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Am nächsten Morgen war Staatsrat. Der König setzte die Lage der Dinge auseinander. Er verschwieg nichts von dem Unglück. Er hätte es eher noch größer gemacht, als es war, wenn dies möglich gewesen wäre. Der Admiral Caracciolo wurde in seiner Eigenschaft als Kommandant der Seemacht mit zu dieser Beratung zugezogen. Da man vom Meere her nichts zu fürchten hatte, weil die Engländer den Hafen bewachten, so fragte er, ob man ihm erlaube, die Seesoldaten in ein Korps von tausend bis zwölfhundert Mann zu vereinigen, sich an ihre Spitze zu stellen und gegen die Franzosen zu ziehen. Wenn er sich der Pässe in den Abruzzen bemächtigte, ehe der Hauptteil der neapolitanischen Armee dahin gelangte, so konnte er ihrer weitern Flucht ein Hindernis in den Weg legen und die Flüchtlinge mit Gewalt wieder sammeln.
Wie groß auch die Zahl der Soldaten sein mochte, die man in den verschiedenen Kämpfen gegen die Franzosen verloren, so mußte doch die neapolitanische Armee immer noch wenigstens viermal stärker sein, als die, vor welcher sie floh. Der König nahm dieses Anerbieten nicht an. Er zweifelte an der Ergebenheit Caracciolos, und argwöhnte, daß er die Truppen nur organisieren wolle, um sich dann mit ihnen den Patrioten anzuschließen.
Caracciolo ward durch diesen Verdacht, den er nicht verdiente, verletzt, und erklärte, indem er sich noch vor Schluß der Beratung zurückzog, daß er sich auf sein Schiff begebe, wo er die Befehle des Königs erwarte. Ehe er an Bord seines Schiffes zurückkehrte, ließ er sich jedoch bei der Königin melden. Bei der Königin war auch ein Kabinettsrat versammelt, nur bestand dieser aus der Königin, Nelson, Sir William und mir. Seit dem Tage vorher hatte die Königin mit dem General-Kapitän ihre Flucht und die ihrer Familie beschlossen. Sie zögerte, Caracciolo zu empfangen, Sir William aber bestimmte sie dazu. Die Königin faßte mich beim Arm, denn sie wünschte, daß ich ihrer Unterredung mit dem Admiral beiwohne, ohne Zweifel, um ihm die Beharrlichkeit einer Freundschaft zu zeigen, die durch die direkten und indirekten Ratschläge, welche man gegen diese Freundschaft geben konnte, anstatt erschüttert, nur noch mehr befestigt ward. Vergebens bat ich sie, mich doch nicht einer neuen Beschimpfung von Seiten des neapolitanischen Fürsten auszusetzen. Sie erklärte mir, daß sie es so wünsche, und daß der Admiral bei dem geringsten zweideutigen Worte festgenommen werden würde. Gleich beim ersten Zusammentreffen konnte man aber leicht sehen, daß in diesem Augenblicke nichts dergleichen von Seiten Caracciolos zu fürchten sei. Nie war der Ausdruck der Ehrfurcht auf einem edlen Antlitze stärker ausgeprägt, als der, welchen wir auf dem des Fürsten lesen konnten.
»Madame,« sagte er, indem er sich verneigte, »der König hat uns soeben das Unglück der Landtruppen mitgeteilt, glücklicherweise aber ist die treue Seemacht noch unversehrt. Ich bin nicht gerufen worden, Eurer Majestät einen Rat zu geben, und doch würde ich, wenn Eure Majestät mir die Ehre erzeigten mich zu befragen, nachdem ich, wohlverstanden, bis zum letzten Augenblick ausgehalten und alles getan, um uns zu retten, den Rat geben, Ihre festländischen Staaten zu verlassen und nach Sizilien zu fliehen.«
»Dies ist auch meine Absicht, mein Herr,« sagte die Königin.
»Dann,« versetzte Caracciolo, indem er sich zum zweiten Male verneigte, »würde ich Eure Majestät inständig bitten, der ›Minerva‹ die Ehre zu erzeigen, sie zu ihrem Transportschiff zu wählen. Die ›Minerva‹ ist das beste Schiff des ganzen neapolitanischen Geschwaders, und in Anbetracht des Zustandes, in den die Schlacht bei Abukir die englische Flotte versetzt hat, könnte sie sogar in Schnelligkeit und Sicherheit mit dem Schiffe Lord Nelsons wetteifern. Wir sind jetzt in den schlechtesten Tagen für die Schiffahrt, ich kenne unsere Meere, und ich möchte fast sagen unsere Stürme. Niemand als ich könnte besser für das Wohl Eurer Majestät und Ihrer erhabenen Familie bürgen. In einigen Tagen kann die Fregatte so eingerichtet werden, daß Eure Majestät darin einen würdigen Aufenthalt findet.«
Die Königin verneigte sich zum Zeichen des Dankes.
»Es ist unnötig zu sagen,« fuhr Caracciolo fort, »daß, wenn, wie es scheint, Lady Hamilton und Sir William es für gut erachten, Eurer Majestät zu folgen, es mir eine große Ehre sein würde, sie an meinem Bord zu empfangen. Es würde dies sogar die größte sein, die mir zu Teil werden könnte, wenn ich nicht zu gleicher Zeit die hätte, Eure Majestät zu empfangen.«
Das alles wurde in einem so würdigen, edlen und ehrfurchtsvollen Tone gesagt, daß die Königin nicht widerstehen konnte. Sie hielt dem Admiral die Hand entgegen.
»Mein Herr,« sagte sie zu ihm, »an dem Tage, wo ich Sie brauche, werde ich Ihr Anerbieten nicht vergessen, und bis dahin danke ich Ihnen, es mir gemacht zu haben, in meinem und Lady Hamiltons Namen. Haben Sie mir noch etwas zu sagen, oder wünschen Sie etwas?« – »Ich habe Eurer Majestät zu sagen, daß ich Sie bitte, mich als Ihren treuesten Diener anzusehen, und daß ich Ihnen meine ehrfurchtsvolle Huldigung zu Füßen zu legen wünsche.« Und indem der Admiral von neuem die Königin und mich grüßte, ging er rückwärts bis an die Tür, indem er mit erhabenem Zartgefühl die Würde seiner eigenen Person mit der Verehrung, die er der Majestät der Königin zollte, vereinbarte. Die Königin folgte ihm mit den Augen. »Dieser Beweis von Treue und Ehrfurcht rührt mich noch mehr um deinet- als um meinetwillen,« sagt sie zu mir; »aber es würde mir ebenso lieb gewesen sein, wenn der Admiral mir ihn gar nicht gegeben hätte.«
Wir gingen wieder in das Zimmer zurück, wo wir Sir William und Lord Nelson gelassen hatten. Nelson schien ärgerlich zu sein, und da die Königin gar nicht von der Unterredung mit Caracciolo sprach und Nelson sie nicht fragen durfte, sagte er: »Madame, ich hoffe, Euer Majestät werden nicht vergessen, daß Sie sich zuerst an mich gewendet, und daß ich mich zuerst Ihnen zur Verfügung gestellt.« – »Seien Sie unbesorgt, lieber Admiral,« antwortete die Königin. – »Dann habe ich also Ihr Wort, Majestät,« sagte Nelson, »daß kein anderes Schiff, als das, welches ich kommandiere, die Ehre haben wird, Eure Majestät nach Sizilien zu bringen?« – »Sie haben es,« sagte die Königin, »aber dieses Wort bindet nur mich, Sir William und Mylady Hamilton. Was die Absichten des Königs sind, weiß ich nicht, und gedenke auch nicht, sie zu beeinflussen.« Nelson verneigte sich. »Eure Majestät wird mir also erlauben, demzufolge zu handeln?« – »Handeln Sie, und wir sind überzeugt, daß alles, was Sie tun werden, zu unserem Besten sein wird.«
»Ich bitte die Königin um Erlaubnis, zwei oder drei Briefe zu schreiben, von denen sie die Güte haben wird, Kenntnis zu nehmen,« sagte Lord Nelson. Ich machte auf einem Seitentische Feder, Tinte und Papier zurecht, und gab Mylord dann ein Zeichen, daß alles bereit sei. Nelson setzte sich an den Tisch, gab mir zu verstehen, daß ich die Zeilen, so wie sie aus seiner Feder flossen, lesen könnte, und schrieb folgende zwei Briefe:
»Ganz geheim.
Neapel, den 10. Dezember 1798.
Mein lieber Truebridge!
Die Dinge sind hier in einem sehr kritischen Zustande, und ich wünsche, daß Sie ohne Verzug zu mir stoßen, indem Sie die ›Terpsichore‹ in Livorno zurücklassen, um den Großherzog zurückzubringen. Diese Maßregel ist unumgänglich notwendig, und ich schicke Ihnen wahrscheinlich bald den Kommandanten Campbell, um diesen Dienst zu verrichten. Der König ist wieder zurück und alles geht sehr schlecht. Um Gottes willen, beeilen Sie sich! Nähern Sie sich Neapel mit der größten Vorsicht. Ich werde wahrscheinlich in Messina sein; erkundigen Sie sich aber auf alle Fälle, wenn Sie an den liparischen Inseln vorüberkommen, damit Sie wissen, ob wir in Palermo sind. Ermahnen Sie Gages, so heimlich wie möglich zu Werke zu gehen. Er möge an Wyndham schreiben und ihm die notwendigen Mitteilungen über die Lage, in der wir uns befinden, machen, damit er seinerseits mit der größten Verschwiegenheit handle. Alle vereinigen ihre Grüße mit den Ihres treuen Freundes
Horatio Nelson.«
Der zweite Brief war an Kapitän Ball gerichtet mit derselben Empfehlung: »Ganz geheim.
»Ganz geheim.
Mein lieber Ball!
Ich wünsche, daß Sie mir sogleich den ›Goliath‹ schicken und daß Sie Foley Befehl geben, außerhalb des Leuchtturmes vor Messina zu kreuzen, bis er weitere Nachrichten erhält. Es ist sehr möglich, daß er mich dort sieht, mich und andere. Die Lage dieses Landes ist höchst traurig, fast alle sind hier Verräter oder Memmen. Gott segne Sie! Halten Sie dies alles geheim, und sagen Sie Foley bloß, er solle sich Neapel nur mit der größten Vorsicht nähern. Ich habe nichts aus England erhalten. Ich bin hier mit der ›Alkmene‹ und den Portugiesen.
Das ganze Haus sagt Ihnen mit Ihrem Freunde tausend Grüße.
»Horatio Nelson.«
»Der Kutter ›Flora‹ ist verlorengegangen, und ich kann Ihnen nichts schicken. Können Sie den ›Incendiary‹ absenden? Nur aber keine neapolitanischen Schiffe! Sie sind alle Verräter in der Marine; in Summa: überall herrscht Treulosigkeit.«
Man sieht aus den Zeilen, die ich unterstrichen habe, den Haß der englischen Marine gegen die neapolitanische scharf hervortreten und die ersten Blitze von Nelsons Eifersucht gegen Caracciolo aufzucken, einer Eifersucht, die für letzteren so verderblich war. Nelson übergab mir diese beiden Briefe, die ich Sir William gab, damit er der Königin die Stellen, die ihr dunkel scheinen könnten, erkläre. Nelson schrieb gewöhnlich mit einer lakonischen Kürze, die ihn in seiner eigenen Sprache zuweilen unverständlich für seine Landsleute machte, umsomehr aber für die Ausländer. Während die Königin mit Sir Williams Hilfe die beiden Briefe, die ich soeben angeführt habe, las, saß Nelson in Gedanken versunken, indem er seine Feder zwischen den Fingern rollte und zu zögern schien, ob er noch einen dritten schreiben sollte.
Endlich entschloß er sich.
An Lord Spencer.
Neapel, den 10. Dezember 1798.
Mein lieber Lord!
Erlauben Sie, daß ich in zwei Worten Sie in Kenntnis setze von dem, was soeben vorgefallen.
Die neapolitanische Armee ist von den Franzosen gänzlich geschlagen und die Flüchtlinge werden von den Siegern bald nach Neapel zurückgeworfen werden. In diesen traurigen Umständen hat mir die Königin mein Ehrenwort abgenommen, sie nicht eher zu verlassen, als bis glücklichere Tage wiederkommen. Der König ist vergangene Nacht angelangt. Er war der Bote seines eigenen Unglücks. Er scheint so dicht verfolgt worden zu sein, daß er gezwungen gewesen ist, mit einem seiner Kammerherren die Kleider zu wechseln. Sie sehen, daß, da er zu einem solchen Rettungsmittel getrieben worden ist, die Gefahr wirklich vorhanden gewesen sein muß. Ich hoffe daher, daß die Admiralität nichts Unangemessenes darin sehen wird, daß ich bei der Königin bleibe, der ich, wie ich bereits gesagt, mein Wort gegeben habe. Helfen Sie mir durch Ihren hohen Einfluß es halten, sollte ich es selbst törichterweise gegeben haben. Sobald als wir vollständigere Nachrichten erhalten, werde ich sie Ihnen zukommen lassen.
Mit allen Gefühlen der Hochachtung zeichne ich als Ihr treuer Diener
H. Nelson.«
Diese drei Briefe boten allen Ereignissen die Spitze. Die Königin dankte Nelson dafür, und man wartete, nachdem diese ersten Maßregeln getroffen waren, mit mehr Ruhe. Der Kabinettsrat des Königs hatte keinen Entschluß gefaßt, die Sache wäre für ihn auch schwierig gewesen, denn man wußte, beim Lichte besehen, weiter nichts, als was der König selbst wußte, das heißt, daß die neapolitanische Armee geschlagen worden und auf der Flucht war. Indessen setzte man eine Proklamation auf, deren zweideutige Ausdrücke die Wahrheit der Tatsachen schlecht bemäntelten, und die sogleich an allen Straßenecken angeschlagen ward. Nur dumpfe Gerüchte von dem Ereignisse waren bis nach Neapel gedrungen, die bestimmte Nachricht von dem Unglück äußerte daher gleichsam die Wirkung einer platzenden Bombe. Was der General Mack gesagt, war vollkommen wahr. Es gab keine neapolitanische Armee mehr. Nicht als ob die Verluste, die sie auf dem Schlachtfelde erlitten, so groß gewesen wären, denn sie hatte kaum tausend Mann verloren. Da sie aber aus vollständig ungleichartigen Elementen zusammengesetzt war, so hatte sie sich beim ersten Angriff aufgelöst und war verschwunden wie Rauch. So ward ein auf törichte Weise gereizter Feind, ein Feind, den man gottlos, grausam, Entheiliger der Religion, Verfolger seiner Priester usw. nannte, durch nichts gehindert, in das Königreich einzufallen und bis nach Neapel vorzudringen.
Der König wußte dies so gut, daß er, indem er darauf verzichtete, sich mit irdischen Waffen zu verteidigen, seine Sache in Gottes Hände legte, Gebete in den Kirchen anbefahl, um den Zorn des Himmels zu besänftigen, und die wegen ihrer Beredsamkeit berühmtesten Priester und Mönche aufforderte, die Kanzeln und selbst die Ecksteine zu besteigen, um durch alle nur möglichen Mittel das Volk zu bewegen, die Hauptstadt zu verteidigen.