Gustaf af Geijerstam
Alte Briefe
Gustaf af Geijerstam

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10

Von diesem Tage an war unsere ganze Lebensweise verändert. Sie wurde unruhig, aber auf eine neue Art. Wir machten die Bekanntschaft von Frau Dagmars Mann, einem liebenswürdigen Künstler, dessen Leben zwischen der Kunst und der Bewunderung für jene Frau geteilt war, deren Leben er nicht kannte, und deren Seele er nicht verstand. Es wurde ein Leben zu vieren, das eine ganze Serie von Lustbarkeiten in sich schloß, und das gelbe Haus widerhallte nunmehr von den frohen Festen, die wir einst, als wir hinzogen, geflohen hatten. Ein neues Fieber kam zu dem alten, und während der Zeit, die folgte, entdeckte ich, daß ich Frau Dagmar liebte. Mitten in der Unruhe, die mich ob unserer ganzen ökonomischen Stellung erfüllte, mitten in dem Gefühl, daß Olga sich von mir zurückgezogen hatte, was mich gegen sie kalt machte und mich vor jedem Gedanken, daß wir uns einander wieder nähern könnten, zurückscheuen ließ – loderte diese Leidenschaft wie eine klare Flamme aus leicht entzündlichem Holz empor, und in ihrem Glanze sah ich das Leben, das ich gelebt, und das, welches kommen sollte, in einem neuen Licht, das mir die Morgenröte der Hoffnung schien und eine neue Zukunft verhieß.

Wie es zuging? Wie es möglich war? Ich weiß es nicht mehr. Aber tagaus tagein quälte mich das wunderliche Gefühl, daß ich verraten war, verraten von meiner eigenen Frau. In der furchtbaren Nervosität, in der ich lebte, hatte ich zuerst Versuch auf Versuch gemacht, um mich Olga zu nähern. Ich konnte nicht fassen, warum sie sich mir entzog. Aber ich sah, daß sie es tat, oder ich glaubte es wenigstens zu sehen. Da sammelte sich in mir ein Fond von Bitterkeit, der mich vor allem Überdruß empfinden ließ. Olga sah es, und ich unterließ auch nicht, sie es wissen zu lassen. Aber es war, als hörte sie mich nicht, als könnte oder wollte sie nicht verstehen. Und ich brauchte um jeden Preis jemanden, zu dem ich sprechen konnte, jemanden, dem ich das anzuvertrauen vermochte, was in mir brannte.

Aber gleichzeitig sah ich und begriff ich dunkel, daß meine Frau mich noch liebte. Dies machte mich gereizt, rasend, wild. Ich brannte vor Fieber, sie widerzugewinnen, sie zu besitzen wie früher. Aber gerade dieses Verlangen, das so heftig war, daß es Tag und Nacht nicht von mir wich, machte mich kalt, da ich mich zurückgestoßen glaubte, und ich merkte gleichzeitig, daß sie unter diesem angenommenen Kaltsinn litt, der sich wie ein Schleier über meine Seele breitete. Ich erinnere mich, daß ich sie eines Tages damit beschäftigt fand, ein paar Blumen auf meinem Schreibtisch zu ordnen. Ich kam etwas früher als gewöhnlich nach Hause, und ich bemerkte deutlich, daß ein Beben über ihr Gesicht flog, als ich sie bei diesem offenbaren Beweis von Zärtlichkeit überraschte. Ich sah erstaunt aus, und ich konnte nicht begreifen, warum sie das tat. Ich fühlte es wie einen Stich in mir, und für einen Augenblick wollte es mir scheinen, daß das, was zwischen mir und meiner Frau vorging, vielleicht doch im Grunde etwas anderes war, als was ich glaubte. Wenn ich an dieser Ahnung festgehalten hätte! Wenn ich ihr Zeit gegeben hätte, in mir zu Wort zu kommen! Aber der Kaltsinn, den ich zuerst als Maske angenommen, war mir so nach und nach ins Blut übergegangen, und das Furchtbare war ja auch, daß ich so gut wie nie Zeit hatte, meine eigenen Gedanken zu Ende zu denken. Ich hörte meine Frau sagen: »Es fiel mir ein, daß du Blumen gerne hast.« Ich hörte, daß sie diese Worte mit einem besonderen Tonfall aussprach. Aber ich fand nichts zu erwidern, empfand bloß ein peinvolles Gefühl von Vorwürfen und Unerquicklichkeiten, und die ganze Sache ging an mir vorbei, wie alles, was sich in dieser wunderlichen Periode meinem Gedächtnis eigentlich hätte einprägen sollen. Ich vergaß es, und ich kehrte zu meinen alten Gedanken zurück.

Einsam und verlassen fühlte ich mich. Und in dieser Verlassenheit brodelte in mir ein Gärungsstoff, der nicht zur Ruhe kam. Ich schlief nicht, ich hielt mich durch Trinken aufrecht. Ich ruhte nicht, aber ich machte mit Gewalt meine Nerven widerstandsfähig, so daß sie mir gehorchten, als ob mein Wille meinen Körper beherrschte. Die Bibel spricht irgendwo davon, daß ein Mann »sein Herz verhärtete«. Und es ist eigentlich seltsam, wie vollkommen einem das gelingen kann, wenn man einmal den Anfang gemacht hat. Das ist ein Ausdruck von unerschöpflicher psychologischer Tiefe, und nichts schildert besser, wie ich mich in dieser Zeit mit Absicht und Überlegung von ihr abwandte, die ich einstmals mehr als alles auf Erden geliebt. Ich tat das so ganz und gar, so gründlich, daß es nichts, was ich früher in ihrer Natur geliebt hatte, gab, was ich schonte, nichts, was ich nicht entstellte, was ich nicht in Gedanken besudelte. Ich machte mir ein Zerrbild von allem, was zwischen uns gewesen, und dieses Zerrbild überhäufte ich mit rasenden Schimpfworten, als wäre es mir eine Freude, alles zu beschmutzen, was mir früher teuer und heilig gewesen.

Ich dachte keinen Augenblick mehr daran, daß Olga eine Frau war, die ihr Kind betrauerte. Ich hatte das vergessen, so wie ich alles vergessen hatte, was ich früher gewußt und gefühlt, und als ich zum ersten Male Frau Dagmar begegnete, zerstörte sie wirklich kein Bild, das früher in meiner Seele war. Sie nahm nur den Platz ein, den meine eigene Raserei sich bemüht hatte, frei zu machen, und wenn sie mich beherrschte, so erreichte ihre Gewalt nicht mein Ich, so wie es einmal gewesen. Es war ein neues Ich, das hervorgebrochen war und das alte in schrankenlosem Begehr nach betäubenden Orgien zerfleischte. Ich begehrte sie so, wie der Opiumesser alles opfert, um das geliebte Gift in seine Hand zu bekommen.

 


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