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XXI

Gerd hatte mit seinem Vater eine Unterredung gehabt und ihn zu bestimmen versucht, Dolf die verlangte Hälfte von Nitas Vermögen auszuzahlen. Er war überzeugt, daß Nita sofort einwilligen würde. Bernhard Falkner aber blieb bei seiner Ansicht, daß dies ein Raub an Nita sei, den er nicht sanktionieren würde. Nita sei noch zu jung und unerfahren, um in dieser Frage entscheiden zu können.

Gerd brachte dagegen in Erwägung, daß für Nita nach Lage der Dinge bis jetzt ein wirklich rechtsgültiger Scheidungsgrund nicht vorliege. Dolf hatte ganz richtig bemerkt, daß ihr Ausharren an seiner Seite nach den früheren Fällen seiner Untreue als stillschweigende Verzeihung gelten würde. Blieb Nita jetzt von Dolf fort, dann setzte sie sich nach dem Gesetz ins Unrecht, dann konnte sie Dolf zur Rückkehr auffordern lassen. Folgte sie dieser Aufforderung nicht, dann hatte Dolf ein Recht, auf Scheidung zu klagen, und wenn dann Nita als schuldiger Teil erklärt wurde, dann fiel Dolf ohnedies ein Teil ihres Vermögens zu.

Bernhard Falkner aber behauptete, daß Dolf dann höchstens ein Teil von Nitas Zinsen zugesprochen werden würde. Jedenfalls sei er nicht willens, Dolf nur einen Pfennig mehr zuzubilligen, als ihm in einem solchen Fall das Gericht zusprechen würde.

Zuletzt beschlossen die beiden Herren, das der Vater noch einmal versuchen sollte, vernünftig mit Dolf zu reden. Gerd sollte inzwischen zu Nita gehen und ihr berichten, welche Forderung Dolf gestellt hatte.

Dolf ließ sich aber zunächst gar nicht bei seinem Vater sehen.

Er kam auch nicht in die Fabrik und schien kaum noch nüchtern zu werden, da er Tage und Nächte durchzechte, um seinen Grimm zu betäuben.

So vergingen drei Tage.

 

Gerd war bei Nita gewesen. Frau Gertrud wohnte ihrer Unterredung bei. Sie war eine kluge Frau, und ihrem feinen Empfinden entging es nicht, daß zwischen Gerd und Nita ein gezwungener Ton herrschte. Sie erkannte bald, wie es um diese beiden Menschen stand, und war nicht ohne Sorge.

Nita erklärte sich sofort bereit, Dolf die Hälfte ihres Vermögens abzutreten. Als Gerd ihr sagte, daß der Vater nicht einwilligen wolle, sagte sie hastig:

»Ich will selbst mit Papa sprechen und seine Bedenken zerstreuen. Wir müssen überhaupt manches besprechen. Wegen meiner Schwiegermutter kann ich nicht in seine Wohnung gehen, und da Papa nicht hierherkommen kann, so will ich ihn draußen in der Fabrik in seinem Privatkontor sprechen. Tina, die mir noch einige Sachen brachte, sagte mir, daß Dolf gar nicht mehr in die Fabrik hinausfährt. Ich brauche also nicht zu fürchten, daß ich ihm begegne.«

Dieser Plan wurde dann auch ausgeführt. Nita traf mit ihrem Schwiegervater zusammen.

Weinend fiel sie ihm um den Hals, und er tröstete sie und streichelte sie wie ein liebes Töchterchen. Als sie sich dann gefaßt hatte, bat und bestürmte sie den alten Herrn, er möge Dolf die Hälfte ihres Vermögens geben.

»Mir bleibt ja noch viel, viel Geld, Papa. Was soll ich denn damit? Ich finde es ganz in Ordnung, wenn ich mit Dolf teile. Wir sind ja nun einmal verheiratet, und alles gehört uns gemeinsam. So ist es auch recht und billig, daß wir redlich teilen, wenn wir uns trennen. Um Geld und Gut will ich mich gewiß nicht mit ihm streiten. Er soll mich freigeben. Bitte ihn in meinem Namen darum, und wir wollen dann vergessen, was gewesen ist. Ich will ihm nichts nachtragen, und er soll mir nicht mehr zürnen, daß ich ihm davongelaufen bin.«

So sagte sie, und sie bat und beschwor den alten Herrn so lange, daß dieser in seinem Entschluß wankend wurde. Schließlich erklärte er sich bereit, Dolf eine Million zu bieten für Nitas Freiheit, so das Nita an Vermögen soviel verblieb, wie sie vor dreizehn Jahren mit in sein Haus gebracht hatte.

 

Frau Helene hatte von alledem keine Ahnung. Sie wunderte sich nur, daß sich Dolf nicht sehen ließ und ihr keine Kunde brachte, wie der Vater in der Vermögensangelegenheit entschieden habe. Ihren Gatten wagte sie nicht zu fragen, sie bekam ihn auch in diesen Tagen kaum zu Gesicht. Und da sie selbst einen heftigen Katarrh hatte, durfte sie das Haus nicht verlassen und konnte also nicht in Dolfs Wohnung fahren. Freiwillig berichtete ihr Gatte nichts, denn er wußte, das dann neue Aufregungen seiner harrten, und denen war er jetzt nicht gewachsen. Nun drängte es aber Bernhard Falkner, die Angelegenheit mit Dolf in Ordnung zu bringen. Dieser ließ sich nicht sehen und war nicht zu erreichen. Einige Male war Bernhard Falkner draußen in der Villa am Stadtwald, aber Dolf war nie anwesend.

Tina berichtete dem alten Herrn auf seine Frage, daß Dolf immer erst am hellen Morgen nach Hause komme und dann bis Mittag schlafe, um gleich darauf wieder fortzugehen. Fünf Tage waren so vergangen, und Dolf schien endlich an wüsten Gelagen genug zu haben. Als er erst wieder einmal klar und nüchtern denken konnte, überlegte er sich, daß er sich nun endlich zu einem Entschluss durchringen müßte.

Vor allem war seiner Eitelkeit eine große Wunde geschlagen worden. Nita verschmähte ihn, obwohl er alles getan hatte, sie zurückzugewinnen. Um jeden Preis hatte er verhindern wollen, daß Nita für Gerd frei wurde. Zugleich sagte er sich aber auch, daß Nita nicht zu ihm zurückkehren würde. Und er kannte sich zu gut, um nicht zu wissen, daß er Nita über kurz oder lang doch einen Scheidungsgrund liefern würde, denn er war nicht der Mann, so zu leben, daß dies nicht geschehen würde. Er konnte sich nicht auf die Dauer von anderen Frauen fernhalten. Und gerade jetzt, wo seine Eitelkeit an seinem Mißerfolg bei Nita krankte, war eine wahre Sucht in ihm, Frauenherzen zu erobern und zu dokumentieren, daß er begehrenswert und noch immer der unwiderstehliche Sieger über Frauenherzen war.

Gab er dann wirklich Nita durch sein Verhalten einen Scheidungsgrund, dann würde sie diesen, wie die Dinge jetzt lagen, sofort benutzen, um sich zu befreien. Und dann wurde er bei der Scheidung als schuldiger Teil erklärt und verlor jedes Anrecht auf ihr Vermögen.

War es da nicht klüger, wenn er jetzt soviel wie möglich herauszuschlagen suchte? Vielleicht ging sein Vater doch darauf ein, ihm die gewünschte Abfindung zu geben. Nita war sicher nicht dagegen.

So sagte er sich, daß es das beste wäre, die Verhandlungen wieder aufzunehmen. Wenn sein Vater nicht auf seine Bedingungen einging, wollte er versuchen, Nitas Aufenthalt herauszubekommen. Dabei konnte ihm dann wohl seine Mutter behilflich sein, die er ohnedies wieder einmal aufsuchen mußte.

Die Fabrik seines Vaters zu übernehmen reizte ihn gar nicht. Er wollte sich sein Leben nicht mit langweiligen Pflichten erschweren.

Und nun fragte er zuvor telefonisch bei seinem Vater an, wann er ihn in der schwebenden Angelegenheit sprechen könne.

Dieser antwortete ihm: »Sogleich.«

Das Ergebnis dieser Unterhandlung war, daß Bernhard Falkner seinem Sohn eine Million von Nitas Vermögen in Aussicht stellte, sobald er in die Scheidung einwillige und alle anderen Ansprüche ein für allemal aufgebe.

Dolf bat sich schließlich, als sein Vater nicht um ein Jota davon abzubringen war, einige Wochen Bedenkzeit aus. Kalt und förmlich trennten sich Vater und Sohn, nachdem sich Bernhard Falkner energisch geweigert hatte, Dolf Nitas Aufenthalt zu verraten. Als Dolf seinen Vater verlassen hatte, suchte er seine Mutter auf und erzählte ihr, natürlich sehr parteiisch gefärbt, was geschehen war.

Frau Helene war außer sich, und erst als Dolf ihr verkündete, daß er mit einer Million abgefunden werden solle, atmete sie erleichtert auf.

»Eine Million -- ach Dolf --, dann ist es ja gar nicht so schlimm. Bedenke, daß du die Zinsen davon für dich allein verwenden kannst. Du kannst dann herrlich und in Freuden leben. Du hättest dich gar nicht erst lange bedenken sollen«, sagte sie.

Dolf spielte den Überlegenen.

»Erstens hoffe ich noch immer, etwas mehr herauszuschlagen, und dann ist es mir natürlich eine Genugtuung, meine Frau Gemahlin noch ein Weilchen zappeln zu lassen. Daß Gerd eventuell mein Nachfolger wird, ärgert mich bei der ganzen Sache am meisten. Ich kann nicht begreifen, was Nita an ihm so sehr reizt. Er ist ein langweiliger Patron.

Frau Helene sah mit zusammengezogener Stirn vor sich hin.

»Sag das nicht! Er hat etwas, was die Frauen anzieht. Ich bin doch gewiß seine Feindin und eine alte Frau -- aber auch ich habe mich nicht ganz dem Zauber seiner imponierenden Persönlichkeit entziehen können. Er ist eben ein ganzer Mann, das muß man ihm lassen, auch wenn man ihm feindlich gegenübersteht.«

Dolf lachte häßlich auf.

»Ja, wenn du sogar von ihm bezaubert bist!« rief er höhnisch.

Aber es nagte an ihm, daß sogar seiner Mutter Gerds Persönlichkeit imponierte. Seine Eitelkeit wurde durch ihren Ausspruch von neuem verwundet. Er lechzte förmlich danach, seine Macht über Frauenherzen von neuem zu probieren.

Und der Zufall führte ihm in diesen Tagen eine schöne Frau in den Weg, die wohl von der Vorsehung dazu bestimmt war, sein Schicksal zu beeinflussen.

Es war am selben Tag, als er abends eine Gesellschaft besuchte, die einer seiner Freunde gab. Bei dieser Gelegenheit kam er näher mit der jungen Frau des Rechtsanwaltes Dr. Halm zusammen, die ihm schon früher aufgefallen war.

Dr. Halm war ein Mann in reiferen Jahren und hatte seine um zwanzig Jahre jüngere Frau vor einigen Jahren auf einer Reise kennengelernt und sie kurze Zeit darauf geheiratet. Sie war Elsässerin, hatte einen deutschen Vater und eine französische Mutter und war eine bildschöne und lebenslustige Frau.

Ihren Gatten hatte sie geheiratet, um aus sehr bescheidenen und mißlichen Verhältnissen von daheim fortzukommen. Ihr charmantes, feuriges Wesen verschaffte ihr zusammen mit ihrer Schönheit viele Verehrer, mit denen sie kokettierte und von denen sie sich den Hof machen ließ, ohne daß es ihr sonderlich tief gegangen wäre. Sie war auch klug genug, die Grenzen so zu ziehen, daß ihr etwas eifersüchtiger Gatte nicht einschreiten konnte.

Frau Dr. Halm hatte schon lange Zeit mit einem großen Interesse Dolf Falkners Persönlichkeit verfolgt. Der bildschöne Mann hatte es der temperamentvollen Frau angetan. Vielleicht war sie nur deshalb ihren Verehrern gegenüber so zurückhaltend, weil ihr Dolf Falkner besser gefiel als alle andern Männer. Sie war in Gesellschaft verschiedentlich mit Juanita Falkner zusammengekommen, aber die beiden Damen hatten wenig Gefallen aneinander gefunden.

Mit dem Instinkt der Eifersucht hatte Frau Dr. Halm in Erfahrung gebracht, daß Juanita das Haus ihres Mannes verlassen hatte. Und als nun an diesem Abend Dolf Falkner in ihren Gesichtskreis trat, sprühte ihm aus ihren Augen ein seltsames, unbeherrschtes Feuer entgegen. Sie war wieder von einer Verehrerschar umgeben, aber über diese hinweg trafen die beiden Augenpaare ineinander.

Dolf Falkner war von dem Blick der schönen Frau elektrisiert. Es gelüstete ihn, seine Macht über Frauenherzen wieder einmal zu erproben.

Und mit großer Befriedigung merkte er, daß er einen tiefen Eindruck machte. Es sprühte und funkelte ihm aus Melanie Halms Augen etwas entgegen, was sich wie ein heilendes Pflaster auf seine verwundete Eitelkeit legte. Frau Melanie aber wollte die schöne Spanierin ausstechen, und Dolf ging eifrig mit all seinen erprobten Verführungskünsten ins Feuer.

So kamen sich diese beiden Menschen nur zu willig entgegen. Dolf wollte um jeden Preis einen neuen Triumph seiner Eitelkeit feiern, und Frau Melanie war eine von jenen Naturen, die nur das begehrenswert finden, was sie andern Menschen streitig machen müssen.

Dolf und Frau Melanie Halm trafen bald überall zusammen, und es war nicht immer ein zufälliges Zusammentreffen. Es hatte nicht lange gedauert, bis Dolf einen neuen Sieg zu verzeichnen hatte. Melanie Halm war wahnsinnig verliebt in den schönen Mann mit den faszinierenden Augen und der betörenden Stimme. Sie war so beherrscht von ihrer Leidenschaft, daß sie kaum ihrem Gatten gegenüber die nötige Vorsicht walten ließ, obwohl sie dessen leicht entflammbare Eifersucht kannte.

So gingen einige Wochen hin, und Dolf erklärte seinem Vater, daß er einwillige, Nita für eine Million Mark ihre Freiheit wiederzugeben. Er möge die nötigen Schritte zur Einleitung der Scheidung tun.

Daß Dolf die Gelegenheit benutzte, der schönen Frau Melanie zuzuflüstern, das er nur ihretwegen außerstande sei, länger Ehefesseln zu tragen, war bei seinem Charakter verständlich.

Er liebte Melanie Halm so wenig, wie er andere Frauen geliebt hatte, aber es schmeichelte seiner Eitelkeit, daß sie sich ihm so sinnlos mit ihrem ganzen leidenschaftlichen Temperament hingegeben hatte.

Einer seiner Bekannten warnte ihn wohlmeinend und machte ihn auf Dr. Halms Othellonatur aufmerksam.

Aber Dolf verlachte seine Mahnung, weil der Warner zu Frau Melanies Verehrern gehört hatte. Er hielt es für Mißgunst.

 

Anläßlich einer geschäftlichen Konferenz hörte Bernhard Falkner, daß über seinen Sohn Dolf und Frau Dr. Halm allerlei Gerüchte kursierten.

Schweren Herzens ging Bernhard Falkner heim. Er sah mit trübem Blick in die Zukunft. Daß bei Dolfs Charakter die Sorgen und Kümmernisse nie aufhören würden, war ihm gewiß. Und trotz aller trüben Erfahrungen, trotz aller Bitterkeiten war Dolf sein Sohn, für den in seinem Herzen noch immer eine schmerzliche Liebe wohnte. Über die eben gehörten Gerüchte machte er sich große Sorgen.

Inzwischen war es Sommer geworden.

Gerd Falkner hatte bei Horsts an einem sonnenhellen Vormittag einen Besuch gemacht. Seine Tante hatte ihm mitgeteilt, daß sie in der nächsten Woche mit Lotti auf einige Wochen in ein Seebad reisen wolle und daß Nita sie begleiten solle.

Gerd war sofort damit einverstanden. Nita hatte nach all den Aufregungen eine Erholung sehr nötig, und es war auch gut, wenn sie jetzt für einige Zeit von L… fortkam. Sie wagte sich ohnedies kaum aus dem Haus, aus Furcht, Dolf zu begegnen. Und außerdem mußte es doch auffallen, das Nita sich so lange bei Horsts aufhielt und nicht in ihre Villa zurückkehrte.

Ihre Bekannten brachten die Tatsache, daß die junge Frau Falkner ihren Gatten verlassen hatte -- es war doch allerlei darüber gesprochen worden --, mit den Gerüchten in Verbindung, die über Dolf und Frau Dr. Halm kursierten.

Lotti Horst freute sich am meisten auf diese Reise, weil Dr. Bruckner zu gleicher Zeit in Swinemünde sein würde.

Sie stand jetzt Dr. Bruckner gegenüber nicht mehr auf dem kriegerischen Standpunkt. Das kindliche Wesen hatte einer mädchenhaften Lieblichkeit Platz gemacht. Da sie jetzt von Bruckner ganz als erwachsene Dame behandelt wurde und er sich auch über ernste Fragen mit ihr unterhielt, war sie ihm gegenüber meist sehr friedlich gestimmt. Wenn er nun gar zuweilen über seine Arbeiten mit ihr sprach, dann leuchteten ihre blauen Augen stolz und freudig auf.

Dr. Bruckner sah die köstliche Frucht reifen und hatte bereits mit Albert Horst und seiner Gattin eine ernste Aussprache gehabt. Es war dabei verabredet worden, daß Dr. Bruckner in Swinemünde mit den Damen zusammentreffen und dort in der Ungezwungenheit des Badelebens eine günstige Stunde für seine Werbung abwarten solle. Denn daheim fand sich selten oder nie ein ungestörtes Alleinsein.

Als Gerd von seinem Besuch bei Horsts an diesem Sommertag langsam nach Hause ging und über den Promenadenplatz schritt, sah er plötzlich vor sich eine rundliche Frauengestalt mit weißer Schürze und weißer Haube auf seine Wohnung zueilen.

Das ist doch Tina, dachte Gerd und wunderte sich, daß sie gar so schnell lief.

Er eilte ihr nach und rief sie an, aber sie hörte ihn nicht. So kam er in seiner Wohnung an, als man Tina eben eingelassen hatte.

»Herr Professor, die Köchin Tina wartet drinnen auf Sie. Ich habe ihr gesagt, daß Sie jede Minute kommen müßten, und da wollte sie warten«, meldete der Diener. Gerd nickte ihm zu und trat schnell ein.

»Tina, du läufst ja wie eine Sechzehnjährige!« rief er scherzend. Aber als er in ihr verstörtes Gesicht sah, fügte er erschrocken hinzu: »Was gibt es, Tina? Wie siehst du aus?«

Die alte Dienerin war von dem Stuhl, auf den sie, vom schnellen Lauf erschöpft, gesunken war, sofort aufgesprungen.

»Ach Herr Gerd, Herr Gerd!« stieß sie hastig hervor.

»Was ist geschehen, Tina? Du bringst eine schlimme Botschaft?«

Sie nickte und wischte sich mit dem Schürzenzipfel über das erhitzte Gesicht.

»Sie müssen schnell mitkommen, Herr Gerd, und dann -- ja dann müssen Sie wohl schnell an die alte Herrschaft telefonieren. Ich wollte es schon von zu Hause aus tun -- aber unsereins findet doch bei so was nicht die rechten Worte. Erschrecken Sie sich man nicht zu sehr, Herr Gerd -- es ist etwas sehr Schlimmes geschehen mit Herrn Dolf. Sie haben ihn eben nach Hause gebracht, und er sieht aus wie ein Toter. Und verwundet ist er auch. Der Arzt ist noch bei ihm, und der hat mir gesagt, ich soll schnell seine Angehörigen herbeirufen. Was geschehen ist, weiß ich selber nicht, aber es ist alles so grauslich. Und da bin ich gleich schnell zu Ihnen gerannt, Herr Gerd.«

Dieser war sehr erschrocken, aber er faßte sich schnell.

»Ich werde sofort kommen, Tina, lauf du schnell wieder nach Hause, für den Fall, das du gebraucht wirst. Ich folge dir auf dem Fuß, sobald ich meinen Vater benachrichtigt habe.«

Tina eilte wieder davon. Gerd rief seinen Vater an und teilte ihm schonend mit, was Tina ihm berichtet hatte. Natürlich erklärte sein Vater, daß er sofort hinauskommen und seine Frau mitbringen würde. Nun eilte Gerd in die Wohnung seines Bruders. Nach einer kurzen Unterredung mit dem Arzt wußte Gerd, was geschehen war. Zwischen dem Rechtsanwalt Dr. Halm und Dolf hatte ein Duell stattgefunden. Dolf hatte einen Schuß in die Lunge erhalten, und das schlimmste war zu befürchten.

Warum das Duell stattgefunden hatte, wußte der Arzt nicht genau anzugeben. Aber er deutete diskret an, daß wahrscheinlich Dolfs Beziehungen zu Frau Dr. Halm die Veranlassung gegeben hatten, denn diese sei plötzlich abgereist.

Gerd fragte erschüttert, ob keine Hoffnung mehr bestehe, das Leben des Bruders zu erhalten. Er bat aber um volle Offenheit, und da erklärte ihm der Arzt, das Dolf nach menschlichem Ermessen nur noch wenige Stunden zu leben haben würde.

Noch ganz gelähmt von dieser Eröffnung, trat Gerd wenige Minuten später seinem Vater und seiner Schwiegermutter entgegen, die im Wagen herbeigekommen waren.

Bernhard Falkner vernahm bleich, aber gefaßt die schlimme Kunde, während seine Gattin einer Ohnmacht nahe war.

Von ihrem Gatten und Gerd gestützt, wankte sie in das Schlafzimmer ihres Sohnes.

Dolf lag bleich und mit geschlossenen Augen auf dem Bett. Eine Krankenpflegerin war dabei, allerlei Verbandszeug beiseite zu räumen.

Als die Mutter mit einem Wehlaut an Dolfs Bett zusammensank, öffnete er die Augen.

»Du, Mama!« sagte er leise und sah sie starr an.

»Dolf -- mein geliebtes Kind«, schluchzte Frau Helene erschüttert und im echten Herzenston mütterlicher Liebe.

Es war das erste Mal, daß Gerd von dieser Frau einen so wahren, tiefen Herzenston vernahm, und er verzieh ihr viel in dieser Stunde. Auch Bernhard Falkners Herz krampfte sich unter diesem Schmerzenslaut zusammen.

Nun hob Dolf seinen Blick zu Vater und Bruder empor, und als er in ihre blassen, ernsten Gesichter sah, machte er eine Bewegung, als schiebe er etwas Quälendes fort, und dann sagte er in einem unbeschreiblichen Ton:

»Nun werdet ihr ihn mit einem Mal los, den ungeratenen Sohn und Bruder!«

Bernhard Falkner hatte in dieser Stunde alles vergessen, was ihm Dolf angetan hatte. Vor ihm lag nur sein todgeweihtes, unglückliches Kind, das seinem Herzen teuer war, trotz allem.

»Mein armer, armer Junge -- daß ich dich nicht besser behüten konnte«, sagte er erschüttert und streichelte mit einer unendlich zärtlichen Gebärde über Dolfs Stirn.

Der sah mit einem langen, dunklen Blick in des Vaters Augen. Dann wandte er sich langsam zu Gerd und sagte matt:

»Nun gibt dir das Schicksal freie Hand, Gerd. Alles -- alles wird dir gehören -- auch Nita. Willst du mir Nita nicht herbeiholen? Ich -- ich möchte Frieden machen mit ihr -- sie noch einmal sehen -- ehe es zu Ende geht.«

Gerd nickte stumm und eilte hinaus.

So seltsam ist es: Wenn ein Mensch, der uns durch Bande des Blutes angehört, uns noch so sehr gequält hat sein Leben lang -- stirbt er, so möchten wir ihn halten, und unser Herz ist traurig und voll Schmerz, wenn wir ihn gehen lassen müssen, für immer.

Gerd stürzte in den Wagen seines Vaters, der noch vor dem Haus hielt, und fuhr zu Horsts.

Nita erschrak, als sie hörte, was geschehen war, und wurde sehr bleich. Aber sie war sofort bereit, Gerd zu begleiten. Und so fuhren sie wenige Minuten später zusammen zurück.

Sie sprachen während der Fahrt kein Wort.

 

Dolf hatte inzwischen nur wenige Worte mit seinen Eltern gewechselt. Einmal sagte er zu seinem Vater, während seine Hand zitternd über das Haupt der Mutter tastete, die neben dem Bett auf den Knien lag und das Gesicht in sein Kissen drückte:

»Ich habe den Frauen viel Leid zugefügt -- nun sterbe ich durch eine Frau. Dr. Halm hat nur sein Recht gewahrt, Vater, als er mich niederschoß. Bis zuletzt glaubte ich nicht, das daß es todernst würde, aber als ich ihm gegenüberstand, da wußte ich es -- jetzt geht es ans Leben.«

Seine Mutter erzitterte vor Schmerz. Da strich ihr Dolf wie kosend und tröstend über die feuchten Wangen. Erst war es, als schäme er sich dieser Liebkosung. Sein Vater hatte es aber bemerkt, und diese scheue Liebkosung löste viel Bitterkeit in seiner Seele, und die Tränen traten ihm in die Augen.

»Und ist auch keiner vollkommen gut,
so ist ganz ohne Gutes auch keiner.«

So heißt es in der Edda.

Auch in Dolfs verhärtetem Herzen regte sich in seiner Todesstunde unter allen Schlacken das Körnlein echten Goldes.

Wieder streichelte der Vater Dolfs Stirn.

»Mein armer Junge!«

Da lächelte Dolf. Aber es war nicht sein altes häßliches Lächeln. Fast kindlich und jugendhaft sah es aus.

Und dann kamen Gerd und Nita.

Zögernd, mit großen bangen Augen trat das junge Weib an das Lager ihres sterbenden Gatten.

Dolf sah ihr lange ins Gesicht.

»Gib mir deine Hand«, bat er.

Zitternd streckte sie ihm die Hand entgegen. Er erfaßte sie.

»Verzeihe mir, Nita!«

»Alles, Dolf -- alles«, sagte sie mit tränenerstickter Stimme.

Er lächelte.

»So leicht ist es, Verzeihung zu erhalten -- wenn man vom Tod gezeichnet ist. Ich habe mein Lebtag nicht viel Gutes getan -- nur ist ja alles eins , und ihr habt recht behalten. Aber ich danke euch allen, daß ihr gekommen seid, daß ihr mich nicht einsam -- sterben laßt.«

Er schwieg eine Weile, die Augen nicht von Nitas Gesicht wendend. Dann sagte er leise:

»Zuletzt, Nita da habe ich dich doch geliebt -- mehr als die andern. Und ich habe noch einen Wunsch an dich.«

»Sprich ihn aus, Dolf. Wenn ich kann, will ich ihn dir gern erfüllen«, sagte Nita bewegt.

Er deutete matt auf sein Gesicht.

»Da brennt noch dein Schlag. Soll ich ihn mit mir nehmen? Einen Schlag von Frauenhand -- sühnt nur -- ein Kuß.«

Sie beugte sich erbarmend über ihn und küßte ihn ein letztes Mal.

Er lag eine Weile mit geschlossenen Augen. Dann blickte er wieder auf, und ein feuchter Schimmer lag in seinen Augen. Als schäme er sich der Weichheit, sagte er ironisch:

»Welch ein Zerrbild ist der Mensch! Da liege ich nun wie ein sentimentales Frauenzimmer. Laßt es euch nicht anfechten, ich bereue nichts -- nichts. Und seid glücklich -- das Leben ist kurz. Schlagt keine frohe Stunde aus, der Rest -- ist -- Schweigen.«

Dann lag er wieder lange stumm mit geschlossenen Augen.

Der Arzt kam herein, um nach ihm zu sehen. Dolf blickte ihn an.

»Ist es schon Zeit, Doktor?«

Der schüttelte lächelnd den Kopf und machte einen Scherz.

Eine barmherzige Lüge.

Frau Helenes Augen hingen angstvoll an denen des Arztes.

Der sah nur ernst in Gerds Augen. Dieser begriff sofort. Und da bäumte sich der Verwundete plötzlich auf.

»Mutter!« rief er gurgelnd.

Ein Blutstrom schoß aus seinem Mund. Dann seufzte er tief auf und verschied.

Gerd führte die halb ohnmächtige Nita aus dem Zimmer. Die Eltern waren mit ihrem toten Sohn allein.


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