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Fünftes Buch.


1. Hagbardh und Signy.

Sigar, der Sohn Sigwald's, hatte drei Söhne, Sigwald, Alf und Alfgêr, und eine Tochter, Signy. Unter ihnen ragte Alf hervor durch Muth und Schönheit des Leibes, und das Haar seines Hauptes war so glänzend, dass es silbern zu sein schien. Er war ein gewaltiger Wîking. Zur selben Zeit lebte ein König der Gauten mit Namen Sigward. Er hatte zwei Söhne, Wêmund und Ôstein, und eine Tochter, Alfhild. Sie war fast von der Wiege an so schamhaft, dass sie ihr Antlitz stets verschleiert trug, auf dass nicht ihre Schönheit die Begierde der Männer errege. Ihr Vater hielt sie in sehr enger Haft und übergab ihr eine Natter und eine Schlange zur Erziehung, um die Keuschheit der Tochter durch die Bewachung der erwachsenen Thiere zu schützen. Und wahrlich, nicht leicht war ein Zimmer zu betreten, welches ein solcher Riegel verschloss. Auch liess er verkünden, dass, wenn einer den Zugang vergeblich gesucht habe, er sofort sein Haupt verlieren und dieses auf einen Pfahl geheftet werden solle. So hielt denn die der Keckheit angeheftete Furcht die aufgeregten Gemüther der Jünglinge zurück. Alf, Sigar's Sohn, glaubte nun, das Unternehmen bringe um so mehr Ruhm, je gefahrvoller es sei; er trat demnach als Bewerber auf und beschloss, die Thiere, welche vor dem Zimmer der Jungfrau als Wächter lagen, zu bekämpfen, weil nach dem Ausspruch des Königes dem Besieger derselben die Jungfrau zu Theil werden sollte. Auf dass er nun den Grimm derselben gegen sich reize, hüllte er sich in ein blutiges Fell. Als er so gerüstet an die Thüre des Gemaches kam, stiess er ein glühendes Eisen, welches er mit einer Zange hielt, der Natter in den gähnenden Rachen und streckte sie todt zu Boden. Darauf tödtete er die Schlange, welche sich ringelnd heranwälzte, indem er ihr einen Geer mitten in den Rachen stiess. Als er dem Vertrage gemäss den Lohn des Sieges verlangte, entgegnete Sigward, er werde denjenigen zum Schwiegersohne annehmen, den seine Tochter in freier Wahl erwählt habe. Nur die Mutter der Jungfrau nahm des Freiers Werbung unwillig auf, und erforschte das Herz der Tochter in geheimer Ansprache. Als diese den Freier seiner Tapferkeit wegen überaus lobte, überhäufte sie sie mit Vorwürfen, weil sie die Scham abgelegt und den Verlockungen der Schönheit nachgegeben habe. Jetzt, da sie sich über das Urtheil der Tugend hinwegsetze und den schmeichlerischen Reizen der Schönheit nicht mehr widerstehe, gewähre sie einen Blick in ihr leichtsinniges Herz. So ward Alfhild zur Verachtung des jungen Dänen angereizt; sie vertauschte ihr Frauengewand mit männlicher Kleidung, und ward aus einer schamhaften Jungfrau ein grimmer Seeräuber.

Mehrere Mädchen, die ihre Gesinnung theilten, nahm sie in ihr Kampfgefolge auf, und sie gelangte zufällig an den Ort, wo eine Schaar von Wîkingen den Tod ihres im Kampfe gefallenen Führers betrauerte. Von diesen ward sie wegen der Schönheit ihrer Gestalt sofort zum Anführer gewählt, und sie vollbrachte weiblichen Muth weit übersteigende Dinge. Alf gab sich alle Mühe, sie durch häufige Aussendung seiner Schiffe in seine Gewalt zu bekommen; er gerieth aber zufällig, als der Winter eintrat, unter die Flotte der Blacmän Der Name »Blacmänner« bezeichnet sonst die Mohren, überhaupt die Bewohner Africas. Hier kann von diesen keine Rede sein; wir werden also irgend einen nordischen Volksstamm von dunklerer Färbung darunter zu verstehen haben.. Zu dieser Zeit umschloss so dickes Eis die Schiffe, dass kein Rudern sie vorwärts zu bringen vermochte. Als nun die Andauer des Frostes den Eingeschlossenen einen sicheren Gang verhiess, befahl Alf seinen Leuten, den zugefrorenen Meerbusen mit gestiefelten Füssen zu betreten, auf dass sie das glatte Eis mit festen Schritten überschreiten könnten. Die Blacmänner meinten sofort, dass sie mit eilenden Füssen die Flucht ergriffen, begannen den Kampf mit ihnen, mussten jedoch weichen, weil ihre Füsse allzusehr schwankten, da die Glätte des Eises ihre Schritte unsicher machte.

Die Dänen jedoch giengen mit sicheren Schritten über das Eis des Meeres und vereitelten den schwachen Angriff der Feinde. Nach deren Besiegung wandten sie sich gegen Finnland; da sie hier durch Zufall in einen ziemlich engen Meerbusen einliefen, schickten sie Späher aus, welche die Lage der Dinge erforschen sollten, und durch diese erfuhren sie, dass der Hafen nur durch wenige Schiffe besetzt sei; Alfhild war nämlich früher mit ihrer Flotte in dieselbe Meerenge eingelaufen. Als sie in der Ferne die unbekannten Schiffe erblickte, suchte sie durch schnelles Rudern ihnen entgegen zu gehen, indem sie es für besser hielt, in den Feind einzubrechen, als ihn zu erwarten. Alf, da seine Gefährten ihn hinderten, mehrere Schiffe mit wenigeren anzugreifen, bezeichnete es als unwürdig, dass man wolle, sein Vorgehen solle gehindert werden durch die Entgegenstellung mehrerer Schiffe der Alfhild. Zugleich sagte er, dass der Ruhm grosser Thaten nicht zu mindern sei durch das Gewicht einer so geringfügigen Sache. Die Dänen wunderten sich nicht wenig über die Leibesschönheit der Feinde und über die Schmiegsamkeit ihrer Glieder. Als nun die Schiffe den Kampf aufgenommen hatten, sprang Alf in den Vordergransen der Alfhild und drang bis in den Hintergransen, immer die Widerstehenden niederschlagend. Sein Gefährte Borkar rief aus, als der Alfhild der Helm vom Haupte geschlagen war und die Glätte ihres Kinnes sichtbar ward: mit Küssen, nicht mit Waffen sei hier zu streiten; man solle die starren Wurfgeschosse bei Seite legen und dem Feinde mit Liebkosungen zu Leibe gehen. Alf zwang also diejenige, welche er zu Lande und auf dem Meere unter so vielen Gefahren unermüdet gesucht, und die er jetzt wider Erwarten gefunden und mit Freude gefangen hatte, die männliche Tracht in weibliche zu verwandeln. Später gebar sie ihm eine Tochter, welche den Namen Gurith erhielt. Aber auch Borkar vermählte sich mit Grô, einer Gefährtin der Alfhild, und erzeugte mit ihr den Harald, welchen die spätere Zeit Hildetand (Kampfzahn) zubenannte.

Zu Anfang des Frühlings, als Alf und Alfgêr die Heerfahrten wieder aufnahmen und das Meer mit ihren Schiffen durchfurchten, stiessen sie mit hundert Schiffen auf die drei Söhne des Häuptlinges Hâmund, Helwin, Hagbardh und Hâmund. Sofort begannen sie das Treffen; da jedoch das Dunkel der Abenddämmerung die vom Morde ermüdeten Hände trennte, kamen sie überein, während der Nacht die Waffen ruhen zu lassen. Am folgenden Tage bestätigten sie gegenseitig durch einen Eid den Waffenstillstand von neuem; denn man hatte im gestrigen Kampfe auf beiden Seiten so grosse Wunden empfangen, dass es keine Möglichkeit war den Kampf zu erneuern. So zwang die die Noth zum Frieden, welche gleiche Tapferkeit erschöpft hatte.

Um dieselbe Zeit warb Hildigisel, ein Deutscher von hoher Abkunft, gestützt auf Schönheit und Adel, um Signy, die Tochter Sigar's. Bei ihr zog ihm aber seine Unberühmtheit die grösste Verachtung zu, weil es den Anschein hatte, als wolle er, selbst der Tapferkeit baar, durch die Tüchtigkeit Anderer sein Glück begründen; vorzüglich aber reizte sie zur Liebe gegen Hagbardh der anerkannte Ruhm seiner Gefährten. Sie hatte grössere Achtung für die Tapferen als für Weichlinge. Sie bewunderte nicht den Glanz der Schönheit, sondern den Ruhm der Thaten, wohlwissend, dass aller Reiz der Schönheit gegen den Ruhm der Tapferkeit gehalten Schmutz sei, und dass man sie nicht auf gleicher Waage wägen dürfe. Es giebt in der That Jungfrauen, welche mehr durch den Ruhm der Freier, als durch die Schönheit derselben gewonnen werden, und welche zu dem Wunsche einer engeren Verbindung allein die Achtung vor dem Muthe entzündet, indem sie nicht auf die Beschaffenheit des Gesichtes, sondern des Herzens Rücksicht nehmen.

Hagbardh aber, als er mit Sigar's Söhnen nach Danland gegangen war, und ohne ihr Wissen ein Gespräch mit ihrer Schwester erlangt hatte, bewog sie endlich ihm zu versprechen, dass sie sich mit ihm heimlich vermählen wolle. Sie zog also, vielleicht weil ihre Mägde die ausgezeichneten Eigenschaften der Freier verglichen, dem Hildigîsel den Hagbardh vor, weil an jenem nichts Löbliches als die Schönheit gefunden werde, an diesem aber die Flecken des Gesichtes durch die Blüthe des Muthes aufgewogen würden. Und nicht zufrieden, ihn mit einfachem Lobe erhoben zu haben, soll sie durch folgendes Lied ihn zu feiern bewogen worden sein.

Des Reizes baar, doch reich an Tugend,
      er ragt ob allen Recken,
      und Muth spricht seine Miene.
Sein scharfer Blick der Schönheit Mangel
      lässt ganz und gar vergessen,
      des Leibes Laster tilgend.
Das Herz ihm birgt den Hort der Schönheit,
      der Stolz ihm schmückt die Stirne;
      selbst Rauhheit dient zum Reiz ihm.
Sein Kinn umspielt der Kühnheit Adel;
      mit frischer Farbenfülle
      versieht ihn reine Sitte.
Er schuldet nicht der Schönheit seine Werthung;
      des Kampfes kühnen Thaten,
      den Waffen dankt den Werth er.
Drum schweigt, ihr Schwätzerinnen, schweigt!


Dem Andern doch lasst Anmuth leuchten,
      und Wohlgestalt ihn werthe;
      sein Haupt zier' heller Haarschmuck:
Zum Schmucke nicht, zur Schmach gereichet
      die Zierlichkeit dem Zagen;
      zur Schande wird ihm Schönheit.
In Tüchtigkeit die Tugend pranget,
      doch Schönheit Scham oft wecket;
      sie fällt, wo jene feststeht.
Der Farbe Schmelz oft Fehler zeitigt,
      und flüchtiger Jahre Flügel
      verwischt sie von der Wange.
Mag äussrer Glanz die Augen täuschen
      des Volkes, ich erforschte
      den höhern Werth des Herzens.–
Drum schweigt, ihr Schwätzerinnen, schweigt!

Dieses Lied ward von den Umherstehenden so aufgefasst, dass sie damit den Hagbardh lohen wollte. Aber Hildigîsel empfand es schmerzlich, dass sie Hagbardhen ihm vorziehe, und gewann den Rath des Königes, Bölwîs, einen blinden Mann, durch Geschenke, dass er die Freundschaft der Söhne Sigar's und Hâmund's in Feindschaft umwandelte. Bölwîs (d. h. des Uebels kundig) ist nahe verwandt mit Bölwerk (Uebelthäter) einem Beinamen Ôdhin's. Des Bölwîs Bruder und ebenfalls Rath des Königs Sigar, heisst, wie wir später hören, Bilwîs (d. h. des Rechten kundig). Dieser Name stimmt wieder genau zu einem Beinamen Ôdhin's, nämlich Bileyg (d. h. des Rechtes Auge). Der König Sigar war nämlich gewohnt, fast Alles nach dem Rathe der beiden Greise zu thun, deren einer Bölwîs, der andere Bilwîs hiess. Ihre Gesinnung war so verschieden, dass der eine die in Feindschaft Lebenden zur Freundschaft zurückzuführen pflegte, der andere jedoch gieng nur darauf aus, die in Freundschaft Verbundenen durch Hass zu trennen und gegenseitiges Verderben durch Zwiespalt herbeizuführen. Zuerst also beschuldigte Bölwîs bei den Söhnen Sigar's die Abkömmlinge Hâmund's mit offenbarer Lüge der Missgunst, und betheuerte, dass dieselben niemals den Rechten und Pflichten treuer Genossenschaft nachkämen, und dass sie folglich mehr durch Krieg als durch Bündniss im Zaune zu halten wären. So ward das Bündniss der Jünglinge zerstört, und Helwin und Hâmund wurden, während Hagbardh in der Ferne beschäftigt war, von Sigar's Söhnen, Alf und Alfgêr, und bei dem Hafen, der Hâmund's Meerbusen heisst, besiegt und getödtet. Hagbardh jedoch überraschte später mit frischen Kräften die Sieger und tödtete sie im Kampfe zur Rache seiner Brüder. Hildigîsel jedoch entkam; es wurden ihm aber durch einen Wurfspiess beide Hinterbacken durchbohrt. Dieser Umstand gab Gelegenheit, den Deutschen mit Spott zu Leibe zu gehen, weil die Hässlichkeit der Verwundung einen Vorwurf einschloss.

Hierauf legte Hagbardh weibliches Gewand an, und gieng, gleichsam als habe er Sigar's Tochter durch die Tödtung ihrer Brüder nicht verletzt, allein zu ihr, im Vertrauen auf die von ihr erhaltene Zusage, indem er mehr Sicherheit aus ihrer Treue, als Furcht aus seiner That schöpfte. Damit aber nicht seine Reise eines Grundes entbehre, gab er sich für eine kriegerische Magd Hâkons aus und sagte, er habe eine Botschaft desselben dem Sigar zu überbringen. Als er nun bei Nacht unter den Mägden sein Lager empfieng und ihm die Füsse von den Dirnen gewaschen wurden, ward er gefragt, warum er so rauhe Schenkel habe und seine Hände so hart seien. Darauf antwortete er:

Ist's ein Wunder denn, dass nicht weich der Fuss mir
      und langbehaart die Lende,
mir, des Sohlen oft der Sand verletzte,
      derb oft Dornen stachen?

Bald den Wald durchschreit ich, durch die Wogen bald
      ich die Bahn mir breche;
die Brünne stets die Brust mir decket,
      des Geeres Gang zu hemmen.

Doch euere Hülle nicht Eisenringe,
      nur weich Gewand umweht sie;
drum auch nicht rauh der Berührung dünket
      die weiche Wölbung.

Nicht Spinnrocken noch Spindelkorb
      hielt mir diese Hand je;
nur blanke Waffen, blutbespritzte,
      nur Fechtgeräth sie fasste.

Signy zauderte nicht, seine Behauptung zu bestätigen und sagte, es sei nun einmal so, dass Hände, welche öfter Wunden als Wolle, das Schwert als den Spinnrocken handhaben, die aus der Beschäftigung entsprungene Härte zeigen, und nicht weich und glatt, wie die Hände der Frauen sich anfühlen lassen. Die Hände der Magd Hâkons seien theils durch Kampfarbeit, theils durch das Führen des Ruders hart geworden; denn sie pflege sich nicht mit weiblichen Geschäften abzugeben, sondern Geere zu werfen und mit blutbefleckter Hand Wurfgeschosse zu schleudern. Deshalb habe man sich nicht zu wundern, wenn ihre Fusssohlen durch die lange Dauer der Reise hart geworden seien, da sie dieselben so oft auf den Sand der Küste und auf Steintrümmer habe setzen müssen. Sie seien durch Schwielen starr geworden und seien nicht so weich wie die Sohlen derjenigen anzufühlen, deren Füsse niemals über die Schwellen der Thüren hinauskämen. Als Hagbardh nun, der eine würdigere Schlafstätte verlangte, die Jungfrau zur Bettgenossin erhalten hatte, fragte er sie unter der nächtlichen Unterhaltung und suchte sie auszuforschen.

Sprich, fienge mich dein Vater hier
und weihte trübem Tode mich,
würdst eingehn andern Ehebund,
uneingedenk des ersten, du
nach meinem Tode, Traute? sprich!
Denn träfe mich das trübe Looss,
sieh', auf Verzeihung zähl' ich nicht;
denn rächen würde rauh und hart
für Sühne stumm, der Söhne Tod
dein Vater, denn sie fielen mir.
Ja, deinen Brüdern brach die Brust
mein Schwert in schwerem Kampfe dort;
von ihren Schiffen schied ich sie.
Und hätt' ich sonst ihn nie versehrt,
an meinem Herzen halt' ich dich,
mein wonnig Weib, nicht weiss er drum.
Drum sag' es, sag' es, süsse Braut,
was wirst du thun, wenn todt ich bin
und unser Bund zerbrochen ist?

Signy entgegnete darauf:

O glaube, Theurer, deinen Tod ich theilen will,
wenn solches Looss dich Lieben, hier im Lande, trifft;
verlängern will ich nimmermehr des Lebens Frist,
wenn dich dem Hügel übergab der herbe Tod.
Denn, wenn du sehen nicht mehr sollst der Sonne Licht,
geschoben in der Schergen schänderische Hand,
und welches Uebel dir den Athem auch entzieht,
sei's auf der See, zu Lande, sei es Seuche, Schwert,
jedwedem andern Ausgang sag' ich offen ab,
derselbe Tod nur sende meine Seele fort,
dass uns, die beide dasselbe Band verbunden hat,
derselbe Tod auch tilge, Tag sei's oder Nacht.
Nicht düstern Todes wegen den ich lassen will,
den von den Männern meiner Minn' ich werth erfand,
den mir vereinte meines Mundes erster Kuss,
und dem ich durch der Minne Macht mich nun ergab.
Diess mein Gelübde nimmermehr erlöschen soll,
wenn Weibeswort auf dieser Welt je Werth besass.

Dieses Wort erregte so Hagbardh's Geist, dass er mehr Vergnügen an ihrer Verheissung, als Gefahr in seinem Wagnisse fand. Als er, von den Mägden verrathen, von Sigar's Schergen angefallen ward, vertheidigte er sich lange durch tapfern Kampf, und erschlug mehrere von ihnen an der Thüre des Gemaches. Endlich ergriffen und vor die Volksversammlung geführt, vernahm er von einander abweichende Urtheilssprüche des Volkes über sich und seine That. Die Meisten zwar waren der Meinung, dass er für eine so schwere Beleidigung mit dem Tode zu bestrafen sei; aber Bilwîs, der Bruder des Bölwîs, und andere urtheilsfähige Männer mahnten, lieber seines mächtigen Beistandes sich zu bedienen, als mit Härte gegen ihn zu verfahren. Da trat Bölwîs hervor und rief: schlecht seien Rathschläge, die dem Könige, wo er rächen solle, Verzeihung empfehlen und den gerechten Zorn durch unwürdiges Mitleid abzuschwächen suchen; denn wie könne Sigar dessen aus Mitleid zu schonen bewogen werden, der ihn nicht nur der Hülfe zweier Söhne beraubt, sondern auch seine Tochter mit Schmach bedeckt habe. Dieses Urtheil gewann die Mehrheit der Stimmen für sich; Hagbardh ward verurtheilt, und der Galgen für ihn errichtet. So kam es, dass derjenige, den früher beinahe Alle lossprechen wollten, nun durch den Grimm Aller bestraft ward. Selbst die Königin schleuderte gegen ihn höhnende Worte, indem sie ihm ein Horn darreichte und ihm rieth, zum letzten Mal seinen Durst zu stillen. Sie sprach:

Da dir Frechem, Frevelgierem
Thingesmund den Tod gesprochen,
auf denn, Hagbardh, harter Kämpe,
deinen Durst zu dämpfen, fasse
dieses Horn mit fester Hand nun;
trink ihn, deinen letzten Trank!

Muthig es zum Munde führe,
alle feige Furcht verbannend,
in des Lebens letzter Stunde;
nimm den Trank des Todes trotzvoll,
labe dich mit kühner Lippe,
kecker Kämpe, wenn du kannst!

So getränket wirst getrost du
dich der Hela Halle nahen;
offen steht dir schon der Eingang.
Geben wirst du bald dem Galgen
deinen Leib, und leidem Liebchen
senden deine Seele zu!

Der Jüngling ergriff das dargebotene Horn und antwortete also:

Mit dem letzten Trunke will ich
laben mich denn,
und das Horn ich mit derselben
Hand ergreife,
die der Zwillingssöhne Häupter
zwang zu Boden,
deine Brut, die hold an deiner
Brust einst lagen.
Ja, nicht ungerächt betret' ich
Ôdhin's Halle,
mag dort, freudig wohl begrüssen
frohe Kämpen;
denn es sandte diese meine
Siegerrechte
sie zu Hela's nächtlich dunkler
Halle nieder.
Ja, die Fülle deines Bluts die
Faust mir netzte;
deinen Söhnen raubte sie die
süsse Jugend.
Die zum Lichte du mit Schmerz und
Lust gebarest,
ha! mein Schwert die Brust der Lieben
schwer verletzte.
Arges Weib du, hirnsuchttolles,
was noch sinnst du?–
Arme Mutter! deinen Gram nichts
mindern wird dir;
o! kein Gott dir die Geraubten
giebt auf's Neue;
keine Zeit dir bringt zurück die
Zier der Mutter,
und kein Tag bescheinet froh des
Todes Beute.

So rächte er die Androhung des Todes durch die Hindeutung auf die von ihm erschlagenen Jünglinge, warf der Königin das Horn in das Antlitz und überschwemmte dasselbe mit der im Horne befindlichen Flüssigkeit.

Inzwischen befragte Signy die weinenden Mägde, ob sie ihr bei ihrem Unternehmen als Antheilnehmerinnen beistehen wollten. Sie versicherten, sie würden alles vollziehen, was die Herrin wünsche, und sie bestätigten ihr Versprechen durch die Berufung auf ihre Treue. Darauf sagte Signy, heftig weinend, sie wolle dem in den Tod folgen, mit dem allein ihr Lager sie getheilt habe, und sie befahl, sobald das Zeichen von der Anhöhe gegeben würde, sollten sie brennende Fackeln unter dem Gemache anhäufen, dann aus den Schleiern Stricke drehen, diese um den Hals legen, die Fussschemel zurückstossen und sich also erwürgen. Da sie alle zustimmten, reichte Signy ihnen Wein, auf dass sie geringere Furcht vor dem Tode hätten. Indem dieses geschah, ward Hagbardh auf den Berg geführt, wo man ihn hängen wollte, und der später nach ihm benannt ward. Jetzt nun wollte er die Treue seiner Geliebten prüfen, und er bat die Schergen, seinen Mantel doch einmal an den Galgen hinaufzuziehen; es würde ihm Vergnügen machen, sagte er, wenn er sehen könnte, wie er sich am Galgen ausnähme. Seine Bitte ward ihm gewährt, und der Wächter der Warte, der da wähnte, dass Hagbardh gehängt sei, berichtete das Erblickte sogleich den in dem Frauengemache eingeschlossenen Mägden. Sogleich setzten diese das Gebäude in Brand, befestigten die Stricke um den Hals, stiessen mit den Füssen die Schemel hinweg und hängten sich auf diese Weise. Als nun Hagbardh das Frauenhaus der Königsburg brennend erblickte, so zeigte er, dass er mehr Freude empfand über die Treue seiner Geliebten als Trauer über den ihm nahen Tod. Er ermahnte also die Umstehenden ihn sofort zu tödten, und wie gering er den Tod achtete, drückte er durch folgende Worte aus:

Schnell, ihr Gaffer, gute Schergen, zieht am Galgen mich empor,
stolz ich sterbe, meine Traute starb mit Stolze mir zuvor.
Seh im Brande rother Lohen schon gebrochen Sigar's Haus:
was die Liebe mir gelobte, leistet sie mir sonder Graus.
Dem Versprechen ward entsprochen, was du sprachst, du hielt'st es treu,
du geleitest mich im Tode wie im Leben sonder Scheu.
Eines ist es, unser Ende, eng verbunden eilen wir
hin, wo dauert treue Liebe, du mit mir und ich mit dir.
Heil mir, der ich meinem Herzen solche Huldin hier erwarb,
die mit Stolz zu sterben wusste, als ihr Gatte scheinbar starb.
Nicht ich einsam niedersteige in des Unterreiches Nacht,
die Geliebte folgt mir freudig, ist mir Licht im dunklen Schacht.
Mag den Hals mir hart umhaften hier des Todes herber Strick,
nicht beklag' ich mich darüber, klangvoll grüss' ich mein Geschick;
denn die Lieb' erhebt auch drüben ihrer lichten Schwingen Kraft,
auch die Todten haben Freuden, lebten hier sie tugendhaft.
Auch in jenen Räumen rühmt man, dort wie hier man rühmend preist
gleiche Tragkraft, die sich in der Treue Beider hell erweist.

Nach diesen Worten ward er durch die Schergen am Seile emporgezogen. Als Haki, Hâmunds Sohn, dieses vernahm und, um seine Brüder zu rächen, seine Waffen von Irland nach Dänemark hinübertrug, ward er vom seeländischen Hâkon, dem Sohn Wîgher's, und zugleich von Starkadh verlassen, deren Hülfe er nach Regnwald's Tode sich erfreut hatte. Der eine nämlich ward durch die Hinsicht auf die engste Freundschaft, der andere durch seine Abstammung bewogen, so dass verschiedene Ursache in Beiden die gleiche Ansicht erzeugte. Den Hâkon hielt also von der Bekriegung seines Vaterlandes seine Gewissenhaftigkeit ab, weil er nicht den Anschein haben wollte, seine Mitbürger zu bekriegen, während Andere gegen Fremde Krieg führten; Starkadh aber wollte nicht als Feind auftreten, weil er des greisen Sigar's Gastfreund gewesen war, auf dass man nicht sage, er habe den um ihn Wohlverdienten kränken können. Aber Haki, der den Tod der Brüder für einen grösseren Nachtheil hielt als die Entweichung der beiden Kämpen, sammelte seine Flotte und schiffte sein Heer in dem Hafen aus, der Herwîk heisst, und rüstete es zum Fusskampfe, an welchem Orte jetzt die von Hesbern erbaute Stadt durch ihre Befestigung den Anwohnern Schutz gewährt und fremder Wildheit den Zugang unmöglich macht. Als er darauf seine Schaaren in drei Haufen getheilt hatte, schickte er zwei Theile seiner Schiffe, indem er nur Wenige zum Rudern bestimmte, zum Flusse Susa voraus; sie sollten quer über die Krümmungen des Flusses in zwei Reihen vorgehen und dem Fussheere, wenn es die Umstände verlangten, Hülfe leisten. Er selbst zog mit den Uebrigen zu Fuss und zwar, auf dass er nicht erblickt würde, meist durch bewaldete Gegenden; und dass nicht den in die Ebenen Vorgeschrittenen die Beschattung der Bäume fehle, befahl er ihnen, Aeste abzuhauen und vor sich zu halten. Ferner befahl er, auf dass die Eilenden nichts belaste, einen Theil der Kleider nebst den Scheiden der Schwerter fortzuwerfen und die blossen Schwerter zu tragen. So täuschte er durch nächtlichen Vorgang zwei Wachposten; als er aber dem dritten nahete, eilte sogleich ein Späher, der sich über die ungewöhnliche Erscheinung wunderte, in das Schlafgemach Sigar's und sagte, er habe eine wunderbare Sache zu melden, er habe nämlich Aeste und Zweige erblickt, die auf menschliche Weise vorwärts schritten. Als der König da fragte, wie weit der wandelnde Wald noch entfernt sei, und hörte, er sei nahe, so glaubte er, dass diese Erscheinung ihm den Tod verkünde. Er gieng demnach, nachdem er die Stadt verlassen hatte, alle beengenden Gegenden scheuend, in die der Sonne mehr offene Ebene vor, um den Feinden eine Schlacht zu liefern. Er fiel an dem Orte, der Walbrynd Brunnen der Niederlage. heisst, nachdem er unglücklich gekämpft hatte. Nun aber verlockte den Haki sein Sieg zur Grausamkeit, und er begann sein Glück durch so grosse Frevelthaten zu schänden, dass er mordbegierig alles umbringen und weder Alter noch Geschlecht schonen liess, und die Mütter mit den Kindern zugleich in seiner Wuth umbrachte.

Als Sigwald, Sigar's Sohn, der bis jetzt das väterliche Haus nicht verlassen hatte, dieses vernahm, zog er, um Rache zu üben, ein Heer zusammen. Haki, erschreckt durch die grosse Menge der Feinde, gieng mit dem dritten Theile seines Heeres auf die Flotte im Hafen Herwîk zurück und suchte sich durch Flucht zur See zu retten. Sein Bundgenosse, Hâkon der Stolze, der mehr Vertrauen auf den eben erfochtenen Sieg setzte, als Furcht empfand wegen Haki's Flucht, zog den Tod der Flucht vor und hielt das übrige Heer zusammen. Er zog also sein Lager ein wenig zurück und wartete eine kurze Zeit lang bei dem Dorfe Axelstad auf das Herankommen der Schiffe; als die Bundesgenossen jedoch später ankamen, beschuldigte er sie der Trägheit; denn noch nicht war die in dem Flusse aufgestellte Flotte in den ihr bestimmten Hafen eingelaufen. Die Niederlage Sigar's und die Liebe zu Sigwald reizte aber die Gemüther des Volkes so auf, dass beide Geschlechter sich am Kriege betheiligten. Am folgenden Morgen schlugen Sigwald und Haki mit einander und der Kampf dauerte zwei Tage. Es ward überaus heftig gekämpft, beide Führer fielen, die Trümmer der Dänen aber schmückte der Sieg. In der auf die Schlacht folgenden Nacht jedoch gelangte die Flotte in den ihr als Zufluchtsort bestimmten Hafen, nachdem sie den Fluss Susa verlassen hatte. Früh am Morgen errichteten die Schiffer, welche die Leichen ihrer Gefährten erblickt hatten, um den Heerführer feierlich zu bestatten, einen Hügel von ungewöhnlicher Grösse, der bis heute Haki's Hügel heisst. Die Mehrzahl derselben aber erschlug Borkar, der plötzlich mit der skânischen Reiterei herbeikam. Als der Feind vernichtet war, rüstete er die der Ruderer beraubten Schiffe aus und verfolgte den Sohn Hâmunds mit der grössten Schnelligkeit. Er ereilte ihn und schlug ihn; Haki jedoch war so glücklich, obgleich er unglücklich gekämpft und vor Furcht den Kopf verloren hatte, mit drei Schiffen nach Schottland zu entkommen, wo er nach Verlauf zweier Jahre starb. Von Sigar's ganzem Geschlechte war einzig noch Guridh, die Tochter Alfs, übrig.


Erläuterung.

Die Sage von Hagbardh und Signy war einst fast über ganz Skandinavien verbreitet. Es giebt dänische und schwedische Darstellungen, und Grundtvig in seinem Werke: »Dänemarks alte Volkslieder« giebt nicht weniger als elf, die zwar unter einander ziemlich übereinstimmen, doch auch im Einzelnen wieder bedeutend von einander abweichen. Neben den dänischen giebt es nun auch schwedische, und sicher auch wohl norwegische. Dass die Sage überall örtliche Anknüpfung suchte und fand, versteht sich von selbst. So erwähnt selbst Saxo, um die Wahrheit der Begebenheit zu bekräftigen, dass noch Manches darauf hindeute. Ein Dorf habe Hagbardh's Namen erhalten, und nicht weit von Sigrsted auf Seeland, nahe am Fluss Susa, sehe man noch den Hügel, wo er gerichtet worden sei. Auch habe Jemand dem Absalon (womit unstreitig der Erzbischof von Roeskelda, Saxo's Zeitgenosse und Gönner gemeint ist) erzählt, er habe daselbst einen Balken gesehen, den ein Bauer herausgepflügt habe, womit unstreitig ein Balken des Galgens gemeint sein soll. Olaus Worm sagt in seinen »Dänischen Denkmalen« im letzten Kapitel des 2. Buches, dass man nicht nur die Stadt zeigen könne, die von Sigar den Namen habe, sondern auch seinen Grabhügel, die Anhöhe, auf welcher Hagbardh gehängt worden, und Signy's Hof, welches alles jedem Bauer ganz bekannt sei. Ebenso theilt Nericius, Erzbischof von Uppsala, in seiner Chronik mit, dass auch in Schweden diese Sage häufig in alten Liedern gesungen worden; weil aber diesem zufolge die Begebenheit sich zu Sigtun, am Mälarsee, zuträgt, so behauptet er, die Angaben der dänischen Lieder seien falsch, und es müsse den schwedischen Glauben beigemessen werden. Es bestätigt sich dadurch wieder, dass die Sage überall, wo sie lebt, sich anbaut und zu Haus ist.

Johann Messenius sagt in seiner Schrift: »Sweopenta Protopolin«, die Begebenheit falle in das Jahr 222 unserer Zeitrechnung, Stephanius dagegen behauptet, sie sei mehr als 20 Jahre älter, da Sigar bereits im Jahre 199 in der Schlacht bei Kallundborg gefallen sei. Unter den deutschen Sagen stimmt zu ihr zum Theil die liebliche Sage von Hugdietrichs Brautwerbung, nur dass hier Alles zu frohem Ende gebracht wird, während die dänische Sage den Untergang eines ganzen Königsgeschlechtes davon ableitet.



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