstler war, für mehrere Jahre gemietet hatte, und ich kannte dem Aussehen nach Frau Dagmar sehr gut. Aber als ich jetzt hereinkam, empfing ich den wunderlichen Eindruck, daß ich sie nie zuvor gesehen, oder sie wenigstens nicht genügend beachtet hatte. Sie trat mir entgegen wie die Personifikation des Lebens, dem ich wieder anzugehören begonnen hatte, und als ich sie nun in meinem Hause sitzen sah, sog ich ihre ganze Gestalt wie in einem einzigen Blicke ein. In einen kurzen, leichten Cape von dunklem Stoff gehüllt, mit einem großen extravaganten Hut, dessen Schleier hinaufgenommen war, saß sie auf einem Taburett mitten im Zimmer, mit meiner Frau plaudernd, die angeregt aussah und sich für das zu interessieren schien, was die lebhafte Frau zu erzählen hatte. Sie verstummten beide bei meinem Eintreten, ich hörte ein kleines Lachen, das gleichsam in der Luft erlosch, und ich fühlte, daß ich meine Frau nicht ganz so begrüßen konnte, wie ich es in der Anwesenheit von jemand Fremdem sollte. Es kam mir gleichzeitig vor, als ob Frau Dagmar das merkte, und das rief keine Mißstimmung bei mir hervor. Ich war erstaunt über dieses Gefühl, aber kam nicht recht dazu, mir Rechenschaft darüber zu geben. Denn als ich mich verbeugte und Frau Dagmars Hand schüttelte, warf sie mir einen Blick zu, als hätte sie im Handumdrehen die ganze Situation erfaßt. Dieser Blick war gleichzeitig strahlend warm, überrascht und nachsichtig. Er brachte eine Art heimliches Einverständnis zwischen mich und sie, und bevor ich wußte, wie, war ich in ein Gespräch verwickelt, das darauf ausging, zu zeigen, daß meine Frau leidend war und der Stärkung bedurfte. Sie war verstimmt und brauchte Zerstreuung. Und nun waren die Damen übereingekommen, daß wir, die wir so nahe von einander wohnten, oft zusammentreffen sollten, und sie – Frau Dagmar – wollte es auf sich nehmen, meiner Frau Rosen auf die Wangen zu zaubern und uns alle recht vergnügt zu machen.

Bei alledem saß ich da und betrachtete meine Gattin und diese andere Frau, die ich nie zuvor beachtet hatte, und es fiel mir auf, das ich zum ersten Male meine Frau mit einer anderen verglich. Frau Dagmar war mehrere Jahre älter als Olga, sie war kräftig und derb, und doch war es ihre Jugend, die mich fesselte. Sie wollte jung sein, und sie war es. Ihre Bewegungen waren wie prickelnde Musik, und ihre Augen sagten, was ihre Worte verhehlten. Von ihrer Person ging etwas aus, das in einer mir unbegreiflichen Weise stimulierend wirkte. Es war, als hätte sie ein Übermaß an Nervenkraft besessen, von dem sie austeilen konnte. Ihre Nähe machte mich leichteren Sinns, als hätte ich feurigen Wein getrunken, und sie hatte nicht ein Gesicht, sondern viele. Dieses Gesicht war rund und beweglich mit ein paar Augen, deren Pupillen sich bis ins Unendliche erweitern zu können schienen. Sie sogen gleichsam alles an sich, was in ihren Gesichtskreis kam, und diese Augen konnten plötzlich eine Schattierung annehmen, so warm, wie die, welche einen aus der Bühne in der Unschuld eines Blickes frappiert, der Dichterworte begleitet. Aber dieses ganze Gesicht, welches von kastanienbraunem Haar umrahmt war, das über die Ohren fiel und sie verbarg, konnte sich in einem Augenblick verwandeln, so daß es den Eindruck von etwas Spitzigem machte. Es war, als würde das ganze Oval anders, als hätte die Nase ihre Lage verändert, während gleichzeitig die Augen in eine andere Farbe übergingen. So scharf wurde der ganze Ausdruck. Und zwischen diesen Gesichtern lag eine ganze Serie, die kein mit der modernsten Kamera bewaffneter Momentphotograph so rasch hätte wiedergeben können. Sie war nicht geheimnisvoll, aber sie schien mir so, und zwischen ihr und dem Fieber, das in meinem Blut raste, gab es ein Vereinigungsband, das auf mich wie eine unerklärliche Sympathie wirkte. Ich wußte nicht, warum sie gekommen war, und was sie von mir wollte. Aber ich hatte das wunderliche Gefühl, daß Frau Dagmar die ganze Zeit zu mir sprach, und nicht zu meiner Frau.

Als sie ging, hinterließ sie den Duft eines Parfüms, den ich damals unangenehm fand.

 


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