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VII

Frau Helene hatte die Hochzeitsfeier für ihren Sohn und Nita mit allem Glanz in Szene gesetzt. Ihr zur Verschwendung neigender Charakter fand ein großes Vergnügen daran, so recht aus dem vollen zu schöpfen. Sie gebärdete sich ganz, als ob sie über Nitas Vermögen zu verfügen hätte.

Bernhard Falkners Rechtlichkeitsgefühl setzte sich dieser Auffassung seiner Gattin gegenüber ernstlich zur Wehr. Er suchte Einhalt zu tun und wünschte, daß die Hochzeitsfeier so gestaltet würde, wie es seinen Verhältnissen entsprach und nicht Nitas Verhältnissen.

Helene setzte aber doch ihren Willen durch. Eine sehr unliebsame Überraschung wurde aber Dolf zuteil, als er am Morgen seines Hochzeitstages, ehe er mit Nita zur Kirche ging, mit seinem Vater eine Unterredung über Nitas Vermögensverhältnisse hatte. Dolf hatte erwartet, daß er nun ohne Vorbehalt das ganze Vermögen Nitas ausgezahlt bekäme und damit nach eigenem Gutdünken schalten und walten könne. Statt dessen teilte ihm sein Vater mit, welche Bestimmungen Justus Trebin in seinem Testament bezüglich der Verheiratung seiner Tochter getroffen hatte. »Die Verwaltung von Nitas Vermögen bleibt also vorläufig in meinen Händen, mein Sohn. Bis zu Nitas einundzwanzigstem Geburtstag steht dir vorläufig nur die Nutznießung zu. Ihr werdet von mir die Zinsen ausgezahlt bekommen, die ja bei Nitas Vermögen jährlich ein hübsches Kapital ausmachen. Ich erwarte aber von dir, daß du trotzdem nun ein Leben ernster Arbeit und Pflichterfüllung führen wirst und mir in diesen Jahren, bis zu Nitas Großjährigkeit, den Beweis lieferst, das du würdig bist, später das Verfügungsrecht über Nitas Vermögen zu erhalten. Justus Trebins Testament schreibt mir vor, daß ich mir dann, wenn ich von der Tüchtigkeit und Vertrauenswürdigkeit von Nitas Gatten überzeugt bin, ihr Vermögen in seine Hände legen darf. Andernfalls ist Gütertrennung vorgeschrieben. Nitas Vermögen würde in solchem Fall für dich unantastbar sein und dir würden dann auch später nur die Zinsen zustehen. Ich sage dir das alles nur, mein lieber Dolf, weil mir mein Gewissen vorschreibt, gerade bei meinem Sohn einen besonders strengen Maßstab anzulegen, wenn ich mich an Nitas Mündigkeitstermin für oder gegen dich entscheiden soll. Ich hoffe, daß ich mit gutem Gewissen für dich sein kann und bitte dich deshalb noch ausdrücklich, ein Leben ernster Arbeit und strenger Pflichterfüllung zu führen. Mußestunden zum frohen Genießen deiner Jugend wirst du trotzdem noch genug haben. Und in Anbetracht deiner Heirat will ich dir jetzt noch einmal zwei Monate Urlaub für deine Hochzeitsreise geben. Dann aber bestehe ich darauf, das du in mein Geschäft eintrittst und dich einer geregelten Tätigkeit hingibst. Nur in einer solchen kann ein tüchtiger Mann wirkliche Befriedigung empfinden.«

So sprach Bernhard Falkner mit ernster, warmer Stimme zu seinem Sohn.

Dolf war wie vom Donner gerührt. Das kam ihm so unerwartet, so verblüffend, daß er sprachlos vor sich hinstarrte. Er hatte sich seinen Lebensplan so ganz anders gemacht, als ihn der Vater jetzt vorschreiben wollte. Wozu hatte er denn eine Millionärin gefreit, wenn ihr Vermögen nicht ihm gehören sollte? Er hatte sich schon ausgelegt, das er im holden Nichtstun seine Tage verbringen und wie ein Fürst leben wollte. Jedes Jahr einige Wochen in Paris, dann in Nizza, im Winter in St. Moritz und dazwischen andere schöne Dinge. Alles natürlich im großen Stil des Millionärs. Er wollte der Welt schon zeigen, wie man elegant und mit Grazie das Geld um sich streut. In der hübschen, kleinen Villa am Stadtwald sollten nur so zwischendurch Gastrollen gegeben werden, aber immer nur für kurze Zeit, damit der alte Herr nicht auf den Gedanken käme, seine Nase in seine Vermögensverhältnisse zu stecken. Großmütig hatte Dolf schon seine Mutter eingeladen, zuweilen in der großen Welt sein Gast zu sein, damit sie sich auch in dem Millionenglanz sonnen könne. »Der alte Herr« war in Gedanken glatt übergangen worden, der paßte mit seinen rückständigen schwerfälligen Ansichten nicht in solch ein elegantes Genießerleben.

Auf Juanita hatte Dolf in seinen Lebensplänen weiter keine Rücksicht genommen. »Das süße kleine Schaf« würde natürlich zu allem ja sagen, was er von ihr verlangte.

So hatte sich Dolf das alles gedacht. Und nun redete der alte Herr solch dummes Zeug daher. Warum hatte er nicht schon vorher von den »verrückten Testamentsbestimmungen« gesprochen? Das war ja unerhört, einfach unerhört, was man ihm da zumutete. Wenn er den Kontorsessel drücken wollte, dann brauchte er doch wahrlich nicht seine Freiheit aufzugeben und zu heiraten. Jetzt sollte er also mindestens noch drei Jahre lang den Musterknaben spielen und unter des alten Herrn strengen Augen Beweise ungeahnter Würdigkeit und Tüchtigkeit geben, damit er sich erst das Anrecht auf die Millionen erwarb, die er schon sicher in der Tasche zu haben glaubte.

Das war eine schlimme Enttäuschung für Dolf, und nur mit Mühe und Not vermochte er seinem Vater gegenüber so viel Haltung zu wahren, daß dieser nicht schon heute einen schlimmen Einblick vom wahren Charakter seines Sohnes erhielt.

Aber nach Beendigung dieser Unterredung suchte Dolf seine Mutter auf, und in deren Gegenwart tobten sich sein Grimm und seine Wut aus über den »schwachsinnigen alten Herrn«, der vom Leben keine Ahnung hatte und ihn sicher »niederträchtig peinigen« würde mit seinem Rechtlichkeitsfieber und seinem Pflichteifer.

Frau Helene war ebenfalls sehr enttäuscht. Auch sie hatte von diesen Testamentsbestimmungen nichts gewußt. Aber sie beschwor Dolf, doch diese wenigen Jahre vernünftig zu sein. Später könne er dann doch tun, was er wolle. Und er müsse doch bedenken, das Nitas Vermögen sehr hohe Zinsen einbringe und er auf alle Fälle eine günstige Verbindung geschlossen habe.

Dolf hörte zuerst nicht auf diese Begütigungsversuche und benahm sich durchaus nicht liebevoll gegen seine Mutter. Der rohe Kern seines Wesens brach durch die dünne, oberflächliche Politur. Frau Helene hatte eine sehr schlimme Stunde zu durchleben.

Schließlich musste sich Dolf aber doch ins Unvermeidliche fügen, und er tröstete sich endlich mit dem Gedanken, daß er sich auch so das Leben angenehm machen wollte. Dem alten Herrn mußte man eben noch einige Jahre Komödie vorspielen wie bisher, aber da man nun nicht mehr im Hause wohnte, konnte man sich das schon alles erträglich einrichten. Geld brauchte ja keine Rolle zu spielen, und mit Geld ist alles zu machen. So schritt Dolf zwei Stunden später leidlich besänftigt an Nitas Seite zum Altar.

Nita war eine entzückende Braut, und Dolf erschien in seiner eleganten, schönen Erscheinung als würdige Ergänzung.

»Welch ein schönes Paar!«

»Wie glücklich die Braut aussieht -- ach, wie ist sie zu beneiden.«

So flüsterte die Zuschauermenge an der Kirchentür.

Es gab überhaupt viel Glanz und Schönheit zu sehen bei dieser Hochzeit. Zahllose Wagen fuhren an der Kirchenpforte vor und ließen ihre mehr oder minder schönen und glänzenden Insassen aussteigen.

Frau Helene war noch immer eine der blendendsten Erscheinungen. Für diese Frau schien die Zeit fast stillzustehen. Die verflossenen zehn Jahre hatten ihrer Schönheit nicht viel anhaben können. Ein wenig stärker war sie geworden, und der perlengleiche, mattweiße Teint zeigte, trotz sorgfältigster Pflege, etwas weniger Frische und Zartheit. Wenn man ihr ganz nahe ins Antlitz sah, zeigten sich um die Augen doch mancherlei kleine Fältchen. Aber in einiger Entfernung und bei Lampenlicht sah sie noch blendend aus.

Sie trug eine kostbare Toilette aus lichtgrauem Seidenchiffon über weißer, fließender Seide, mit köstlichen Spitzen verziert. Dieses zarte Grau stimmte wundervoll zu dem rotgoldenen Ton ihres Haares, in dem ein herrliches Brillantdiadem flimmerte.

Bernhard Falkner sah weniger vorteilhaft aus neben der imponierenden Erscheinung seiner Gattin. Man merkte ihm an, daß er den Sechzig nicht mehr fern war, wenn er auch noch immer als gutaussehender, stattlicher Mann gelten konnte.

Nita war wie im Traum an Dolfs Seite zum Traualtar geschritten. Sie sah und hörte nicht viel von all den Menschen, die sie umgaben. Beseligt fühlte sie nur, daß Dolf ihren Arm leise an sich drückte. Und ihre junge, reine Seele war erfüllt von der Weihe dieser Stunde. Mit einer tiefinnerlichen Seligkeit war sie sich bewußt, daß sie jetzt einem Menschen durch die heiligsten und festesten Bande zu eigen gegeben wurde.

Hätte sie einen Blick in das Herz ihres jungen Gatten tun können, dann wäre sie wohl schaudernd von seiner Seite gewichen und in Angst und Grauen geflohen, so weit sie ihre Füße trugen. Ihr reines Herz ahnte aber nichts von den niedrigen Gedanken und Begierden, die in seiner Seele wohnten. Sie glaubte an ihn, sah ihn so, wie sie sich wünschte, daß er sein möge.

Als nach dem letzten bindenden Wort die große Gratulationscour begann, nahm Dolf die Glückwünsche mit stolzem Siegerlächeln entgegen, während Nita scheu und selig vor sich hinblickte. Sie war es so gar nicht gewöhnt, der Mittelpunkt einer großen Gesellschaft zu sein, war sie doch von Frau Helene bisher überhaupt nicht zu größeren Festlichkeiten zugelassen worden.

Im stillen mokierten sich die Gäste natürlich darüber, wie schlau es die Falkners angefangen hatten, diesen Goldfisch für sich zu fangen. Mancher andere wäre sehr gern an Dolfs Stelle gewesen, nicht nur, weil die Braut eine Millionärin war, sondern auch, weil sie so hold und lieblich anzuschauen war.

Einige nähere Bekannte konnten es nicht unterlassen zu fragen, warum Dr. Gerhard Falkner nicht an der Hochzeitsfeier seines Bruders teilnahm. Diese Gelegenheit, ein wenig den wunden Punkt der Familie Falkner zu berühren, konnte man sich nicht entgehen lassen. Aber diese Neugierigen bekamen eine prompte, glatte Antwort.

»Gerd befindet sich ja, wie bekannt, auf einer Südpolarexpedition.«

Dieser Bescheid mußte ihnen genügen. Die Hochzeitsfeier gestaltete sich so glänzend, wie es Frau Helene gewünscht hatte.

 

Am Spätnachmittag reiste das junge Paar ab. Die Hochzeitsreise führte es zunächst in einige französische Seebäder, die Dolf gern kennenlernen wollte. Später sollten sich noch Aufenthalte in Paris und zuletzt in Nizza anschließen. Ende Oktober wollte das junge Paar nach Hause zurückkehren und die hübsche, elegante Villa am Stadtwald beziehen.

Nita hatte sich von ihrer Schwiegermutter die alte Tina ausgebeten. Die sollte mit ihr in ihr neues Heim übersiedeln; es erschien Nita unmöglich, sich von der treuen, alten Dienerin zu trennen.

Frau Helene hatte dieser Wunsch mit einigem Befremden erfüllt. Sie wußte ja nicht, was Tina dem jungen Geschöpf gewesen war.

Tina hatte nicht mit der Wimper gezuckt, als Frau Helene sie herbeirufen ließ und ihr Nitas Wunsch mitteilte. War sie doch schon von Nita vorbereitet worden.

»Mir ist es gleich, gnädige Frau, ob ich hier koche oder bei der jungen, gnädigen Frau«, hatte sie ruhig gesagt.

Und so war es bestimmt worden, daß Tina in die Villa des jungen Paares mit übersiedelte, obwohl Dolf für einen französischen Koch plädiert hatte.

»Nimm du dir ruhig einen französischen Koch, lieber Dolf, aber ich bin so sehr an Tinas Küche gewöhnt, und da Mama so gütig ist, mir Tina abzutreten, so soll sie auch in Zukunft für mich kochen«, hatte ihm Nita lächelnd geantwortet.

Und als sie dann noch ein Weilchen mit Tina allein war und heimlich von ihr Abschied nahm vor der Reise, da sagte sie herzlich:

»Nicht wahr, mein Altchen, wir zwei bleiben zusammen, du läßt deine Nita auch im Glück nicht allein. Ich muß doch jemanden haben, dem ich mein volles Herz ausschütten kann, wenn mein Dolf in der Fabrik ist. Aber du sollst viel, viel mehr Ruhe bekommen, meine gute Tina, sollst dich nicht mehr so plagen. Du nimmst dir noch eine jüngere Hilfe für die Küche an und behältst nur die Oberaufsicht. Laß mich nur erst wieder zurück sein, du sollst es gut haben, mein Altchen, und immer bei mir bleiben.«

Tina hatte schrecklich geweint.

»Ach Gott, ach Gott, mein Nitachen, nein -- gnädige Frau muß ich doch wohl nun sagen, ich gehe ja so gerne mit, habe mich ja schon so gebangt all die Zeit, daß ich Sie nicht mehr alle Tage sehen soll.«

Nita schüttelte sie an den Schultern.

»Du -- gleich laß ich dich hier zurück, wenn du nicht schnell wieder ›Du‹ und ›Nitachen‹ zu mir sagst, solange wir allein sind. Wenn es die andern hören, magst du mich titulieren wie du willst, es soll ja niemand wissen, daß du mein liebes, gutes Altchen bist. Aber wenn wir allein sind, gibt es das nicht. Es würde mir etwas Liebes und Gutes fehlen.«

»Na ja, mein Nitachen, na ja, weil du es so haben willst. Und Gott segne und behüte dich -- mir ist mein Herz so bang und schwer um dich«, erwiderte Tina mit einem Seufzer.

Nita lächelte aber froh.

»Das hast du nun gar nicht mehr nötig, mein Altchen, ich bin ja so glücklich, so sehr glücklich.«

Damit hatte Nita die Alte herzlich umarmt und war mit einem »Auf Wiedersehn!« davongehuscht. Tina aber sah ihr sorgenvoll nach.

»Ach, du lieber Gott -- hilf doch, daß sie nicht unglücklich wird. Ich bin ja so bange, daß sie in Zukunft viel nötiger als bisher eine Seele braucht, die zu ihr hält. Unser Herr Dolf ist doch ein Windbeutel und kein guter Mensch. Er hat sie ja doch nur des vielen Geldes wegen genommen. Der liebt doch niemanden als sich selbst -- wie seine Frau Mutter. Wenn das nur gutgeht -- wenn das man gutgeht.«

So dachte die alte Tina, und ihr Herz war wirklich recht voll Angst und Sorgen, war es schon gewesen, seit sie gehört hatte, daß Nita sich mit Dolf verlobt hatte.


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