Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

3. Hrôdhrîk.

Nach Hödh's Tode bestieg sein Sohn Hrôdhrîk Nach dem Beówulfliede ist Hrôdhrîk ein Sohn des Königes Hrôdhgeir, eine Angabe, die richtiger ist als die Saxo's. Aber da Saxo den Mythus von Balder und Hödh, zu einer dänischen Königssage verarbeitet, zwischen Hrôdhulf und Hrôdhrîk einfügte, musste er Hrôdhrîk's Abstammung, wie man leicht begreift, abändern. Das Beówulflied weiss übrigens nichts von Hrôdhrîk zu erzählen, da er in ihm noch ein Knabe ist. Wîdsîdh's Lied kennt ihn nicht einmal. Aber auch Saxo weiss eigentlich nichts von ihm, denn was unter ihm gethan wird, thun Andere, und das meiste nicht einmal für ihn. den Königsstuhl. Sogleich erhuben sich die Schweden und Kuren, verweigerten nicht nur den Zins, sondern fassten sogar den Muth, die Dänen, denen sie bisher zinspflichtig gewesen waren, mit den Waffen anzugreifen. Dieser Umstand gab auch den Slawen die Kühnheit zum Abfalle und machte noch mehrere andere Völker aus Unterworfenen zu Feinden. Um diese Beleidigung zu rächen, rief Hrôdhrîk das ganze Land unter die Waffen, erinnerte an die Thaten der Vorfahren und ermahnte alle zur Tapferkeit. Die Feinde jedoch, die einsahen, dass sie eines Hauptes bedurften, um den Krieg nicht führerlos zu führen, erwählten sich einen König. Dieser nun stellte die Hauptmacht sichtbar und offen auf, zwo Schaaren Bewaffneter jedoch legte er an einer verborgenen Stelle in den Hinterhalt. Aber diese List täuschte den König Hrôdhrîk keineswegs.

Da er merkte, dass seine Flotte auf eine gefährliche Untiefe gerathen sei, löste er sie von den Sandbänken, in denen die Schiffe steckten, und führte sie in das tiefe Wasser, dass er nicht in den schlammigen Sümpfen von verschiedener Seite her vom Feinde angegriffen würde. Ausserdem liess er die Schlupfwinkel von seinen Gefährten bei Tage wegnehmen und hiess sie darin sich festsetzen, dass sie sich unvermuthet auf diejenigen stürzen könnten, welche seine Schiffe angriffen; so könne es geschehen, meinte er, dass die erdachte List auf das Haupt der Urheber zurückfalle. Die Feinde nun, die sich auf ihren Hinterhalt verliessen und die Umsicht der Dänen nicht kannten, griffen tollkühn an und wurden gänzlich geschlagen. Die noch übrige Macht der Slawen wusste nichts von der Niederlage der Bundgenossen und wunderte sich sehr über das Zaudern Hrôdhrîk's. Endlich, nachdem sie lange hin und her geschwankt und ihn erwartet hatten, beschlossen sie, da die Zögerung von Tage zu Tage lästiger ward, mit ihrer Flotte ihn anzugreifen.

Es war aber unter ihnen ein durch die Beschaffenheit seines Leibes ausgezeichneter Mann, seines Gewerbes ein Zauberer. Als dieser der Dänen Schaaren sah, rief er ihnen zu: »Dass auf Kosten Weniger die Gefahr Vieler abgewendet werde, wollen wir dem allgemeinen Kampfe durch Zweikampf zuvorkommen. Ich werde mich einem solchen Kampfe nicht entziehen, wenn einer von euch es wagt, mit mir zu kämpfen. Ich fordere aber, dass meine Bedingung angenommen werde, nämlich: wenn ich siege, sind wir zinsfrei; werde ich besiegt, so wird euch der alte Zins bezahlt. Heute will ich als Sieger das Vaterland der Knechtschaft entledigen, oder als Besiegter es in Dienstbarkeit stürzen. Für Beides nehmt mich als Pfand und Bürgen an.« Auf diesen Zuruf fragte einer der Dänen, der mehr Muth als Leibesstärke hatte, den König Hrôdhrîk, welch ein Lohn dem werde, der dem Herausforderer sich stelle? Hrödhrîk trug einen Armschmuck, der aus je sechs Ringen bestund, die durch Verflechtung so verbunden waren, dass sie nicht von einander getrennt werden konnten: diesen Schmuck verhiess er dem zum Lohne, der den Kampf bestehn würde. Der Jüngling, der des Ausganges wenig sicher war, sagte darauf: »Wenn ich den Streit glücklich bestehe, so möge deine Freigebigkeit des Siegers Lohn bestimmen; denn da ich nicht weiss, wohin des Kampfes Glück sich wenden werde, so bin ich nicht so verwegen, einen Lohn anzusprechen, von dem ich nicht weiss, ob er mir mit Recht gebühre.« Kaum hatte er diess gesprochen, so schlug er auch schon mit seinem Schwerte auf den Feind los; er war aber weniger glücklich als muthig: der Slawe erlegte ihn mit dem ersten Schlage seines Schwertes. Er gab den Dänen hiemit ein trauriges Schauspiel: den Sieger aber feierten die Slawen durch grosses Siegesgepränge und mit wildem Gestampfe der Tänze. Am nächsten Tage, mochte ihn nun der Erfolg des neulichen Sieges übermüthig gemacht haben, oder mochte er nur begierig sein einen neuen Sieg zu erwerben, kurz, er trat an die Gegner und begann sie mit den Worten der früheren Herausforderung zu reizen. Er wähnte ohne Zweifel, er habe den Tapfersten der Dänen erlegt, und Niemand werde mehr den Muth haben, sich im Kampfe mit ihm zu messen. Durch des einen Kämpfers Fall glaubte er die Macht des ganzen Heeres vernichtet zu haben, und somit könne er alles leicht ausführen, was immer er unternehmen wolle.

Hrôdhrîk bedauerte, dass durch den Leichtsinn eines Mannes die Tapferkeit aller dem Zweifel ausgesetzt worden sei, und dass die siegberühmten Dänen nicht nur von den einst Besiegten hochmüthig angeredet, sondern sogar schimpflich verachtet würden. »Ist denn unter so vielen Kriegern keiner so muthig und tapfer, fragte er, dass er gewillt sei, sein Leben für das Vaterland zu wagen?« Der hochherzige Uffi ertrug nicht die Schmach, die in der Zögerung der Dänen lag. Auch ihm, der absichtlich nach dem Lohne des Kampfes fragte, verhiess der König seine Armringe. Wie kann ich dem Versprechen Glauben schenken, sprach er, da du das Pfand in den Händen behältst und nicht in den Gewahrsam eines Andern giebst Wie Pfänder, so mussten auch die Dinge, die zur Belohnung einer That bestimmt wurden, in fremde Hand gegeben werden, dass der sie zum Lohne bestimmende sein Wort nach vollbrachter That nicht zurücknehmen könne.? Der König hielt ihn deshalb für goldgierig; auf dass man nun nicht wähne, er werde die Gabe verweigern und sein Versprechen zurücknehmen, so schüttelte er, wie er gerade im Schiffe stund, die Armringe ab und wollte sie dem Ansprecher in sein Schiff mit gewaltigem Schwunge hinüber schleudern; aber die Grösse des Zwischenraumes vereitelte sein Bestreben; denn weil der Schwung nicht kräftig genug war, fielen die Ringe in das Meer und wurden von den Wogen verschlungen, woher Hrôdhrîk den Beinamen Slyngebond Schleudermann. erhielt. Dieser Vorfall bot Uffi die beste Gelegenheit, seine Tüchtigkeit zu beweisen. Der Verlust des Lohnes liess ihn nicht seinen kühnen Vorsatz aufgeben, auf dass seine Tapferkeit nicht der Habsucht dienstbar zu sein scheine. Eifrig verlangte er den Kampf, er wollte mehr der Ehre beflissen als dem Erwerbe ergeben sich erweisen, und zeigte, dass seine Zuversichtlichkeit nicht auf dem Lohne, sondern in seiner Hochherzigkeit beruhe. Das Feld wird ohne Verzug abgesteckt Die Absteckung eines Feldes zum Kampfe geschah dadurch, dass man dasselbe mit Haselstauden besteckte, welche den Kämpfern den Platz anwiesen. Der altnordische Ausdruck ist at hasla, d. i. mit Haselstauden bestecken. Auch in Deutschland scheint man einst diesen Brauch gekannt und geübt zu haben. Man vgl. meine Herbstabende und Winternächte, Bd. I, S. 157., die Kämpfer schreiten gegen einander, die Schwerter erklingen, die Menge der Zuschauer giebt ihre entgegengesetzten Wünsche laut zu erkennen. Die Gemüther der Kämpen entbrennen, sie schlagen einander Wunden und wollen den Kampf nur mit dem Leben enden. Das Glück waltete, dass keiner über den Tod des andern sich freuen und sich dessen rühmen konnte. Dieser Umstand gewann dem Könige die Herzen der Empörer auf's neue und verschaffte ihm den Zins wieder.

3. Örwandil, Feng und Amleth.

Anm. 4: Saxo kennt nur einen Theil der Örwandilsage, die hier samt der damit in Verbindung stehenden von Amleth (bei Shakespeare Hamleth) wiederum willkührlich eingeflochten ist. Einen anderen Theil der Örwandilsage (eigentlich und ursprünglich ein zum Kreisse von Thôr gehörender Mythus, wie schon Uhland erkannt hat) erzählt die jüngere Edda und zwar wie folgt: Als Thôr nach der Bezwingung des Riesen Hrungni heimkehrte, trug er noch das Stück der Steinwaffe seines Gegners im Haupte, das im Kampfe da hineingefahren war. Da bat man die Weissagerin Grôa oder Grôdha, die Gattin Örwandil's des Kecken, Thôr zu heilen. Sie kommt und singt ihre Zaubersprüche über Thôr, bis der Stein in seinem Haupte locker wird. Als Thôr die Erleichterung fühlt, will er ihr die Heilung durch die frohe Botschaft lohnen, dass Örwandil bald zu ihr heimkehren werde. Er selbst habe ihn von Norden her über die Eisströme Eliwâgar im Korbe auf seinem Rücken getragen, um ihn aus der Gewalt der Frostriesen zu befreien. Aber eine Zehe desselben sei aus dem Korbe hervorgestanden und erfroren. Deshalb habe er sie abgebrochen, an den Himmel geworfen und das Sternbild »Örwandil's Zehe« daraus gemacht. Ueber diese Nachricht wird Grôa so erfreut, dass sie ihrer Zaubersprüche vergisst. So steckt der Stein noch in Thôr's Haupte.

Man sieht leicht, dass dieses Stück des Mythus der Zeitfolge nach dem von Saxo erzählten vorausgeht. Thôr ist der den Landbau besonders beschützende Gott, daher der Feind der Riesen, d. h. alles dessen, was diesem hinderlich ist. Hrungni bezeichnet das harte klingende Felsgestein, das allem Landbau widerstrebt, daher zertrümmert Thôr dasselbe mit seinem Hammer (dem Blitze), aber ein abgeschlagenes Stück fährt ihm in das Haupt. Grôa oder Grôdha ist das Wachsthum, denn grôa als Zeitwort bedeutet grünen und wachsen. Ihr Gatte Örwandil bezeichnet den mit dem Pfeile (ör, englisch arrow) Arbeitenden (wanda, wenden, arbeiten). Er ist also der Fruchtkeim, der, wenn der Kern aufschwillt, mit der Spitze des Halmes (der Aehnlichkeit wegen Pfeil genannt) hervorbrechen und aufschiessen wird. Ihn hat Thôr im Korbe über die Eisströme getragen, d. h. er hat das keimende Pflanzenleben den Winter über beschützt. Aber der vorschnelle Örwandil (daher der Kecke geheissen) hat eine Zehe hervorgestreckt und erfroren: der Keim hat sich allzufrüh hervorgewagt und muss es büssen. Grôa heisst eine Weissagerin, weil sie die künftige Ernte voraus verkündet. Das in Thôr's Haupte steckende Gestein ist dasjenige, darauf auch im urbaren Felde Pflug und Karst noch immer stossen, und das Grôa nicht bewältigen kann; Thôr's Wunde bleibt also ihr unheilbar. Nur lockern kann sie den Stein und dadurch einer anderen Hand die Wegräumung ermöglichen.

Diese eben so richtige wie schöne Deutung des Mythus gehört bekanntlich Uhland an. Aber wenden wir uns nun zu Saxo's Erzählung, wo freilich alles zur Heldensage umgestaltet ist.

Örwandil's Vater heisst hier Gêrwandil, der mit dem Geere arbeitende. Geer und Pfeil aber vertreten einander, und so fallen Vater und Sohn eigentlich zusammen. Sein Bruder Feng bezeichnet den der empfängt, oder den der giebt (denn fanga bedeutet empfangen und geben), die reifende Kraft des Fruchtkerns, die aber zugleich sich als die Örwandil, die grünende Frucht, später tödtende Kraft erweistAuch unter Ôdhin's Beinamen erscheint Fengr.. Kollir, altnordisch Kôllir, steht nach dem Lautgesetze für Kôldhir, und bedeutet den Erkältenden. Er bezeichnet den im Frühlinge, wenn schon alles grünet, zuweilen noch eintretenden Frost, der die bereits hervorgebrochene Frucht (Örwandil) wohl noch schädigen kann. Aber die Zeit ist vorgeschritten, was das grünende und blühende Gebüsche des Eilandes, auf welchem der Kampf gekämpft wird, andeutet, und so siegt Örwandil, obwohl er noch immer der Vorschnelle, Kecke ist, der er früher war, was die Sage dadurch kund giebt, dass sie ihn den deckenden Schild im Kampfe wegwerfen lässt. Den Frost bringen Nordwinde, daher kommt Kollir aus Norwegen.


Um diese Zeit wurden vom Könige Hrôdhrîk Örwandil und Feng, deren Vater Gèrwandil Jütland verwaltet hatte, an dessen Stelle zu Vorstehern der Jüten ernannt. Örwandil hatte, nachdem er drei Jahre die Herschaft geübt, sich des grossen Ruhmes wegen den Wikingsfahrten ergeben, als Kollir, der König von Norwegen, in Bewunderung seiner Thaten und seines grossen Ruhmes dem Gedanken Raum gab, es würde ihn ehren, wenn er den so weitverbreiteten Glanz des Wîkings durch die Waffen als Sieger verdunkeln könnte. Endlich, nachdem er das Meer zu vielen Malen nach ihm durchforscht hatte, stiess er auf seine Flotte. Mitten im Meere liegt ein Eiland, und diess besetzten die Wîkinge mit ihren von beiden Seiten herbeigeführten Schiffen. Der liebliche Anblick des Strandes, die Schönheit der äusseren Gegenden reizte die Führer das im Schmucke des Frühlings prangende Innere zu beschauen und nach Durchforschung der waldigen Vorgebirge das von den Wäldern so geheimnissvoll eingeschlossene Land zu durchstreifen. Dabei traf denn Kollir zufällig auf Örwandil, und beide schritten ohne Begleitung daher. Örwandil nahm zuerst das Wort und fragte den König, welche Art des Kampfes zu wählen ihm beliebe? Er, fügte er hinzu, halte die für die vorzüglichste, wobei die wenigsten Kämpfer verwendet würden. Ein Zweikampf scheine ihm am geeignetsten, um den Ruhm der Tapferkeit zu erwerben; denn dabei komme es auf eigene Tüchtigkeit an, und fremder Hände Hülfe sei ausgeschlossen. Kollir bewunderte die kühne Rede des Jünglinges. »Da du mir, antwortete er, die Wahl der Kampfart überlässest, so wähle ich die, welche, frei von Getümmel und Lärm, nur zweier Bemühung erheischet. Mit Recht hält man sie sowohl für kühner als auch für zweckdienlicher zum Siege. Darin stimmen wir beide überein. Aber da der Ausgang immer zweifelhaft ist, so wollen wir uns gegenseitig geloben, einander die letzten Ehren zu erweisen, wie die Würde der Menschen es verlanget. Wir hassen uns zwar, aber fern sei es von uns, dass einer den anderen verachte und unwürdig behandele. Halten wir uns frei von jener Grausamkeit, welche will, dass der eine auch noch die Asche des andern verfolge, obgleich wir, so lange wir leben, einander hassten. Rühmlicher wird es für den Sieger sein, wenn er dem Leibe des Besiegten die ihm gebührenden Ehren erweiset. Denn wer einen todten Feind ehret, erwirbt sich die Achtung des noch lebenden. Aber es giebt noch ein anderes Uebel, und dem ist eben so wohl als dem Tode Rechnung zu tragen. Oft werden im Kampfe Glieder verstümmelt, ohne dadurch das Leben selbst zu gefährden. Diess Looss aber gilt oft für trauriger als der Tod selbst: denn der Tod tilgt alles Bewusstsein, der Lebende jedoch kann des Leibes Verstümmelung niemals vergessen. Setzen wir also fest, dass die Verwundung des einen durch den anderen mit hundert Pfund Goldes gebüsst werden solle Die gesetzte Busse würde Örwandil mit goldfarbigem Korn, Kollir mit silberfarbigem Schnee und Eise zahlen. Verletzungen des Leibes wurden übrigens nach altem Rechte mit Geld gebüsset. Jedes Glied, bis auf den Fingernagel, hatte seine bestimmte Werthung..

Sie gelobten einander gegenseitig die Erfüllung der beiden Bedingungen und begannen sofort den Kampf. Weder die Neuheit dieses noch die Schönheit des im Schmucke des Frühlings prangenden Ortes liess sie auch nur einen Augenblick zaudern. Örwandil, in der Hitze seines Muthes mehr darauf bedacht, den Feind anzugreifen als den eigenen Leib zu schirmen, warf sogar den Schild hinweg und nahm sein Schwert in beide Hände. Diese Kühnheit blieb denn auch nicht erfolglos; denn nachdem er Kollir's Schild durch seine gewaltigen Schläge zertrümmert hatte, verwundete er ihn am Fusse Örwandil kann begreiflicher Weise seinen Gegner nur von unten herauf, also am Fusse, verwunden. Ist aber das Eis von unten her gebrochen, so schmilzt es bald, Kollir also wird getödtet. und streckte ihn todt zu Boden. Dass er nun aber dem Vertrage nachkomme, so bestattete er ihn mit königlicher Pracht und wölbte über ihn den Hügel hoch auf mit dem grossesten Gepränge Das Grabmal, das Örwandil über Kollir errichtet, besteht aus den hochemporragenden Halmen des Getreides.. Bald nachher traf er auf Kollir's Schwester Sêla, die des Krieges kundig und geübt in den Werken der Wîkinge war, und erschlug auch diese Sêla, d. i. Seila, Kollir's Schwester, leitet ihren Namen von sîlan, seil, silum, silinn, einschneiden, furchen. Sie bezeichnet also eine Springfluth, die der Nordsturm auf das Land geschleudert hat. Sie hemmt den Landbau, ist also Örwandil's Feindin gleich ihrem Bruder und wird von ihm wie jener besiegt.. Drei Jahre verlebte er auf solchen kühnen Kriegsfahrten, die reichste und ausgesuchteste Beute aber gab er dem Könige Hrôdhrîk, damit er dessen vertrautere Freundschaft sich erwürbe. Diess gelang ihm denn auch, und der König gab ihm sogar seine Tochter Gêruta zur Gattin, welche ihm einen Sohn gebar, den er Amleth nannte Örwandil's Gemahlin heisst bei Saxo nicht Grôa, sondern Gêruta (woraus Shakespeare Gertrud gemacht hat, das besagt Speerweib). Gêruta steht für Geirwita, und bedeutet die des Speeres kundige. Sie passt unter diesem Namen eben so gut zu Örwandil als dessen Vater Geirwandil, und Gertrud drückt eigentlich das Gleiche aus. Sie ist also Grôa, das Wachsthum, nur in minder abstracter Fassung.– Beider Sohn heisst Amleth, altnordisch Amhlôdhi, d. i. der mit Mühe Sammelnde, Anhäufende, der unausgesetzt Thätige (ama, sich mühen; hladhan, anhäufen). War Feng der Halm oben in der Luft, der seinen Bruder unten in und an der Erde tödtete, so beraubt auch endlich Amleth, die reifende Aehre, Feng des Lebens; seine Verbindung mit Gêruta, dem Wachsthume, rettet ihn nicht, denn er selbst, der Halm, wird nothwendig dürr und zieht keinen Saft weiter ein; er stirbt ab. Er ist also dem Tode verfallen, sobald Amleth ihm Gêruta abwendig gemacht hat..

Aber Feng, sein Bruder, beneidete ihm dieses so grosse Glück und beschloss, ihn auf heimliche Weise umzubringen. Als sich ihm eine günstige Gelegenheit zum Morde darbot, genügte er denn auch mit blutiger Hand der verderblichen Begierde seines Herzens. Darauf bemächtigte er sich der Gattin des erschlagenen Bruders, und fügte diese Schmach zum Morde. Aber die Verruchtheit seiner Frevel wusste er, zugleich frech und schlau, so gut zu bedecken, dass er, indem er das grösseste Wohlwollen heuchelte und den Brudermord mit vorgespiegelter Biederkeit übertünchte, sein Verbrechen vergessen machte. Er verbreitete nämlich überall, er habe seinen Bruder nur getödtet, um Gêruta aus seiner Gewalt zu befreien, welche, obgleich sie von so sanfter und milder Gesinnung sei, dass sie keinem Menschen auch nur das geringste Uebel zufügen könne, dennoch den bittersten Hass ihres Gemahles habe erfahren müssen. Es habe seinen Zorn gereizet, da er gesehen habe, wie diese mildeste Frau, dieses Weib ohne Galle, dem Grimme ihres Gatten täglich blossgestellt gewesen sei. Fürsten finden für ihre Lügen immer Glauben, und so erreichte denn auch Feng seinen Zweck. So trug er denn kein Bedenken, das Weib seines Bruders mit blutbespritzten Armen zu umschliessen.

Als Amleth diess sah, beschloss er sich thöricht zu stellen, auf dass er nicht dem Oheime durch verständiges Benehmen verdächtig werde Der angenommene, aber nur scheinbare, Wahnsinn Amleth's hat im Mythus seinen guten Grund. Er bezeichnet die geheime, unerkennbare Reifung und Erhärtung des Kernes in der Aehre, gegen welche, eben weil Feng, der Halm, sie nicht bemerkt, erkennt, ein Widerstand auch nicht möglich ist.. Durch solche Schlauheit verbarg er nicht nur seine Gesinnung, sondern beschützte auch sein Leben. Jeden Tag gieng er voll von Schmutz in das Gemach der Mutter, warf sich darin auf den Boden nieder und besudelte Alles. Sein mit Koth bedecktes Antlitz und sein ganzes Gebahren bezeugten seinen Wahnsinn, und auch was er sprach war wahnwitzig; daneben erwies er sich zu jeder Beschäftigung träge, bei jedem Werke störrisch. Zuweilen setzte er sich an den Herd und warf mit seinen Händen die glühende Asche rings umher; ein anderes Mal machte er Haken aus Holz, sagte, dass er sie im Feuer härten wolle, und verband sodann die Enden derselben durch Klammern, auf dass sie fester zusammen hielten. Als man ihn fragte, was er da fertige, antwortete er: er fertige Geere, um den Vater zu rächen. Diese Antwort erregte kein geringes Gespötte, weil von Allen die Nichtigkeit des lächerlichen Werkes verachtet ward, obgleich diess alles seinem Vorsatze später sehr zu Hülfe kam. Diese Beschäftigung erweckte den ersten Verdacht seiner Schlauheit bei Zuschauern von tieferem Geiste; denn die Beschäftigung mit solcher, wenn auch geringfügigen Kunst bezeugte immerhin seine heimliche Gesinnung, und man konnte nicht glauben, dass der stumpfsinnig sei, der seine Hände an ein so bedachtes Kunstwerk lege. Endlich pflegte er die Menge der vorn angebrannten Stäbe mit der überlegtesten Sorge aufzubewahren. Es fanden sich also Leute, welche einen regeren Geist in ihm argwähnten und meinten, er verhülle seine Klugheit unter dem Scheine der Albernheit, und verheimliche schlau den innersten Gedanken seiner Seele. Am besten werde seine List und Schlauheit offenbar werden, wenn man ihm einmal an heimlicher Stelle ein schönes Mädchen entgegentreten lasse, welche seinen Sinn zur Liebe reize. Eine so heftige Gemüthsbewegung werde keine Schlauheit bewältigen können. Sei demnach seine Schlaffheit eine nur vorgespiegelte, so werde er bei gebotener Gelegenheit diess verrathen,

Hierauf warb Feng Leute, welche den Jüngling zu Rosse in einen entfernteren Wald führen und ihn auf diese Art versuchen sollten. Unter diesen befand sich zufällig ein Milchbruder Amlethes, aus dessen Gemüthe noch nicht die Erinnerung an die gemeinsame Erziehung gewichen war. Dieser, mehr eingedenk ihres früheren Verhältnisses als seines gegenwärtigen Auftrages, gieng nun darauf aus, Amlethen in genaue Erkenntniss seiner Lage zu setzen, nicht aber ihm eine Falle zu stellen, da er völlig überzeugt war, dass es um sein Leben geschehen sei, wenn er nur das geringste Zeichen von Besonnenheit gäbe. Aber auch Amleth selbst wusste das sehr wohl; denn als man ihn das Ross besteigen hiess, setzte er sich absichtlich so in den Sattel, dass er den Schweif des Gaules vor Augen hatte, seinen Rücken jedoch dem Halse des Pferdes zuwandte. Statt des Zaumes ergriff er sogleich den Schweif, gleich als könnte er damit den Lauf des Rosses leiten. Durch diese wohlbedachte Schlauheit verspottete er seines Oheims Erfindung und entgieng der Nachstellung. Freilich erregte der Anblick ein lautes Gelächter, als er, statt des Zaumes den Schwanz in der Hand haltend, von dannen ritt.

Als sie in den Wald gekommen waren, begegnete Amlethe in dem Gesträuche ein Wolf, und als seine Begleiter ihm sagten, das Thier sei ein Füllen, erwiderte er, dass sehr wenige solcher Füllen in der Herde Feng's dienten Die Begebenheit mit dem Wolfe gehört der Heldensage an, nicht dem Mythus. Der Wolf wie der Rabe ist das dem Ôdhin geheiligte Thier, und seine Begegnung, sein Angang, bringt den Helden Glück; er ist ein glückverheissendes Anzeichen für sie. So hören wir in der Edda im Gespräche zwischen Sigurdh und Hnikar (Ôdhin):

»Birg mir nicht, Hnikar, da du beider Zeichen weisst,
      der Asen und irdischer Männer:
Welche Zeichen sind, zieht man zum Kampfe,
      gut für Schwertes Schwingung?«
»Viel der Zeichen sind, wenn sie Fechter wüssten,
      gut für Schwertes Schwingung.
Förderlich dünkt mich die Folge des Rabens,
      des schwarzen, dem Schwertbaum (Held).--–

Das ist's dritte, wenn du duten hörest
      Wölf' unter Waldes Eschen;
Heil wirst du haben an Helmträgern,
      siehst du diese fürder fahren.
, auf solche Weise eben so gelassen als witzig des Oheims Reichthum verspottend. Als die Begleiter nun sagten, er habe eine kluge Antwort gegeben, so versicherte er, er habe das mit gutem Bedachte gesagt, auf dass er nicht auf irgend eine Weise der Lüge zu huldigen scheine Wenn Amleth sagt, dass in den Herden seines Oheims wenige solcher Thiere seien, so meint er damit, dass die Dienstmannen seines Oheims keine muthigen, kriegerischen Männer seien. Dass seine Begleiter, eben solche Dienstmannen, den Sinn seiner Worte nicht verstehn und eben deshalb sie loben, ist um so ergetzlicher.. Indem er wünschte, dass man ihn für einen Feind aller Falschheit halte, vermischte er so Schlauheit und wahre Rede, dass den Worten nicht die Wahrheit fehlte, aber auch nicht die Schlauheit durch den Ausspruch der Wahrheit beeinträchtigt ward.

Als er an den Strand des Meeres kam, fanden seine Begleiter das Steuerruder eines in Gefahr gewesenen Schiffes. Sie zeigten es ihm und sagten, sie hätten ein Messer von ungewöhnlicher Grösse gefunden. »Damit, erwiderte er, geziemt es sich einen sehr grossen Schenkel Wir sagen Meeres Arm, nicht Meeres Schenkel. zu durchschneiden«, also das Meer bezeichnend, für dessen Unermesslichkeit des Steuerruders Grösse sich schicke. Wiederum, als er an sandigen Hügeln vorüber ritt, und man ihn den Sand, gleich als ob es Getreidekörner wären, betrachten hiess, entgegnete er, dass sie von der Mühle (den Stürmen des Meeres) schon recht weiss gemahlen seien. Als seine Gefährten die Antwort lobten, versicherte er, er habe das klüglich gesagt. Bald darauf gelangten sie an den Ort, wo das Mädchen ihm entgegentreten sollte; sie verliessen ihn nun, dass er sich ihr gegenüber kühner erweise. An einem schattigen Orte trat ihm die von dem Oheim Zugeschickte, gleich als käme sie durh Zufall hieher, entgegen, und er hätte sich mit ihr eingelassen, wenn ihm nicht sein Milchbruder auf lautlose Weise die Anzeige gemacht hatte, dass ihn Nachstellung bedrohe. Erwägend, auf welche Weise er am füglichsten das Amt des heimlichen Mahners verwalten, und dem gefahrdrohenden Leichtsinn des Jünglinges zuvorkommen könne, fiel sein Blick auf einen Hahnenbart ein rothblühendes Gewächs. Die rothe Farbe zeigt ihm, dass er Blut und Leben wage., der auf der Erde lag. Er ergriff ihn sogleich, fieng eine vorbeifliegende Bremse, heftete ihr denselben unter den Bauch und trieb sie darauf nach jener Stelle hin, wo er Amlethen wusste. Dadurch erwies er dem Unvorsichtigen die grösseste Wohlthat. Nicht schlauer ward die Warnung abgesandt als empfangen. Sobald Amleth die Bremse und was sie trug erblickte, begriff er auch die stumme Warnung vor Hinterlist. Durch die drohende Gefahr erschreckt trug er das Mädchen in seinen Armen an eine ferne durch Sumpf unwegsame Gegend und erlustigte sich mit ihr. Als das Spiel gespielt war, beschwor er sie hoch und theuer, dass sie das Geschehene Allen verheimliche, und sie gelobte ihm das eben so eifrig als er bat. Die so grosse Zuneigung des Mädchens hatte Amleth hauptsächlich dem Umstande zu danken, dass beide in ihrer Kindheit die gleichen Pfleger hatten Hier erscheint Shakespeares Orphelia in etwas anderer Fassung..

Er kehrte hierauf mit den Begleitern nach Hause zurück, und Allen, die ihn fragten, ob er des Mädchens froh geworden sei, gab er den Bescheid, der Spass habe ihn höchlich vergnügt. Ferner befragt, an welchem Orte das Spiel gespielt worden sei, und welches Polsters er sich bedient habe, sagte er: er habe auf die Klaue des Lastthieres, den Kamm des Hahnes und auch auf die Felder der Decke sich gestützt Die Klaue des Lastthieres ist sein eigener Fuss. Ein Lastthier nennt er sich, weil er das Mädchen trug. Der Kamm des Hahnes bezieht sich auf den Hahnenkamm, durch welchen sein Freund ihn bewog, in den Sumpf zu gehn, dass er nicht überrascht werde. Die Felder der Decke endlich bezeichnen vielleicht die feste Stelle im Sumpfe, auf welcher er mit dem Mädchen sich niederlassen konnte. Das Mädchen ist namenlos, und somit gehört die ganze Begebenheit nicht dem Mythus, sondern nur der Heldensage an.– Amleth's Wahnsinn besteht übrigens nur darin, dass er sich sinnbildlicher Worte und Geberden bedient, welche denen, die sie nicht zu fassen, zu deuten vermögen, wahnwitzig erscheinen müssen. Diese sinnbildliche Ausdrucksart war aber in den Dichtungen der nordischen Skalden so gewöhnlich, dass sie geradezu das Wesen ihrer Poesie ausmacht. Der Norden war daran also gewöhnt, und Amleth musste schwer zu deutende Ausdrücke wählen, wenn er nicht verstanden werden wollte. Ein Beispiel von der Ausdrucksart der Skalden möge hier stehn, um so mehr als die Strophe auf Amleth Bezug nimmt. Snæbiörn singet:

Scharf, sagt man, rühren auf die neun Töchter des Inselkastens (d. i. die neun Wellenmädchen, die Töchter des Meergottes) die den Menschen grimmige Mühle der Klippen (d. i. die am Ufer brandenden Wogen) draussen am Strande der Erde; sie, welche seit langem mühlen Amhlôdhi's Mehllager (Amleth's Sandhügel). Der Zerspalter der gegliederten Ringe (der Seekönig, welcher Glieder seiner Goldkette unter die Krieger vertheilt) durchfurchet mit dem Barte der Schlange (d. i. dem Schnabel oder auch dem Steuerruder des Schiffes) die Klippen der Schiffe (d. i. die Wogen).– Diess eine Probe des sinnbildlichen Ausdruckes der Skalden, und solcher Ausdrücke bedienet sich auch Amleth, wenn er sich wahnwitzig stellet.
. (Von allen diesen Dingen hatte er, als er der Versuchung entgegen ritt, Theilchen mitgenommen, um die Lüge vermeiden zu können) Saxo hat Amleth's Antwort nicht verstanden, daher seine alberne Behauptung.. Seine Antwort erregte das laute Gelächter aller Zuhörer, obgleich er der Wahrheit auch im Scherze nicht zu nahe getreten war. Auch das Mädchen ward über diese Sache ausgeforscht; aber sie behauptete, dass nichts Unrechtes vorgefallen sei. Man schenkte der Läugnenden Glauben, und um so mehr, als auch die Begleiter behaupteten, so etwas nicht gesehen zu haben. Dann sagte auch der, der, um Amleth zu warnen, die Bremse belastet hatte, um anzudeuten, dass auf seiner List Amlethes Rettung beruhet habe, er habe sich einzig mit ihm beschäftiget. Auch war des jungen Mannes Amlethes. Antwort gar nicht uneben. Denn dass er nicht scheine das Verdienst des Warners misszuachten, sagte er, er habe gesehen, dass ein Strohträger, dem ein Stück Hahnenkamm am Hintern angeheftet gewesen wäre, mit raschen Flügeln auf ihn zugeflogen sei. Wie diese Worte die Uebrigen laut auflachen machten, so erfreuten sie den Freund Amlethes durch ihre Klugheit.

Als alles vorüber war und man das verschlossene Gemüth des Jünglings zu eröffnen verzweifelte, meinte einer der Freunde Feng's, der reicher an Einbildung denn an Erfindung war Shakespeares Polonius., das unauflösliche Gewebe seiner Schlauheit lasse durch gewöhnliche List sich nicht entwirren; seine Hartnäckigkeit sei grösser, als dass sie durch leichte Versuchungen bewältigt werden könne. Seiner vielfachen Schlauheit sei nicht mit einfacher List zu begegnen. Einen feineren Weg also habe er vermittelst seines tieferen Geistes ausfindig gemacht; er lasse sich leicht beschreiten und führe sicher zur Erforschung dessen, was man erkennen wolle. Feng solle unter Vorgabe eines wichtigen Geschäftes sich absichtlich vom Hause entfernen und Amlethen solle man dann allein mit der Mutter in ihrem Schlafgemache einschliessen, aber vorher einen Mann bestellen, welcher ohne Beider Wissen an einer heimlichen Stelle des Gemaches sich verbergen müsse und, was jene reden würden, aufmerksamst anhören. Dann würde der Sohn, wenn er in der That bei Verstande wäre, vor den Ohren der Mutter diess nicht verheimlichen und sich nicht fürchten der mütterlichen Treue sich anzuvertrauen. Um so eifriger bot er sich selbst zum Späher an, als er nicht nur der Erfinder des Anschlages, sondern auch dessen Ausführer zu sein wünschte. Feng ward durch dieses Erbot sehr erfreut und begab sich sogleich auf die Reise. Der Schlaukopf aber, der den Rath gegeben hatte, gieng heimlich in das Gemach, worin Amleth mit der Mutter eingeschlossen werden sollte, und verbarg sich unter einer Decke. Aber Amlethe fehlte es nicht an einem Gegenmittel, um die Nachstellung unwirksam zu machen. Aus Furcht nämlich, dass ein irgendwo Verborgener ihn hören könne, durchlief er zuerst das Gemach nach Art der Wahnwitzigen, krähte wie ein Hahn Der Hahn ist in den Mythen Vertreter der Wachsamkeit. Amleth geberdet sich also wie ein Hahn, um anzudeuten, dass er wachsam sei. und schwang seine Arme, als ob sie Flügel wären. Auf die Decke springend suchte er durch häufige Tritte in Erfahrung zu bringen, ob Jemand unter derselben verborgen sei. Als nun seine Füsse auf den Verborgenen trafen , durchstach er sofort die Decke mit dem Schwerte und brachte dann den aus dem Verstecke Hervorgezogenen um. Den Leib zerschnitt er in Stücke, sott diese in siedendem Wasser und gab sie den Schweinen zum Frasse, indem er sie durch die Oeffnung des Abtrittes hinabwarf und mit den unglücklichen Gliedern den Mist bestreute. Als er so die Hinterlist unschädlich gemacht hatte, kehrte er in das Gemach zurück. Wie nun die Mutter mit grossem Schmerze des gegenwärtigen Sohnes Unverstand zu beweinen begann, hub er also an: »Warum trachtest du, sagte er, schandvollste der Frauen, das so schwere Verbrechen durch geheuchelte Klage zu bedecken, du, die du, nach Art unzüchtiger Weiber, eine frevelhafte und verabseheuungswürdige Ehe schlossest und den Mörder deines Gatten an den blutschänderischen Busen drücktest? die du mit schimpflichen Liebkosungen den umarmest, der den Vater deines Sohnes umgebracht hat? So verbinden sich nur die Stuten mit den Besiegern ihrer Gatten; nur Thiere werden hin und wieder zu solchen Verbindungen hingerissen; solches Beispiel hat ohne Zweifel die Erinnerung an den ersten Gemahl in dir getilget. Ich aber, nicht ohne Grund spiele ich den Wahnwitzigen, da sicherlich der, der den Bruder umbrachte, mit gleicher Grausamkeit auch gegen andere Verwandte aufzutreten geneigt ist. Darum ist es für mich besser für einen Narren als für einen verständigen Menschen gehalten zu werden und Sicherheit durch Wahnsinn zu erhandeln. Im Herzen aber lebt mir der Drang den Vater zu rächen; ich harre jedoch auf Gelegenheit, ich erwarte die dazu günstige Zeit. Du enthalt dich also der Thränen über meinen Wahnsinn; mit grösserem Fuge beweinest du deine Schmach. Schweig übrigens, vergiss das ja nicht!« Durch seinen Vorwurf verletzte er zwar seine Mutter, rief sie aber dadurch auf die Bahn der Tugend zurück und bewog sie ihre frühere Liebe der gegenwärtigen Verlockung vorzuziehen.

Als Feng heimgekehrt war, und den hinterlistigen Späher nirgends sah, forschte er Tag und Nacht nach ihm; Alle aber sagten, sie hätten ihn nicht gesehen. Auch Amleth ward gefragt, ob er keine Spur von ihm entdeckt hätte. Er sei, antwortete er, auf den Abtritt gegangen, durch die Oeffnung hinuntergefallen und kothbedeckt von den herbeikommenden Schweinen gefressen worden. Obgleich diese Antwort die Wahrheit ausdrückte, ward sie doch, weil sie thöricht schien, von den Hörern verspottet.

Feng aber fasste immer stärkeren Verdacht, dass sein Stiefsohn ihn höchst schlau trüge, und beschloss ihn aus dem Wege zu räumen. Da er jedoch nicht wagte diess selbst zu thun, weil er dessen Grossvater Hrôdhrîk und auch seine Gattin zu beleidigen sich scheute, so übertrug er diess Geschäft dem Könige der Britten; so konnte er, sich fremder Hand bedienend, den Schein der Unschuld bewahren. Er fand es rathsamer, durch die Bethätigung seines Grimmes seinen Freund in Schande zu stürzen, als die Schmach auf sich selbst zu nehmen. Bei der Abreise trägt Amleth der Mutter heimlich auf, dass sie die Halle mit gewobenen Netzen ausrüste und nach Jahresfrist sein Todtenmahl zum Schein feiere, und verheisset zu derselben Zeit seine Heimkehr. Mit ihm treten zween Vertraute Feng's die Fahrt an, welche einen Stab, in den Runen eingeschnitten waren, mit sich führten; sie enthielten das Gesuch an den König der Britten, den ihm zugesandten Jüngling zu tödten. Während sie nun schliefen, durchsuchte Amleth ihre Reisetaschen, und fand dabei den Holzstab. Als er den Auftrag gelesen hatte, schabte er die eingeschnittenen Runen hinweg und schnitt andere ein, wodurch er seinen Tod in den Tod seiner Begleiter umwandelte Die Begebenheit mit dem Umschneiden der Runen gehört in die Heldensage, nicht in den Mythus. Ein ähnliches Umschneiden eines Runenstabes wird im grönländischen Liede von Atli Str. 4 erwähnt. Vgl. noch Wölsungasaga Cap. 42. Gudrun hatte geschnitten: »Kommet nicht zu Atli, denn er wird euer Tödter sein.« Wingi schnitt um: er tilgte das nicht, d. h. das an komidh angehängte a, und veränderte bani (Tödter) in bati (Vortheil). Nun hiess es: »Kommet zu Atli, denn es wird euer Vortheil sein.«– Solches Schneiden und Umschneiden der Runen wird in den nordischen Sagen vielfach erwähnt.. Damit noch nicht zufrieden, das Verderben von sich auf Andere abgeleitet zu haben, fügte er in Feng's Namen die Bitte hinzu, dass der König dem klugen ihm zugesandten Jünglinge seine Tochter zur Gattin gebe.

Sobald sie nach Britannien kommen, gehn die Gesandten zum Könige und überreichen ihm den Holzstab, und ziehen damit den eignen Tod sich zu, indem sie einen Andern zu tödten wähnen. Der König verschwieg was er gelesen hatte und nahm sie alle gastfreundlich auf. Amleth verschmähte die königliche Tafel trotz aller der Pracht und Fülle, die sie bot, gleich als wären es gemeine Speisen, und trank eben so wenig als er ass. Alle wunderten sich über des fremden Jünglinges Enthaltsamkeit. Als das Mahl beendet war, sandte der König die Gastfreunde zur Ruhe, zugleich aber schickte er heimlich einen Mann in ihr Gemach, der ihre nächtlichen Gespräche belauschen und ihm darüber Bericht erstatten sollte. Als Amleth nun von seinen Gefährten gefragt ward, warum er sich am Abende aller Speisen und aller Getränke enthalten, gleich als ob sie Gift enthalten hätten, antwortete er: das Brot sei mit Blut befleckt gewesen, der Trank habe nach Eisen geschmeckt, das Fleisch habe wie menschlicher Leichnam gerochen, sein Duft sei Leichendunst gewesen. Er fügte hinzu, der König habe die Augen eines Knechtes, die Königin habe durch drei Dinge der Mägde Art kund gegeben Diese ganze Geschichte gehört wiederum der Heldensage, nicht dem Mythus an. Amleth will nur sagen, dass der König verrätherische Absichten gegen sie habe; er will nicht, dass sie ungewarnt ihrem Schicksale erliegen sollen. Die folgende Erklärung, die Amleth's Worte als wahr erweisen soll, dürfte ein späterer Zusatz sein. Es ist alles überaus gesucht, und von allem dem konnte Amleth nichts wissen.. Die Gefährten begannen, indem sie ihm seinen Wahnwitz vorrückten, mit übermüthigem Spotte über ihn herzufallen, weil er, was zu billigen sei, schelte, das Geziemende tadle, den würdigen König und die sehr gesittete Königin durch Schandreden beschimpfe; die alles Lob verdienten, hätte er auf das schmählichste getadelt.

Als der König alles diess von seinem Vertrauten vernommen hatte, meinte er, wer solche Reden führe, müsse entweder klüger denn andere Menschen oder wahnsinnig sein. Er liess sogleich den Hausverwalter holen und fragte ihn, woher er das Brot bezogen habe? Der Verwalter nannte den Hausbäcker. Dieser befragt, wo das Korn zu dem Brote gewachsen sei, bezeichnete ein altes mit den Gebeinen der Erschlagenen bedecktes Schlachtfeld als den Ort. Dieses Feld sei im Frühlinge mit Korn besäet worden, weil man es für ergiebiger gehalten habe als alle anderen Aecker. Er wisse nicht, ob das Brot etwa daher einen Beigeschmack habe. Nachdem der König diess vernommen hatte, wähnte er, Amleth habe die Wahrheit gesagt; er erkundigte sich also, woher das Fleisch gebracht worden sei. Er vernahm, dass die Schweine, weil der Züchter nachlässig gewesen, ausgebrochen seien und den faulenden Leichnam eines Diebes verzehrt hätten; daher möge vielleicht der sonderbare Duft ihes Fleisches kommen. Da sich also auch hier Amleth's Aussage als Wahrheit erwies, fragte der König, aus welchen Stoffen man den Trank gemischt habe. Man nannte ihm Dinkel Dinkel ist Spelt, Amelkorn. und Wasser, und nun erfährt er, dass der Graber des Brunnens bei diesem Geschäfte in der Tiefe alte rostige Schwerter gefunden habe, und daher möge der Eisengeschmack kommen. Der König hatte nun erfahren, woher der Geschmack und Duft der Speisen und des Trankes rühre; er erinnerte sich darauf, dass von Amleth auch seine Augen bescholten worden seien. Er erkannte, dass ein solcher Vorwurf seiner Abstammung Schande brächte, gieng zu seiner Mutter und fragte sie heimlich, wer sein Vater wäre. Sie nannte den verstorbenen König, ihren Gatten; als er aber drohte, durch die Folter ihr die Wahrheit zu entreissen Die Folter (pîning, pinting) zur Erforschung der Wahrheit war im Norden nicht ungebräuchlich, doch wurden ihr meist nur Unfreie unterworfen., gestund sie, dass er der Sohn eines Knechtes sei. Wie ihn seine Schmach erröthen machte, so ergetzte ihn die Klugheit Amleth's, und er fragte ihn, weshalb er die Königin, die Sitten einer Magd kundgegeben zu haben, beschuldigt habe. Er habe drei Gebräuche der Mägde an ihr bemerkt, entgegnete ihm Amleth; zum ersten habe sie nach Art der Mägde ihr Haupt mit dem Mantel bedeckt; zum andern, sie habe zum Gange das Kleid aufgeschürzet; zum dritten habe sie Theilchen der Speisen, die ihr zwischen die Zähne gekommen seien, mit einem Stocher herausgewühlt und die herausgewühlten gegessen. Da sagte der König, dass ihre Mutter als Heergefangene in Dienstbarkeit gerathen sei, damit seine Gattin mehr durch ihre Sitten als durch ihre Herkunft sich als Magd erwiesen haben möchte Heergefangene Jungfrauen edler Herkunft wurden oft, obgleich sie durch die Heergefangenschaft eigentlich die Freiheit verloren hatten, von den Siegern zu Gattinnen erwählt. Ein geschichtliches Beispiel giebt die bekannte Hrôdhmund (verwälscht: Rosamunda), die Tochter des Gepidenköniges Kunimund, die vom Tödter ihres Vaters, dem Langobardenkönige Alboin, dessen Heergefangene sie gewesen war, geheirathet ward. Die drei Merkmale, an welchen Amleth die Niedriggeborene erkannte, sind übrigens richtig angegeben; denn Frauen edler Herkunft und hohen Standes trugen 1) weisse Schleier auf dem Haupte und verhüllten dasselbe nie mit dem Mantel; ebenso ist 2) das Aufschürzen des Kleides das Zeichen einer Magd, die, um rascher gehn zu können, diess thut, während edle Frauen in langen Gewändern langsamwürdig einherschritten. Von dem dritten Merkmale versteht es sich von selbst, dass eine edle Frau in Gesellschaft so etwas niemals thut..

Der König bewunderte Amleth's Scharfsinn und vermählte ihm seine Tochter Die Tochter des selbst namenlosen Brittenköniges bleibt gleichfalls unbenannt; ein Beweis, dass sie nicht zum alten Mythus gehört, ebensowenig als ihr Vater. Beide gehören nur der Heldensage an.; seine Begleiter aber liess er am folgenden Tage aufhenken, auf dass er dem Gesuche seines Freundes genüge. Diese Handlung des Königes, obgleich sie ihm wohlgefiel, nahm Amleth scheinbar doch als Beleidigung auf und empfieng deshalb von jenem Gold zur Sühne, welches er bald darauf mit Feuer schmolz und heimlich in zwei hohle Stöcke goss.

Als er ein Jahr beim Könige geweilt hatte, nahm er Urlaub und kehrte in sein Vaterland zurück, von allen Reichthümern desselben nichts mit sich nehmend als die mit Gold gefüllten Stöcke. Als er nach Jütland kam, stellte er sich wiederum wahnwitzig. Mit Schmutze bedeckt trat er in das Gemach, in welchem seine Todtenfeier begangen ward, und jagte allen den grössesten Schrecken ein, weil das Gerücht, wie man nun sah, seinen Tod fälschlich verbreitet hatte. Zuletzt gieng der Schreck in Gelächter über, indem die Mahlgenossen einander spottend vorwarfen, dass sie dessen Leichbegängniss feierten, der lebend mitten unter ihnen stünde. Als man ihn fragte, wo seine beiden Begleiter wären, zeigte er die Stöcke, die er in der Hand trug, und sagte: »Hier ist der eine und hier der andere.« Dieses Wort, obgleich es von den meisten für thöricht gehalten ward, verläugnete dennoch nicht die Wahrheit, indem es auf das Wergeld der Getödteten hindeutete Amleth hatte durch sein listiges Benehmen vom Brittenkönige in der That das Wergeld für die beiden gehenkten Begleiter empfangen, offenbar weil der König nicht das schimpfliche Bekenntniss machen wollte, er habe die beiden in Folge eines Gesuches von Feng tödten lassen; lieber zahlte er die gesetzliche Busse für die Ermordeten, das Wergeld.. Darauf gesellte er sich den Schenken, auf dass er der Zechgenossen Heiterkeit steigere, und pflegte seines Amtes mit grössestem Eifer. Dass aber das weite Gewand ihn nicht im Gange hindere, umgürtete er sich mit dem Schwerte, das er zuweilen mit Absicht zog und sich endlich mit der Spitze desselben die Finger verwundete. Deshalb sorgten denn die Umstehenden dafür, dass durch Schwert und Scheide ein eiserner Nagel getrieben ward. Und dass er zur Ausführung seiner Absicht um so sicherer gelangen könne, trank er den Edelen unausgesetzt zu und nöthigte sie zu endlosen Trünken. Er überfüllte sie so mit Weine, dass ihre Füsse durch die Trunkenheit alle Kraft verloren, die Hofmänner in der Königshalle selbst zum Schlafe sich niederlegten und die gleiche Stelle zum Gelage und zum Lager nahmen.

Als er nun sah, dass er alle in seiner Gewalt hatte, gieng er die früher zubereiteten Haken herbeizuholen, warf noch einen Blick auf die am Boden liegenden Trunkenen, welche die Ueberfülle ihrer Magen auf das deutlichste kund gaben, und liess dann die von der Mutter gewobenen Decken, welche die inneren Wände der Halle schmückten, auf den Boden nieder, indem er die Bänder, die sie oben hielten, durchschnitt. Jetzt breitete er sie über die schnarchenden sorgfältig hin, verband sie mit Hülfe seiner Haken zu einer so unlösbaren Umschlingung, dass keiner der darunter liegenden, und wenn er auch die gewaltigsten Anstrengungen machte, sich zu erheben vermochte. Hierauf zündete er das Gebäude an, verbreitete die Lohe überall hin, so dass die ganze Halle hell aufloderte, und verbrannte mit ihr die sämmtlichen Häuptlinge, die theils in tiefem Schlafe lagen, theils aufzustehn vergebens sich abmüheten. Sofort gieng er in Feng's Schlafgemach, der früher dahin von seinen Dienern abgeführt worden war, ergriff dessen Schwert, das am Bette hieng, und hieng dafür seines an den Nagel Hiermit ist zu vergleichen die Ermordung Alboin's auf Anstiftung seiner Gemahlin Hrôdhmund. Alboin konnte seines Schwertes nicht handhaft werden, weil es Hrôdhmund am Bette festgebunden hatte, Feng nicht, weil Amleth sein eigenes, durch einen Nagel in der Scheide befestigtes Schwert für dasselbe hingehängt hatte. Beide hatten also nur scheinbar das Mittel zur Verteidigung. Uebrigens gehört die Art und Weise der Tödtung Feng's sicher nur der Heldensage an; im alten Mythus hat Amleth Feng wohl einfach mit den Andern verbrannt.. Hierauf weckte er den Oheim, sagte ihm, dass seine Häuptlinge das Feuer fresse, Amleth sei da, um für die Ermordung seines Vaters die gebührende Rache zu nehmen. Bei diesen Worten sprang Feng von dem Lager, und da er, des eigenen Schwertes beraubt, das fremde nicht aus der Scheide bringen konnte, ward er sofort erschlagen. So hatte Amleth nicht nur sich selbst durch Umsicht und Schlauheit erhalten, sondern auch die Ermordung seines Vaters wacker gerächt. Man weiss nicht, ob man mehr seine Tapferkeit oder seine Schlauheit bewundern soll.

Nachdem die Rache also vollzogen war, wusste Amleth nicht, wie das Volk seine That aufnehmen würde. Er beschloss daher sich zu verbergen, bis er erkannt habe, wohin das Volk sich wenden werde. Als nun die Nachbarschaft, welche den nächtlichen Brand gesehen hatte, am Frühmorgen herbeikam, um die Ursache des Brandes zu erforschen, erblickte sie den zu einem Aschenhaufen gewordenen Königsbau. Sie durchsuchte die noch rauchenden Trümmer, fand aber nichts als die verunstalteten Leiber der Verbrannten. Auch Feng's schwertdurchbohrter Leib ward unter blutigen Gewändern entdeckt. Einige zeigten offenen Zorn, andere Trauer, noch andere heimliche Freude. Die einen beklagten den Tod des Fürsten, die andern freuten sich, dass der Herschaft des Brudermörders ein Ende gemacht sei. Die Meinung der Anwesenden über das Ereigniss war also eine getheilte.

Da das Volk ruhig blieb, gab Amleth sein Versteck auf, trat hervor, erzählte seine That und gab die Gründe derselben an. Lange und eindringlich sprach er zum Volke Saxo hat diese Rede, ein Meisterstück seiner mönchischen Rhetorik, das einige Seiten mit Floskeln füllt, mitgetheilt, wie sich bei ihm von selbst versteht. Ich lasse sie billig weg., und gewann Aller Herzen. Als er geendet hatte, ward er durch allgemeinen Zuruf als König begrüsst. Man setzte die grösseste Hoffnung auf ihn, der ein so grosses Unternehmen mit so grosser Schlauheit durchgeführt hatte.

Da nun Jütland völlig beruhigt war, rüstete Amleth drei Schiffe auf das prächtigste aus und gieng damit nach Britannien, um seinen Schwäher zu sehen und seine Gattin heim zu führen. Zum Geleite hatte er eine Schaar tüchtiger Jünglinge erwählt, schön von Gestalt und strahlend in kostbarem Gewande: denn wie er einst alles in dürftiger Haltung gethan hatte, so liess er jetzt überall die grösseste Pracht zu Tage treten. So hatte er auch auf dem Schilde, den er führen wollte, alle seine bisher vollbrachten Thaten durch einen guten Meister in bunten Farben kunstreich darstellen lassen Folgt bei Saxo nun die eine Seite füllende Beschreibung des Schildes., und sein Gefolge trug mit Gold bezogene Schilde, wodurch es um so mehr glänzte.

Der König der Britten nahm alle auf das freundlichste auf und bewirthete sie königlich. Während des Mahles fragte er sehr angelegentlich, ob Feng lebe und sich ungetrübten Glückes erfreue. Er vernahm darauf von seinem Schwiegersohne, dass Feng durch das Schwert umgekommen sei. Da der König nun durch gehäufte Fragen sich eifrigst nach seinem Tödter erkundigte, so sagte ihm Amleth, dass derselbe ihn getödtet habe, der ihm seinen Tod melde. Als er diess gehört hatte, schwieg er und blickte starr vor sich hin; denn es fiel ihm ein, dass er nun diesen Tod zu rächen habe, weil er und Feng einander einst gelobt hatten, dass der eine des anderen Rächer sein wolle. So zog den König dahin die Liebe zu seiner Tochter und die Neigung zu seinem Schwiegersohne; dorthin die Treue gegen den Freund, die Fessel des Eides und das Band des gegenseitigen Gelübdes, das unter keiner Bedingung verletzt werden durfte. Endlich überwog die beschworene Treue gegen den Freund die Liebe zu seinem Verwandten, und er war entschlossen, der Pflicht des Rächers Genüge zu leisten. Aber weil es verruchter Frevel war das Gastrecht zu verletzen, so wünschte er sich fremder Hand zur Rache zu bedienen. So verbarg er denn seine Rachgier hinter Dienstbeflissenheit, und seinen Eifer zu schaden bedeckte er mit geheucheltem Wohlwollen.

Weil seine Gattin vor kurzem gestorben war, bat er Amlethen, ihm eine neue Gemahlin zu holen und Brautwerber zu sein; nie werde er ihm diesen Dienst vergessen. Ueber die Schotten, sagte er ihm, hersche eine Jungfrau, deren Hand er zu erlangen wünsche. Aber er wusste nicht nur, dass sie Jungfrau bleiben wollte, sondern auch, dass sie aus Uebermuth allen Freiern das Leben nahm. Noch jeder hatte seine Werbung mit seinem Haupte bezahlt Die schottische Königin hält es also wie Brunhild im Nibelungenliede: sie lässt jeden tödten, der um sie wirbt ohne ihrer würdig zu sein..

Obgleich also diess Geschäft ein gefährliches war, wollte sich Amleth doch dem Amte nicht entziehen und er gieng nach Schottland, gefolgt von seinen Mannen und auch von Dienern des Königes; zugleich hatte ihm der König einen Runenstab gegeben, der seine Werbung kund that. Unfern dem Hause der Königin, dicht an der Strasse, lag ein schöner Anger, und Amleth beschloss, angezogen von der Lieblichkeit des Ortes, hier auszuruhen und auch den Rossen die nöthige Erholung zu gewähren. Da ihm das Gemurmel des sanft dahinrauschenden Baches Lust zum Schlummer erweckte, so stellte er in der Ferne Wachen auf, welche den Ort decken sollten. Als man diess der Königin hinterbracht hatte, sandte sie zehen Jünglinge aus, um die fremden Ankömmlinge auszuspähen. Einem derselben, der schlaueren Geistes war, gelang es, die Wachen zu täuschen und sich des Schildes, den Amleth unter sein Haupt gelegt hatte, zu bemächtigen. Er zog ihn mit solcher Leichtigkeit an sich, dass er weder des darauf schlummernden Ruhe störte, noch einen der zahlreichen Begleiter aus dem Schlafe erweckte. Auch den Runenstab an die Königin nahm er mit gleicher Gewandtheit aus dem Kästchen, welches denselben barg, und so konnte er seiner Herrin die genaueste Nachricht über die Ankömmlinge geben. Aus den Bildern des ihr überbrachten Schildes entnahm die Königin, dass der Fremde sich mit grössester Schlauheit an seinem Feinde gerächt habe. Als sie nun den Runenstab genauer betrachtete, und erkannte, dass er eine Werbung um sie selbst enthalte, tilgte sie aus Abneigung gegen den alten König alle Runen, und schnitt andere darauf, durch welche der König für den Ueberbringer des Stabes ihre Hand erbat; endlich fügte sie noch eine Erwähnung der Thaten hinzu, welche auf dem Schilde abgebildet waren, so dass der Schild als Zeuge für den Runenstab, der Runenstab als Erklärer des Schildes gelten konnte. Darauf befahl sie dem Späher Schild und Stab an ihren Ort zurückzutragen. Sie hatte sich also gegen Amleth derselben List bedient, die er einst wider seine Begleiter auf der Fahrt nach Britannien angewandt hatte.

Inzwischen war Amleth erwacht und hatte sofort seinen Schild vermisst; aber er schloss sogleich seine Augen wieder, und zwar mit Absicht: er hoffte, was er im wahren Schlafe verloren hatte, durch den vorgespiegelten wieder zu gewinnen. Der gewandte Dieb, dachte er, werde gewiss wiederkommen, da ihm seine erste Unternehmung so schön geglückt sei. Seine Hoffnung trog ihn nicht. Der Späher kam; als er aber Schild und Stab an die alte Stelle legen wollte, sprang Amleth auf, und band den ergriffenen mit einem Stricke. Hierauf weckte er seine Begleiter und gieng mit ihnen zum Hause der Königin. Er begrüsste sie im Namen seines Schwähers und übergab ihr den Runenstab Die Werbung Amleth's um die schottische Königin ähnelt der Werbung Sigfrid's um Brunhild für Gunther..

Als Ermuntrud, so hiess die Königin, den Stab gelesen hatte, lobte sie Amleth's That und Eifer. Feng sei, liess sie sich vernehmen, mit Recht bestraft worden: Amleth habe die Rache so umsichtig und auf so scharfsinnige Weise vollzogen, dass es alle menschlichen Begriffe übersteige. Er habe nicht nur seines Vaters Tod gerächt, sondern auch seiner Mutter schmachvolle Ehe gelöst, und zwar mit einer Klugheit und Bedachtsamkeit, die Niemand zu durchdringen vermocht habe. Auch Feng's Reich, obgleich er früher die häufigsten Nachstellungen daselbst erduldet habe, sei durch die glänzenden Thaten seiner Rechtschaffenheit ihm gewonnen worden. Daher wundere es sie, dass ein so bedachter Mann durch eine so unbedachte Ehe sich selbst verringert habe, da seine Gattin unfreier Herkunft sei. Die Eltern derselben seien die Kinder einer Magd und eines Knechtes; diese Schmach werde dadurch nicht getilgt, dass das Glück sie zu königlichen Ehren erhoben habe. Der Verständige müsse bei Schliessung einer Ehe nicht auf Schönheit, sondern auf edle Herkunft sehen. Wenn er also sich seinem Stande gemäss vermählen wolle, so habe er auf Adel zu achten, nicht durch Schönheit sich blenden zu lassen. Diese sei nur ein Mittel zur Verlockung, und Vieler Glanz habe sie verdunkelt durch ihre eitele Schminke. Es lebe eine Jungfrau, ihm gleich an Adel, die er zur Gattin nehmen könne, eine Jungfrau, die er weder durch königlichen Reichthum noch durch den Glanz der Ahnen überrage. Sie sei eine Königin, und wem sie ihre Hand gebe, dem gebe sie damit auch ihr Reich. Es sei nichts geringes, dass sie sich selbst anbiete, sie, die früher jede Werbung mit dem Tode bestraft habe. Er möge also seinen Wunsch auf sie richten und den Adel der Schönheit vorziehen. Nach diesen Worten umarmte sie ihn Der Name Ermuntrûd ist ein gut deutscher, kein schottischer. Er drückt etwa grosse Frau, Welt- oder Erdfrau aus; in der That ein schicklicher Name für die Gattin Amleth's. Was sie übrigens hinsichtlich des Adels der zu wählenden Braut sagt, das alles stimmt zu den altgermanischen Ansichten, nach welchen sich nur Leute gleichen Standes ohne Minderung ihrer und ihrer Kinder Rechte mit einander vermählen konnten. Uebrigens müssen sehr frühe germanische Bewohner in Schottland und Irland Sitze genommen haben, da sie deutsche und skandinavische Sagen dort kennen. Ich erinnere nur an Wolfram's Parcival und an die Gudrun..

Durch diese freundlichen Worte erfreut, küsste er die Jungfrau und schloss sie in seine Arme. Ihm sei, erwiderte er ihr, erwünscht, was ihr genehm sei. Es ward darauf also ein Gastmahl veranstaltet, die Freunde und Magen wurden entboten, die Vermählung vollzogen. Nach einigen Tagen kehrte er mit seiner Gemahlin nach Britannien zurück, aber begleitet von einem mächtigen Heere der Schotten, das ihn vor allen Nachstellungen sichern sollte. Da kam ihm seine andere Gattin, die Tochter des Brittenköniges, entgegen. Obgleich sie nun darüber sich beklagte, dass sie durch die Annahme einer Kebse Die Kebsen, Nebenfrauen, waren im Alterthum weder so verachtet noch so verächtlich wie in neuerer Zeit. Ich erinnere nur an die Frauen Karls des Grossen und an den zwiefach beweibten Grafen von Gleichen. gekränkt worden sei, so erklärte sie es doch für unwürdig, dem Hasse des Kebsenthumes den Vorrang einzuräumen vor der ehelichen Liebe, und sie wolle sich nicht so feindlich ihrem Gatten erweisen, dass sie ihm die verrätherischen Nachstellungen, die er zu befürchten habe, verheimliche. Sie habe ja einen Bürgen ihrer Ehe, einen Sohn; die Rücksicht auf diesen werde der Mutter die Liebe des Gatten bewahren. »Er selbst, fuhr sie fort, hat das Nebenweib seiner Mutter gehasst, meines will ich also lieben. Meine Neigung zu dir soll kein Ungemach schwächen, keine Missgunst vertilgen. Ich will vielmehr das Unheil, das dir bereitet wird, entdecken und die Nachstellungen, von denen ich Kunde habe, dir enthüllen. Hüte dich also vor deinem Schwäher, da du den Gewinn der Gesandtschaft für dich selbst genommen hast.« Durch diese Rede zeigte sie sich mehr ihrem Gatten als ihrem Vater zugethan.

Während sie dieses sprach, näherte sich der König der Britten, umarmte seinen Schwiegersohn um so eifriger, je weniger es herzlich gemeint war, gab ihm zu Ehren ein Gastmahl, und verbarg unter dem Scheine freundlicher Gesinnung seinen verrätherischen Vorsatz. Amleth erkannte die Hinterlist, verbarg jedoch alle Furcht, nahm zweihundert Reiter zum Gefolge, bedeckte seine Brünne mit einem Hofkleide und wollte lieber der verrätherischen Einladung des Königes Folge geben als ihr widerstreben. In allen Dingen, meinte er, müsse man der Ehre gemäss handeln. Als er bald darauf heranritt, hätte ihn der König unter der Wölbung des zweifliegelig geöffneten Thores mit dem Wurfgeere durchbohrt, wenn nicht die Festigkeit seiner Brünne das Eisen abgehalten hätte. Amleth empfieng nur eine leichte Wunde und zog sich an den Ort zurück, wo er die schottischen Jünglinge, um zuzuwarten, aufgestellt hatte. Hierauf sandte er den früheren Späher seiner neuen Gattin an den König, auf dass er durch das Bekenntniss, er habe den für seine Herrin bestimmten Runenstab diebischer Weise aus dem Behälter entwendet, die Schuld auf Ermuntrûd wälze und ihn selbst durch die offene Darlegung der Sache von dem Vorwurfe des Verrathes befreie. Der König aber wollte nichts hören, vielmehr verfolgte er den samt seinen Begleitern eiligst fliehenden Boten und beraubte ihn eines grossen Theiles der Mannschaft, so dass Amleth, als er am nächsten Tage sein Leben durch Kampf zu vertheidigen hatte, an seiner Macht zum Widerstande verzweifelte. Um also seinem Heere den Anschein einer grösseren Stärke zu geben, richtete er die Leichname seiner erschlagenen Gefährten theils an Pfählen auf Vergleiche oben die Sage von Gram, S. 4., theils lehnte er sie an benachbarte Felsen, wieder andere setzte er nach Art Lebender auf Rosse So ward bekanntlich auch mit der Leiche Cid's verfahren., jeden in seinen Waffen, gleich als ob er sein Heer hier in eine Schlachtreihe, dort in einen Keil geordnet hätte. Nicht geringer an Zahl war die Schaar der Todten als der Haufen der Lebenden. Diese Anordnung brachte ihrem Urheber Nutzen, da schon die Gestalten der Todten unter den Strahlen der Sonne den Schein eines gewaltigen Heeres gewährten. Die Britten erschraken bei diesem Anblicke, sie flohen statt zu kämpfen und wurden von denselben als Todten besiegt, die sie als Lebende überwunden hatten. Der König, der langsamer als die Uebrigen floh, ward von den nachdringenden Dänen erschlagen. Amleth nahm als Sieger grosse Beute, indem er Britannien plünderte, und kehrte mit seinen beiden Frauen in seine Heimat zurück Alles diess, was zwischen Amleth und seiner ersten Gattin und dem Brittenkönige vorgeht, gehört der Heldensage, nicht dem Mythus an..

Inzwischen hatte nach Hrôdhrîk's Tode Wîglet die Herschaft erlangt und Amleth's Mutter nicht nur auf das muthwilligste bedrängt, sondern auch ihrer Güter beraubt, unter der Vorgabe, ihr Sohn habe zum Nachtheile der Hleidhrakönige Der Dänenkönige, die ihren Sitz zu Hleidhra hatten., denen das Recht zustehe, die Würden zu verleihen und zurückzunehmen, sich Jütlands bemächtigt. Amleth nahm für jetzt diess alles mit so grosser Gelassenheit auf, dass er Wîgleten sogar mit der glänzendsten Beute seines Sieges beschenkte und so die Beleidigung durch Wohlthat erwiderte. Später jedoch, als sich Gelegenheit zur Ahndung darbot, überzog er ihn mit Kriege und besiegte ihn. So ward er ihm aus einem heimlichen Gegner ein offener Feind. Fiallir, den Verwalter von Skâney Schoonen., trieb er in's Elend Elend (Alilendi) ist Fremdland., und es geht die Sage, er habe sich an einen unserem Volke unbekannten Ort, Namens Undensacker, zurückgezogen Das letzte Stück, das Amleth's Tod berichtet, leidet an Dunkelheit der Namen, und es bleibt zweifelhaft, ob es Mythus oder nur Heldensage ist. Wîglet wäre entweder der durch Kampf verletzende oder der zum Kampfe träge. Fiallir kann Pelzträger und Bergbewohner (Riese) ausdrücken. Aus Undensacker weiss ich auch nicht viel zu machen. Yndisacker wäre Acker, Feld der Wonne; Unnsakr, Ôdhin's Acker, da Unnr ein Beiname Ôdhin's ist. Sich nach Undensacker zurückziehen könnte also so viel als sterben ausdrücken. Am einfachsten aber nimmt man wohl an, Undensacker sei verderbt aus Ûdâinsakr, Ôdâinsakr, Land der Unsterblichkeit, Paradies: vgl. darüber Lex. mythol. pag. 566.

Ohne Zweifel hat der letzte Theil des Mythus, worin Amleth zumeist als Handelnder auftritt, durch die Umgestaltung in Heldensage, so reich diese nun auch an sich sein mag, besonders gelitten. Hier fehlt es an der durchsichtigen Klarheit, welche den ersten Theil, der von Örwandil und Feng handelt, auszeichnet.

Eine von der Örwandilssage Saxo's ganz und gar abweichende Fassung des alten Mythus enthält das altdeutsche Gedicht von Orendel, König von Trier. Darüber das Nähere in meinen Herbstabenden und Winternächten Bd. I, S. 160.
. Später ward Amleth von Wîglet, der sich durch die Mannschaft Skâneys und Seelands verstärkt hatte, durch Gesandte zum Kampfe herausgefordert. Er schwankte, was er thun solle. Er wusste, nähme er die Forderung an, so drohe seinem Leben Gefahr; lehne er sie ab, so sei sein Kriegerruhm gemindert. Doch die Begierde, diesen ungeschmälert zu bewahren, überwog, und das Verlangen nach Ruhm tilgte in ihm die Furcht vor dem Tode. Aber die Liebe zur Ermuntrûd nahm ihn so gewaltig ein, dass ihm ihr künftiger Witwenstand mehr Sorgen machte als sein eigener Tod, so dass er eifrigst hin und her sann, wie er sie vor dem Beginne des Krieges anderweitig zu vermählen vermöge.

Deshalb gelobte Ermuntrûd, die männlicher Muth zu beseelen schien, dass sie auch im Kampfe nicht von seiner Seite weichen werde; denn jede Frau sei verächtlich, die sich scheue, mit ihrem Gatten durch den Tod sich zu vereinigen. Dieses edle Gelübde brach sie jedoch schmählich; denn da Amleth in Jütland von Wîglet in der Schlacht erschlagen ward, ergab sie sich freiwillig dem Sieger als Beute und ehlichte ihn.–

Diess war das Ende Amleth's. Noch jetzt zeiget man in Jütland seinen Grabhügel, und ein Feld daselbst trägt seinen Namen. Wîglet herschte eine lange Zeit friedlich, bis ihn endlich eine Krankheit hinweg raffte.


Erläuterungen als Fußnoten bzw. Anmerkungen eingepflegt. Re


 << zurück weiter >>