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Einige Tage nach dem königlichen Empfange Nelsons verließ Bürger Garat Neapel mit dem ganzen Personal der französischen Gesandtschaft unter dem Vorwande, soeben zum Mitglied des Rates der Fünfhundert ernannt worden zu sein. Aber zum großen Erstaunen aller verschluckte Frankreich die Beleidigung, anstatt die Gelegenheit zu ergreifen, Neapel den Krieg zu erklären, und schickte an Stelle des Bürgers Garat den Bürger Lacombe Saint-Michel. Diese erheuchelte Gleichgültigkeit gegen eine solche Beschimpfung bewies, daß Frankreich nicht imstande war, Krieg zu führen, und verdoppelte nur noch die Kühnheit der Königin. Durch Opfer aller Art war es dem Königreich Neapel gelungen, eine Armee von fünfundsechzigtausend Mann zu besitzen, während alle Berichte in der Aussage übereinstimmten, daß die Franzosen in Rom nicht mehr als zehntausend Mann hatten, und daß es diesen Zehntausend an Brot, Kleidung und Schuhwerk fehlte, daß sie seit drei Monaten keine Löhnung erhalten, daß sie als ganze Artillerie nur neun Stück Kanonen ohne Pulvervorrat, und im ganzen nur hundertachtzigtausend Stück Patronen besaßen. Der König und die Königin stimmten in ihrem Haß gegen die Franzosen überein, nur wollte der König, ehe er letztere angriff, warten, bis der Kaiser von Österreich sie angriffe, und der Kaiser wollte den Krieg nur mit den vierzigtausend Mann Russen, die ihm der Zar Paul versprochen, beginnen. Die Königin dagegen wollte die Franzosen angreifen, ohne einen Augenblick zu verlieren. Mit ihren fünfundsechzigtausend Mann war sie sicher, die römischen Staaten wieder zu erobern, und war einmal Rom zurückerobert, so würden sich, meinte sie, auch alle anderen Völkerschaften Italiens, die, wie sie glaubte, mit Ungeduld das Joch der Franzosen trugen, empören und sie von der Halbinsel jagen. Unter diesen Umständen ward ich von der Königin mit einer geheimen Botschaft an Nelson beauftragt. – Nelson war, wie die Königin, für sofortigen Beginn des Krieges. Es handelte sich darum, ihn dahin zu bringen, an Sir William oder mich einen angeblich vertraulichen Brief zu schreiben, welchen Sir William dem König mitteilen sollte. Nelson, ein braver Soldat, war ein mittelmäßiger Politiker und ein noch mittelmäßigerer Briefschreiber. Die vierzig oder fünfzig Briefe, die er mir in seinem Leben geschrieben, glänzen mehr durch ihre Freimütigkeit als durch den Stil. Nelson willigte ein, den Brief zu schreiben, aber unter der Bedingung, daß man ihm eine Abschrift gebe, und daß er derselben nur zu folgen brauche. Das war gerade, was die Königin, wenn sie es gewagt hätte, verlangt haben würde. Der Entwurf dieses Briefes wurde verfaßt von dem Generalkapitän Acton, Sir William Hamilton und der Königin. Ich übergab ihn Nelson, und den nächsten Morgen erhielt ich folgenden an mich adressierten Brief, der nichts anderes als eine Abschrift des Briefes war, den, wie ich gesagt, das Triumfeminavirat, welches Neapel regierte, verfaßt hatte.
»Neapel, den 3. Oktober 1798.
Geehrte Frau! Die Teilnahme, welche Sie und Sir William immer für die Interessen des Königreiches beider Sizilien und für die Herrscher, welche es regieren, gezeigt, hat sich mir seit fünf Jahren bewiesen, und ich kann es wirklich sagen, daß ich meinerseits bei allen Gelegenheiten, die sich geboten haben, und es sind deren viele gewesen, nie verfehlt habe, meine Liebe für das Wohl dieses Landes zu offenbaren. Auf Grund dieser Zuneigung kann ich nicht mehr ein gleichgültiger Zuschauer dessen bleiben, was sich ereignet hat und was jetzt in dem Königreiche beider Sizilien vorgeht; auch kann ich das Unglück, welches über das Königreich hereinbrechen wird, nicht mitansehen. Ohne ein Mann der Politik zu sein, sehe ich doch, daß dieses Unglück hereinbrechen wird und zwar durch die schlechteste aller Politik, durch die Politik des Abwartens. Seit meiner Ankunft in diesen Wassern habe ich erkannt, daß die Sizilianer ein biederes, ihren Herrschern treues Volk sind, und daß sie den größten Widerwillen gegen die Franzosen und deren Grundsätze haben. Seit ich in Neapel bin, beweisen mir alle Berichte, die mir zu Ohren kommen, und alle Erfahrungen, die ich mache, daß das neapolitanische Volk darnach strebt, Krieg mit den Franzosen zu beginnen, welche, wie jeder weiß, eine Armee von Banditen zusammenziehen, um diese Gegenden zu verwüsten und die Monarchie zu stürzen. Da ich diese Überzeugung habe und weiß, daß Seine sizilische Majestät ihrerseits eine Armee besitzt, die bereit ist, ins Feld zu rücken, und zwar in einem Lande, welches, wie man mir bestätigt, Verlangen trägt, sie aufzunehmen, was den Vorteil bieten würde, daß man, anstatt den Krieg daheim abzuwarten, ihn in eine entfernte Gegend verlegen könnte, so wundere ich mich, daß diese Armee noch nicht auf dem Wege nach Rom ist. Ich glaube, daß die Ankunft des Generals Mack die Regierung bestimmen wird, nicht einen der günstigsten Augenblicke zu verlieren, welche die Vorsehung ihr jemals zur Verfügung gestellt hat. Wenn sie wartet, bis das Königreich verheert sein wird, anstatt selbst in die römischen Staaten einzurücken, so braucht man nicht Prophet zu sein, um zu sagen, daß dieses Königreich zu Grunde gerichtet und die Monarchie gestürzt ist. Wenn der König bei seinem unglücklichen Zaudersystem beharrt, so rate ich Ihnen, sich bei der ersten schlimmen Nachricht mit allem, was Sie an wertvollen Dingen besitzen, zum Einschiffen bereit zu halten. Es wird dann an mir sein, für Ihre Sicherheit zu sorgen, ebenso wie für die unserer liebenswürdigen Königin und ihrer Familie. Inzwischen erlauben Sie mir, mich zu nennen Ihren ganz ergebenen und treuen Diener.
Horatio Nelson.«
Ein Satz dieses Briefes von Nelson muß für den Leser durch meine Schuld unverständlich sein. Ich habe vergessen zu sagen, daß die Königin ihren Neffen, den Kaiser von Österreich, um den General Mack gebeten hatte, damit dieser sich an die Spitze ihrer Armee stelle, und der Kaiser hatte ihr diesen Wunsch gewährt. Dieser Brief brachte auf Ferdinand die Wirkung hervor, die man erwartet hatte. Indessen hielt er gegen seine Gewohnheit an einem Punkte fest, nämlich gerade nur zu derselben Zeit ins Feld zu ziehen wie der Kaiser. Demzufolge kam man überein, daß der König seinem Neffen einen Brief schreiben sollte, in welchem er ihn, sozusagen, in die Enge triebe. Dieser Brief, ganz von seiner Hand, wurde mit dem Kurier Ferrari abgeschickt, dem ausdrücklich befohlen wurde, den Brief dem Kaiser selbst zu übergeben, und sofort die Antwort dem König Ferdinand zu überbringen. Aber ehe Ferrari abreiste, hatte er von der Königin zweitausend Dukaten erhalten, mit dem Gegenbefehl, auf seiner Rückkehr über Caserta zu kommen, und die Antwort anstatt dem König ihr zu überbringen. Ferrari erhielt andere zweitausend Dukaten, als er der Königin den Brief übergab. Sie versprach denselben nur zu lesen, und dann wieder in das Kuvert zu stecken. Das hieß einen sehr kleinen Verrat teuer bezahlt, und Ferrari zögerte auch gar nicht. Außerdem wußte er, daß es die Königin war, die unter dem Namen ihres Gemahls regierte, und das beruhigte ihn über die Gefahren, in welche er geraten mußte, im Fall der Verrat bekannt würde. Ferrari reiste ab; man berechnete die Zeit, die er brauchte, um seine Mission zu erfüllen. Wenn der Kaiser von Österreich mit seiner Antwort nicht zögerte, so war es ein Geschäft von elf oder zwölf Tagen.
Der General Mack kam am 8. Oktober in Caserta an, und wurde am Donnerstag bei dem König und der Königin zu Tisch geladen. Wir, Sir William und ich, empfingen eine offizielle Einladung für diesen Tag. Ihre Majestäten nahmen den General mit den größten Zeichen der Achtung auf, und die Königin sagte, indem sie ihn Nelson vorstellte: »Der General Mack ist zu Lande das, was mein Held Nelson zur See ist.« Das Kompliment war nicht schmeichelhaft und der Vergleich nicht richtig. Nelson hatte sich in Toulon, Calvi, Teneriffa, ohne entscheidende Vorteile zu erlangen, doch mit Ruhm bedeckt; bei Abukir hatte er nicht nur Heldenmut, sondern auch Genie bewiesen. Mack, im Gegenteile, war überall, wo er sich mit den Franzosen gemessen, von ihnen geschlagen worden. Trotzdem hatte er in Europa, man hat nie gewußt warum, den Ruf eines der größten Strategen dieser Epoche erlangt. Die gute Meinung, welche die andern von Mack hatten, war aber immer noch weit geringer, als die, welche Mack von sich selbst besaß. Ich habe nie größern Dünkel als den seinigen gesehen; er ließ keinen Augenblick die Voraussetzung zu, daß er geschlagen werden könnte, ja selbst nicht, daß die Franzosen Widerstand leisten könnten. Ich gestehe, daß ich eben infolge dieser maßlosen Überhebung gleich bei den ersten Worten, welche ich mit dem berühmten General auszutauschen die Ehre hatte, eine förmliche Antipathie gegen ihn faßte. Die Zeit verging und Ferrari galoppierte. Am zehnten Tage nach seiner Abreise schlug Sir William dem Könige eine Jagdpartie in Persano vor, und da Sir William und der König demgemäß auf drei Tage abwesend waren, so ließen wir, die Königin, der General Acton und ich, uns in Caserta nieder. Ferrari kam den nächsten Tag gegen sieben Uhr abends an. Er brachte den Brief vom Kaiser von Österreich.
Acton hatte nach einem Siegel von einem Briefe Franz des Zweiten ein Petschaft machen lassen, welches dem kaiserlichen glich. Von dieser Seite brauchte man also nicht unruhig zu sein. Man wollte das Siegellack weich machen und den Brief entsiegeln. Wenn er so lautete, wie man es wünschte, so wollte man ihn unversehrt wieder in das Kuvert tun und dasselbe wieder zusiegeln. Lautete er hingegen nicht so, daß er die Wünsche der Königin begünstigte, so wollte man etwas ersinnen. Der Kaiser zeigte seinem Onkel bestimmt an, daß er nicht eher ins Feld rücken würde, als bis Suwaroff und seine vierzigtausend Mann Russen angekommen wären, und er glaubte nicht, daß dies vor Monat April 1799 geschehen könnte. Deshalb forderte er Ferdinand auf, seine Ungeduld zu zügeln, und es wie er zu machen, nämlich bis dahin zu warten. Es war augenscheinlich, daß, wenn die Franzosen auf einmal von hundertfünfzigtausend Österreichern, vierzigtausend Russen und fünfundsechzigtausend Neapolitanern angegriffen würden, sie dann gezwungen sein würden, Italien zu räumen; und wer konnte – da Bonaparte und seine dreißigtausend Mann in Egypten eingeschlossen waren – sagen, wo der triumphierende Marsch der österreichisch-russischen Armee stillstehen würde?
Aller Wahrscheinlichkeit nach nicht eher als in Paris. Die Königin war jedoch eine zu hastige Spielerin, als daß sie gewartet hätte, bis die Zeit ihr so schöne Karten in die Hand geben würde, und so wurde der Plan, den sie und der Generalkapitän Acton entworfen, in Ausführung gebracht. Acton war der Sohn eines irländischen Arztes, und, wie ich bereits erwähnt habe, ein geschickter Chemiker. Mit einer Mischung, die er schon im voraus bereitet, nahm er die Tinte des Briefes weg, indem er nur noch die Unterschrift ließ. Dann schrieb er anstatt der Verweigerung, auszurücken, wenigstens in diesem Augenblicke, welche Weigerung der Kaiser so bestimmt ausgedrückt hatte, ein förmliches Versprechen, ins Feld zu ziehen, sobald Ferdinand die römische Grenze passiert haben würde. Dann wurde der Brief wieder zugemacht, mit dem Petschaft des Kaisers neu gesiegelt und Ferrari übergeben, der ihn nach Persano brachte und den Händen des Königs übergab, indem er ihm beteuerte, er sei der erste, der den Brief berühre, nachdem er ihn aus den erhabenen Händen des Kaisers erhalten. Der König, der in Gesellschaft von Sir William bei Tische saß, entsiegelte den Brief, las ihn und gab ihn Sir William mit sichtbarer Befriedigung. Mein Gatte war, wie man weiß, mit in dem Komplott, deshalb war er über diese günstige Antwort durchaus nicht erstaunt. Er wünschte nur dem König Ferdinand Glück dazu, indem er zu ihm sagte: »So sehen Sie, Sire, daß Se. Majestät der Kaiser derselben Meinung ist, wie Lord Nelson. Es ist kein Augenblick zu verlieren.« Und so wurde wirklich bestimmt, daß General Mack in die römischen Staaten einrücken sollte, und zwar ohne länger zu zögern, als es die Vorbereitungen zum Feldzug erforderten. Man stand jetzt in den ersten Tagen des November.