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Schluß.


Die Felder und Gärten prangen im jungen Grün, die Vögel vollführen ihr vielstimmiges, jubelndes Konzert. Dazu scheint die Sonne freundlich und belebend mit wolkenlosen Himmel, und die Luft zieht warm daher und erquickend. Im Schorndorfer Schloßgarten leuchtet feuerflammig die Blüte der japanischen Quitte. Anemonen, Krokus, Leberblumen und Schneeglöckchen drängen ungestüm hervor und entfalten ihre zartfarbigen Kelche. Es ist Ostern! fröhliche Ostern! –

Im großen, ovalen Familienzimmer regen sich fleißige Hände. Christine Consentius' Aussteuer wird in Kasten und Koffer verpackt. Frau Consentius und die junge Frau von Güllen schichten die weißen Wäscheberge vorsorglich ein. Christine und Elisabeth umwinden noch letzte Stöße mit rotseidenen Bändern, die vorn in schöne Schleifen gebunden werden.

Christine ist fast puritanerhaft einfach gekleidet, mit einem dunkelblauen Kleide und weißem Latzschürzchen. Aber ihre große Schönheit tritt darum nur bemerkbarer hervor.

Lieutenant Hellwig erachtet die Jugendfrische seiner Braut und ihre herzerwärmende Anmut als ihren schönsten Schmuck. Mit seidenen Roben mag sie sich putzen, wenn sie nach einer langen Reihe von Jahren Frau Majorin Hellwig geworden ist. Er liebt seine Braut um ihrer selber willen und nicht des großen Vermögens wegen, das Herr Consentius wohl im stande wäre, seiner einzigen Tochter mitzugeben, auf das aber Lieutenant Hellwig verzichtet hat.

Elisabeth Greding trägt die große, dunkelblaue, unkleidsame Brille, der es gleichwohl nicht gelingt, dies zarte, liebenswürdige, junge Gesicht zu entstellen, unter dessen weißer Haut man das matte Gezweige der Adern sich dahinziehen sieht.

Frau von Güllen setzt sich jetzt behaglich hin.

»Haben Sie lange keinen Brief erhalten von Frau von Behme, Fräulein Greding?«

»Gestern, aus Rorschach datiert, am Bodensee. Behmes kommen zu Christinens Hochzeit.«

»Da müssen sie sich aber eilen. Wie geht es Frau von Behme?«

»Gut, Wilhelmine ist sehr glücklich.«

»Ich bin nun schon zwei Jahre verheiratet; aber wir haben uns noch nicht ein einziges Mal gezankt. Mein Max ist ein entzückender Mensch. – Wie lange ist Fräulein von Weidner verheiratet?«

»Ein halbes Jahr.«

»Was macht Tantchen?«

»Sie ist nach wie vor Minister des Innern.«

»Und das giebt keine Streitigkeiten zwischen Ihnen?«

»Ich füge mich gern. Tante Heinemann hat mir auch große Freiheiten eingeräumt.«

»Ich sprach neulich Ihren Herrn Vater, Fräulein Greding, er war ganz unglücklich. Es drohte wohl unliebsamer Besuch bei Ihnen zu kommen?«

Elisabeth lacht.

»Vater fürchtet nicht ohne Grund für seine Ruhe. Tante Franziska hat ihre Töchter angemeldet und Grete und Olga sind wilde Jungen.«

Inzwischen handhabt Andrea im Souterrain unter Frau Piesekes Aufsicht das Waffeleisen.

»Giebt's kein Kompott zu den Waffeln, Tante Pieseken?« fragt sie.

»Gnädige Frau hoben nichts bestimmt!«

»Suchen Sie nur etwas heraus, vielleicht eingelegte Erdbeeren oder Stachelbeeren. Wie geht es denn Ihrer Nichte, was die Kantorn ist.«

»Ich danke, Fräulein Andrea, für gütige Nachfroge; es geht gut. – Aber eine so berühmte Dame, wie Fräulein Andrea sind … müchten Fräulein Andrea nicht gestatten, daß ich jitzt weiter backe.«

»Bedaure, Madam Pieseken; aber ich muß es aus dem Grunde lernen. Mein zukünftiger Herr und Gebieter ist ein Erz-Leckermaul.«

»Ich bilde mir ein,« sagt Madam Pieseke verbindlich, »daß Fräulein Andreas Herr Bräutigam ganz etwas Absunderliches sind.«

»Ja,« entgegnet Andrea sehr vergnügt, »er ist ein ganz absonderlicher Kahlkopf – außerdem noch ein kleiner, dicker, blonder, gemütlicher Mensch. Aber klug, Tante Pieseken.«

»Da passen ja Fräulein Andrea sehr gut mit dem Herrn Bräutigam zusammen,« behauptet Tante Pieseken.

»Sehr gut – denn er heißt Schuster und sein Vater war Schneider – und ich heiße Schneider und mein Vater war Schuster. Er hat mir gleich bei meinem ersten Konzert vor drei und einem halben Jahre einen radgroßen Lorbeerkranz geworfen. Er war sofort futsch. Ich auch.«

»Fräulein Andrea hoben sich aber erst vor einem Jahre verlobt. Wann werden Fräulein Andrea denn Huchzeit machen?«

»Zum Winter. Ich muß erst ordentlich die Wirtschaft lernen. Wir wollten uns schon zum Sommer verheiraten; aber da Christine jetzt fortgeht, möchte mich Muttchen noch ein paar Wochen hier behalten. – Schmecken brillant,« sagt Andrea, die seitlich gewendet eine Waffel nascht.

Sodann nimmt sie die Schüssel mit den duftenden, warmen Kuchen auf und steigt hinauf.

Die Damen sitzen am Kaffeetische, als sie eintritt; auch Herr Consentius ist da. Er hat aus Teterow, von wo er vor einer halben Stunde zurückgekehrt ist, für Christinen anstatt einer Hängematte eine Hängelampe mitgebracht.

»Tinechen,« verteidigt er sich nun, »du hast von einer Hängelampe gesprochen; besinne dich einmal!«

»Nein, Papa, von einer Hängematte.«

»Da wollen wir doch nachher die Pieseke fragen. – Die Andrea bringt Waffeln. Jedenfalls verdirbt sie sich heute wieder den Magen. Der Schuster ißt grade mit eben solcher Passion. Wenn sich die beiden Menschen geheiratet haben, werden sie wohl mindestens drei Mahlzeiten einschieben.«

»Sind das Chosen,« sagt Andrea, »mein Schatz ist Oberlehrer, mein Vater war Schuster. Alter, häßlicher Papa!«

»Wird es Ihnen nicht schwer, Fräulein Dallmann, nachdem Sie so viele Triumphe gefeiert haben, sich aus der Öffentlichkeit zurückzuziehen?«

»Glücklich sein in einer kleinen Häuslichkeit und sich als Künstlerin von einem großen Publikum bewundern lassen, verträgt sich nicht miteinander. Und die Häuslichkeit ist gewiß das Schönere. Sie müssen es doch wissen, Frau von Güllen.«

»Der Herr Doktor Schuster kommt hoffentlich zu meiner Hochzeit, Andrea?« neckt Christine.

»Ich denke, er giebt dir die Ehre.«

»Weißt du, ich, an deiner Stelle, würde mich nicht immerwährend von ihm hänseln lassen. – Sie müßten das Brautpaar beisammen sehen, Frau von Güllen, sie prügeln sich beinah'.«

»Sein Metier bringt es so mit sich,« fällt Elisabeth ebenfalls neckend ein.

»Denn er ist Prügeldoktor,« sagt Andrea in demselben Tone. »Jetzt aber: – I – a – u – mach das Buch zu. – Sage doch, Muttchen,« wendet sie sich zärtlich an Frau Consentius, »Gustav ist ein netter Mensch, nicht wahr?«

»Ja, mein liebes Kind.«

»Ein sehr netter Mensch – hm?«

»Ein sehr braver, lieber, kluger und herzensguter Mann, der meine Andrea, so Gott will, recht glücklich machen wird.«

Das ist ein Thema, von welchem Andrea nie genug zu hören bekommt. Gleich blitzen ihre Augen, sowie jemand nur den Namen von Herrn Doktor Gustav Schuster nennt.

Die Glocken läuten Ostern ein. Der Klang schwebt leise über Dorf und Flur. Wachet auf! Werdet frei eurer Fehler und Mängel! Sieg! Sieg! Gott der Herr ist auferstanden! –

Als der Ton durch das Fenster dringt, hebt sich lauschend jedweder Kopf. Ein Strahl heller Festfreude bricht leuchtend hervor. Fröhliche Ostern sind auch ihnen allen geworden. Weit auf stehen die jungen Herzen allem Edlen und Guten! Gelöst ist der finstere Schleier, welcher das Auge der Seele bedeckte!

Andrea tritt an den Flügel. Choralartige, fromme Töne quellen unter ihren Händen hervor, ein Erwachen und Atmen dämmert leise hindurch – und dann schmettert es selig in lauten Fanfaren: Sieg! Sieg!


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