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Einige Zeit vor seiner letzten Reise nach London hatte Sir William zwei seiner eifrigsten Tischgäste verloren. Der eine war im Alter von achtunddreißig Jahren gestorben. Es war dies der berühmte Gaëtano Filangieri, gegen dessen Gattin ich mir großes Unrecht vorzuwerfen habe. Der andere, ein Greis von achtzig Jahren, war der berühmte Abbé Galiani, welcher für den geistreichsten Mann von Neapel galt. Diesen Ruf verdankte er vielleicht dem Umstand, daß er lange in Frankreich gewohnt hatte. Da diese beiden gestorben waren, ohne daß ich sie gekannt, so brauche ich mich nicht weiter mit ihnen zu beschäftigen. Zur Zahl unserer fleißigsten Besucher gehörten der Arzt Cotugno und sein Kollege, der Chevalier Gatti, zwei der merkwürdigsten Persönlichkeiten von Neapel. Abgesehen davon, daß der Doktor Cotugno einen hohen Rang in der medizinischen Wissenschaft bekleidete, so war er auch, wie mir Sir William mitteilte, einer der ersten Kenner der griechischen, lateinischen und italienischen Klassiker. Ich habe niemals begreifen können, wie ihm bei seiner ausgebreiteten Praxis, seinem Dienst in den Hospitälern und den Konsultationen, die er in seiner Wohnung erteilte, noch Zeit zu der Lektüre blieb, aus welcher er seine unermeßliche Gelehrsamkeit schöpfte. Von den Patienten, die zu ihm kamen, nahm er nie etwas, seine Besuche dagegen ließ er sich unabänderlich mit drei Piastern bezahlen und verdiente auf diese Weise dreitausend Pfund Sterling jährlich. Einige Zeit vor unserer Ankunft in Neapel hatte er den Vicomte von Eriza, spanischen Gesandten, wegen eines Schlaganfalls behandelt, durch welchen dieser Diplomat den Gebrauch des rechten Armes verloren.
Nach Verlauf von anderthalb Monaten und nach fünfzig Besuchen hatte Cotugno ihn vollständig wiederhergestellt. Der spanische Gesandte schickte ihm tausend Dukaten.
Cotugno antwortete ihm:
»Eure Exzellenz haben sich geirrt, wenn Sie mir tausend Dukaten für fünfzig Besuche schicken. Mein festes Prinzip ist, für meine Besuche nicht mehr als drei Piaster zu nehmen, selbst wenn ich sie dem König gemacht hätte. Fünfzig Besuche zu drei Piaster betragen hundertundfünfzig Piaster. Indem ich die Ehre habe, Ihnen den Überschuß zurückzusenden, zeichne ich usw. usw.
Nicht so war es mit dem Doktor Gatti, der ebenso habsüchtig als Cotugno uneigennützig war. Er war einer der eifrigsten Verbreiter der Blatterimpfung und hatte in Paris damit ungeheure Summen verdient. Sir William war aus zwei Gründen der bevorzugte Freund dieses Doktor Gatti – erstens wegen unserer Tafel, die er gut fand, und zweitens wegen unserer Equipagen, über die er nach Gutdünken verfügte. Ganz im Gegensatz zu Cotugno, welcher sich viel mit der armen Volksklasse beschäftigte, erklärte Doktor Gatti laut, daß er sich nicht einmal herablassen würde, Leute zweiten Ranges in Behandlung zu nehmen, überhaupt schien er sich fest vorgenommen zu haben, Cotugnos Antipod zu sein, denn er nahm nie ein wissenschaftliches Werk zur Hand, sondern las nur Flugschriften und Zeitungen. Anstatt wie sein berühmter Kollege seine Unabhängigkeit bei den Großen zu wahren, war er diesen gegenüber der kriechendste Schmarotzer. Er behauptete, die zwei glücklichsten Nationen der Welt seien die neapolitanische und die spanische, weil König Ferdinand und König Carl der Dritte so leidenschaftliche Freunde der Jagd wären, daß sie nicht Zeit hätten, sich mit ihren Untertanen zu beschäftigen, und weil jedes Volk, dessen Monarch sich nicht um dasselbe bekümmere, auf dem besten Wege zum vollkommenen Glück sei.
In dieser letzteren Beziehung glaube ich, daß Sir William sich ein wenig der Meinung des Doktor Gatti zuneigte, denn er verdankte die Gunst, in welcher er bei Ferdinand stand, ausschließlich seiner Leidenschaft für die Jagd und seiner Geschicklichkeit bei Ausübung derselben.
Am Morgen nach seiner Ankunft schrieb der König ihm eigenhändig:
»Kommen Sie schnell, mein lieber Hamilton, um mit mir in Caserta auf die Jagd zu gehen. Ich habe seit Ihrer Abreise nicht einen einzigen guten Tag gehabt. Sie hatten mir mein Glück, mitgenommen; ich hoffe, daß Sie es auch wieder zurückgebracht haben.
Ihr wohlgeneigter
Ferdinand B.«
Der dritte vertraute Freund unseres Hauses außer dem diplomatischen Korps war der Marquis del Basto, welcher in gerader Linie von dem abstammte, welchem Franz der Erste seinen Degen übergeben, welchen er dem Connetable von Bourbon nicht einhändigen wollte.
Der Marquis del Basto stammte aus dem Hause Avalos, einem der bedeutendsten Italiens. Er hatte hunderttausend Dukaten oder fünfhunderttausend Franks jährliche Rente. Ein solches Vermögen, das in England sehr häufig vorkommt, ist in Italien etwas sehr Seltenes. Der Degen Franz des Ersten wird, wie man versichert, noch jetzt in dem Schatz des Hauses Avalos aufbewahrt. Sir William empfing auch häufig den Herzog von Termoli, der aus einer genuesischen Familie stammte, welche schon seit langer Zeit sich in Neapel niedergelassen hatte. Der Herzog von Termoli war Oberstallmeister des Königs und Sohn des Herzogs von San Nicandro. Dieser letztere Titel war aber weit entfernt, von ihm beansprucht zu werden. In der Tat hatte der Herzog von Nicandro, welcher, die einen behaupteten infolge von Intrigen, die andern durch Geld, zum Gouverneur des Königs ernannt worden, den König so schlecht erzogen, daß dieser oft in seinen Anwandlungen von Zorn über sich selbst, wenn er sich so unwissend fand, zu dem Herzog von Termoli sagte: »Dein Vater ist Schuld an meinem Unglück und an dem meiner Untertanen. Ich bin aber zu gerecht, um es dich entgelten zu lassen, daß dein Vater einen Esel aus mir gemacht hat.«
Allerdings hörte ich mehr als einmal selbst Ferdinand die Erziehung beklagen, die er genossen, und dem Herzog die Unwissenheit Schuld geben, die den König in dieser Beziehung nur wenig über den ersten besten Lazzarone stellte. Übrigens sagte die Königin, welche sich der Unwissenheit ihres Gemahls schämte, dieselbe aber auch zugleich benutzte, um ihn von den Geschäften fernzuhalten und alles in ihren Händen zu konzentrieren, mir oft, nicht der Herzog von San Nicandro sei es, den man für diese verfehlte Erziehungsweise verantwortlich zu machen habe, sondern vielmehr der Minister Tanucci, welcher den Herzog von San Nicandro eben wegen seiner bekannten Unfähigkeit gewählt und ihm empfohlen, den jungen Prinzen in der Unwissenheit zu erhalten, damit er später als König unfähig sein möchte, irgendeinen Teil der Administration des Königreichs zu überwachen, und damit er dieselbe gänzlich den Händen seines Ministers überließe. Es lag hierin viel Wahres, dennoch aber durfte man der Königin nicht unbedingt glauben, wenn sie von dem alten toskanischen Minister sprach, den sie nicht leiden konnte, weil er Carl dem Dritten, dem er sein Glück verdankte, ergeben, den spanischen Einfluß repräsentierte, während sie als Tochter und Schwester eines Kaisers den österreichischen vertrat. Man ging zu jener Zeit, indem man den Haß Karolinens gegen alles, was spanisch oder französisch war – einen Haß, der sich auch auf ihren Gatten und ihre Söhne erstreckte – und ihre Sympathie für das, was österreichisch war, übertrieb, sehr weit. Man behauptete sogar, sie habe ein antieheliches, antimütterliches und antinationales Komplott geschmiedet, um das Königreich beider Sizilien mit Österreich zu vereinigen, dem es infolge des Friedens von Utrecht angehört und dessen Händen es wieder durch die Eroberung Carl des Dritten im Jahre 1731 während des großen Krieges zwischen Frankreich und Österreich entrissen worden, und ich muß heute, wo die königliche Gunst und Freundschaft mich nicht mehr blenden, gestehen, daß die Königin in diesem Punkte Grund zu dergleichen Verleumdungen gab. In der Tat habe ich niemals begreifen können, woher die Antipathie der Königin von Neapel gegen ihre Söhne kam, während sie dagegen große Schwäche für ihre Töchter zeigte. Diese Antipathie gab sich unter dem Vorwand einer notwendigen Disziplin, bald um die Erziehung der jungen Prinzen zu regeln, bald um ihrem Charakter die nötige Richtung zu geben, durch wahrhaft grausame und dabei zwecklose Züchtigungen kund, und ihre Mutter flößte ihnen eine Furcht ein, welche etwas Übertriebenes hatte. Niemals habe ich in ihrer Gegenwart diese armen kleinen Prinzen lächeln sehen, bei dem mindesten Geräusch zitterten sie, und sobald sie die Stimme der Königin hörten, flüchteten sie sich instinktartig in die Arme ihres Vaters.
Das älteste der königlichen Kinder starb in einem Alter von sieben oder acht Jahren gegen das Jahr 1778, infolge einer allmählichen Abzehrung, welche die Feinde der Königin der schlechten Behandlung beimaßen, deren Opfer der kleine Prinz gewesen. Als er wirklich krank ward, begann die Königin sich über die Ursachen und die Beschaffenheit seiner Krankheit mit den Ärzten zu besprechen, während ihr Gemahl, der nie einen Versuch machte, sich über seine Unwissenheit, die er offen eingestand, erheben zu wollen, sich damit begnügte, daß er weinte. Als der junge Prinz endlich starb, verdoppelten sich die Tränen des Königs, Maria Karoline aber wiederholte – so versicherte man – bloß die Worte jener spartanischen Mutter: »Als ich ihn zur Welt brachte, wußte ich, daß er einmal wieder sterben würde.« Während meines Aufenthaltes am Hofe von Neapel war ich auch Zeuge des Todes des Prinzen Don Alberto. Derselbe starb sogar in meinen Armen und auf meinen Knien, denn er war von den jungen Prinzen der, welcher mir der liebste war. Ich werde diesen Todesfall zu seiner Zeit erzählen und will hier bloß sagen, daß derselbe, wie mir schien, eher den Haß der Königin gegen die Franzosen und Republikaner verdoppelte, als in ihrem Herzen die Liebe erweckte, welche die Mutter am Grabe ihrer Kinder blutige Tränen weinen läßt. Der einzige Sohn, welchen die Königin zu lieben schien, war der Prinz von Salerno, der, ich glaube, im Jahre 1790 geboren war und den die Königin an ihr Herz gedrückt hielt, während der Prinz Alberto in meinen Armen starb. Diesem Prinzen von Salerno hätte sie alle übrigen geopfert, gleichwohl aber – obschon ich eine solche Ruchlosigkeit niemals glauben werde – sagt man, daß sie im Jahre 1812, wo der Prinz in Palermo sich zu der englischen Partei und den englischen Ideen hinzuneigen schien, ihm nach dem Leben trachtete, indem sie ihn durch eine Tasse Schokolade zu vergiften suchte. Dem Gerücht nach ward der Prinz von der ihm drohenden Gefahr durch seinen Kammerdiener Carlomagno Viglio gerettet. Wahrscheinlich war dies auch der Grund der sonst unerklärlichen Gunst in welcher dieser Mann bei seinem Herrn stand und die ihn mächtiger machte als irgendein Mitglied seiner Familie, als irgendeinen Günstling, als irgendeinen Minister.
Das öffentliche Gerücht behauptete demgemäß, daß Karoline ihren Bruder Joseph den Zweiten ihren Kindern vorzöge und die Interessen der österreichischen Monarchie über die Interessen des Königtums der beiden Sizilien stellte. Übrigens werde ich das, was ich gesehen, mit derselben Aufrichtigkeit erzählen, womit ich das erzählt habe, was mir selbst begegnet ist. Der Leser wird dann aus den Tatsachen die Schlußfolgerungen ziehen, die ihm angemessen erscheinen.