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XVI

Juanita stand vor dem großen Spiegel in ihrem Ankleidezimmer und schaute mit frohem Lächeln auf ihr eigenes Spiegelbild. Sie sah wunderschön aus in dem eleganten Gesellschaftskleid aus Seidenmusselin mit Seidenfransen und Silberstickereien von großer Kostbarkeit. Eng schmiegte sich der weiche Stoff um ihre schlanke Gestalt und schlang sich in weichen Falten als Schleppe um ihre Füße. Der warme Ton ihres Teints bildete einen reizvollen Gegensatz zu dem schneeigen Weiß des Gewandes. Sie trug keinen andern Schmuck als eine einzige kostbare Perlenschnur, die sich in einzigartiger Schönheit um den schlanken Hals schmiegte. In ihrem reichen, blauschwarzen Haar leuchtete eine tiefrote Blüte; sie sah aus wie zufällig in dem schwarzen Gelock befestigt und wirkte doch wundervoll apart und eigenartig. Juanita freute sich, daß sie gut aussah, wußte sie doch, das Gerd der Mittelpunkt des heutigen Festes bei ihren Schwiegereltern sein würde. Und in aller Harmlosigkeit wünschte sie, Gerd zu gefallen. Sie wollte schön sein, damit er stolz sein konnte auf seinen Schützling; sie wollte ihm zeigen, daß sie sich für ihn festlich geschmückt hatte.

In ihrem Herzen bebte eine heiße, innige Freude auf das Wiedersehen mit ihm. Kein unruhiger Gedanke trübte ihr diese Freude. Sie war sich nicht bewußt, daß sie etwas anderes für ihn empfand als warme, innige Verehrung, herzliche schwesterliche Zuneigung. Sie fand es so selbstverständlich und natürlich, daß sie sich nach diesem Wiedersehen mit ihm sehnte.

Als sie nun fertig war, schritt sie die Treppe hinab ins Vestibül. Ihre schmalen, kleinen Füße in weißen Schuhen kamen graziös unter dem Kleid hervor, und die weiche Schleppe ringelte sich in einem schmalen Streifen hinter ihr her.

Dolf erwartete sie bereits im eleganten Gesellschaftsdreß. Er sah blendend aus. Der Frack, dieses oft so unkleidsame Kleidungsstück, brachte die Vorzüge seiner schlanken Gestalt vorzüglich zur Geltung.

Er war durch Juanitas Erscheinung direkt frappiert, und als sie nun neben ihm stand, hätte man sich kein schöneres Paar denken können. Diese beiden Menschen schienen geschaffen zu sein, einander zu beglücken.

Juanita hatte jedoch keinen Blick für ihren Gatten. Aber in seinen Augen glomm ein wildes Feuer auf.

Als er ihr den Mantel, den der Diener herbeibrachte, um die Schultern legte, sah er dicht vor sich den herrlich geformten Nacken, der aus dem Ausschnitt des Kleides hervorsah, und den wundervollen Ansatz des duftenden Haares. Obwohl der Diener dabeistand, konnte er es sich nicht versagen, einen Kuß auf die edle Nackenlinie zu pressen.

Nita zuckte zusammen wie unter einem Schlag und zog hastig den Mantel fest um sich zusammen. Da aber der Diener zugegen war, sagte sie kein Wort und schritt nur hastig zu dem harrenden Wagen.

Dolf hatte gemerkt, wie sie zusammengezuckt war. Er ahnte in seiner Selbstgefälligkeit nicht, daß sie diesen Kuß als einen Schimpf, eine Beleidigung auffaßte und daß er wie ein quälendes Feuermal auf ihrem Nacken brannte. Siegessicher lächelnd, folgte er ihr und hob sie in den Wagen. Sie schmiegte sich eng, den Mantel fest zusammenhaltend, in die äußerste Ecke, um einer Berührung mit ihm zu entgehen. Als er ihr nahe rücken wollte, raffte sie ihr Kleid an sich.

»Bitte, sieh dich vor, du verdirbst mir mein Kleid«, sagte sie hastig.

Er strich lächelnd über den weichen Stoff.

»Wie besorgt die Frauen immer um ihre Toilette sind! Es wäre auch schade um die schöne Robe, sie kleidet dich wundervoll. Du siehst aus wie eine junge Königin.«

Sie schloß stumm die Augen. Es war ihr unmöglich, ihm etwas zu erwidern. Sie wollte sich durch nichts aus ihrer frohen Stimmung reißen lassen.

»Gerd ist da -- Gerd ist da!« So sang und klang es in ihr.

Dolf war in weniger rosiger Stimmung. Es behagte ihm durchaus nicht, daß der verhaßte Stiefbruder wieder ins Vaterhaus zurückkehrte, daß er an einer Feier ihm zu Ehren teilnehmen mußte. Seine Mutter hatte ihm jedoch einen Wink gegeben, daß der Vater in keiner Weise gereizt werden dürfte. Und so mußte er zu allem gute Miene machen.

Dolf und Juanita waren ebenfalls eine Stunde früher gebeten worden als die übrigen Gäste.

Als sie ankamen, war Gerd noch nicht erschienen. »Der feierliche Akt«, wie Dolf spöttisch sagte, stand noch bevor.

Juanita tauschte einen strahlenden Blick mit ihrem Schwiegervater, und ihre Hände hielten sich lange fest. Der alte Herr lehnte blaß und erregt am Kamin. Sie hing sich in seinen Arm ein und stellte sich an seine Seite, während sich Dolf neben seiner Mutter, die sich nervös auf die Lippen biß, in einen Sessel setzte.

Und gleich darauf wurde Gerd gemeldet.

Sein Vater ging ihm bis zur Tür entgegen und streckte beide Hände nach ihm aus. Wortlos ergriffen sah er auf Gerds elegante, vornehme Erscheinung und preßte seine Hände fest zwischen den seinen.

Dolf warf einen scharf prüfenden Blick auf den Bruder und mußte zu seinem Arger konstatieren, daß dessen äußere Erscheinung sich neben der seinen behaupten konnte. Gerd war vielleicht weniger hübsch, sah aber dafür entschieden bedeutender und interessanter aus.

Frau Helene war unsicher und befangen. Die gestrige Aussprache mit ihrem Gatten hatte ihre Sicherheit etwas erschüttert.

Bernhard Falkner zog seinen heimgekehrten Sohn tiefer ins Zimmer. Über des Vaters Schulter hinweg flog Gerds Blick zu der schlanken, weißen Gestalt hinüber, die noch am Kamin stand und ihm mit großen, wundersam leuchtenden Augen entgegensah.

Einen Moment tauchten ihre Augen ineinander. Gerds Herz klopfte in rasendem Tempo. Er war wie geblendet von Juanitas Schönheit, und ein Gefühl, gemischt aus tiefstem Schmerz und höchster Glückseligkeit, erfüllte seine Seele.

Dieser kurze Blickwechsel zwischen ihm und Juanita, das Aufleuchten ihrer Augen, die ihm ein jubelndes »Willkommen!« zuriefen, war ihm ein so großes innerliches Erlebnis, daß alles andere, das in dieser Stunde noch auf ihn einstürmte, wie wesenlos an ihm abglitt.

Nachdem er seinen Vater begrüßt hatte, trat er schnell, mit großer Sicherheit und Selbstbeherrschung, auf seine Stiefmutter zu, verneigte sich vor ihr und faßte ihre Hand, die sie ihm zögernd, und doch gegen ihren Willen, bezwungen durch seine imponierende, vornehme Erscheinung, entgegenstreckte. Höflich führte er ihre Hand an die Lippen. Es war nur eine flüchtige Berührung, nur eine Form der Höflichkeit, und doch -- wurde Helene durch sein sicheres Auftreten und diese höfliche Artigkeit entschieden angenehm enttäuscht. Sie hatte sich auf einen heimlichen Kampf eingerichtet, hatte geglaubt, er werde ihr feindlich und rücksichtslos begegnen. Statt dessen lag in seinem ganzen Wesen das Bestreben ausgedrückt, zwischen sich und der Frau seines Vaters ein erträgliches Verhältnis zu schaffen.

Und da atmete sie erleichtert auf, fast fühlte sie eine leise Dankbarkeit. Und so fielen ihr einige höfliche Begrüßungsworte nicht so schwer wie sie vorher gedacht hatte.

Dolf hatte das alles scharf beobachtet, und als Gerd nun freimütig an ihn herantrat und ihm die Hand reichte, als hätten sie einander gestern erst gesehen, da konnte er nicht anders, als auf seinen unbefangenen, wenn auch nicht besonders herzlichen Ton einzugehen.

Bernhard Falkner hatte mit unruhigen Augen diese Begrüßung beobachtet und atmete verstohlen auf.

Gerd wandte sich nun, wie zu seiner eigenen Belohnung, aufatmend zu Juanita. Sein Blick schien sich festzusaugen an ihrer Lichtgestalt. Sie trat rasch auf ihn zu, streckte ihm die Hand entgegen und lächelte ihm mit ihrem süßen Lächeln zu, das er im Wachen und Träumen vor sich gesehen hatte.

»Gerd, lieber Gerd, willkommen, herzlich willkommen daheim! Ich freue mich so sehr, dich zu sehen«, sagte sie mit bebender Stimme.

Er wurde bleich vor Erregung. Tief neigte er sich über ihre Hand und preßte seine Lippen darauf. Als er sich dann aufrichtete, lag in seinen Augen ein Ausdruck, der ihr Herz schneller schlagen ließ.

»Ich danke dir, Juanita«, antwortete er leise.

Dolf sah befremdet dieser Begrüßung zu und trat plötzlich dicht an Juanitas Seite.

»Ich bin erstaunt, daß ihr euch noch kennt. Jedenfalls nahm ich an, daß ich dir erst meine Frau vorstellen müßte, Gerd«, sagte er schnell.

Gerd hatte sich schon wieder in der Gewalt.

»Du siehst, daß es nicht nötig ist, Dolf«, antwortete er.

Dieser wollte seine Hand um die Schulter seiner Frau legen, gleichsam um sein Besitzerrecht zu beweisen, aber Juanita entglitt ihm, ehe er dazu gekommen war, und flüchtete sich instinktiv an die Seite ihres Schwiegervaters.

Dieser zog ihren Arm durch den seinen und gab dem Gespräch schnell eine andere Wendung. Und da alle bemüht waren, in dieser Stunde keine Befangenheit aufkommen zu lassen, so plauderten sie lebhaft miteinander in einem höflichen Konversationston. Nur wenn Gerd mit Juanita oder dem Vater sprach, kam ein warmer Klang in die Unterhaltung.

Wie sehr sich Gerd beherrschen mußte, um Juanita gegenüber ruhig und unbefangen zu scheinen, das wußte niemand als er selbst. Bis ins tiefste Herz bewegte ihn der Anblick ihrer holden Schönheit, die heute in der kostbaren Toilette noch viel mehr zur Geltung kam als damals in dem weißen Straßenkostüm. Der süße Liebreiz ihres Wesens wirkte geradezu berauschend auf den sonst so ruhigen, zielbewußten Mann. Und die Gewißheit, daß er ihr teuer war, daß sie tiefer für ihn empfand, als ihr selbst zum Bewußtsein kam, war sehr gefährlich für ihn. Aber er schwor es sich selbst zu in dieser Stunde, daß er ihre Ruhe und Unbefangenheit nicht stören wollte, daß er stark sein wollte und mußte für sie und für sich. Wenn nur erst dieser erste Abend vorüber war, wenn er sich erst wieder an ihren Anblick, an ihren sonnigen Liebreiz gewöhnt hatte, dann würde er schon wieder ruhiger werden.

So verging die erste Stunde schnell, und als die Gäste eintrafen, fanden sie die Familie Falkner scheinbar in bester Harmonie. Gerd wurde natürlich von allen Seiten in Anspruch genommen. Jeder wollte mit dem berühmten Forscher sprechen, jeder wollte ihm etwas Schmeichelhaftes sagen. Er war wirklich der gefeierte Mittelpunkt der Gesellschaft, und seine stolze, imponierende Erscheinung zog aller Augen auf sich. Sogar Frau Helene mußte wider Willen öfter zu ihm hinüberblicken. Sie mußte sich bekennen, daß er keineswegs dem Bilde entsprach, das sie sich in ihrer Feindseligkeit von ihm gemacht hatte.

Dolf aber fühlte eine tiefe Gehässigkeit gegen den Bruder, der ihn so mühelos in den Schatten stellte. Sonst rissen sich die Damen um seine Gesellschaft, heute schien nur sein Bruder für sie zu existieren. Er war aber doch klug genug, seine Gefühle zu verbergen, und gab sich den Anschein, als sei er ein Herz und eine Seele mit seinem berühmten Bruder.

Juanita strahlte in glücklichem Stolz. Immer wieder flogen ihre Augen zu Gerds schlanker, eleganter Erscheinung hinüber. Sein schmaler Kopf mit den gebräunten, markanten Zügen zog ihre Augen wie magnetisch an. Und wenn ihre Blicke in seine tiefliegenden gedankenvollen Augen trafen, dann grüßten sie ihn aufstrahlend. Sie gab sich auch jetzt noch keine Rechenschaft über das, was sie für ihn empfand, und wußte nur, daß sie seine Gegenwart sehr froh und glücklich machte. Ohne Arg öffnete sie ihm ihr junges, vereinsamtes Herz und ließ ihn davon Besitz ergreifen, als könnte es gar nicht anders sein.

Bei Tisch saß sie ihm gegenüber, und sooft sie zu ihm hinübersah, begegneten sich ihre Blicke. Gerd konnte und wollte sich nicht gegen das Glücksgefühl wehren, das über ihn kam. Er fühlte sich stark genug, sich selbst in Zaum und Zügel zu halten. Und seiner selbst sicher, gab er sich dem holden Zauber hin, den sie auf ihn ausübte.

Nach Tisch verteilte sich die Gesellschaft in die an den Speisesaal stoßenden Räume. Gerd hatte sich ruhebedürftig aus der Gesellschaft gestohlen und suchte ein kleines Zimmer auf, das etwas abseits lag und das er leer wähnte. Als er über die Schwelle trat, sah er Juanita vor sich. Sie hatte sich in einen Sessel geschmiegt und den Kopf mit geschlossenen Augen zurückgelehnt.

Den Schritt verhaltend, sah er mit brennenden Augen auf das liebliche Bild. Ein süßen, träumerisches Lächeln umspielte ihren Mund. Er wollte sich schon zum Gehen wenden, weil er glaubte, daß sie hierhergeflüchtet war, um etwas Ruhe zu finden.

Da schlug sie aber die Augen auf, und ihn erblickend setzte sie sich schnell aufrecht.

»Ach Gerd -- du bist gewiß auch des Trubels müde, sagte sie lächelnd zu ihm aufsehend.

»Allerdings -- ich wollte hier ein wenig rasten. Aber ich will dich nicht stören, Nita.«

Sie schüttelte den Kopf.

»Du störst mich gewiß nicht, Gerd. Komm, setze dich zu mir, laß uns ein wenig plaudern, oder willst du nicht sprechen? Dann schweigen wir zusammen.«

Sie zeigte unbefangen auf einen Sessel, der neben ihr stand.

Der Raum war nur matt erhellt durch verschleierte Lampen, es herrschte eine trauliche Stimmung. Gerd fühlte, daß dieses Alleinsein mit ihr in diesem stillen Raum wie ein gefährlicher Zauber wirken musste, aber er setzte sich doch ihr gegenüber.

»Mit dir zu plaudern wird mir eine Erholung sein, Nita«, sagte er so ruhig er konnte.

Sie sah ihn glücklich lächelnd an und drückte die Hände ans Herz.

»Ach, Gerd, wie glücklich bin ich, das du nun wieder bei uns bist. Ich habe mich so namenlos danach gesehnt, dich wiederzusehen.«

Es stieg heiß zu seinem Herzen wie ein glühender Strom. Einen Augenblick stockte sein Herzschlag, und er konnte nicht antworten. Da sah sie ihm besorgt in das blasse Gesicht.

»Und du, Gerd? Freust du dich nicht? War es dir sehr schwer, heute hierherzukommen -- zu deiner Stiefmutter? Er atmete tief auf.

»Ich wußte ja, daß ich dich hier finden würde, Nita, dich und den Vater. Da habe ich nur an dieses Wiedersehen gedacht und mich sehr darauf gefreut.«

»Ja, wirklich?

Er nickte lächelnd.

Sie zog ein wenig an der Perlenschnur, als sei sie ihr zu eng.

Und er mußte denken, daß er noch nie etwas Schöneres gesehen hatte als diese mattweiß schimmernden Perlen auf der warmgetönten, jugendfrischen Haut des schlanken Halses. Er riß seine Augen davon los und fragte teilnehmend:

»Wie ist es dir ergangen, seit wir uns zuletzt gesehen haben?«

Sie atmete lächelnd auf.

»Ach, viel besser als zuvor. Ich hatte dich ja wiedergefunden, Gerd, und wußte, da draußen in der Welt lebt mir ein treuer Freund, dessen Gedanken bei mir sind. Nicht wahr, du hast viel an mich gedacht?«

Er nickte lächelnd.

»Sehr viel.«

»Oh, ich habe es gefühlt. Und dann hatte ich deine Bücher. Die waren mir lebendig geworden, seit ich dich wiedergesehen hatte. Ich bin mit dir im Geiste durch all die fremden Gegenden gewandert. Und wenn ich gelesen hatte, schloß ich die Augen, und dann war mir, als sprächst du zu mir. Deine Stimme klang mir ganz lebendig in den Ohren. Und so war ich nie allein. Auch ist Papa jetzt so lieb und gut zu mir, er ist mir ein treuer Berater in allen Dingen geworden. So reich bin ich jetzt. Soll ich da nicht froh und dankbar sein und mutig auch das ertragen was mir noch immer schwer zu tragen ist?«

Jedes ihrer Worte berührte ihn wie eine Liebkosung. Er hätte sagen mögen: Halt ein, Kind, ahnst du denn nicht, was mir jedes deiner Worte verrät? Weißt du nicht, daß so nur die Liebe spricht, fühlst du nicht, daß unsere Herzen sich entgegenfliegen mit jedem Wort, das wir tauschen? Aber er schwieg. Wußte er doch, daß sie wie eine Nachtwandlerin dahinging, die man nicht anrufen durfte, damit sie die Gefahr, in der sie schwebte, nicht erkannte. Sie mußte unbefangen bleiben.

Ach -- und es war so süß für ihn, diese innigen Bekenntnisse zu hören. So selbstverständlich erschien ihr die Zusammengehörigkeit ihrer Seelen. Sie war wirklich noch ein Kind im Denken und Fühlen und doch ein junges Weib mit dem ganzen Zauber der Reinheit über der Tiefe ihres Empfindens. Wie süß mußte es sein, sie zur Erkenntnis zu wecken. Er strich sich hastig über die Augen und richtete sich straff auf, um nicht der Versuchung zu erliegen.

»Ich freue mich sehr, Nita, daß du jetzt ruhiger über dein Schicksal denkst. Dolf wird ja auch mehr zur Einsicht kommen, und es wird hoffentlich alles noch zwischen euch gut werden.«

Diese Worte rang er sich gewaltsam ab, sich und seiner Rechtlichkeit.

Da sah ihm aber Nita bang und unruhig in die Augen, und ihr Gesichtchen wurde blaß.

»Nein, mein Gerd, daran ist nicht zu denken -- davon laß uns nicht sprechen. Ich bitte dich, trübe mir diese schönen, glücklichen Stunden nicht. Daß du es weißt -- Dolf ist mir fremd, so fremd, o -- nie kann ich wieder zu ihm zurückfinden. Das darfst du auch nicht wünschen, wenn du mich nur ein wenig liebhast. Nicht einmal Papa verlangt das von mir. Da ist etwas in mir wie ein Grauen. Nicht wahr, Gerd, du wirst nie von mir verlangen, daß ich mich je wieder anders zu Dolf stelle. Ich möchte immer alles tun, was du von mir wünschst, aber das verlange nicht von mir«, stieß sie zitternd hervor, und ihre Augen hatten einen Ausdruck, der ihn noch mehr erschütterte als ihre Worte.

Einen tiefen Einblick in ihre Ehe erhielt er durch ihre Worte, und er merkte, daß sie glaube, er wolle den Vermittler spielen zwischen ihr und Dolf.

Ein großes, heißes Mitleid mit ihr erfüllte sein Herz. Er nahm ihre Hand in die seine, und stark und ruhig fühlte er sich jetzt, weil er empfand, daß er ihr ein Halt sein mußte.

»Sei ruhig, Nita. Nie würde ich dich zu etwas drängen, was deiner Natur zuwiderläuft. Ich habe nur das Bestreben, dich vor Leid zu bewahren, soweit es in meiner Macht steht. Es schmerzt mich nur deinetwegen, daß du in der Ehe mit Dolf kein Glück gefunden hast. Wie tief das Zerwürfnis zwischen euch beiden ist, wußte ich ja nicht.«

Sie machte eine matte Bewegung.

»Ach, damit habe ich mich abgefunden; wenn mich Dolf nur ruhig meines Weges gehen läßt, so mag er auch den seinen gehen. Aber da ist etwas in letzter Zeit -- das mir bange macht. Ich kann nicht davon sprechen, aber ich fürchte mich zuweilen direkt vor ihm. Ach, Gerd! Wenn ich doch nie seine Frau geworden wäre. Oder wenn ich mich von ihm los kaufen könnte. Es war ihm ja nur um mein Geld zu tun, ach -- ich wollte ihm alles geben, was ich besitze, wenn ich nur wieder Juanita Trebin ein könnte.«

Es lag eine quälende Angst und Unruhe in ihren Augen.

Gerd presste die Lippen fest aufeinander. Wenn sie ahnte, wie es in ihm stürmte bei ihren vertrauenden Worten, wenn sie wüßte, welche Qual und welche Seligkeit zugleich dieses Geständnis, das sie ihm in kindlicher Offenheit machte, in ihm erweckte.

»Meine arme, kleine Nita, sagte er leise.

Sie lächelte glücklich.

»So hast du mich genannt, als du damals zu mir in das dunkle Zimmer kamst, in dem ich mich so fürchtete. Und da war ich so schnell getröstet. Ach, ich weiß es noch ganz genau, wie du mir die Tränen trocknetest mit einem weichen, seidenen Tuch. Und so lieb hast du mir zugesprochen. Ach, Gerd -- nie, niemals vergesse ich das. Und nun will ich auch gar nicht mehr an all das Schlimme, Quälende denken. Ich habe ja dich -- und Papa -- und Tina. Wirst du nun bald einmal zu uns hinauskommen? Tina hat auch Sehnsucht nach dir. Ganz neidisch war sie heute auf mich, weil ich dich wiedersehen durfte. Nicht wahr, du besuchst uns recht oft?«

Er atmete gepreßt.

»Ja, Nita, sooft ich kann«, sagte er, und er dachte, daß er, wenn er seinem Herzen folgen wollte, täglich zu ihr kommen würde.

Ihre Augen strahlten auf, und sie drückte seine Hand fest zwischen den ihren.

»Das will ich Tina sagen«, jubelte sie.

In demselben Augenblick trat Dolf in das Zimmerchen. Es blitzte seltsam in seinen Augen auf, als er Gerd und Nita, Hand in Hand und im angeregtesten Gespräch, nahe beieinander sah.

Schon bei Tisch hatte er beobachtet, daß seine Frau mit schwärmerischer Bewunderung an Gerds Gesicht hing. Und nun fand er die beiden hier, abseits von der Gesellschaft in einer sehr vertraulichen Situation.

Ein eifersüchtiges Gefühl stieg in ihm auf. Rasch trat er heran und sah mit forschenden Augen in Nitas Gesicht.

»Also hier findet man euch. Ihr seid schon allseitig vermißt worden«, stieß er hastig hervor.

Gerd erhob sich sofort. Er erkannte das leise Mißtrauen in Dolfs Worten und Blicken.

Deines Bruders Weib! klang es wieder mahnend in seiner Seele. Und plötzlich erschien es ihm doch als ein großes Wagnis, daß er nach L… gekommen war.

Aber nichts in seinem Wesen verriet seine Gedanken. Ganz ruhig stand er vor Dolf.

»Wir haben uns hier ein wenig unterhalten, Nita und ich«, sagte er.

Auch Nita erhob sich.

»Ja -- und Gerd hat mir versprechen müssen, uns bald zu besuchen. Wenn es dir recht ist, Dolf, dann bitte ich ihn, am ersten Osterfeiertag unser Tischgast zu sein«, sagte sie schnell.

»Du weißt doch, Nita, daß wir sonntags bei den Eltern speisen«, sagte Dolf ausweichend.

»Ach richtig! Also dann am zweiten Ostertag, Gerd, nicht wahr?«

Gerd verneigte sich.

»Wenn es Dolf recht ist, gern.«

»Natürlich werde ich mich freuen, du mußt doch unser Heim kennenlernen«, erwiderte Dolf nun höflich und legte seine Hand auf Nitas Arm. Sie beugte sich hastig herab, als habe sie an ihrer Schleppe etwas zu ordnen, so daß seine Hand wieder herunterglitt. Gerd bemerkte diesen kleinen Zwischenfall wohl, und es berührte ihn ganz seltsam.

»Ich hoffe euch auch einmal bei mir bewirten zu können, wenn ich erst weiß, ob meine Haushälterin gut kochen kann«, sagte Gerd, sich zu einem scherzenden Ton zwingend.

Dolf drehte selbstgefällig an seinem Bärtchen.

»Nun -- unser Koch wird dich jedenfalls zufriedenstellen mit einen hervorragenden Leistungen«, sagte er ein wenig prahlerisch.

Gerd lächelte fein.

»Ich bin durch meine Reisen an die primitivste Küche gewöhnt.«

»Du wohnst an der Promenade?« fragte Dolf ein bißchen von oben herab.

»Ja, direkt am Promenadenplatz vor dem Springbrunnen.«

»Oh, das ist ja ganz in unserer Nähe -- kaum zehn Minuten u gehen. Unsere Villa liegt am Stadtwald.«

Gerd nickte.

»Da kommst du vielleicht gelegentlich auch einmal zu mir, wenn du vorbeikommst«, sagte er artig.

Dolf verneigte sich.

»Ich will daran denken.«

Sie kehrten alle drei zur Gesellschaft zurück.

 

Im ferneren Verlauf des Abends beobachtete Dolf mißtrauisch seine Frau und seinen Bruder. Gerd gab ihm jedoch nicht die geringste Veranlassung zum Argwohn. Er blieb, auch wenn er mit Nita sprach, ruhig und gelassen, und sein Gesicht war unbewegt und undurchdringlich. Aber Nita machte gar kein Hehl aus ihrem Empfinden. Sie zeigte deutlich, daß ihr Gerd lieb und teuer war. Innig strahlte sie ihn an mit ihren großen dunklen Augen, und wenn er mit ihr sprach, bekam ihr Gesicht einen ganz anderen Ausdruck als gewöhnlich.

Und Nita war Dolf nie so schön erschienen wie heute. Etwas wie Angst stieg in ihm auf, daß Nita sich in seinen Bruder verlieben könnte. Er wußte: dann hatte er verspielt. Nur so lange hatte er Hoffnung, sie sich wiederzuerringen, wie ihr Herz sich keinem andern zuwandte.

Und die aufkeimende Eifersucht entfachte in Dolfs Herzen eine brennende Leidenschaft für seine Frau. Hatte ihn schon ihre Kälte und Zurückhaltung maßlos erregt und sein Begehren nach ihr gesteigert, so überstieg dieses Begehren jetzt jedes andere Gefühl in ihm. Er wußte ganz genau, daß er noch nie so intensiv nach dem Besitz einer Frau gestrebt hatte wie jetzt nach dem Besitz Nitas. Als er an diesem Abend mit Nita nach Hause kam und sie sich wie sonst schnell zurückziehen wollte, hielt er sie fest.

»Laß uns noch ein Stündchen plaudern, Nita«, bat er mit unruhig flackernden Augen.

Sie sah über die Schulter zu ihm zurück. Die rote Blume aus ihrem Haar löste sich dabei und fiel zu seinen Füßen nieder. Er hob sie auf und führte sie an seine Lippen.

Ein eisig abwehrender Ausdruck trat in ihr Gesicht.

»Ich bin müde -- gute Nacht«, sagte sie schnell und wollte aus dem Zimmer gehen.

Er faßte ihren Arm.

»Bleib doch, bleib, Juanita«, flüsterte er zärtlich, und sein heißer Atem streifte ihr Gesicht.

Sie riß sich aber los, so daß ihr Armband in seiner Hand blieb. Die Sicherheitskette war gerissen, und sie hatte sich dabei verletzt. Aber darauf achtete sie nicht. Schnell verließ sie das Zimmer und schloß mit bebender Hand die Tür zu ihrem Boudoir, das sie betrat, hinter sich ab.

Dolf stand eine Weile starr, in der einen Hand die rote Blüte, in der andern das Armband. Seine Augen hefteten e sich mit dem glitzernden Ausdruck eines gereizten Raubtiers auf die geschlossene Tür. Am liebsten hätte er sie zertrümmert und wäre gegen Nitas Willen zu ihr gedrungen.

Wer will es mir wehren, dachte er. Ist es nicht lächerlich, daß ich vor einer geschlossenen Tür haltmachen muß, wenn ich das Verlangen habe, meine Frau in meine Arme zu nehmen? Ich bin doch kein Trottel. Habe ich sie erst wieder einmal fest in meinen Armen, dann wird sie ihren Widerstand schon aufgeben, dann wird sie wieder weich wie Wachs. Aber sie läuft mir ja immer davon und schließt diese verdammten Türen hinter sich zu.

So dachte er und nagte wütend an seinen Lippen. Und dann blitzte es plötzlich in seinen Augen auf.

Man muß diese verdammten Schlösser unschädlich machen -- dann ist es vorbei mit ihrem Widerstand, dachte er.

Und dann legte er langsam das Armband auf den Tisch und warf die Blume zum offenen Fenster hinaus in den Garten.

Eine Weile stand er noch grübelnd vor der Tür. Dann warf er den Kopf entschlossen zurück.

Warte nur, kleiner Trotzkopf! -- du sollst mir schon noch weich werden! Ich will dir nicht erst Zeit lassen, bis dein romantisches Köpfchen sich von einem andern verdrehen läßt. Jetzt habe ich keine Zeit mehr zu verlieren.

Langsam, in Gedanken versunken, suchte er seine eigenen Zimmer auf, wo sein Kammerdiener auf ihn wartete, um ihn beim Auskleiden behilflich zu sein.

Ein leichtes Amt hatte dieser nicht mit seinem Herrn. Dolf war launenhafter und anspruchsvoller als die verwöhnteste Modedame. Und jederzeit mußte der Diener für ihn bereit sein, bei Tag und bei Nacht. Er hatte aber auch nichts anderes zu tun, als das Äußere seines Herrn zu pflegen. Tina nannte ihn in ihrer Entrüstung über sein sonstiges Nichtstun einen faulen Schlingel.

Aber das durfte sie nicht laut sagen, denn der Herr Kammerdiener konnte sehr vornehm und von oben herab auf die alte Tina blicken.


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