Alexander Dumas
Lady Hamilton
Alexander Dumas

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38. Kapitel.

Abends um sieben Uhr kam Sir William an. Als er von der Jagd zurückgekehrt, hatte er mich abgereist gefunden und obschon der König ihn mit eigenem Munde zur Tafel geladen, Caserta verlassen, nachdem er dem König sagen lassen, daß ein unerwarteter Umstand ihn nötigte, nach Neapel zurückzukehren. Sir William ahnte, was geschehen sei. Ich brauchte ihm bloß die Einzelheiten zu erzählen. Ich muss ihm die Gerechtigkeit widerfahren lassen, zu sagen, daß er sich durch diesen Schimpf noch tiefer verletzt fühlte als ich. Er erbot sich, mit mir noch diesen selben Abend Neapel zu verlassen, ohne auch nur Abschied zu nehmen. Dies aber hätte zurückweichen, dies hätte das Feld räumen, dies hätte die Niederlage eingestehen heißen. Das war es aber nicht, was ich wollte. Ich wollte siegen. Ich wollte vorgestellt sein, ich wollte am Hofe empfangen werden, wie dies als Gattin des Gesandten von England mein Recht war. Ich wollte auch hier die Erfolge haben, die ich überall gehabt, wo ich sie gewollt hatte, ich wollte mich endlich an dieser insolenten Königin rächen, indem ich ihre Höflinge selbst zwang zu sagen, daß ich nicht bloß schöner, sondern auch intelligenter und geistreicher wäre als sie. Ich bestand daher darauf, daß Sir William von dem König selbst eine Erklärung in bezug auf das verächtliche Benehmen der Königin verlangte. Wenn ich heute bedenke, zu welcher hochmütigen Verblendung mein unerwartetes Glück mich verleitet, so erstaune ich über meine Kühnheit selbst.

Sir William zögerte keinen Augenblick, meinem Willen nachzugeben. Er hegte für mich eine so wahnsinnige Anbetung, daß er über das Benehmen der Königin gegen mich ebenso erstaunt zu sein schien, als ich es war.

Er reiste wieder nach Caserta, begab sich sofort zum König, brachte die Frage offen zur Sprache und gab ihm zu verstehen, daß sein künftiges Verweilen von der Art und Weise abhängen würde, auf welche man sich gegen mich benähme. Der König liebte Sir William sehr, nicht um Sir Williams, sondern um seiner selbst willen. Dieser durch und durch egoistische Fürst war einmal so. Lord Hamilton war ein guter Fußgänger, ein guter Jäger, ein guter Reiter, ein geistreicher und heiterer Gesellschafter. Seit vielen Jahren war der König an seine Nähe gewöhnt, und diese würde ihm gefehlt haben. Übrigens begann der politische Horizont sich im Westen auch zu trüben. Der König von Neapel begriff, so wenig er auch in den Geschäften bewandert war, sehr wohl, daß Sir William, der Milchbruder des Königs von England, der Jugendgespiele Georgs des Dritten, ihm im Falle eines wahrscheinlichen Bruches mit Frankreich bei dem Kabinett von St. James eine mächtige Stütze sein konnte. Er nahm daher die ihm gemachte Eröffnung mit vollkommener Freundlichkeit auf und mit jenem gutmütigen Ton, der bei ihm zuweilen natürlich, zuweilen erheuchelt, aber in dem gegenwärtigen Falle so gut gespielt war, daß man das Spiel unmöglich bemerken konnte, sagte er: »Mein lieber Lord, wissen Sie, welches Gerücht hier umläuft?« – »Nein, ich hoffe aber, daß Ew. Majestät mir die Gnade erzeigen will, es mir mitzuteilen.« – »Nun,« fuhr der König fort, »das Gerücht behauptet, Sie wären nicht gesetzlich vermählt.«

Sir William hatte dies vorausgesehen. Er zog aus seiner Tasche das Zertifikat des protestantischen Geistlichen und überreichte es dann dem König. »Hier, Sire,« sagte er, »ist meine Antwort.« Der König las das Zertifikat und drehte es mit einer gewissen Verlegenheit mehrmals herum. »Ich sage Ihnen,« fuhr er dann fort, »nichts Neues, wenn ich bemerke, daß man in Neapel sehr boshaft ist. Wollten Sie auch dieses Zertifikat an allen Ecken anschlagen lassen und ich durch ein Edikt den Einwohnern befehlen, ihm Glauben beizumessen, so wäre man doch noch imstande, daran zu zweifeln, während wenn Ihre Vermählung am Hofe anerkannt wäre, wenn Sie Lady Hamilton dem König Georg dem Dritten vorgestellt hätten – was Ihnen bei dem Fuße, auf welchem Sie mit ihm stehen, sehr leicht sein müßte – man unmöglich länger leugnen könnte. Wie kommt es, daß Sie nicht daran gedacht haben?« Sir William betrachtete den König mit seinem durchdringendsten Blick, aber es war ihm unmöglich, die Maske zu durchschauen. Ferdinand verstand sich auf ein gewisses gutmütiges Mienenspiel, welches ihn, den schlauen und verschmitzten, als den naivsten aller Menschen erscheinen ließ. »Es ist gut, Sire,« antwortete Sir William. »Sie geben mir einen Urlaub, nicht wahr?« – »Ja, aber nur ungern, denn ich möchte nicht, daß ein so vortrefflicher Gesellschafter wie Sie mich auch nur auf einen einzigen Tag verließe. Wenn Sie es aber, besonders um einer so wichtigen Angelegenheit willen und um Ihrer Vermählung Anerkennung zu verschaffen, wünschen, so sehen Sie wohl ein, daß ich mich nicht weigern kann.« – »Dann brauche ich also bloß nach London zu schreiben, damit meine Ankunft nicht allzu sehr überrasche.« – »Warten Sie! Auch diesen Aufenthalt kann ich Ihnen ersparen.« – »Eure Majestät würden mir dadurch einen großen Dienst leisten.« – »Wohlan, die Briefe, die ich von meinem Schwager, dem Kaiser von Österreich, und von meinem Schwager, dem König von Frankreich, erhalte, können als so wichtig betrachtet werden, daß sie ohne Verzug Mr. Pitt mitgeteilt werden müssen. Ich sage Mr. Pitt, weil bei Ihnen es so ziemlich ist wie hier. Der König ist nichts, der Premierminister dagegen alles, sonst würde ich sagen, dem König Georg dem Dritten. Wohlan, ich werde Ihnen die Urschriften dieser Briefe anvertrauen und Ihnen einen eigenhändigen Brief an meinen Bruder, den König von Großbritannien, mitgeben. Indem Sie auf diese Weise die Mission, womit ich Sie bei ihm beauftrage, vollziehen, werden Sie zugleich Ihre eigenen Angelegenheiten besorgen.«

Besser konnte Sir William es sich nicht wünschen. Er empfing sofort die Briefe, welche er dem König von England und dessen Minister mitteilen sollte, und noch denselben Abend reisten wir auf einem leichten Schiffe der königlichen Marine, welches zu unserer Verfügung gestellt worden, nach Livorno ab. Auf der Durchreise durch Florenz sollte Sir William einen Brief an den Großherzog Leopold abgeben. Von Florenz aus sollten wir unsere Reise mit Postpferden weiter fortsetzen, während die königliche Felucke in Livorno unsere Rückkehr erwartete. Es war als ob die Witterung mit unseren ungeduldigen Wünschen übereinstimmte. Wir hatten fortwährend günstigen Wind und machten die Überfahrt in drei Tagen. Sir William vollzog seinen Auftrag bei dem Großherzog Leopold, den er über die Wendung, welche die Dinge in Frankreich nahmen, sehr unruhig fand. Alles ging hier einer nahen Revolution entgegen, und die ersten Ereignisse des Jahres 1789, bei welchem wir angelangt waren, verrieten, daß diese Revolution eine sehr ernste sein, und in der ganzen übrigen Welt ihren Widerhall finden würde. Er konnte daher Sir Williams Reise nach London und den anscheinenden Zweck, welchen dieselbe hatte, nur billigen. Er war auch nicht ohne Besorgnis wegen seines Bruders Joseph des Zweiten, Kaisers von Deutschland, dessen Gesundheit immer unsicherer und schwächer ward. »Wir werden sehen,« sagte er, »wie unser Schwager Ferdinand der Vierte sich aus dieser ganzen Sache ziehen wird; er, welcher behauptet, er sei so glücklich, in seinen ganzen Staaten auch nicht einen einzigen Philosophen zu ernähren.« Auf alle Fälle war er der Meinung, daß der Kaiser von Österreich, der König von Neapel, der Papst und sämtliche Fürsten Italiens ein Schutz- und Trutzbündnis schließen und eine Art Sanitätscordon ziehen müßten, damit die revolutionären Ideen nicht die Alpen überschritten.

Wir verließen Florenz mit der Post und kamen über den St. Gotthard in der Schweiz und den Niederlanden an, wo wir uns nach England einschifften. Wir kamen in London gerade zehn Monate nach dem Tage an, wo wir es verlassen, und stiegen in unserem Hotel in Fleetstreet ab. Noch an demselben Tage ward Sir William von dem Könige empfangen. Ich erwartete seine Rückkunft mit einer gewissen Aufregung und Unruhe. Mit meiner Wiederankunft in London war ich, sozusagen, wieder in mein vergangenes Leben eingetreten, und sah mich wieder dem Elend und der Schmach meiner ersten Jahre gegenüber. Dem König konnte irgendein Bedenken beigehen, und wenn man Sir William meine Vorstellung verweigerte, so fiel ich trotzdem, daß ich Lady Hamilton war, tiefer als je der Fall gewesen. Freudestrahlend kam Sir William wieder nach Hause. Meine öffentliche Vorstellung sollte nächstfolgenden Montag stattfinden. Der König hatte keinerlei Schwierigkeit gemacht, sondern sich gegen seinen Freund Hamilton liebenswürdiger und freundlicher gezeigt als je. Noch denselben Tag sprach Sir William den Wunsch aus, ein von Romney, der noch immer für den ersten Maler galt, gefertigtes Porträt von mir mit nach Neapel zu nehmen. Es war unmöglich, daß Sir William mein früheres Verhältnis zu Romney nicht kannte. Er war aber so wenig mein Gatte, daß es mir ganz erklärlich war, wenn er in bezug auf den großen Künstler keine Eifersucht an den Tag legte. Wir verabredeten, denselben den nächstfolgenden Morgen in seinem Atelier in Cavendish Square zu überraschen. Ich war der Courtoisie Romneys zu sicher, als daß ich nötig gehabt hätte, ihn durch einen Brief aufzufordern, in mir nur Lady Hamilton zu sehen, ja im sichern Besitz der Gewalt, welche ich über Sir William ausübte, machte ich mir ein Fest aus der Überraschung, welche mein unerwartetes Erscheinen dem berühmten Maler bereiten würde.

Da Sir William mein Porträt im Kostüm einer Odaliske zu besitzen wünschte, so legte ich meine prachtvolle türkische Kleidung an und wir stiegen in den geschlossenen Wagen, der uns nach Cavendish Square brachte, wohin wir von Sir Williams Hotel nur eine kurze Strecke zurückzulegen hatten. Ich kannte das Haus und es hatte, wie ich nicht anders sagen kann, einige meiner guten Erinnerungen bewahrt. Ohne Romney jemals in der eigentlichen Bedeutung des Wortes geliebt zu haben, war ich ihm doch sehr zugetan gewesen, und sein Andenken taucht in meinem Geiste nie auf, ohne von dem Lächeln meiner Lippen begleitet zu sein. Er hatte immer noch denselben Kammerdiener. Dieser erkannte mich. Ich gab ihm einen Wink und deutete mit dem Auge auf meinen Gatten, der mir folgte.

Er bewies mir, daß er mich verstanden, indem er mich fragte, ob er Sir William oder Lady Hamilton anmelden sollte. Ich antwortete verneinend, indem ich erklärte, wir stünden im Begriff, seinem Herrn einen Freundschaftsbesuch, aber keine Staatsvisite zu machen und daß wir uns deshalb selbst anmelden würden. Der Diener trat auf die Seite und ließ uns passieren.

Wir traten in Romneys Hotel. Sämtliche vier Weltteile waren in Kontribution gesetzt worden, um diesen prachtvollen Tempel der Kunst zu schmücken, Trophäen vereinigten die schönsten Waffen wilder und zivilisierter Völker, die Pfeile des Indianers von Florida und die Kandschars Asiens, die Tigerfelle Bengaliens, die Löwenhäupter des Atlas, die Felle des sibirischen Bären und des persischen Panthers lagen über die Möbel gebreitet und bedeckten den Fußboden oder die Wände, deren obere Felder mit den wunderbaren Skizzen des Meisters, den wir zu besuchen kamen, geschmückt waren.

Kurz, es gab in diesem umfangreichen Raum keine Stelle, wo das Auge ruhen konnte, ohne auf einen Gegenstand zu fallen, der in materieller oder künstlerischer Beziehung von hohem Werte war. Romney war eben im Begriff, die letzte Hand an eine Erigone zu legen, welche sich mit einem Tiger auf einem Blumenteppich wälzte. Die Erigone hatte eine entfernte Ähnlichkeit mit einer gewissen Emma Lyonna, eine Ähnlichkeit, welche bewies, daß diese Emma Lyonna noch nicht vollständig aus der Erinnerung des Malers entschwunden war.

Bei dem Geräusch der Tür drehte er sich nicht herum. Ohne Zweifel glaubte er, es sei bloß sein Diener, der etwas zu ordnen oder aufzuräumen habe. Ich berührte ihn mit der Hand an der Schulter. Nun drehte er sich um, erkannte mich, stieß einen Schrei aus, stand, als er meinen Gemahl erblickte, auf, verneigte sich vor mir und sagte: »Noch schöner als früher. Ich hätte es nicht für möglich gehalten.« Dann wendete er sich zu Sir William und fuhr fort: »Empfangen Sie meine Komplimente, Mylord, und sagen Sie mir schnell, ob ich das Glück haben kann, Ihnen einen Dienst zu leisten.«

Und mit wunderbarer Courtoisie, gerade als ob er mich zum erstenmal sähe, führte er uns in seinem Atelier herum. Sir William sagte ihm, was er wünschte, – ein Porträt von mir in dem Kostüm, welches ich eben trug. Romney machte hocherfreut sofort eine große Leinwand zurecht und skizzierte seine ganze Komposition.

Wir verabredeten, daß ich alle Tage wiederkäme, um zu sitzen, und Romney versprach nach Ablauf von acht Tagen mit dem Porträt fertig zu sein. Am nächstfolgenden Tage führte Sir William mich ebenfalls nach Cavendish Square. Da er aber mehrere Geschäfte zu besorgen hatte, so ließ er mich bloß absteigen, setzte sich dann wieder in den Wagen und versprach mich in zwei Stunden abzuholen. Während dieser zwei Stunden war Romney so diskret, kein Wort zu sagen und keine Anspielung zu machen, welche an unser früheres vertrautes Verhältnis hätte erinnern können.

Er sprach mit mir von Rom und Neapel, hörte ganz besonders mich darüber sprechen und versprach uns dort einen Besuch zu machen.

Ich gestehe, daß ich mich durch eine solche Delikatesse fast verletzt fühlte. Ich begriff dieselbe, aber sie schnürte mir das Herz zusammen. Das Weib will, wenn sie auch vergißt, doch nicht vergessen werden. Sir William kam etwas später wieder, als er gesagt, so daß das Porträt dadurch gewann. Er hatte Mr. Pitt gesprochen, ihm die Briefe von der Königin Marie Antoinette und von dem Kaiser Joseph dem Zweiten gezeigt und mit ihm eine lange Unterredung über die Angelegenheiten des Kontinents gehabt. In Frankreich standen die Dinge äußerst schlecht. Kälte und Hungersnot schienen sich verschworen zu haben, um aus den Franzosen eben so viel wütende Teufel zu machen. Man sprach von Einberufung der Generalstaaten auf den 4. April. Mr. Pitt betrachtete diesen Zeitpunkt schon jetzt als den Anfang der Revolution. Sir William hatte Vollmacht erhalten, um in Neapel die Angelegenheiten Englands zu führen, wie ihm gut dünkte, natürlich immer mit gebührender Rücksicht auf die Ehre und die Interessen Großbritanniens. In Romneys Gegenwart sagte er von diesem allem nichts, sondern erzählte es bloß mir auf dem Rückwege nach unserem Hotel.


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