Alexander Dumas
Lady Hamilton
Alexander Dumas

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

27. Kapitel

Anstatt einen Wagen zu nehmen, wollte ich vollständig demütig sein und machte mich zu Fuß auf den Weg nach Fleetstreet. Charles hatte recht. Ich brauchte nach Sir William Hamiltons Hause nur zu fragen und man zeigte es mir sofort. An der Tür des Hauses angelangt, fühlte ich, wie die Füße mir zu wanken begannen. Ich stützte mich an die Mauer und versuchte ein wenig Mut zu fassen. Sir William war zu Hause. Ein Lakai fragte mich nach meinem Namen, um mich anzumelden. Ich fürchtete, daß mir, wenn ich diesen Namen nannte, der Zutritt verweigert werden könnte. »Sagt Sir William nur,« antwortete ich, »daß ihn eine junge Frau zu sprechen wünscht.« Obschon ich jetzt über vierundzwanzig Jahre alt war, so sah ich doch noch so jung aus, daß der Lakai, der mich nicht als eine junge Frau anerkennen wollte, mich als ein junges Mädchen anmeldete. Ich hörte Sir Williams Stimme, welcher sagte: »Sie soll hereinkommen.« Ich drückte die Hand aufs Herz, um das ungestüme Klopfen desselben zu beschwichtigen. Ich war nahe daran zu ersticken. Der Lakai kam zurück, öffnete mir die Tür und forderte mich auf eintzutreten. Sir William saß an einem Tisch und las die Korrektur des Werkes, welches er unter dem Titel: »Beobachtungen über den Vesuv« im Begriff stand herauszugeben. Ich blieb auf der Schwelle der Tür stehen und wartete, bis er den Kopf emporrichten würde. Er gewahrte mich, verhielt sich einen Augenblick unbeweglich und sah mich an. Dann erhob er sich, kam einen Schritt auf mich zu und fragte: »Was wollen Sie, schönes Kind?« – Die Stimme versagte mir. Ich konnte bloß einen Schritt auf ihn zugehen und dann halb ohnmächtig auf den Teppich niedersinken. Als er meine Blässe und das Zittern bemerkte, welches sich meiner bemächtigt, zog er die Klingel, um Hilfe herbeizurufen. Der Lakai trat wieder ein. »Es ist ihr unwohl geworden, du siehst das selbst,« rief Sir William. »Komm', hilf mir!« – Der Lakai half Sir William mich auf ein Sofa tragen. Bei dieser Bewegung lösten die Bänder meines Hutes sich auf und mein Haar fiel herab. Wenn ich dies absichtlich und aus Koketterie herbeigeführt hätte, so hätte es nicht besser gelingen können, denn ich besaß das schönste Haar von der Welt. »Riechsalz! Riechsalz!« befahl Sir William.

Der Lakai brachte ihm ein Flacon; er setzte sich neben mich, lehnte meinen Kopf an seine Schulter und ließ mich das Salz atmen. Ich schlug die Augen wieder auf, welche ich während der letzten Minute mehr aus Furcht denn aus Mutlosigkeit geschlossen gehalten. »Ach, Mylord,« murmelte ich, »wie gütig sind Sie!« Und mit diesen Worten ließ ich mich zu seinen Füßen niedergleiten. Er betrachtete mich mit wachsendem Erstaunen. »Sie müssen etwas Unmögliches von mir verlangen wollen, Miß, da Sie zweifeln, es zu erhalten,« sagte er. Ich ließ mein Gesicht auf die Hände niedersinken und brach in Schluchzen aus. »O Mylord, Mylord,« sagte ich, ohne den Kopf emporzurichten, »wenn Sie wüßten, wer ich bin!« – »Und wer sind Sie denn?« – »Die Person, welche Sie auf der ganzen Welt am meisten hassen, Mylord.« – »Ich hasse niemand, Miß,« sagte Sir William. – »Nun denn, welche Sie am meisten verachten.« – Er legte seine flache Hand auf meine Stirn und richtete dieselbe in die Höhe. »Emma Lyonna,« stammelte ich. – »Unmöglich!« sagte er, indem er ein wenig zurückwich, »unmöglich!« – »Warum unmöglich, Mylord?« – »Mit einem solchen Gesicht ist man keine Verlorene.« – »Ein edles Herz wie das Ihres Neffen, Mylord, würde sich auch keiner Verlorenen gewidmet haben.«

»Ist aber denn das, was man mir gesagt hat, wahr, oder ist es nur ein Gewebe von Lügen?« – »Und was hat man Ihnen gesagt, Mylord? Ich bin bereit, Ihre Fragen offen und freimütig zu beantworten. Offenheit ist in meiner Lage die erste Tugend.« – »Man hat mir gesagt, Ihre Mutter sei eine Bauernmagd und Sie selbst hätten die Schafe gehütet.« – »Das ist wahr, Mylord.« – »Dann wären Sie Rinderwärterin in einer kleinen Provinzialstadt gewesen.« – »Auch das ist wahr.« – »Dann wären Sie nach London gekommen und hätten ein Asyl bei einem wackeren Arzte, Mr. Hawarden, gefunden, der Sie als Verkäuferin in einem Bijouterieladen untergebracht. Ihre schlimmen Neigungen hätten Sie jedoch bald bewogen, diese bescheidene Stellung wieder zu verlassen.« – »Alles dies ist wahr.« – »Hier aber beginnt ohne Zweifel die Lüge. Sie werden die Geliebte des Commodore Sir John Payne, dann die des jungen Sir Harry Featherson.« – Ich machte eine einfache Kopfbewegung, welche ein Zugeständnis andeutete. »Dann steigen Sie tiefer, immer tiefer herab. Sie werden die Mitschuldige des Charlatan Graham, die Maitresse des Malers Romney, endlich die meines Neffen, dem Sie sich, wie man mir versichert, nur unter der Bedingung ergeben, daß er Sie heirate und von welchem Sie sich ein Eheversprechen unterzeichnen lassen, mit dessen Hilfe Sie ihn zwingen, Ihr Sklave zu sein.«

»Ich bitte um zehn Minuten Zeit, Mylord, um mich zu rechtfertigen,« antwortete ich. Mit diesen Worten erhob ich mich und eilte aus dem Zimmer hinaus. – »Wo gehen Sie hin,« rief Sir William, »wo gehen Sie hin?« – »Ich komme sogleich wieder, Mylord.« – Ich eilte mehr fliegend als gehend die Treppen hinunter, sprang in eine eben vorüberfahrende Droschke und rief: »Nach Cavendish Square.« – Fünf Minuten später war ich in Romneys Wohnung. Das Glück wollte, daß er zu Hause war. »Lord Greenvilles Heiratsversprechen!« rief ich ihm zu. »Geben Sie es mir, mein lieber Romney.« – »Was ist Ihnen denn, meine arme Emma? Sie sind ja ganz verstört.« – »Es ist nichts – jenes Versprechen – ich bitte Sie inständig darum. Schnell! schnell!« – Romney eilte an einen Schrank, öffnete die schon erwähnte Schatulle und gab mir Lord Greenvilles Heiratsversprechen. – »Hier,« sagte er. »Wollen Sie mich aber in bezug auf das, was Sie damit machen wollen, nicht lieber erst zu Rate ziehen?« – »In solchen Dingen, lieber Romney, zieht man bloß sein eigenes Gewissen zu Rate. Ich danke Ihnen.«

Mit diesen Worten eilte ich aus dem Zimmer hinaus, ließ mich wieder nach Sir Williams Wohnung in Fleetstreet zurückfahren, ging mit derselben Schnelligkeit wieder die Treppe hinauf und zu Sir William hinein, welcher gedankenvoll und mit großen Schritten im Zimmer auf und ab ging. Ich ließ ihm nicht Zeit, mich zu befragen, sondern hielt ihm das Heiratsversprechen seines Neffen vor die Augen. »Was ist das?« fragte er. – »Haben Sie die Güte zu lesen, Mylord.« – Er las: »Ich mache mich bei meiner Ehre verbindlich, Miß Emma Lyonna, sobald ich das Alter der Volljährigkeit erlangt haben werde, zu heiraten und will mich als Mann ohne Ehre betrachten lassen, wenn ich meinem Versprechen untreu werde. Den 1. Mai 1780. Lord Greenville

»Nun und?« sagte Sir William nachdem er gelesen. »Das Vorhandensein dieses Versprechens war mir bekannt.« – »Sie irren sich, Mylord,« antwortete ich, »es ist nicht mehr vorhanden.« Mit diesen Worten näherte ich mich dem Feuer und warf das Papier in die Flammen, welche es sofort verzehrten. – »Was machen Sie da?« fragte Sir William. – »Nun ist Ihr Neffe durch nichts mehr gebunden, Mylord,« antwortete ich. »An Ihnen ist es nun, ihn so weit zu bringen, daß er mich verlasse.« – Und ohne auf seine Stimme, die mich rief, zu antworten, verließ ich das Zimmer und kehrte nach Hause zurück.

Charles wartete mit der größten Unruhe. »Wohlan,« fragte er, als er mich mit vom Gehen und von Gemütsbewegung gerötetem Gesicht wiederkommen sah, »was ist geschehen?« Ich erzählte ihm meine Unterredung mit seinem Onkel in allen ihren Einzelheiten. »Also,« sagte er, »du hast mein Eheversprechen verbrannt?« – »Ja, Mylord, und Sie sind frei.« – »Das heißt, liebe Emma, meine schriftliche Schuld hat sich dir gegenüber in eine Ehrenschuld verwandelt, das ist der ganze Unterschied.« »Hören Sie mich an, Mylord,« sagte ich. »Überlegen Sie sich alles wohl. Sie sind bei jenem wichtigen Moment angelangt, der über ein ganzes Leben entscheidet. Wenn Sie mich verlassen, so wird nicht bloß alle Welt Ihnen recht geben, sondern von demselben Augenblick an ist auch Ihre Zukunft gesichert, Ihr Glück gemacht. Bleiben Sie dagegen hartnäckig bei mir, so wendet sich die ganze Gesellschaft von Ihnen ab und Ihr Onkel sagt sich von Ihnen los und enterbt Sie. Sie können in materieller Beziehung nicht mit mir leben, ich aber wohl ohne Sie. Sobald Sie reich sind, geben Sie mir die zehntausend Pfund, welche wir zusammen vertan haben, zurück. Sie bitten Ihren Onkel, daß er die Zukunft unserer Kinder sichere und ich lebe und unsere Kinder leben. Bleiben Sie dagegen arm, so bleibe ich mit meinen Kindern auch arm und es wird unvermeidlich ein Tag kommen, wo Sie Ihre Aufopferung bereuen und wo unsere Kinder mir ihren Untergang zum Vorwurf machen werden.«

»Genug, Emma, genug!« rief Charles, indem er mich mit seinen Armen umschlang, wie um zu verhindern, daß man mich ihm entreiße. »Es mag geschehen, was Gott will, aber keine menschliche Macht soll uns trennen.« In diesem Augenblick stieß er einen lauten Schrei aus. Die Tür des Zimmers war offen stehen geblieben. Sein Onkel, welcher die Treppe heraufgekommen war, ohne zu gestatten, daß man ihn anmeldete und ohne daß wir ihn gesehen, stand auf der Schwelle der Tür und hatte alles gehört, was wir soeben gesprochen. »Mein Onkel!« rief Charles, indem er einen Schritt zurücktrat. – »Sie sehen, Mylord,« sagte ich zu Sir William, »daß ich tue, was ich kann und daß es nicht meine Schuld ist.« – »Laß mich mit dieser jungen Frau allein,« sagte Sir William zu Charles. Letzterer verneigte sich ehrerbietig und verließ das Zimmer. Sir William Hamilton näherte sich mir und bot mir die Hand. »Ich bin zufrieden mit Ihnen,« sagte er, »und ich hoffe, daß Sie den Weg, den Sie betreten, beharrlich weiter verfolgen werden.« – »Ich bitte um Verzeihung, Mylord,« antwortete ich. »Sie sehen aber, daß ich nicht erst durch Ihre Ratschläge ermutigt zu werden brauche. Die meines Gewissens werden mir hoffentlich genügen.« – »Gut. Aber, wie Sie eben diesem jungen Toren bemerklich machten, Sie haben Kinder.« – »Dies ist etwas anderes und meine Pflicht als Mutter gebietet mir, diese unschuldigen Wesen Ihrer Güte zu empfehlen.« – »Nach dem, was ich gehört, schuldet mein Neffe Ihnen eine Summe von zehntausend Pfund Sterling.« – »Das ist wohl möglich, Mylord, aber es ist dies eine Angelegenheit zwischen Ihrem Neffen und mir.« – »Wenn mein Neffe sich dazu versteht, Sie zu verlassen, so werde ich diese Summe verdreifachen.« – »Ich treibe mit meinem Geld ebensowenig Wucher wie mit meiner Liebe.« – »Aber was wollen Sie mit zwei- bis dreihundert Pfund jährlicher Rente machen?« – »Ich werde versuchen, mit meinen Talenten und Kunstfertigkeiten etwas zu verdienen.« – »Dann wollen Sie wohl Unterricht geben?« – »Warum nicht?« – »Was für Unterricht denn?« – »Im Französischen und Italienischen.« – »Sie sprechen französisch und italienisch?« – »Ja.«

Sir William redete mich in diesen beiden Sprachen nacheinander an und ich antwortete ihm so korrekt, daß er dadurch zufriedengestellt zu werden schien. »Wie es scheint, sind Sie auch musikalisch,« fuhr er fort, »denn ich sehe hier ein Piano und eine Harfe.« – »Allerdings spiele ich diese beiden Instrumente.« – »Dürfte ich Sie wohl bitten, sich vor mir hören zu lassen?« – »Sie haben das Recht zu fordern, Mylord.« – »Nein, nein, ich fordere nicht, ich bitte nur.« – »Dann würden Sie wohl entschuldigen, wenn ich Ihnen etwas sänge, was mit dem Zustand meines Herzens in Einklang steht?« – »Singen Sie, was Ihnen beliebt. Was es auch sein möge, so werde ich es mit Vergnügen hören.«

Ich gestehe, daß in diesem Augenblick wieder ein wenig Koketterie in meinem Herzen erwachte. Da ich nicht das Gefühl erraten konnte, welches Sir William veranlaßte, alle diese Fragen an mich zu richten, so betrachtete ich dieselben nur von der gefühllosen und egoistischen Seite. Ich fand es grausam, daß er mich in einer solchen Situation aufforderte zu singen, und da ich ihm gehorchen mußte, so wollte ich wenigstens von meinem Gehorsam so viel Nutzen als möglich ziehen. Ich rief das ganze mimische Talent zu Hilfe, welches die Natur mir verliehen. Ich setzte mich, nahm die Harfe zur Hand und lehnte die Stirn daran, während mein aufgelöstes Haar auf meine Schultern herabwallte. Mit zitternder Hand entlockte ich den Saiten des Instrumentes einige Akkorde und begann dann mit leise klagender Stimme ein Lied, welches ich in unseren Gesellschaftskreisen schon oft vorgetragen und womit ich stets den nachhaltigsten Erfolg erzielt. Nachdem ich geendet, ließ ich den Kopf auf die Schulter sinken und erwartete mit verhaltenem Atem unsere Rettung oder unsere Verurteilung. »Madame,« hob Sir William, auf den mein Gesang den gewaltigsten Eindruck gemacht, endlich an, »ich begreife nun, daß mein Neffe Sie anbetet. Sagen Sie ihm, daß ich ihn bitten lasse, mich morgen zu besuchen.« – Und nachdem Sir William sich ehrerbietig vor mir verneigt, entfernte er sich. Kaum war er zur Tür hinaus, als Charles, der vom Schlafzimmer aus alles mit angesehen und angehört, in den Salon hereingestürzt kam, mich in seine Arme schloß und mit freudestrahlenden Augen und hoffnungsvollem Herzen rief: »Ich wußte es wohl, daß du uns retten würdest!«


 << zurück weiter >>