Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Einige Wochen waren vergangen. Gerd und Juanita hatten sich oft wiedergesehen. Dolf versuchte sich klugerweise gut mit seinem Bruder zu stellen, um dem Vater zu gefallen, denn Nitas einundzwanzigster Geburtstag war nahe herbeigekommen und die Entscheidung, ob er das Vermögen seiner Frau in die Hände bekam, stand bevor.
Frau Helene fand es zu ihrer eigenen Überraschung gar nicht schwer, mit Gerd auf erträglichem Fuße zu leben. Er war nicht mehr der jugendlich ungestüme Trotzkopf und hatte gelernt, seine Gefühle unter einer artigen Höflichkeit zu verbergen.
Bernhard Falkner lebte sichtlich auf, seit Gerd zurückgekehrt war. Die liebevolle Herzlichkeit seines ältesten Sohnes tat ihm sehr wohl. Mit Dolf vermied er jede Auseinandersetzung, und dieser wiegte sich in der Hoffnung, daß sein Vater in der Geldangelegenheit »vernünftig« sein würde.
So trafen Gerd und Nita überall zusammen, auch zuweilen bei Geselligkeiten außer Haus. Tante Gertrud beklagte sich schon, daß Gerd zu wenig Zeit für sie hatte.
Einige Male war Gerd in der Villa seines Bruders gewesen. Die alte Tina war jedesmal aus dem Häuschen vor Freude, wenn Gerd kam.
Juanita hätte jetzt so froh und glücklich sein können, wenn sie Dolfs Verhalten, sobald sie allein waren, nicht schwer beunruhigt hätte. Er führte dann ihr gegenüber eine so leidenschaftliche Sprache, daß sie von Angst und Grauen geschüttelt wurde und ihm mehr und mehr auszuweichen suchte.
Und je mehr sie sich vor ihm fürchtete, desto öfter beschäftigte sie sich mit der Frage, ob es nicht möglich sei, sich von ihm frei zu machen.
Dolf wollte nur erst noch Juanitas Geburtstag vorübergehen lassen, ehe er energischer von seinem Recht ihr gegenüber Gebrauch machte. So wie bisher sollte es dann nicht mehr weitergehen, das stand fest für ihn.
Keine Ahnung hatte er, daß Juanita Scheidungsgedanken hegte. Sie war aber so unerfahren und unselbständig, daß sie nicht wußte, ob es möglich sei, die Ehefesseln abzustreifen.
So kam ihr Geburtstag heran. Zur Feier desselben sollte im Hause ihrer Schwiegereltern eine kleine Festlichkeit im engsten Kreis stattfinden, zu der natürlich auch Gerd geladen war.
Er kam aber schon am Vormittag hinaus in die Villa am Stadtwald, um Juanita seine Glückwünsche zu überbringen. Der Geburtstag fiel auf einen Sonntag. Gerd brachte Nita herrliche Blumen und den soeben erschienenen neuesten Band seiner Werke mit.
Sie freute sich unsagbar und drückte das Buch und die Blumen im Übermaß ihres Empfindens ans Herz.
»Ach Gerd, lieber Gerd, wie freue ich mich über dieses Geschenk, nichts ist mir so lieb wie dieses Buch und diese Blumen.«
Er lächelte. In strenger Selbstzucht hatte er sein Empfinden für sie in der Gewalt. Aber er sah, wie hold und reizend sie war in ihrer Freude, und ein schmerzliches Gefühl erfüllte ihn, wenn er daran dachte, daß er ihr ewig in dieser ängstlichen Reserve gegenüberstehen müsse.
Nita schlug das Buch auf und blickte stolz auf die Widmung, die er ihr hineingeschrieben hatte.
»Meiner lieben Juanita in Verehrung zugeeignet«, las sie halblaut. Und dann hob sie den Kopf und sah ihn an.
»In Verehrung? Ach Gerd, das klingt eigentlich zu pompös und ein bisschen steif«, sagte sie, eine krause Stirn ziehend.
»Wie hätte ich denn schreiben sollen?« fragte er weich, und seine Augen konnten nicht von ihr lassen. Sie sah so rührend jung und kindlich aus, und nur in ihren Augen lag ein Ausdruck der Reife.
»Oh, das ist doch einfach, Gerd ›In Liebe‹ müßte es heißen«, sagte sie schlicht und innig.
Er stützte sich schwer auf die Lehne seines Sessels, und wie ein heißer Schmerz brach es aus seinen Augen.
»In Liebe? Kind -- Kind --«
Er brach ab und strich sich über die Stirn. Sie sah ihn plötzlich unruhig an, und es lief wie ein Zittern über sie hin. Er sah es und eine heiße Angst kam über ihn, daß ihre Unbefangenheit gestört werden könnte. Denn sobald sie sich ihrer Liebe bewußt wurde -- das wußte er --, dann mußten sie sich meiden für immer. Er nahm sich zusammen und lachte scheinbar unbefangen.
»Nun ja -- ich hätte auch ›In Liebe‹ schreiben können, ich habe nicht daran gedacht, daß das hübscher klingt.«
Der gefährliche Moment war ohne Schaden vorübergegangen. Nita stimmte in sein Lachen mit ein.
»Nun, es ist ja auch so gut. Und schließlich macht es sich wirklich recht stolz, dieses ›In Verehrung‹.«
Im Bestreben, ein unbefangenes Thema aufzubringen, sagte er schnell:
»Eigentlich hätte ich dir Veilchen schenken sollen, als Revanche. Ich habe dir für deinen Willkommensgruß nicht so recht danken können.«
»Haben dich die Veilchen erfreut?« fragte sie lächelnd.
Er nickte.
»Sehr! Ihr Duft hat lange mein Arbeitszimmer erfüllt. Nun sind sie leider verwelkt, und es ist mir nichts davon geblieben als das Kärtchen mit deinen lieben Worten.«
»Ach -- hast du das wirklich verwahrt?« fragte sie eifrig.
Er zog seine Brieftasche hervor und rückte seinen Sessel etwas näher an den ihren heran. Dann nahm er das Kärtchen aus seiner Brieftasche und zeigte es ihr.
»Da ist es.«
Sie lächelte und nickte, als sie darauf niedersah.
»So sorgsam hast du es verwahrt?«
»Ja, bei anderen teuren Andenken. Hier verwahre ich auch den letzten Brief, den meine Mutter vor ihrem Tod schrieb.«
»Ein Brief deiner Mutter an dich?«
»Nein, an ihre Schwester Gertrud, die schenkte ihn mir, und ich trage ihn immer bei mir.«
In demselben Augenblick trat Dolf ins Zimmer, der mit seiner Toilette noch nicht fertig gewesen war.
Unwillkürlich zuckte Gerd zusammen, und die Brieftasche entfiel seinen Händen, so daß sich ihr Inhalt auf den Fußboden verstreute.
Dolf bückte sich, um Gerd beim Aufsammeln der Papiere zu helfen. Dabei kam ihm das Kärtchen in die Hände. Er erkannte sofort Juanitas Handschrift und übersah mit einem Blick die wenigen Worte:
»Herzlich willkommen in der Heimat!
Juanita«Mit einem tückischen Blick auf den Bruder sagte er lauernd:
»Ah -- sieh da --, ein Willkommensgruß meiner Frau an dich? Das habe ich gar nicht gewußt, Nita, daß du Gerd auch schriftlich begrüßt hast.«
Gerd war einen Moment fassungslos und legte mit unsicheren Händen die aufgesammelten Papiere wieder in seine Brieftasche. In seinem Herzen war ein leises Bangen um Nita. In seiner Bestürzung merkte er nicht, das noch zwei Papiere aus seiner Brieftasche unter seinen Sessel geglitten waren und dort liegenblieben, ohne daß sie jemand bemerkte.
Nita war ganz ruhig und unbefangen geblieben.
»Natürlich habe ich Gerd zum Willkommen Blumen in seine Wohnung geschickt, zusammen mit dieser Karte«, sagte sie ganz harmlos.
»Ohne mir etwas davon zu sagen?« fragte er mißtrauisch und entschieden gereizt.
Sie blickte ihn stolz und ruhig an.
»Das hielt ich nicht für nötig, ich habe es mit Papa besprochen«, sagte sie kalt.
Dolf ärgerte sich. Aber da sie so ruhig blieb und behauptete, daß sie es mit seinem Vater besprochen hatte, konnte er nichts mehr darüber sagen.
Er lachte nun scheinbar amüsiert auf.
»Da siehst du, Gerd, was die Berühmtheit einträgt. Man sendet dir Blumen zum Willkommen wie einer gefeierten Bühnengröße. Du hättest einen Lorbeerkranz wählen sollen, Nita. Denke nur, Gerd, ich habe noch keinen Buchstaben in deinen Werken gelesen. Bist du sehr gekränkt?«
Gerd hatte inzwischen seine Fassung zurückgewonnen. Um Nitas willen ignorierte er Dolfs ironischen Ton.
»Nein, ich bin durchaus nicht gekränkt. Das ist ja auch keine Lektüre für jedermann.«
»Nun, dafür sind der Vater und Nita begeisterte Leser.«
»Ich weiß, das Nita meine Bücher mit Interesse liest, deshalb habe ich mir auch erlaubt, ihr den neuesten Band meiner Werke zu widmen«, sagte Gerd leichthin und deutete auf das Buch.
Dolf nahm es auf und schlug die erste Seite auf. Er las die Widmung mit einem spöttischen Lächeln.
»Da fühlst du dich wohl sehr geehrt, Nita, wenn dir so ein berühmter Mann ein Buch widmet?«
Sie nahm ihm das Buch ruhig aus der Hand.
»Das verstehst du gar nicht, wie stolz ich bin«, sagte sie freimütig.
Und Gerd die Hand reichend, sagte sie warm:
»Ich werde dein Geschenk hoch in Ehren halten, lieber Gerd, es hat mich sehr, sehr stolz gemacht.«
Das war für Dolf eine Zurechtweisung.
Er ignorierte dieselbe jedoch, warf sich in einen Sessel und schlug die Beine übereinander. Und dann erzählte er prahlerisch von einer wilden Autofahrt, die er am Tag vorher mit einem Freund gemacht hatte.
Gerd verabschiedete sich nun bald, weil er noch eine wichtige Arbeit zu erledigen hatte und sich den Abend freihalten wollte für Nitas Geburtstagsfeier.
Dolf gab seinem Bruder das Geleit ins Vestibül. Als er wieder ins Zimmer trat, war es leer -- Nita war verschwunden.
Wütend schob er den Sessel, auf dem Gerd gesessen hatte, mit einem Ruck über den Teppich. Dabei wurden die Papiere sichtbar, die aus Gerds Brieftasche gefallen und unbemerkt liegengeblieben waren.
Ah -- da hat mein Herr Bruder noch Briefe liegenlassen hoffentlich sind es keine zärtlichen Ergüsse, dachte Dolf ironisch und hob die Papiere auf.
Er war durchaus nicht diskreter Natur und öffnete neugierig die Schreiben. Das erste war eine belanglose Nachricht von dem Architekten, der Gerds Wohnung eingerichtet hatte. Das zweite aber war der bereits etwas vergilbte Brief, den Maria Falkner kurz vor ihrem Tod an ihre Schwester geschrieben hatte.
Dolf las auch diesen Brief, und in seinem Gesicht spiegelten sich allerlei Empfindungen wider. Aus diesem Brief ersah er, was ihm bisher verborgen geblieben war, daß sein Vater und seine Mutter durch ihre schuldige Liebe seines Vaters erste Frau in den Tod getrieben hatten. Und er las auch darin, daß sein Vater nicht erfahren hatte, daß Maria Falkner freiwillig ihrem Leben ein Ende gemacht hatte. Ein tückisches, triumphierendes Leuchten trat in seine Augen.
Ah -- das ist ja eine interessante und unbezahlbare Entdeckung. Dieser Brief ist für mich vielleicht einige Millionen wert. Sieh, sieh -- der alte Herr ist ja ein gewaltiger Schwerenöter gewesen! Und der will mir Vorschriften und Vorwürfe machen? Also, das ist mein Herr Vater! Mich dünkt, er hat genug auf dem Kerbholz, er braucht sich wahrlich nicht als mein Richter aufzuspielen. Nun soll er es noch wagen, mich »unwürdig« zu finden zur Übernahme von Nitas Vermögen. Dann soll ihm ein überraschender Bescheid werden. Gesegnet sei meines berühmten Bruders Brieftasche, ich hätte nicht geglaubt, daß sie solche Schätze birgt. Dies Briefchen werde ich sorgfältig zu mir stecken, es kommt mir wie vom Himmel geflogen, gerade zur rechten Zeit. Morgen bei der großen Abrechnung mit dem alten Herrn werde ich es vielleicht nötig brauchen. Wenn er mir nicht ohne Vorbehalt Nitas Vermögen in die Hände gibt -- dann werde ich es in Aktion treten lassen.
Das war der Gedankengang Dolf Falkners. Mit einem unbeschreiblichen Lächeln legte er den Brief Marias in seine Brieftasche, während er das andere Schreiben achtlos wieder unter den Sessel schleuderte.
Pfeifend, in sichtlich vergnügter Stimmung, verließ er das Zimmer.
Bei der Mittagstafel sah er Nita wieder. In blendender Laune saß er seiner Frau gegenüber, neckte sie übermütig, daß sie ihm davongelaufen sei, so daß er nicht einmal seinen Glückwunsch hatte anbringen können. Und dann reichte er ihr ein elegantes Etui, das sein Angebinde enthielt. Es war ein kostbarer Anhänger an einer feinen Halskette, mit Brillanten und Smaragden besetzt.
Nita dankte höflich, aber ohne Wärme und legte das Etui achtlos beiseite.
Er ärgerte sich über ihre Gleichgültigkeit. Über Gerds Buch hatte sie sich mehr gefreut. Ein eifersüchtiges Gefühl stieg wieder in ihm auf. Aber seine große Selbstgefälligkeit ließ dieses Gefühl nicht zur vollen Entfaltung kommen. Er redete sich ein, das Nita sich nur so ablehnend verhielt, um ihn mehr und mehr zu reizen.
»Der Racker«, dachte er siegesgewiß, »sie will mich nur demütig zu ihren Füßen sehen. Ich hätte nicht gedacht, daß die kleine Frau so kokett ist. Sie versteht es wahrlich, mich noch um Sinn und Verstand zu bringen.«
Als Nita sich nach Tisch wieder entfernen wollte, stellte er sich, ihr zuvorkommend, an die Tür.
»Heute entkommst du mir nicht, bevor du mir nicht einen Kuß gegeben hast, kleine Frau -- nur einen einzigen Kuß du hast mich noch nicht für das Geschenk belohnt.«
Sie trat von ihm zurück.
»Was soll das? Gib den Weg frei.«
»Erst einen Kuß.«
Sie warf den Kopf zurück.
»Nein, ich küsse dich nicht -- nie mehr. Das solltest du wissen.«
Er trat nahe an sie heran.
»Sei doch nicht kindisch, Nita, und las nun endlich das Schmollen. Was willst du denn noch? Habe ich dir nicht ehrlich jede Kränkung abgebeten, werbe ich nicht seit Monaten ernstlich um deine Verzeihung? So können wir doch unmöglich ewig nebeneinander her leben. Ich lasse mir das einfach nicht mehr gefallen. Ich bin dein Mann, du bist meine Frau, und ich habe ein Recht auf dich, das ich mir nicht länger schmälern lassen werde.«
Sie richtete sich hoch auf und sah ihn stolz und kalt an.
»Wozu das alles? Du weißt doch, wie wir zueinander stehen, daß es keine Gemeinschaft mehr zwischen uns gibt. Ich verlange von dir, daß du meinen Standpunkt dir gegenüber respektierst. Es ist der einzige, der es mir ermöglicht, noch weiter mit dir zusammen zu leben. Also, gib den Weg frei.«
Sein Gesicht rötete sich.
»O nein, lange genug habe ich mich deinen kindischen Launen gefügt. Jetzt ist es damit zu Ende. Ich werde dir zeigen, daß du mein bist und mir gehörst. Ich weiß ja, daß dein Widerstand aufhören wird, sobald ich dich in meinen Armen habe. Dann werden deine kalten Lippen schon wieder heiß werden unter meinen Küssen. Ich liebe dich und sehne mich wie ein Verschmachtender nach deinen Küssen, du süßer Trotzkopf.«
Juanita zitterte am ganzen Körper, und außer sich vor Angst rief sie heftig:
»Laß diese elende Komödie! Ich war Zeuge deiner Unterhaltung mit deiner Mutter, als sie dir riet, dich besser mit mir zu stellen -- des Geldes wegen. Und du versichertest ihr, daß du mich, zur Abwechslung für dich, in dich verliebt machen wolltest. Oh, Schmach über dich, daß du so gering von Frauenehre denkst. Du siehst wohl nun ein, daß ich nicht viel von deiner Liebe halte. Dies Wort solltest du gar nicht in den Mund nehmen, du entheiligst es. Laß mich zufrieden! Beschließe mit deinem Vater über mein Vermögen, wie er es für gut hält. Ich würde es dir vor die Füße werfen, dieses elende Geld, um dessentwillen du mich an dich gefesselt hast. Und nun, laß mich vorbei und erspare mir in Zukunft solche Szenen, die mich beleidigen.«
Dolf war momentan fassungslos.
Verdammt noch mal, dachte er entsetzt, die Kleine hat damals gelauscht. Also deshalb ihr Widerstand, deshalb ihr langes Trotzen.
Seine Frechheit half ihm aber schnell über diese Szene hinweg. Schnell gefaßt, richtete er sich empor.
»Du magst da etwas gehört haben, Nita, was ich im Unmut über deine Kälte und Zurückhaltung geäußert habe, vielleicht habe ich manches gesagt, um meiner Mutter über unser Verhältnis nicht die volle Wahrheit zu gestehen. Wie es auch sei, ich kann dir jetzt nur sagen, daß ich dich wirklich liebe und nichts sehnlicher verlange, als daß alles wieder wie in den ersten Wochen unserer Ehe zwischen uns wird. Laß alles, was dazwischenliegt, vergessen sein.«
Sie machte eine abweisende Bewegung.
»Laß mich jetzt auf mein Zimmer gehen. Ich kann dir keine andere Antwort geben wie zuvor. Nie kann ich dir wieder vertrauen.«
Er wollte sie umfassen.
»Nita!«
Sie wich zur Seite.
»Gib den Weg frei -- oder ich rufe die Leute herbei«, stieß sie außer sich hervor.
Unwillkürlich wich er zur Seite. Er war momentan nicht im klaren, was er nun tun sollte, wie er sich weiter zu ihr verhalten sollte. Daß sie eine seiner Unterredungen mit seiner Mutter belauscht hatte, machte ihn unsicher. Er wußte ja nicht genau, was sie alles gehört hatte. Jedenfalls erschwerte ihm das alles die Situation. Aber zugleich schien ihm nun auch Nitas Widerstand erklärlich. Was sie gehört hatte, ließ sie an seiner Liebe zweifeln. Aber daß für ihn alles verloren sei, glaubte er noch immer nicht. Es galt nun, ihr Mißtrauen zu zerstreuen und sie von seiner Liebe zu überzeugen, dann gewann er doch noch sein Spiel, das ihm nun selbst ernst geworden war.
Nita war, als er zur Seite wich, rasch an ihm vorbeigegangen und eilte zitternd und bebend auf ihre Zimmer, wo sie sich, weinend vor Erregung, auf den Diwan warf.
Und in ihrem Herzen regte sich stärker als je zuvor der Wunsch nach Freiheit. Die Bande, die sie sich in kindlicher Unerfahrenheit hatte überstreifen lassen, schienen ihr jetzt unerträglich.
Nitas Geburtstagsfeier bei ihren Schwiegereltern war vorübergegangen, ohne daß Dolf noch einen Versuch zur Annäherung an seine Frau gemacht hätte. Auch am Abend, als sie nach Hause fuhren, hielt er sich zurück. Er wußte noch nicht, wie er sich weiter zu Nita verhalten sollte, und wollte jedenfalls erst die entscheidende Unterredung mit seinem Vater hinter sich haben.
Der Vater hatte ihm gesagt, daß er ihn am nächsten Morgen um zehn Uhr in seinem Arbeitszimmer empfangen wolle, um Wichtiges mit ihm zu besprechen.
Trotz der für ihn frühen Stunde war Dolf am anderen Morgen pünktlich zur Stelle. Der Vater erwartete ihn, schon an seinem Schreibtisch sitzend, und bat ihn, neben ihm Platz zu nehmen. Das Gesicht des alten Herrn war steinern und unbewegt.
Ohne Umschweife, Kurz und bündig ging er auf den Kernpunkt der Angelegenheit los.
»Du weißt, mein Sohn, daß nach den testamentarischen Bestimmungen von Nitas Vater heute darüber entschieden werden soll, ob Nita, für den Fall, daß sie verheiratet ist, mit ihrem Gatten in Gütergemeinschaft oder Gütertrennung leben soll. Mir ist es zur Pflicht gemacht worden, nach bestem Wissen und Gewissen darüber zu entscheiden, ob ich Nitas Gatten für würdig und vertrauensvoll genug halte, ihm Nitas Vermögen anzuvertrauen und rückhaltslos in seine Hände zu geben.«
Dolf hatte mit schlecht verhehlter Ungeduld zugehört.
»Das alles weiß ich natürlich schon, Vater, es ist ja oft genug zwischen uns erörtert worden, als ich mich mit Nita verheiratete.«
»Ganz recht, ich wollte es dir nur noch einmal wiederholen. Ich habe dich nun heute zu mir gebeten, um dir mitzuteilen, wie meine Entscheidung ausgefallen ist.«
Dolf rückte ungeduldig auf seinem Sessel hin und her. In seinem Gesicht zuckte es nervös und unruhig.
Bernhard Falkner holte tief Atem, und sein Gesicht war sehr blaß, aber voll eiserner Entschlossenheit. Langsam und mit schwerer Betonung fuhr er fort:
»Nach langem und reiflichem Ermessen habe ich mich zu dem Entschluß durchringen müssen, daß ich es nicht vor meinem Gewissen verantworten kann, dir Nitas Vermögen anzuvertrauen, und deshalb muß ich Gütertrennung beantragen. Ich halte mich nach den Erfahrungen, die ich mit dir habe machen müssen, weder für befähigt noch für würdig genug, um mit gutem Gewissen für dich einstehen zu können.«
Dolf war vor unterdrückter Wut bleich geworden, und sein Gesicht verzerrte sich.
»Das wird nicht dein letztes Wort sein, Papa! Du wirst dir das noch überlegen, mir solch einen Schimpf anzutun.«
»Du selbst hast dir durch dein ausschweifendes Leben den ärgsten Schimpf angetan. Ich habe überlegt -- reiflich und lange, und bin zu diesem Resultat gekommen. Daran ist nichts mehr zu ändern.«
Dolf ballte die Fäuste zusammen, und seine Augen sprühten rachsüchtig und wütend.
»Worin bestand denn mein ausschweifendes, würdeloses Benehmen? In ein paar Jugendtorheiten, wie sie andere junge Männer auch begehen.«
Bernhard Falkner schüttelte, äußerlich ruhig bleibend, den Kopf.
»Jugendtorheiten sind verzeihlich, aber du bist schlecht und unwürdig. Zu meinem tiefen Schmerz habe ich das einsehen müssen.«
Dolf sprang auf und trat dicht vor ihn hin.
»Schlecht und unwürdig! Wie hart und scharf du über mich urteilst. Bist dir doch selbst ein viel milderer Richter gewesen. Du solltest mich doch nicht verurteilen -- du nicht«, sagte er halberstickt vor Wut.
Auch Bernhard Falkner erhob sich jetzt. Seine Augen bohrten sich in die seines Sohnes.
»Was willst du damit sagen?«fragte er scharf.
Dolf warf den Kopf herausfordernd zurück.
»Damit will ich dir sagen, daß du selbst doch auch nicht das Recht hast, dich für einen Ehrenmann zu halten. Du hältst dich doch für einen Ehrenmann, hältst dich für würdig und vertrauenswert, nicht wahr?«
Die Züge des alten Herrn schienen im Schmerz zu versteinern.
»Was soll diese Frage? Darauf gebe ich dir keine Antwort, ich halte es unter meiner Würde.«
Höhnisch und gereizt lachte Dolf auf.
»Das ist bequem, aber ich bestehe auf diese Antwort. Ich habe ein Recht dazu, sie zu verlangen, wenn du behauptest, daß ich unwürdig bin deines Vertrauens. Und ich werde dich noch weiter fragen, ob es nicht vielleicht Vererbung ist, wenn ich wirklich ein ausschweifendes Leben geführt habe.«
Eine jähe Blutwelle schoß in das Gesicht des alten Herrn.
Außer sich packte er Dolf am Rock und schüttelte ihn.
»Bub -- schändlicher Bub --, das wagst du deinem Vater zu sagen!« rief er drohend.
Dolf schüttelte wütend, alle Herrschaft über sich verlierend, die Hand des Vaters ab. In seinen Augen glühte es wie Haß.
»Ja, das wage ich. Ich frage dich, warum du dich nicht selbst so erbarmungslos gerichtet hast, als du deine erste Frau mit meiner Mutter betrogst. Darin liegt wohl hauptsächlich mein ausschweifendes Leben, daß ich es mit der ehelichen Treue nicht so genau nahm. Nun -- hast du es etwa damit genau genommen? Steht nicht der Schatten deiner ersten Frau anklagend vor dir, die du durch deine Untreue in den Tod getrieben hast, die sich selbst vergiftete, weil sie es nicht ertragen konnte, daß du sie hintergingst? Sag doch, ob ich nicht doch ein Recht habe, von Vererbung zu sprechen?«
Bernhard Falkner war zurückgetaumelt, als habe er einen tödlichen Schlag erhalten. Nun stützte er sich schwer auf seinen Schreibtisch, und seine Lippen verzogen sich zu einem bitteren Lachen.
»Das geschieht mir von meinem Sohn! Du wagst es, böswilligen Klatsch gegen mich ins Feld zu führen, wagst es, zu behaupten, daß -- daß sich -- meine erste Frau vergiftet habe. Bub -- ist dir denn gar nichts heilig?«stieß er ächzend hervor.
Da nahm Dolf schnell mit einem unheimlich glitzernden Blick den Brief Maria Falkners aus seiner Brieftasche und legte ihn wie einen letzten Trumpf vor seinen Vater hin.
»Es ist kein Klatsch, sondern Wahrheit, hier hast du die Beweise. Dann wirst du wohl einsehen, daß du kein Recht hast, dich über mich zu erheben und mich einfach als unwürdig abzutun.«
Langsam, unsicher tastete der alte Herr nach dem Schreiben und las es. Und als er mit der Lektüre zu Ende war, brach er wie leblos in seinem Sessel zusammen.
Plötzlich ernüchtert, starrte Dolf in das fahle, verzerrte Gesicht des Vaters. Er beugte sich erschrocken über ihn.
»Vater! Vater!« rief er entsetzt.
Langsam kam der alte Herr wieder zu sich und strich wie geistesabwesend mit der Hand über seine Stirn, auf der kalter Schweiß perlte. Seine Augen blickten mit einem Ausdruck zu seinem Sohn empor, daß dieser trotz seiner Gefühllosigkeit bis ins Herz hinein erschrak. Wie gebrochen lag der Vater in dem Sessel und bewegte die Lippen, ohne sprechen zu können. Endlich, nach langer Zeit, formten diese bleichen Lippen Worte:
»Wo -- wo -- hast du -- den Brief her?« fragte er tonlos.
Dolf reichte ihm instinktiv ein Glas Wasser.
»Willst du dich nicht erst erholen, Vater? Verzeihe mir -- ich war gereizt, unbesonnen -- ich wußte nicht, was ich tat. Diesen Brief hätte ich dir nicht geben sollen. Ich bin außer mir, daß ich mich hinreißen ließ«, sagte er unsicher.
Er war wirklich ernsthaft erschrocken. Diese niederschmetternde Wirkung hatte er nicht von dem Brief erwartet. In seiner Sucht, den Vater zur Herausgabe von Nitas Vermögen zu zwingen, war er sich über die Folgen nicht klar geworden.
Jedenfalls hatte er nur einen letzten Trumpf ausspielen wollen, um den Vater anderen Sinnes zu machen. Nun war er doch betroffen durch das Zusammenbrechen des Vaters.
Dieser hatte mechanisch einen Schluck Wasser genommen.
»Wo hast du den Brief her?« wiederholte er nun nochmals.
»Ich habe ihn gefunden.«
»Gefunden -- wo?«
»Bei mir zu Hause, gestern früh. »Gerd war bei uns. Seine Brieftasche entfiel ihm, und der Inhalt flog heraus. Als Gerd fort war, fand ich diesen Brief unter einem Sessel und steckte ihn zu mir.«
Ein unbeschreiblich qualvolles bitteres Lächeln umspielte Bernhard Falkners blasse Lippen.
»Du stecktest ihn zu dir -- um mich damit gefügig zu machen. Wie fein, mein Sohn -- wie fein«, sagte er tonlos. Und dann, sich gewaltsam aufrichtend, rief er, vom Zorn übermannt:
»Du bist ein --! Nein -- ich will es nicht aussprechen, was du bist.«
Wieder in sich zusammensinkend, fuhr er, mehr zu sich selbst sprechend, fort:
»Also, Gerd hat das gewußt -- vielleicht seit Jahren schon. Und er hat es mir verschwiegen, was in diesem Brief steht um mich zu schonen. Das ist mein ältester Sohn! Der andere aber, der bringt mir schnell den Brief -- um mir zu drohen, um sich einen Vorteil zu verschaffen. Wie mag er klug erwogen haben, ob der Alte damit zu fangen ist.«
Dolf wurde es unbehaglich zumute.
»Vater -- komme zu dir, höre mich an! So schlimm habe ich es nicht gemeint, gewiß nicht.«
Bernhard Falkner sah ihn düster an.
»Geh -- geh, laß mich allein. Du sollst dich nicht weiden an der Qual deines Vaters, der namenlos schwer gebüßt hat, schon ehe er seine Schuld im vollen Umfang kannte. Geh, sag ich dir -- ich kann dich jetzt nicht sehen, deine kalten Augen zerreißen mir das Herz.«
Dolfs Trotz regte sich von neuem. Er fand seine Kaltblütigkeit schnell wieder. Sollte er umsonst das Äußerste gewagt haben? Er raffte sich auf.
»Sage mir erst, ob dein Entschluß bezüglich Juanitas Vermögen noch immer feststeht.«
Der alte Herr richtete sich mühsam auf und sagte hart und laut:
»Fester denn je. Du hast mir jetzt zur Genüge bewiesen, wessen du fähig bist. Was ich in meinem Leben gefehlt habe, das gehört nicht hierher. Nicht, ob ich würdig bin, ist hier die Frage, sondern, ob du es bist. Und du bist es ganz sicher nicht. Geh, laß mich allein. Das übrige findet sich später.«
Dolf blieb noch einen Moment stehen. Aber als er in das eherne Gesicht des Vaters sah, wußte er, daß er verspielt hatte.
Mit einem halb unterdrückten Fluch eilte er aus dem Zimmer und warf die Tür hastig ins Schloß.
Sein Vater aber nahm, als er allein war, den Brief Marias und las ihn noch einmal langsam durch mit qualvollen Gefühlen und umflorten Augen. Und dann barg er ächzend das Gesicht in den Händen und stöhnte schmerzzerrissen:
»Maria -- Maria -- du bist gerächt -- du bist gerächt!«