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Neun Bücher nordischer Sagen sind es, welche freundlichen Lesern und Leserinnen hiemit vorgelegt werden. Den Meisten dürfte wohl ihr Inhalt unbekannt, folglich neu sein. Vieles wird ihnen sonder Zweifel ganz und gar fremdartig vorkommen. Im Mittelalter herrschten aber andere Anschauungen als heutzutage, und dazu unterschieden sich die Skandinavier selbst im Mittelalter sehr bedeutend von den anderen germanischen Stämmen. Männer und Frauen von ungebändigter Kraft und tiefen Leidenschaften werden an den Lesern vorüber schreiten, nirgends jedoch werden sie eine Spur von Weichheit oder gar Schwäche finden.
Ein bedeutender Theil dieser Sagen ist aus der sogenannten Geschichte der dänischen Könige von Saxo Grammaticus genommen; theils hat er sie allein bewahrt, theils giebt er sie in reicherer und ursprünglicherer Gestalt als die späteren nordischen Schriftsteller. In ersterer Hinsicht verweise ich auf die Sage von Amleth und Hödh, in letzterer auf die von Hrôdhulf (Hrôlf Kraki).
Ueber die Sage von Amleth, die Vielen vielleicht sehr merkwürdig sein wird, seien mir hier noch einige Worte vergönnt. Shakespeare hat, was schwerlich ein anderer Dichter wagen dürfte, in seinem Hamlet uns bekanntlich eine Tragödie der Schwäche gegeben, d. h. eine Tragödie, deren Personen sämtlich Schwäche des Willens zur Haupteigenschaft haben. Diese Tragödie hat auch nicht éinen starken Charakter und ist doch nichts desto weniger ein Meisterwerk, einfach, weil die Schwäche in allen Charakteren verschieden begründet ist und eben deshalb auch in verschiedener Gestalt sich zeiget. Kein anderer Dichter, wie gesagt, dürfte wohl eine solche Tragödie zu schreiben gewagt haben. Von dem allem ist nun keine Spur in der alten Sage, nur dem Könige könnte man allenfalls Willensschwäche vorwerfen, da er der alten Vorschrift, »einen jungen Wolf nicht aufwachsen zu lassen«, nicht sofort Folge leistet. Aber er hat auf Hamlet's Mutter, seine Gattin, Rücksicht zu nehmen und auch wohl auf sein Volk. Das lässet ihn, der sonst nicht zaudert, zaudern. Doch soll nicht verschwiegen werden, dass man selbst auch in Skandinavien, und schon im Mittelalter, Amleth's Charakter falsch auffasste und demnach unrichtig beurtheilte. Das geht aus jener Stelle der Hrôlf's-Sage (S. 358) hervor: »Diess Schwert ist für keinen Amlôdhi, d. h. für keinen unentschlossenen, thatscheuen Mann.« Das ist nun Amlôdhi keineswegs in der Sage, nur bedachtsam ist er, schlau, und will sicher gehn. Freilich, dass er die Rache für den gemordeten Vater, seine heiligste Pflicht nach nordischer Ansicht, so lange aufschob, das konnte ihn in den Augen Heissblütiger, Raschentschlossener als thatscheu erscheinen lassen. Aber die bedachtsame List galt im nordischen Heldenleben nicht weniger als die rasche Tapferkeit, gerade wie bei den Hellenen.
Alles diess hat nur Bezug auf die Heldensage, denn in dem Naturmythus, was die Amlôdhisage ursprünglich ist, geschiehet alles, was und wie es geschieht, aus Naturnotwendigkeit.
Ueber die Sage von Hödh, ursprünglich ebenfalls ein Mythus, ist in den Erläuterungen dazu das Nöthige gesagt worden, so dass sie hier unbesprochen bleiben darf. Dasselbe gilt von den verschiedenen Sagen von Frôdhi.
Die aus dem Isländischen (aus Fornaldarsögur Norđrlanda, I-III) übersetzten Sagen werden den Lesern vielleicht noch weit seltsamer erscheinen als die dem Saxo Grammaticus entnommenen. Sie sind wunderbarer, zum Theil mährchenhafter. Saxo, wenn er auch Aehnliches in seinen Quellen fand, musste es übergehn, weil er wollte, dass man seine Sagen für Geschichte nehmen sollte. Manche dieser isländischen Sagen sind sehr anmuthig, wie z. B. die Sage von Gebe-Ref; andere sind in anderer Beziehung merkwürdig, wie die Sage von Gauti, die von Herraudh und Bôsi, Hrôlfs Brautwerbung u. s. w.
Was den Dichter und Kämpen Starkadh (um 730) betrifft, so ist deutlich erkennbar, dass das Riesenhafte und Mythische ursprünglich seinem Grossvater angehört und ihm von einer späteren Zeit nur aufgebürdet ward. Aber sind alle Gedichte, die in den verschiedenen Sagen ihm zugeschrieben werden, wirklich von ihm? Dass er ein Skalde war, leidet keinen Zweifel, dafür bürget das ganze Alterthum; aber hieraus folget noch nicht, dass alle Gedichte, welche die verschiedenen Sagen ihm beilegen, auch wirklich von ihm herrühren. Ich meine, er wird ein vielleicht umfangreiches Gedicht verfasst haben, in welchem er sein Leben, seine Thaten, seine Schicksale erzählte; aus diesem Gedichte wurden dann einzelne Strophen genommen und ihm in den Sagen, in welchen er eine Rolle spielt, in den Mund gelegt, freilich nicht ohne Veränderungen und Zusätze. Solche Lebensbeschreibungen in Versen giebt es auch von Örwar-Odd und Ragnar Lodhbrôk. Diese beiden Männer waren nun zwar nicht Sänger, und die Gedichte sind nicht ihr Werk, obwohl beide in der ersten Person erzählen; Starkadh jedoch war Dichter (heisset doch das Fornyrdhalag geradezu auch Starkadharlag), und so sehe ich nicht ein, warum nicht viele der ihm zugeschriebenen Strophen in der That sein Werk sein sollen.
Was die bei Saxo befindlichen Gedichte Starkadh's und anderer Skalden betrifft, so sind sie bekanntlich bald in Hexametern, bald in Distichen, bald in der sapphischen Strophe, bald in noch andern antiken Formen wiedergegeben. Ich habe in meiner Uebersetzung überall den Stabreim zur Geltung gebracht, der in der altnordischen Dichtung durchaus herschet, und mehr volksthümliche Formen gewählt, da es wohl auf Starkadh's und der anderen Dichter Gedanken und ihren zweckgemässen Ausdruck, nicht aber auf Saxo's mühsame Verkünstelung dabei mir ankam.
Auf die durchaus nöthige Erläuterung der Sagen in Bezug auf Mythologie und sonstige Alterthümer habe ich den gehörigen Fleiss und die gebührende Sorgfalt verwandt. Da wird denn auch, hoffe ich, den Lesern kaum etwas dunkel geblieben sein. Mehr, als ich gab, konnte und durfte ich nicht geben, da ich nicht die Absicht hatte, eine Geschichte des skandinavischen Heidenthumes zu schreiben, sondern nur die vorliegenden Sagen zu erläutern; sonst hätte ich z. B. weit ausführlicher die theil- und zeitweise Verdrängung der Verehrung Ôdhin's durch die Frey's und Ull's bei Schweden und Gauten behandeln müssen; die kurzen Andeutungen, die ich einzig hierüber gab, wären da begreiflich unzureichend. Aber es war, wie gesagt, hier nicht meine Absicht, eine Geschichte des nordischen Heidenthumes zu schreiben. Die Hinweisung auf die Uebereinstimmung dieser altnordischen Sagen mit denen der verwandten Völker wird sonder Zweifel ebenfalls willkommen sein.
Zürich, im August 1869.
L. E.