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Ich kann Rom nicht verlassen, ohne hier noch einige Bemerkungen über die Menschen und die Ereignisse einzuschalten. Der Vergleich, den ich zwischen unseren nordischen Sitten und denen des Südens anstellte, prägte sich meiner Erinnerung so tief ein, daß jetzt, nach dreißig Jahren, das Gemälde der Personen und der Ereignisse unter meiner Feder ebenso genau wieder zum Vorschein kommt, als wenn ich die Zeilen, die man sogleich lesen wird, auf der Durchreise in Rom im Jahre 1788 geschrieben hätte. Was mir bei meiner Ankunft in Rom zunächst auffiel, war der große Unterschied, den ich hier zwischen den Preisen aller Dinge bemerkte. Eine Mietequipage kostet in London eine Guinee den Tag, in Paris achtzehn Franks, in Rom bloß sieben oder acht Franks. Dasselbe Verhältnis findet in bezug auf die Hotels statt. In London kostet eine einigermaßen hübsche Wohnung eine Guinee täglich, in Paris fünfzehn Franks, in Rom kaum zehn Franks. Teuer ist in Rom weder der Wagen, noch die Wohnung, noch auch die Beköstigung – man speist allerdings auch ganz abscheulich – sondern nur die buona mano oder mit andern Worten das Trinkgeld. Man kann bei einem vornehmen Mann weltlichen Standes, bei einem Kardinal oder bei einem Priester keinen Besuch machen, ohne daß den nächstfolgenden Tag die Diener in corpore einem ins Haus kommen, um sich ein Geschenk zu erbitten. Der Erzbischof von Wien hatte Sir William ein Paket an den Kardinal Buoncampagno mitgegeben. Sir William, welcher keinen Grund hatte, diesen Prälaten zu sprechen, obschon derselbe der Bruder des regierenden Fürsten von Piombino war, ließ, als er durch die betreffende Straße fuhr, das Paket durch seinen Kammerdiener abgeben. Am nächstfolgenden Tage kam ein großer Bengel in der Livrée des Kardinals, um Sir William im Namen seines Herrn guten Tag zu wünschen und um ihn in seinem eigenen um eine buona mano zu bitten. Sir William antwortete, er habe dem Kardinal Buoncampagno keineswegs einen Besuch gemacht, sondern sich darauf beschränkt, ihm ein Paket zuzustellen, dessen Besorgung er aus reiner Gefälligkeit übernommen. Es käme daher eher dem Kardinal zu, Sir Williams Kammerdiener ein Trinkgeld zu geben, als Sir William dem Kammerdiener des Kardinals ein solches zu verabreichen. Der Wicht beharrte nichtsdestoweniger immer noch auf seinem Verlangen. Sir William aber ließ ihm die Tür vor der Nase zuschlagen.
Sir Williams Bankier in Rom war ein zu seltsamer Mensch, als daß ich nicht im Vorübergehen einige Worte über ihn sagen sollte. Er hieß Thomas Jenkens, war geborener Engländer und hatte anfangs die Malerei studiert. Da er jedoch bemerkt, daß er stets ein nur mittelmäßiger Künstler bleiben würde, so begnügte er sich, während er das Bankierhandwerk ausübte, ein geschickter Kenner zu bleiben, der in der Theorie alles dessen, was auf Malerei und Zeichenkunst Bezug hat, gründlich bewandert war. Dabei war er zugleich ein Archäolog, dessen Urteil in bezug auf Kameen und geschnittene Steine als beinahe unfehlbar betrachtet ward. Niemand verstand besser als er über ein Basrelief, über eine Statue oder eine Büste zu sprechen, wie beschädigt der Gegenstand auch durch sein Verweilen in der Erde oder durch das Werkzeug des Arbeiters, der es ausgegraben, sein mochte. Um sein Lob vollständig zu machen, will ich noch bemerken, daß er oft von dem Kardinal Alexander Albani – den man nicht mit dem Kardinal Francesco verwechseln darf – von dem berühmten Winkelmann, dem Verfasser der »Geschichte der Kunst bei den Alten«, und von dem berühmten Raphael Mengs, einem der besten Maler der neueren Schule, der nun seit zehn Jahren tot war, zu Rate gezogen ward. Diese Verbindung des Handels mit Statuen, Kameen und Medaillen mit den Geschäften eines Bankiers hatte Jenkens zu einem der reichsten Kapitalisten Roms gemacht.
Sir William entnahm von ihm nicht bloß das Geld, dessen er zur Fortsetzung seiner Reise bedurfte, sondern kaufte ihm auch zwei oder drei seiner schönsten Ringe und Kameen ab, die er mir zum Geschenk machte. Bei dieser Gelegenheit war ich Zeuge der Art und Weise, auf welche Jenkens verkauft, und die Erinnerung daran ist unauslöschlich in mir zurückgeblieben. Wenn der Gegenstand, den man Jenkens abkaufen wollte, eine Medaille war, so begann er damit, daß er die Geschichte des Ereignisses oder der Person erzählte, worauf sie Bezug hatte, worauf er in einer mit großem Pathos gehaltenen pomphaften Lobrede die Seltenheit und Eigentümlichkeit des betreffenden Exemplares rühmte, worauf er natürlich bemüht war; einen bedeutenden Preis zu fordern. Bezahlte man ihm dann gegen sein Erwarten den verlangten Preis, so begann er zu seufzen, Tränen zu vergießen und zu schluchzen. Ein Vater, der sich seine einzige Tochter durch einen Mann entführen sähe, welcher mit ihr zu den Antipoden ginge, könnte keinen lebhafteren Schmerz an den Tag legen. Ich war mit zugegen, als Sir William ihm die für mich bestimmten Schmucksachen abkaufte, und ich gestehe, daß ich selbst bis zu Tränen gerührt ward.
»Mylord,« sagte er zu Sir William, »wenn Sie den Handel, den Sie soeben mit mir abgeschlossen, jemals bereuen, so bringen Sie mir diese Ringe, diese Kameen, diese Medaillen wieder. Sie werden mich stets bereit finden, Ihnen den dafür gezahlten Preis zurückzuerstatten und mir dadurch obendrein einen hohen Trost bereiten.«
Das Außerordentliche hierbei ist, daß Jenkens, den man zuweilen beim Wort gehalten, niemals verfehlt hatte, das, was er versprochen, auch zu tun und das für den Gegenstand empfangene Geld ungeschmälert zurückzuerstatten, wobei er zugleich die lebhafteste Freude an den Tag gelegt, daß er sich wieder im Besitz des schmerzlich vermißten Gegenstandes sah. Mochte dies nun Berechnung oder das wahre Gefühl eines Archäologen sein, welcher, wie Cardillac, sich nicht entschließen konnte, sich von seinem Schatz zu trennen, so äußerte die Treue, womit Jenkens sein Wort hielt, auf den Käufer allemal eine beruhigende Wirkung, denn dieser glaubte nie eine Sache über ihren Wert zu bezahlen, da er ja wußte, daß er, wenn er sie dem Verkäufer wiederbrächte, dieser ihm sofort das Geld wieder herauszahlen würde. Ich bilde mir ein, daß ich die Kunst verstehe, durch meine Physiognomie die verschiedenen Empfindungen der Seele auszudrücken, aber ich gestehe, daß, wenn Jenkens, anstatt bei der Trennung von seinen Kameen und Medaillen einen aufrichtigen Schmerz zu empfinden, bloß eine eingelernte Rolle spielte, er in der Kunst des Lachens und des Weinens mich weit hinter sich zurückließ.
Wir sahen auf dieser Durchreise durch Rom – ohne jedoch nähere Bekanntschaft mit dem Manne zu machen – einen Prälaten, der früher an dem Hofe von Neapel eine so bedeutende Rolle spielte, daß ich ihn schon jetzt dem Leser vorstellen zu müssen glaube. Ich spreche nämlich von dem päpstlichen Oberschatzmeister, Monsignore Fabrizzio Ruffo.
Derselbe war der Neffe des Kardinals Ruffo, Dekan des heiligen Kollegs, welcher, wie ich schon bemerkt, den schönen Angelo Braschi veranlaßte, sich dem geistlichen Stande zu widmen. Wir müssen Pius dem Sechsten die Gerechtigkeit widerfahren lassen, zu sagen, daß er, auf den Thron des heiligen Petrus gelangt, dem Manne, der ihm den Weg dazu gebahnt, sich so dankbar verpflichtet fühlte, daß seine erste Sorge war, dem Neffen des verstorbenen Kardinals denselben Posten zu geben, welchen er, Braschi, früher von Rezzonico durch die Protektion der schönen Julia Falconieri erhalten. Er machte den jungen Fabrizzio Ruffo zum Großschatzmeister, ein Amt, welches, wie ich schon bemerkt zu haben glaube, dem, der es niederlegt, von Rechts wegen den Kardinalshut einträgt. Monsignore Ruffo galt in Rom für einen Mann von scharfem Verstand, welchem die Kunst der Folard und der Montecuculi nicht unbekannt war. Er pflegte sogar selbst zu sagen, daß, wenn er zur Zeit der Lavalette und der Richelieu gelebt hätte, er öfter den Panzer und Helm als das Barett und den Purpurmantel getragen haben würde. Großer Liebhaber des schönen Geschlechts und aus dieser seiner Neigung durchaus kein Hehl machend, gab er gegen die männlichen Sängerinnen oder die weiblichen Sänger die größte Verachtung zu erkennen. Zur Zeit unserer Durchreise machte er eifrig einer Signora Lepri den Hof, einer Verwandten jener Anna Maria, deren ungerechte Bedrückung wir erzählt. Da er sich keineswegs versteckte, so waren seine Liebschaften aller Welt bekannt, und dies verschaffte ihm die Ehre, in satirischen Versen besungen zu werden, deren Verfasser, ein Zeitungsschreiber in Florenz, mit langer Gefängnisstrafe belegt ward. Seit dem berüchtigten Pasquillanten, welcher von Sixtus dem Fünften zu den Galeeren verurteilt ward, hatte man kein Beispiel von solcher Strenge gesehen.
Da ich hier auf einen in Rom sehr bekannten Vorfall, den man anderwärts nur wenig kennt, anspiele, so ist es vielleicht nicht unangemessen, wenn ich hier, um mein Sittengemälde zu vervollständigen, eine Parenthese öffne und die Sache erzähle. Unter dem Pontifikat Sixtus des Fünften hatte ein Dichter Namens Marere einige satirische Verse geschrieben, in welchen er die Gattin eines hohen Beamten beleidigt, der sich deswegen bei dem Papst beschwerte. Dieser, ein strenger, aber gerechter Richter, ließ den Dichter rufen und befragte ihn über die Beweggründe, die er gehabt, sich so etwas zu erlauben. Nach mehreren Erklärungen, welche den Papst nicht zufriedenstellten, obschon sie diesen zuweilen bewogen, zu lächeln, fragte er, wie er eine Frau, deren Name beinahe ein Symbol der Tugend sei, öffentlich mit ihrem Namen als eine Kurtisane habe bezeichnen können.
»Hattet Ihr vielleicht Grund, Euch über sie zu beklagen?« fragte Sixtus der Fünfte. – »Nein,« antwortete der Poet, »durchaus nicht.« – »Aber warum habt Ihr sie dann verleumdet und beleidigt?« – »Ich brauchte einen Reim und ihr Name lieferte mir denselben.« – Sixtus der Fünfte biß sich auf die Lippe. »Und Ihr, Herr Poet, wie heißt Ihr?« fragte er dann. »Marere, Euer Heiligkeit zu dienen,« antwortete der Poet.
»Wohlan, die Reihe des Versmachens ist nun an mir, und da Euer Name mir ebenfalls einen Reim liefert, so werde ich auch versuchen zu reimen:
»Ihr verdienet, Signor Marere,
Zu rudern auf einer Galeere!«
Das auf diese Weise von dem Papst gesprochene Urteil ward auch wirklich in Vollzug gesetzt und auf alle Bitten, welche man zugunsten des Schuldigen bei Sixtus anbrachte, antwortete er: »Einen guten passenden Reim findet man selten; ist dies aber der Fall, so muß ein solches Ereignis auch konstatiert werden und Epoche machen.« Und Signor Marere mußte demgemäß auf den Galeeren von Civita Vecchia rudern, wo er starb und zwei Bände unveröffentlichte Gedichte hinterließ, die für die Nachwelt verloren gingen, da kein Verleger den Mut hatte, sie herauszugeben.
Am Abend unserer Abreise hatten wir, als wir das Theater verließen, da es noch ziemlich zeitig war, unsern Abschiedsbesuch bei jenem liebenswürdigen Kardinal von Bernis gemacht, welchem Voltaire den Namen »Babette das Blumenmädchen« gegeben. Wir trafen bei ihm den Grafen von Bristol, Bischof von Derry, welcher sich in derselben Absicht hier befand. »Sie verlassen also Rom auch, Mylord?« fragte ich diesen seltsamen Prälaten, dessen Originalität mich für ihn interessierte. – »Jawohl meine schöne Landsmännin, die Gnade hat mich erleuchtet.« – »Wann werden Sie abreisen?« – »Morgen.« – »Und wohin, wenn man fragen darf?« – »Das sollen Sie morgen erfahren,« – Am nächstfolgenden Tage erschien er bei uns, nachdem wir gefrühstückt, und verlangte eine Unterredung mit Sir William. Sir William ging mit ihm in ein Kabinett. Fünf Minuten später kam er wieder heraus und führte den Bischof an der Hand. »Liebe Emma,« sagte er, »Mylord behauptet, er habe sich plötzlich so sehr in dich verliebt, daß er sich von deiner teuren Person nicht trennen könne, ohne vor Sehnsucht zu sterben. Demzufolge bittet er uns um Erlaubnis, uns nach Neapel zu begleiten. Da du wahrscheinlich nicht gesonnen bist, den Tod eines unserer vornehmsten Pairs und eines der höchsten Würdenträger unserer Kirche zu verschulden, so habe ich für meine Person seine Bitte bewilligt, und er erwartet nur noch deine Zustimmung, um der stolzeste aller Menschen und der glücklichste aller Bischöfe zu sein.« Da die zweiundsiebzig Jahre des Lord-Bischofs mir keine große Furcht einflößten, so glaubte ich nicht, mich wegen einer so unschuldigen Bitte mit Sir William Hamilton in Widerspruch setzen zu müssen. Ich reichte dem Lord die Hand, welche er mit dem Ausdrucke der lebhaftesten Freude küßte, und wir kamen überein, daß er von diesem Augenblicke als mein Cavaliere servente oder dienender Ritter der englischen Gesandtschaft attachiert sein sollte.