Alexander Dumas
Lady Hamilton
Alexander Dumas

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65. Kapitel.

Ich habe mit wenigen Worten die Verurteilung und den Tod Tommaso Amatos, eines der ersten Opfer der Junta, erzählt, bei dessen Prozeß notwendig das Verbrechen der Gotteslästerung erst bestraft werden mußte, ehe man gegen die Verbrechen der Majestätsbeleidigung vorschreiten konnte. Gleich nach der Abreise des Admirals Latouche-Tréville hatten die Festnehmungen begonnen. So waren einige der Gefangenen jetzt fast vier Jahre in Haft. Es handelte sich um rund fünfzig Angeklagte. Der Fiskalprokuratur, Basilio Palmieri, hatte bei Eröffnung des Prozesses gesagt, daß er Beweise gegen zwanzigtausend Menschen hätte. Inzwischen hatte er beschlossen, dreißig der Angeklagten zum Tode zu verurteilen, das heißt nach vorheriger Anwendung der Tortur. Das Tribunal aber begnügte sich damit, drei zur Todesstrafe, drei zu den Galeeren und dreizehn zu leichteren Strafen zu verurteilen. Die übrigen wurden freigesprochen. Das Haupt der Verschwörung war ein gewisser Pietro di Falco. Er legte Bekenntnisse ab und offenbarte den Plan der Verschworenen, aber ohne, daß diese Bekenntnisse jemals öffentlich abgelegt wurden. Man schickte den Ankläger auf die Insel Tremiti, ohne daß man ihn je seinen Mitschuldigen gegenübergestellt hatte. Die Wahl der Richter hinsichtlich der Todesstrafe war seltsam. Man hätte meinen sollen, sie wollten ein Opfer bringen, welches dem bleichen Gott angenehm wäre. Die drei Verurteilten waren drei junge Leute, fast drei Kinder, welche der aristokratischen Klasse angehörten, dem Alter nach noch Schüler, unbekannt mit der Welt, in die einzutreten sie noch nicht Zeit gehabt, und nur durch ihre Triumphe im Kolleg bei ihren Mitschülern bekannt. Das Alter aller drei zusammen machte nicht das Alter eines Greises aus. Der Älteste hieß Vicenzo Vitagliano und war zweiundzwanzig Jahre alt; der zweite hieß Emanuele de Deo und war zwanzig Jahre alt, und der dritte hieß Vicenzo Gagliani und war neunzehn Jahre alt. Durch die ganze Stadt tönte ein Wehruf, als man die verhängnisvolle Wahl der Junta und zugleich erfuhr, daß diese Wahl auf drei junge Männer gefallen war, die ›weiter kein Verbrechen begangen hatten,‹ als daß sie Dinge gesagt, über die es besser gewesen wäre zu schweigen, und daß sie dem Beifall gespendet, was erst einer Untersuchung bedurft hätte. Das große Verbrechen, das sie begangen, bestand darin, daß sie sich das Haar hatten kurz schneiden lassen und zuerst die aus Frankreich durch den Schauspieler Talma bei Gelegenheit der ersten Aufführung des »Titus«, wie ich erzählt, aufgebrachte Mode angenommen hatten.

Ich muß gestehen, daß, als man mir diese Nachricht mitteilte, als man mir das Alter der Verurteilten nannte, als man mir sagte, wer sie waren und als man mir erklärte, daß sie unmöglich eine ernstliche Verschwörung beabsichtigt hätten, ich von tiefem Mitleid für diese drei Bäumchen ergriffen ward, die mit der Wurzel ausgerissen werden sollten, ohne daß sie Zeit gehabt, Früchte zu tragen.

Ich eilte zur Königin. Sie empfing mich mit strengem Gesichte und gerunzelter Stirn. »Willst du auch für sie bitten?« fragte sie. – »Und wenn ich es nun wollte, Madame, würden Sie sich weigern, mir Gehör zu schenken?« – »Ja, denn ich habe mir fest vorgenommen, der Gerechtigkeit freien Lauf zu lassen und deine Bitte würde nur eine nutzlose Mühe sein.« – »O Madame,« sagte ich, indem ich die Hände faltete, »so jung und so ungefährlich!« – »Allerdings gehören sie nicht zu denen, die Tarquinius dem Boten seines Sohnes bezeichnete, denn es waren die höchsten Mohnköpfe des Gartens, die er mit seinem Stabe abschlug.« – »O Madame, Sie geben das also selbst zu.« – »Siehst du, es gibt Augenblicke, in denen ich mich frage, ob die elenden Richter jene drei Kinder aus Dummheit oder aus Verrat gewählt haben; ich muß dir aber gestehen, daß ich für den Verrat bin.« – Ich sah die Königin erstaunt an. – »Du verstehst mich wohl nicht? Wenn ich jene begnadige, so bin ich verpflichtet, auch alle zu begnadigen, denn alle werden sich für so unschuldig wie jene halten, oder wenigstens sagen, sie wären es. Wenn ich sie hinrichten lasse, so wird man über solche Grausamkeit, solchen Kannibalismus ein lautes Geschrei erheben, alle Väter werden mich hassen, alle Mütter werden mir fluchen und wo eine Mutter ist, die einen zwanzigjährigen Sohn hat, wird sie diesen Sohn an ihr Herz drücken und sagen: ›Gott bewahre dich vor der fremden Königin, der Österreicherin!‹ wie man meine Schwester genannt hat.« – »O Madame, Sie sehen wohl, daß Sie zögern!« rief ich aus, »und wenn Sie zögern, so liegt der Grund darin, daß die Richter Unrecht haben.« – »Die Gerechtigkeit kann niemals Unrecht haben, Emma. Ich werde ihr also freien Lauf lassen.«

Ich stieß einen Seufzer aus und ließ den Kopf auf die Brust herabhängen, indem ich einige Worte leise vor mich hinsprach. »Was murmelst du denn da vor dich hin?« fragte Karoline. – »Ich danke Gott, daß ich keine Königin bin,« erwiderte ich. – Ein momentanes Stillschweigen herrschte, welches die Königin zuerst brach. – »Überdies ist das Urteil erst heute ausgesprochen worden, so daß wir noch drei Tage Zeit haben, einen Entschluß zu fassen. . . . . Du wirst heute abend hier bleiben. Guter Rat kommt über Nacht.« In diesem Augenblicke trat der König ein. Wie gewöhnlich grüßte er mich sehr höflich, indem er mir andeutete, wieder Platz zu nehmen und sich selbst neben seine Gemahlin setzte. – »Meine liebe Schulmeisterin,« sagte er zu derselben, »ich teile Ihnen hierdurch mit, daß ich drei bis vier Tage abwesend sein werde.« – »Und wo wollen Sie hin?« – »Ich will in Persano jagen.« – »Dachten Sie etwa, daß ein neues Erdbeben stattfinden könnte?« – »Nein, dann würde ich nicht nach Salerno, sondern in die Gegend von Capua gehen. Sie wissen wohl, daß der Vesuv und der Ätna die Trennung der Meerenge von Messina, die, wie man mir erzählt hat, einmal durch ein Erdbeben erfolgt sein soll, niemals ernst genommen haben. Sie stehen miteinander durch unterirdische Verzweigungen in Verbindung, und wenn sie sich etwas zu sagen haben, so ist es nicht gut, ihnen in den Weg zu kommen. . . . Nein, vor einem Erdbeben fürchte ich mich in diesem Augenblicke nicht.« – »Und wovor fürchten Sie sich denn?« – »O, Sie werden es schon wissen.« – »Sollten Sie nicht mehr so fest wie bisher von der Wahrheit Ihres Wahlspruchs überzeugt sein und an der Kraft eines Ihrer drei F zweifeln?« – »Nicht an der Kraft, wohl aber an der Gelegenheit.«

»Und in diesem Zweifel? . . .«

»Entferne ich mich. . . . Gibt der Weise nicht einen ähnlichen Rat?« – »Das heißt, Sie wollen bei allem, was vorgeht, nichts sein oder wenigstens tun, als ob Sie nichts dabei zu schaffen hätten?« – »Ich mag weder dabei sein, noch so scheinen. Habe ich etwa die Junta zusammenberufen? Habe ich Castelcicala aus London kommen lassen? Habe ich die berühmte schwarze Kammer organisiert, von der man so viel spricht, und deren Vorhandensein ich glücklicherweise leugnen kann, da ich niemals dort gewesen bin und nicht einmal weiß, in welchem Palast sie sich befindet? Dies alles habe ich nicht getan, sondern nur Sie allein. Ich jage, ich fische, ich erhole mich in San-Leucio, ich bin, um historisch zu sprechen, einer der faulen Könige. Sie aber, Sie sind die Königin, Sie führen das Szepter, Sie sind eine Katharina die Zweite, man wird Sie eines Tages die Semiramis des Südens nennen, wie man die Zarin die Semiramis des Nordens nannte, und dies wird sowohl für Sie, wie für mich sehr ruhmvoll sein. Da Sie aber die Annehmlichkeiten des Staates genießen, so ist es billig, daß Sie auch die Lasten desselben tragen.« – »Das heißt, daß Sie mir Neapel und Europa gegenüber die Verantwortlichkeit für den Tod dieser drei jungen Männer überlassen wollen?«

»Von was für drei jungen Männer sprechen Sie denn?« – »Von denen, die heute morgen von der Junta verurteilt worden sind.« – »Ah, die Junta hat heute morgen drei junge Männer verurteilt?« – »Sie wissen es wohl nicht?« – »Nein, meiner Treu! Ich besitze einen so mittelmäßigen Einfluß auf die Regierung, daß man sich gar nicht die Mühe nimmt, mit mir von Staatsangelegenheiten zu sprechen.«

»Hier ist aber nicht zu scherzen, mein Herr. Die Sache ist ernst, wir wollen also ernst davon sprechen, oder es überhaupt nicht tun.«

»Dann wollen wir es nicht tun; das ist mir am liebsten. Sie kennen meine Gewohnheit, mich nicht in Dinge zu mischen, die mich etwas angehen. Ich wollte Ihnen nur sagen, daß ich nach Persano gehen und mich einige Tage daselbst aufhalten werde, denn wenn Sie nicht gewußt hätten, was aus mir geworden wäre, so hätten Sie sich meinetwegen beunruhigen können und ich möchte Ihren Geist durchaus nicht von den hohen politischen Spekulationen dadurch abziehen, daß er sich mit meiner armseligen Person beschäftigte. Sie sagten, es seien drei junge Männer zum Tode verurteilt worden? Die armen jungen Leute! Das tut mir leid, allein wenn sie schuldig sind, wenn sie eine Verschwörung angezettelt haben. . . .«

Jetzt ergriff ich das Wort. »Das ist es eben, Sire, was das vortreffliche Herz Ihrer Majestät der Königin beunruhigt. Sie weiß nicht gewiß, ob diese jungen Leute wirklich schuldig sind, ja, sie fürchtet sogar, sie seien unschuldig.«. – »Zum Teufel! In diesem Falle, liebe Lady, darf die Königin die Verurteilten nicht hinrichten lassen. Der Tod jenes Wahnsinnigen, den man da neulich gehängt, hat bereits einen schlechten Eindruck hervorgebracht und der Tod dreier Unschuldiger würde einen noch schlimmeren Eindruck hervorbringen. Das bedenken Sie nur, Madame, bedenken Sie das!« – »Wenn ich die Verurteilten,« hob die Königin, die sichtlich ärgerlich darüber war, in einer Diskussion mit ihrem Gatten die Überwundene zu sein, wieder an, »auch begnadigen wollte, mein Herr, habe ich denn das Recht dazu? Ich bin doch nicht der König.« – »Wie, Sie wären nicht der König?« – »Nein, ich bin nur die Königin.« – »Und das sagen Sie mir? Zum Teufel, Sie sind wohl König. Wer ist König? Der, welcher im Staatsrat den Vorsitz führt. Wer ist König? Der, welcher Krieg erklärt, oder Frieden schließt. Wo aber zum Teufel haben Sie denn gesehen, daß ich mich mit solchen Dingen beschäftigt habe? Sie beschäftigen sich damit, Madame; also sind Sie in Wirklichkeit König.« – »König, mein Herr, ist auch der, welcher unterzeichnet.« – »Sie wissen recht wohl, Madame, daß ich so träge bin, daß ich, um nicht einmal die Mühe zu haben, unterzeichnen zu müssen, mir einen Namensstempel habe fertigen lassen.« – »Der in einem Kästchen liegt, zu welchem Sie den Schlüssel haben, mein Herr.« – »Das habe ich eben bemerkt, als ich mich entschloß, nach Persano zu gehen. Ich dachte, es sei abgeschmackt, daß, da einmal alles in Ihren Händen ist, dieser Schlüssel es nicht auch wäre und ich bringe Ihnen denselben.« – »O, geben Sie her, geben Sie her, Sire!« rief ich aus und riß ihm den Schlüssel fast aus den Händen. – »Madame,« sagte Ferdinand zur Königin, die ihn düster anblickte, »ich bitte Sie hiermit zu bedenken, daß die königliche Unterschrift sich in diesem Augenblicke in den Händen von Lady Hamilton befindet und daß es gefährlich sein würde, sie im Besitze dieser Unterschrift zu lassen. Sie brauchte nur, wozu sie auch große Lust hat, an unsere Verbündeten, die Engländer, entweder Malta oder Sizilien zu verkaufen und könnte dadurch unserer Krone großen Schaden zufügen.«

Und indem er uns, die Königin und mich, mit der spöttischen Miene grüßte, die nur ihm eigen war, ging er hinaus, indem er die Gebärde eines Menschen, der sich die Hände wäscht, nachahmte. »Ja, ich verstehe,« sagte die Königin, »du wäschest dir die Hände! Pilatus hat es ebenfalls getan, der Fluch der Geschichte hat ihn aber deswegen nicht weniger achtzehn Jahrhunderte lang verfolgt. – Gib mir den Schlüssel, Emma. Wir wollen sehen, was damit zu tun ist!« Ich überreichte ihr kniend den Schlüssel. In diesem Augenblicke meldete man, daß der Fiskalprokurator Vasilio Palmieri – derselbe, welcher sagte, daß er gegen zwanzigtausend Menschen Beweise hätte und der dreißig der Angeklagten zum Tode und zur vorherigen Unterwerfung der Tortur verurteilt hatte – um die Ehre bäte, der Königin seine Huldigungen darbringen zu dürfen. »Das trifft sich ausgezeichnet!« sagte Karoline. »Wenn er nicht gekommen wäre, so hätte ich ihn holen lassen,« und sie fuhr zu mir gewendet fort: »Willst du das Gesicht eines kriechenden Schurken sehen, Emma?« – »Ich bin bereit zu bleiben, oder hinauszugehen, wie Eure Majestät es mir befehlen werden.« – »Nein, es steht dir frei, du mußt selbst wissen, wie viel du vertragen kannst.« – »Nun, da Eure Majestät mir freien Willen lassen, und ich ein großes Interesse an allem nehme, was unsere drei unglücklichen jungen Männer betrifft, so ziehe ich es vor zu bleiben.« – »Dann bleibe,« sagte Karoline, und zu dem Diener, der den Besuch der Magistratsperson gemeldet hatte, gewendet fuhr sie fort: »Der Fiskalprokurator Basilio Palmieri mag eintreten.«


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