Alexander Dumas
Lady Hamilton
Alexander Dumas

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52. Kapitel.

Obschon die Königin ihren Kutscher auf dieselbe Weise zur Eile ermahnte, wie Sir William den seinigen, so kam dieser doch, da Sir William die besten Pferde in Neapel, selbst die des Königs nicht ausgenommen, hatte, zwanzig Minuten vor uns an. Die Folge davon war, daß die Königin bei ihrem Eintritt in den Palast den Ministerrat versammelt fand. Der Minister Acton hatte seinerseits ebenfalls die Nachricht von der Gefangennehmung des Königs von Frankreich erhalten und geglaubt, daß die Sache wohl der Mühe verlohne, dem Kabinettsrat vorgetragen zu werden. Da ich der Königin nicht folgte, sondern der Wagen, nachdem er sie im Palast abgesetzt, mich nach dem Gesandtschaftshotel brachte, so erfuhr ich das, was nun geschah, nur durch Hörensagen. Der König hatte in ziemlich schlechter Laune Platz genommen, indem er im voraus erklärt, daß er weit wichtigere Geschäfte habe als die, womit der Kabinettsrat sich beschäftigte, und indem er den Ministern zugleich andeutete, daß er nicht bis zu Ende der Sitzung bleiben würde. Als er die Königin kommen sah, dachte er sogleich den Vorsitz im Kabinettsrat ihr zu übertragen und näherte sich ihr daher, indem er sich sehr liebenswürdig gegen sie zeigte und sie seine »liebe Schulmeisterin« nannte, was er nur tat, wenn er ganz besonders gut gelaunt gegen sie war. Plötzlich und in dem Augenblicke, wo die Diskussion am lebhaftesten war, pochte man auf eine gewisse Weise an die Tür.

Die Königin fragte ungeduldig, wer die Keckheit habe, mit dieser Vertraulichkeit an die Tür des Kabinettsrats zu pochen; der König mochte aber eine Gebärde. »Meine liebe Schulmeisterin,« sagte er, »beunruhige dich nicht, es gilt mir. Ich weiß schon, was es ist.« Mit diesen Worten ging er hinaus. Die Königin machte einen langen Hals und sah zwischen der sich öffnenden Tür hindurch einen Piqueur, welcher den König erwartete. Nach einigen Sekunden öffnete die Tür sich wieder. »Ich kann nicht länger bleiben, ich habe anderwärts Geschäfte,« sagte Ferdinand. »Vertritt meine Stelle, liebe Karoline. Was du tust, wird wohlgetan sein wie immer.« Mit diesen Worten verabschiedete er sich von der Königin und den Ministern mit einer Handbewegung und schloß die Tür wieder, worauf man sich rasch entfernende Tritte hörte. Die Königin war an eine solche Handlungsweise des Königs gewöhnt und ließ sich in der Regel dadurch weiter nicht beunruhigen. Diesmal aber erschienen ihr die Umstände so ernst, daß der König trotz des Widerwillens, welchen die öffentlichen Geschäfte ihm einflößten, dem Kabinettsrat doch wohl bis zu Ende hätte beiwohnen sollen, denn es war auch ein wenig sein Prozeß, der hier abgeurteilt ward. Im Verlaufe der Beratung brachte man der Königin einen Brief, welcher von Wien kam. Er war von ihrem Bruder Leopold und meldete ihr Nachrichten von der höchsten Wichtigkeit. Der Kaiser schrieb ihr, daß er nächstfolgenden Monat, ungefähr den 20. August, mit dem König von Preußen, Friedrich Wilhelm, eine Zusammenkunft in Pillnitz haben werde. Die Folge dieser Zusammenkunft werde höchstwahrscheinlich eine Kriegserklärung gegen Frankreich sein. Der Kaiser ersuchte deshalb seinen Schwager Ferdinand, sich für diesen Fall bereit zu halten, das Kontingent zu stellen, zu welchem er sich bei seinem Besuch in Wien selbst verbindlich gemacht. Der Kaiser wußte noch nicht die Gefangennehmung in Varennes oder vielmehr er mußte sie zu dieser Stunde wissen, denn die Kommunikationen waren zwischen Paris und Wien rascher, als zwischen Paris und Neapel. Sein vom 23. Juni datierter Brief war aber drei oder vier Tage vorher geschrieben, ehe er die traurige Neuigkeit wissen konnte.

Es war ein Glück für die Königin, daß ihr Gemahl den Vorsitz ihr übertragen, denn der König, der um halb zwei Uhr sich im Kabinettsrat eingefunden, würde sich nicht dazu verstanden haben, bis um sechs Uhr auszuhalten. Karoline hatte die Freude, durch die von Acton eingezogenen Erkundigungen zu erfahren, daß, wenn die Feindseligkeiten gegen Frankreich noch nicht begonnen, wenigstens alle Anstalten zum Einrücken in das französische Gebiet getroffen wurden. Fünfunddreißigtausend Mann Deutsche rückten gegen Flandern vor; fünfzehntausend Mann andere gegen das Elsaß; fünfzehntausend Mann Schweizer machten sich fertig, auf Lyon zu marschieren; eine piemontesische Armee bedrohte die Dauphiné und zwanzigtausend Mann Spanier hielten sich bereit, die Grenze zu überschreiten. Der General Acton ward als Marine- und Kriegsminister beauftragt, das Kriegsmaterial an Schiffen, Kanonen und Munition zu vervollständigen. Er versprach der Königin Waffen- und Pulverfabriken einzurichten, und dann schrieb er an die Prinzen von Hessen-Philippstadt, von Württemberg und von Sachsen, um allen dreien Kommandos anzubieten. Dies war das, was das Äußere betraf; die Königin hatte aber beschlossen, auch das Innere einer Überwachung zu unterwerfen, die jedem Ereignisse vorbeugte, welches sich in seinem Prinzip oder in seinem Ziel denen näherte, welche jetzt in Frankreich stattfanden.

Man beschloß die Häuser der Stadt, die es noch nicht waren, zu numerieren; man stellte in jedem Quartier Kommissare an, welche ausschließlich mit einer politischen Polizei beauftragt waren. Ein junger Mann, den der General Acton der Königin als unternehmend, geschickt und ehrgeizig empfehlen zu können glaubte, erhielt einen Titel, der seit langer Zeit abgeschafft war, jetzt aber für diese Zeiten der Unruhe wieder hervorgesucht ward, nämlich den eines Regenten der Vicaria. Dieser junge Mann war der Chevalier Ludovico von Medici, welcher, nachdem er einmal zur Macht gelangt war, dieselbe auch nicht wieder verlassen sollte. Die Königin hatte keinen Grund, sich zu beklagen. Man hatte in einer einzigen Sitzung mehr Arbeit verrichtet, als man sonst in zehn zu erledigen pflegte. Als die Königin den Kabinettsrat verließ, wollte sie wissen, was für ein dringendes Geschäft es wäre, was den König veranlaßt, sich so plötzlich zu entfernen, und warum der Piqueur sich erlaubt hatte, an die Tür zu pochen. Dieser Piqueur kam, um dem König zu melden, daß sich ein prächtiger Schwarm Feigendrosseln in Capo di Monte niedergelassen habe, und da baldiges Wiederauffliegen zu erwarten stand, weil jetzt die Zugzeit dieser Vögel war, so hatte der König seinem Piqueur befohlen, ihn sofort zu benachrichtigen, sobald gut zum Schusse zu kommen wäre. Der Piqueur hatte nicht verfehlt, diesem Befehle nachzukommen, und dies war die wichtige Angelegenheit, welche den König Ferdinand abgehalten, seinen Anteil an den Maßregeln zu nehmen, welche, wie man wenigstens hoffte, zur Rettung seines Schwagers Ludwig des Sechzehnten und seiner Schwägerin Marie Antoinette beitragen sollten. Die Königin hatte mir befohlen, punkt sechs Uhr im Palast zu sein. Ich erwartete sie seit einer halben Stunde, als sie aus dem Kabinettsrat kam. Sie erzählte mir achselzuckend die Geschichte des Königs, im Grunde genommen aber machte diese Sorglosigkeit des Gemahls sie gleichzeitig zum König und zur Königin und ihr Despotismus war gern damit einverstanden. Wir stiegen wieder in den Wagen und fuhren nach Caserta zurück.

Unterwegs begegneten wir einer Art Postchaise, welche mit Staub bedeckt war und einen langen Weg zurückgelegt zu haben schien. Als man die königliche Livree erkannte, stieg eine Dame halb aus dem Wagen heraus und rief ihrem Postillon zu, daß er Halt machen solle. Es war augenscheinlich, daß diese Dame, woher sie auch kommen mochte, zur Königin wollte. Die Königin ließ unseren Wagen ebenfalls halten und wartete. Die Reisende sprang nun vollends von ihrem Wagen herab und war im nächsten Augenblick bei uns.

»Im Auftrage der Königin Marie Antoinette!« sagte sie. – »Sie kommen im Auftrage meiner Schwester?« fragte die Königin. – »Ja, Madame.« – »Haben Sie einen Brief von ihr?« – »In meinem Portefeuille.« – »Von ihr selbst?« – »Euer Majestät kennt die Chiffre der Königin, nicht wahr?« – »Jawohl! Lassen Sie Ihren Wagen dem unserigen folgen und setzen Sie sich mit zu uns. Wie heißen Sie?« – »Mein Name ist Ihnen unbekannt, Madame, ich glaube aber nicht mehr, wenn ich Ihnen sage, daß ich die Inglesina bin.« – »Ah, ja, ja! Sie gehören zum Haushalt der Prinzessin von Lamballe. Setzen Sie sich mit zu uns – steigen Sie ein.« – Die junge Dame richtete einige Worte in vortrefflichem Italienisch an den Postillon, stieg in unsern Wagen und setzte sich auf den Vordersitz. Ihr Wagen folgte.

»Rasch! rasch!« sagte die Königin, »erzählen Sie uns, wie die Sachen stehen. An welchem Tage haben Sie Paris verlassen?« – »Am 26. Juni, Madame, am Tage nach der Rückkehr der Königin.« – »Und meine Schwester befindet sich wohl?« – »Ja, Madame, abgesehen von den Aufregungen und Anstrengungen dieser furchtbaren Reise.« – »Wie ist ihre Situation in den Tuilerien?« – »Sie ist die einer Gefangenen, dies darf man sich nicht verhehlen, und sie wird Gefangene bleiben bis zu dem Augenblicke, wo der König die Konstitution beschworen haben wird.« – »Er möge sie denn beschwören und Zeit gewinnen, bis wir ihr zu Hilfe kommen können.« – »Ach, Madame, diese Hilfe ist es, um deren Beschleunigung ich im Namen der Königin zu bitten komme.« – »Wir beschäftigen uns bereits damit, seien Sie unbesorgt.«

Während dieser Zeit entsiegelte die Königin den Brief von ihrer Schwester, vergebens aber versuchte sie den Sinn desselben zu enträtseln. »Ich kann nicht lesen, wenn ich den Schlüssel der Chiffreschrift nicht vor Augen habe,« sagte sie ungeduldig. – »Es ist das Wort Ludovico dreimal wiederholt.« – »Ja, ich werde aber in Caserta lesen, wo ich die Gedanken zusammennehmen kann. Jetzt sagen Sie mir, wer Sie geschickt. Erzählen Sie mir die nähern Umstände Ihrer Reise und was in Paris in dem Augenblicke Ihrer Abreise von dort gesprochen ward.« – »Mit Lebensgefahr wollte ich mich überzeugen, daß die Königin ohne Unfall in den Palast zurückgekehrt sei, und da die Reiseroute der hohen Personen vorgezeichnet war und man wußte, daß sie durch die Barrière de l'Etoile zurückkommen würden, so begab ich mich gleich am frühen Morgen in den Tuileriengarten. Sobald die Königin herein war, mußte ich es der Prinzessin von Lamballe melden, welche sich bei ihrem Vater, dem Herzoge von Penthièvre, befand. Ich muß Ew. Majestät gestehen, daß die Haltung der Bevölkerung eine sehr drohende war.«

»Gegen wen?« – »Gegen den König und gegen die Königin, Madame.« – »Ha, diese verwünschten Franzosen!« – »Man hatte, um die Verblendung der Monarchie anzudeuten, der Statue des Königs Ludwig des Fünfzehnten die Augen verbunden und in gewissen Zwischenräumen waren große Tafeln angebracht auf welchen die Worte standen: »Wer dem König Beifall schenkt, wird durchgeprügelt, wer ihn [nicht] beschimpft, wird gehängt.« Ich fühlte mich schaudern. Die Königin ward sehr bleich. »Erzählen Sie weiter,« sagte sie. – »Ich sah den königlichen Wagen von weitem kommen. Er ward von den Grenadieren eskortiert, deren hohe Bärenmützen den Schlag verdeckten. Zwei Grenadiere standen auf dem Tritte des vordern Kupees und waren beauftragt, die drei Leibgardisten zu schützen, welche dem Könige treu geblieben, ihn auf seiner Flucht begleitet und sich geweigert hatten, in Meaux, wie Barnave ihnen vorgeschlagen, zu entfliehen, weil sie das Schicksal des Königs bis ans Ende teilen wollten.« – »Kennen Sie die Namen dieser wackern Leute?« fragte die Königin. – »Es sind die Herren von Moustier, von Malden und von Valori.« – Die Königin schrieb die drei Namen in ihr Notizbuch.

»Weiter, weiter!« fuhr sie fort, während sie noch schrieb. – »Lafayette erwartete mit seinem ganzen Generalstabe den Wagen am Gittertore der Tuilerien. Sobald die Königin ihn erblickte, rief sie ihm zu: ›Herr von Lafayette, retten Sie die drei Gardisten, sie haben nur dem Könige gehorcht.‹ – Dieser einfache Gehorsam ward ihnen aber als ein Verbrechen angerechnet. Eine Spalier von Nationalgarden zog sich von der Drehbrücke bis an den Perron des Palastes. An diesem Perron mußten die hohen Reisenden aussteigen. Hier lauerte sonach die Gefahr. Die Nationalversammlung hatte zwanzig Deputierte geschickt. Diese warteten vor dem Tore des Schlosses. Lafayette sprang vom Pferde, und ließ von der Terrasse mit dem Tore des Gartens, mit den Musketen und Bajonetten der Nationalgarde eine förmliche eiserne Straße bilden. Die beiden Kinder, die Prinzessin und der Dauphin, stiegen zuerst aus und erreichten den Palast ohne Hindernis. Nun kamen die Leibgardisten an die Reihe. Man hatte geschworen, sie nicht lebendig wieder den Palast betreten zu lassen. Man hatte das Gerücht verbreitet, es wären dies dieselben, welche am 2. Oktober die dreifarbige Kokarde mit Füßen getreten hätten. In dem Augenblick, wo sie von dem Kutschbocke herabstiegen, fand deshalb ein fürchterlicher Kampf statt und die Säbel und Piken der Männer des Volkes durchbrachen die Reihen der Nationalgarden. Valori und Malden wurden verwundet.«

Die Königin Karoline trocknete sich mit ihrem Tuche den Schweiß von der Stirn. »Ha!« sagte sie, »wenn ich bedenke, daß wir vielleicht bestimmt sind, ähnliche Greuel zu sehen. Doch nein, nein, nein,« fuhr sie, mit den Zähnen knirschend, fort, »eher ließe ich sie alle vertilgen.« Ich faßte sie bei den Händen. »O, niemals, niemals!« sagte ich. »Beruhigen Sie sich doch, Majestät!« – »Wenn du wüßtest, wie diese Neapolitaner mich hassen. Vielleicht mehr als die Pariser meine Schwester hassen. Aber erzählen Sie weiter. Wie erreichte sie den Palast?« – »Sie ward von ihren beiden erbittertsten Feinden, den Herrn von Noailles und Aiguillon, gewissermaßen hineingetragen. Als sie sich in den Händen derselben sah, glaubte sie sich auch wirklich verloren. Sie irrte sich. Diese beiden Männer waren hierhergekommen, nicht um sie ins Verderben zu stürzen, sondern um sie zu retten.« – »Und der König?« – »Der König stieg zuletzt aus, Madame. Er schien mir sehr ruhig zu sein. Er ging zwischen Barnave und Pétion mit seinem gewöhnlichen Schritt.« – »Und Sie selbst?« – »Ich kehrte in das Hotel Penthièvre zurück, um der Prinzessin von Lamballe die gute Nachricht zu bringen, daß die Königin ohne Unfall in den Palast zurückgekehrt sei. Im Laufe des Abends kam Madame Campan. Sie brachte im Auftrage der Königin den Brief, den ich soeben die Ehre gehabt Ew. Majestät zu überreichen. Sie bat im Namen der Königin Marie Antoinette Ew. Majestät, eine Abschrift davon dem Kaiser Leopold zu übersenden, an welchen sie nicht Zeit gehabt zu schreiben. In Meaux, wo sie im Hause des Bischofs die Nacht vom 23. zum 24. zugebracht, hatte sie Mittel gefunden, an Ew. Majestät zu schreiben.«

»Ach, meine arme Marie! meine arme Marie!« rief die Königin. »O, warum kann ich nicht sie anstatt dieses Briefes an mein Herz drücken! Ach, wäre es ihr möglich, zu entrinnen, zu mir zu kommen! In Caserta und in Neapel würde sie hundertmal glücklicher sein als in Versailles und in Paris.« – »Wenn sie es könnte, Madame,« sagte die Inglesina, »so würde sie sicherlich nicht ermangeln es zu tun und sich glücklich schätzen.« – Man betrat den Palast in Caserta. »Übernimm die Sorge für unsere liebe Inglesina,« sagte die Königin, sich zur mir wendend. »Siehe zu, daß es ihr an nichts fehle. Ich werde mittlerweile den Brief meiner armen Marie lesen und die mir von ihr erteilten Weisungen befolgen.« Eine Stunde später ging ein Kurier nach Neapel ab, um den General Acton aufzufordern, sich den nächstfolgenden Tag in Caserta einzufinden und dem Kurier des Kaisers Leopold zu befehlen, nicht abzureisen, ohne die Depeschen der Königin mitzunehmen.


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