Gustaf af Geijerstam
Alte Briefe
Gustaf af Geijerstam

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11

Ich habe Christian Sundin eine ganze Woche lang gesucht, ihn an allen erdenklichen Orten gesucht, aber ihn unmöglich treffen können. Es ist bei mir zur fixen Idee geworden, daß ich ihm mein Leben erzählen muß. Ich will mein Schicksal in eines anderen Augen spiegeln, meine eigene Stimme hören, die mich selbst verteidigt und anklagt, will sehen, ob ein anderer, wenn ich mein wirkliches Ich enthülle, dasselbe Entsetzen fühlt, das ich täglich empfinde.

Warum ich all dies will, weiß ich nicht. Ich weiß nur, daß es geschehen muß. Ich möchte am liebsten keinen Tag verlieren, bevor ich es geschehen weiß, und ich habe schon eine Woche gewartet.

Da traf ich ihn eines Abends, als die letzten Strahlen der Sonne über den Humlegården fielen, und ohne Einleitung, plötzlich und eindringlich, fragte ich ihn, ob er mit mir nach Hause kommen wollte. Ich sah, daß er zögerte – möglicherweise war er in Anspruch genommen – aber er mußte gesehen haben, mit welcher Angst ich seine Antwort erwartete, denn er sah nur auf die Uhr, bat mich, vorauszugehen, und versprach, gleich nachzukommen.

Ich brachte eine Viertelstunde damit zu, auf ihn zu warten, und dieses Warten gehört zu den aufregendsten Augenblicken, die ich durchlebt habe. Es war mir zumute, als sei ich ein zum Tode Verurteilter, der auf Sekunden weiß, wann seine letzte Stunde kommen soll, und die Minuten zählt, die ihm noch bleiben, während er gleichzeitig wünscht, daß alles zu Ende wäre. Ich erinnere mich nicht, wie er zu mir hereinkam, kann mich nicht erinnern, welche Worte wir zuerst wechselten. Ich erinnere mich an nichts, nur, daß ich ihn ganz plötzlich vor meinem Schreibtisch stehen sah, das Porträt meiner Frau in der Hand haltend.

»Du hast sie wohl nie gesehen,« sagte ich.

»Doch,« antwortete er. »Viele Male.«

»Wann?«

»Ich habe euch zusammen gesehen. Und bin euch mehr als einmal mit meinen Gedanken gefolgt.«

Ich fuhr empor und stellte mich ihm gerade gegenüber.

»Und was hast du gedacht?« brach ich los. »Was hast du gedacht?«

»Nichts Besonderes,« antwortete er. »Was man bei solchen Anlässen zu denken pflegt.«

Ich fühlte, daß er es vermied, mir zu antworten, und während ich das Porträt in die Hand nahm und es nun meinerseits betrachtete, sagte ich:

»Erinnerst du dich . . . damals . . . in Upsala . . . als du mich so beharrlich aufsuchtest . . . und als wir aufhörten, uns zu treffen?«

Er nickte zur Antwort. Und ich sprach weiter:

»Um ihretwillen weigerte ich mich, dich zu empfangen.«

»Ich habe mir zuweilen so etwas gedacht,« erwiderte er.

Ich stellte das Porträt auf den Tisch und fuhr fort:

»Sie pflegte abends mit ihrer Arbeit bei mir zu sitzen. Darum hatte ich mich daran gewöhnt, meine Tür nicht zu öffnen.«

Und nach einer Pause fügte ich hinzu:

»Es war übrigens töricht, daß ich dich nicht einließ. Das würde mir manches erspart haben.«

Er zuckte zusammen, und seine Miene sagte mir, daß er verstand, was ich meinte.

»Man hielt euch allgemein für so glückliche Menschen,« sagte er.

Diese Worte bohrten sich in mich wie scharfe Messer; ich fühlte, daß ich nicht länger Herr über meinen Schmerz war, und ich schrie die Worte beinahe hinaus, als ich antwortete:

»Ja, das war der Fluch.«

Als ich dies gesagt hatte, hefteten sich meine Blicke wieder auf das Porträt, und es war, als sähe ich es nun in ganz neuem Lichte. Ich hatte es ja so oft gesehen, aber nie hatte es so wunderlich zu mir gesprochen, wie gerade jetzt. Ich sah Gertrud leibhaftig vor mir, so wie ich sie früher nie hatte wiedersehen können, und es war mir, als bäte sie mich um etwas. Ich wußte nicht, was ihr Gesicht verändert hatte, wußte bloß, daß der Ausdruck ihrer Züge im Widerspruch zu den Worten stand, die mir jetzt auf den Lippen schwebten.

Dies Gesicht teilte den Eindruck des Seelenvollsten und zugleich weich Weiblichsten mit, das ich je gesehen. Sie saß in einer vorgeneigten Stellung, ihre Augen waren mir gerade zugewendet, und das ganze Gesicht lächelte, als dächte sie lauter glückliche Gedanken. Es lag über ihrem ganzen Aussehen etwas gleichzeitig Mildes, Warmes und Strahlendes, das mich ganz wunderlich stimmte. Aber zugleich war noch etwas anderes da. Ich weiß nicht, wie ich es nennen soll. Tragisch ist nicht das richtige Wort. Denn der Ausdruck war so glücklich, daß ich bei seinem Anblick vor Schmerz erbebte. Und doch bekam ich den Eindruck, daß sie – und nicht ich – die Unglücklichere von uns beiden sei. Es war, als wollte das, was ich nun sah, meine Zunge binden, mich zwingen, nicht zu sprechen, bevor ich noch einmal über meine Worte nachgedacht hatte. Und gleichzeitig konnte ich mir nicht erklären, wie es möglich war, daß ich all dies nicht früher gesehen hatte. Aber um mein eigenes Zögern zu betäuben, begann ich. Ich sprach mich in meine ganze alte Gemütsstimmung hinein, ich redete mich warm und stark. Meine Worte wurden spitzig wie Nadeln, meine Stimme war schneidend und scharf. Ich fühlte, wie ich mit dem Strom meiner Rede meinen Zuhörer an mein eigenes Schicksal fesselte, ich glaubte, daß er es so ansah, wie ich. Ich sprach fest und sicher, stundenlang, und ich kann mich noch an die meisten meiner Worte erinnern.

 


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