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XV

Gerd Falkner war von der Familie Horst am Bahnhof empfangen und zu seiner Wohnung begleitet worden. Seine Tante stellte ihm seine Haushälterin vor, die bereits eine schmackhafte Mahlzeit für ihren neuen Herrn bereithielt.

Nun war Gerd allein in den Räumen, die ihm in Zukunft eine Heimat sein sollten.

Lotti hatte ihm unterwegs halb ernst, halb scherzend versichert, in seiner neuen Wohnung sei alles bis auf das Streichholz komplett, es fehlte nichts darin als eine junge Frau.

Gerd hatte den Scherz lächelnd pariert. Als er nun allein durch die behaglichen, mit feinem Verständnis und gutem Geschmack eingerichteten Zimmer ging, seufzte er leise auf.

Wie gern hätte er eine junge Frau an seiner Seite gehabt. O -- er wußte, wie sie hätte aussehen müssen. Heiß flutete es zu seinem Herzen. Wann würde er Juanita wiedersehen? Ob sie wußte, daß er jetzt sein ständiges Domizil hier aufgeschlagen hatte? Und was würde sie dazu sagen?

Jetzt betrat er sein Arbeitszimmer. Er hatte vorher nur flüchtig hineingesehen und wollte nun Besitz davon ergreifen. Lieblicher Veilchenduft schlug ihm entgegen. Er sah sich um und erblickte auf seinem Schreibtisch einen Korb mit Veilchen.

Wie reich Tante Gertrud und Lotti mein Heim mit Blumen geschmückt haben. Sogar auf meinem ernsten Schreibtisch die duftenden Frühlingsboten! dachte er und trat an die Veilchen heran. Als er sich niederbeugte, um den Duft einzuatmen, bemerkte er ein schmales Kuvert zwischen den blauen Blüten.

Schnell nahm er es heraus und öffnete es.

»Herzlich willkommen in der Heimat!

Juanita«

Es ging wie ein Ruck durch seine Gestalt. Er fiel in den Sessel vor seinem Schreibtisch und preßte in einem jähen Gefühlsausbruch seine Lippen auf ihren Namen. Dann umschlang er den Korb mit beiden Armen und barg sein heißes Gesicht in den kühlen Blumen.

»Juanita! Juanita!« flüsterte er vor sich hin.

Aber dann schrak er auf und nahm sich zusammen.

»Deines Bruders Weib -- du sollst nicht begehren.«

Das sagte er leise vor sich hin. Und sein Gesicht wurde hart und fest. Er atmete tief auf und schob die Veilchen zurück.

Sanft streifte seine Hand darüber hin.

»Sei ruhig, kleine Nita -- ich werde deinen Frieden nicht stören. Nur wie ein leuchtender Sonnenstrahl sollst du meinen Weg erhellen.«

Langsam ging er von einem Möbelstück zum andern und betrachtete sie. Sie waren genau nach seinen Angaben hergestellt, praktisch, zweckmäßig und doch in harmonischen, schönen Linien gehalten. Er war sehr zufrieden. Gerade dieses Zimmer, in dem er den größten Teil des Tages verbringen würde, war ihm besonders wichtig.

Sein vorausgereister Diener hatte schon seine Bibliothek aufgestellt. Er griff nach einem der Bände und schlug ihn auf.

In demselben Augenblick tönte die Flurklingel, und gleich darauf meldete ihm der Diener seinen Vater. Er hatte den alten Herrn in das Empfangszimmer geführt.

Eilig schritt Gerd hinüber und streckte dem Vater beide Hände entgegen.

Dieser faßte sie mit festem Griff.

»Ich wäre zum Bahnhof gekommen, um dich willkommenzuheißen, aber ich nahm an, daß Horsts dich empfangen würden«, sagte er mit unsicher bebender Stimme.

»Allerdings war das der Fall, lieber Vater. Aber hättest du nicht trotzdem kommen können? Ist es dir nicht möglich, auch Ihnen gegenüber versöhnlich zu denken?«bat Gerd dringend.

Bernhard Falkner lächelte schmerzlich.

»Du verkennst die Sachlage, mein Sohn. Nicht ich habe hier ein Recht zu grollen, sondern deine Tante. Doch lassen wir das jetzt. Ich wollte dir nur erklären, weshalb ich dich nicht schon auf dem Bahnhof begrüßt habe. Aber nun bin ich hier, um meiner Freude Ausdruck zu geben, daß du wieder in meiner Nähe bist.«

Gerd führte ihn zu einem Sessel.

»Nimm Platz, Vater -- du bist heute zum erstenmal mein Gast. Sei mir herzlich willkommen, ich hoffe, daß ich dich oft bei mir sehe.«

Er setzte sich seinem Vater gegenüber.

Dieser sah sich in dem hübschen, vornehmen Raum um und ließ dann seinen Blick auf der schlanken, sehnigen Gestalt seines Sohnes ruhen. Gerd trug einen elegant sitzenden, dunkelblauen Sakkoanzug und sah sehr vorteilhaft darin aus. Sein bartloses, markantes Gesicht zeigte immer noch den hellen Bronzeton, den er sich von seinen Reisen mitgebracht hatte, die klugen, geistvollen Augen blickten warm und leuchtend in das Gesicht des Vaters. Um Mund und Kinn hatten sich die charakteristischen Linien, die schon dem Jüngling eigen waren, noch vertieft. Aber in seinen Augen lag nicht mehr der düster grübelnde Ausdruck. Sie blickten geklärt und offen in die Welt. Seine gereifte Persönlichkeit wirkte außerordentlich angenehm und sympathisch. Und wenn sein Bruder Dolf auch der blendendere, schönere der beiden Brüder war, so war Gerd entschieden der bedeutendere und angenehmere.

Bernhard Falkners vergrämte Züge klärten sich ein wenig auf, als er seinen Sohn betrachtete. Dann sagte er seufzend:

»In deinen vier Pfählen, mein Sohn! Ich hätte lieber gesehen, wenn du dir dein Heim in meinem Hause eingerichtet hättest. Aber ich weiß, das geht nicht -- und habe mich beschieden. Daß du dich überwinden willst, mein Haus wieder zu betreten, nach allem, was geschehen ist, das rechne ich dir hoch an. Und ich bitte dich nun herzlich, morgen mein Gast zu sein. Ich will dir zu Ehren eine Festlichkeit geben -- du sollst mit allen Ehren empfangen werden. Diese Genugtuung bin ich dir dafür schuldig, daß ich dich damals mit so kaltem Abschied entließ. Und ich will vor der Welt dartun, wie stolz ich auf meinen ältesten Sohn bin. Aber dann habe ich noch etwas auf dem Herzen. Ehe du deinen Fuß über meine Schwelle setzt, soll Klarheit zwischen dir und mir herrschen in allen Dingen. Und ich will dich bitten, mir eine Art Beichte abzunehmen.«

Gerd faßte seine Hand.

»Lieber Vater, quäle dich nicht. Laß ruhen, was vergangen ist, ich bitte dich.«

Der alte Herr schüttelte den Kopf.

»Nein, mein Sohn, laß mich nur sprechen, es wird mir eine Wohltat sein. Du ahnst nicht, was ich in den letzten Jahren erlebt und erduldet habe. Vielleicht wird mir freier zumute, wenn ich mich einmal über alles aussprechen kann.«

Gerd blickte voll warmer Teilnahme in sein Gesicht.

»Gut, Vater, so sprich dich aus, wenn es dir ein Bedürfnis ist. Aber warte, erst will ich dir einen Willkommenstrunk bieten und dann kommst du mit mir hinüber in mein Arbeitszimmer, da sind wir sicher ungestört.«

Gerd erhob sich und klingelte. Eine sauber gekleidete Frau von etwa vierzig Jahren trat ein. Freundlich wandte sich Gerd ihr zu.

»Sagen Sie, Frau Wendt, habe ich schon etwas Trinkbares im Hause?«

Sie nickte lächelnd.

»Freilich, Herr Professor. Die gnädige Frau Tante hat von verschiedenen Sorten einige Flaschen Wein herschicken lassen.«

»So, das ist ja fein. Also bitte, schicken Sie mir mit dem Diener eine Flasche Wein herein -- du trinkst doch noch am liebsten Mosel, Vater?«

Bernhard Falkner nickte, und Gerd fuhr fort:

»Also Mosel, Frau Wendt -- und bitte hinüber in mein Arbeitszimmer. Zu sprechen bin ich jetzt für niemanden.«

»Sehr wohl, Herr Professor«, erwiderte die Haushälterin und verschwand.

Gerd führte seinen Vater hinüber.

»So, Vater -- hier ist es mir etwas gemütlicher als in meinem Empfangszimmer, hier ist schon so allerlei aufgestellt, was zu mir gehört. Da fühle ich mich heimischer. Komm, setze dich hier in diesen bequemen Lehnstuhl.«

Der Diener brachte auf einem Tablett Wein und Gläser und setzte es auf seines Herrn Wink auf den großen, runden Tisch, der mitten im Zimmer stand. Gerd schenkte die Gläser voll und reichte das eine seinem Vater.

»Auf dein Wohl, lieber Vater, und auf ein herzliches, ungetrübtes Verhältnis zwischen dir und mir.«

»Das wünsche ich von Herzen. Auf dein Wohl, mein Sohn«, erwiderte der alte Herr bewegt.

Sie sahen sich an und leerten die Gläser bis zur Neige.

Gerd nahm nun dem Vater gegenüber Platz. Dieser hatte den Kopf in die Hand gestützt und beschattete seine Augen. Dann blickte er auf und begann seine Beichte.

Er schilderte seinem Sohn ganz ehrlich, wie er erst mit dessen Mutter sehr glücklich gelebt hatte, bis Helene Alving in sein Leben getreten war. »Von diesem Augenblick an war mein Schicksal besiegelt«, sagte er, und ohne sich zu schonen, berichtete er, daß er schon zu Lebzeiten seiner ersten Frau Helene Alvings Zauber verfallen war und keinen anderen Wunsch mehr gehabt hätte als den, sie zu seiner Frau zu machen. Er erzählte, daß er die Absicht gehabt hatte, sich von Gerds Mutter scheiden zu lassen.

»Ich will dir nicht ausführlich schildern, was ich trotzdem für Kämpfe ausgefochten habe, denn es war mir furchtbar, deiner armen Mutter weh tun zu müssen; aber die Leidenschaft für Helene hielt mich so fest im Bann, daß mich auch die Tränen deiner Mutter, ihr blasses, elendes Aussehen, ihre sichtbare Verzweiflung nicht anderen Sinnes machen konnten. Genug ich war entschlossen, mich von Maria zu trennen.

Aber dann war ich plötzlich frei -- auf andere Weise. Deine Mutter wurde eines Morgens tot in ihrem Bett aufgefunden. Der Arzt stellte fest, daß sie zuviel von einer schmerzstillenden Medizin genommen hatte.

Ich stand vor ihrer Leiche wie ein Verbrecher, denn ich fürchtete, deine Mutter habe mit Absicht ihrem Leben ein Ende gemacht, weil sie nicht länger ertragen konnte, was ich ihr angetan hatte. Dieser Verdacht hat mich lange verfolgt noch heute bin ich ihn nicht ganz los geworden, obwohl ich mir sehnlichst wünsche, daß er grundlos sei. Es könnte ja wirklich nur ein Versehen deiner Mutter gewesen sein -- aber auch das andere war möglich.

Zunächst hatte der Tod deiner Mutter mich aus meiner Leidenschaft für Helene Alving wachgerüttelt. Aber dann sah ich sie wieder -- und als ich ihr sagte, daß wir uns trennen müßten, da -- da sagte sie mir, daß sie dann in den Tod gehen würde, weil sie mich so namenlos liebe.

Nun, sie wurde meine Frau, ich konnte nicht anders -- ich liebte sie zu sehr. Und ich glaubte an ihre große Liebe, glaubte an ihren edlen Charakter und war überzeugt, daß auch sie nur, gleich mir, aus übergroßer Liebe gefehlt hatte. Sie hatte eine grenzenlose Macht über mich -- du hast es ja empfinden müssen, wie sehr sie mich nach ihren Wünschen lenkte. Du wurdest mir ein Fremder, während ich mein ganzes Herz an meine Frau und an Dolf hing.

Ich lebte noch lange in dem Wahn, ein glücklicher Mann zu sein, wenn auch zuweilen der Schatten deiner armen Mutter anklagend vor mir stand. Inzwischen war Juanita in mein Haus gekommen. Ich ließ auch dieses arme Kind achtlos an Liebe darben, weil ich glaubte, meine Frau sorge liebevoll für sie. Aber diese Frau hat ja nie jemanden geliebt außer sich selbst und ihren Sohn Dolf.«

Gerd fuhr erschrocken auf.

»Vater!«

Dieser wehrte mit trübem Lächeln ab.

»Ja, mein Sohn -- die Vergeltung kam. Bis zu Dolfs Verheiratung mit Nita war ich glücklich gewesen, aber dann brach die Erkenntnis über mich herein, daß ich all die Jahre nur ein Scheinglück besessen hatte. Aus dem eigenen Munde meiner Frau und dem meines Sohnes habe ich hören müssen, daß sie mir nur Liebe vorgeheuchelt hätten, daß ich ein Tor gewesen war, als ich an diese Liebe glaubte.«

Er lehnte sich erschöpft zurück.

»Vater, lieber Vater -- es ist genug, quäle dich nicht mehr«, bat Gerd.

Der Vater richtete sich auf.

»Laß nur, ich bin gleich zu Ende. Den Glauben an meine Frau und Dolf habe ich verloren. Laß mich schweigen von den Erfahrungen, die ich machen mußte. Ich will meine Frau nicht anklagen. Ich habe erhalten, was ich verdient habe. Aber du sollst wissen, daß mir meine Frau fremd geworden ist, daß mich nichts mehr mit ihr verbindet -- als die gemeinsame Schuld. Ich stehe jetzt ganz vereinsamt im Leben, wenn du mir nicht deine Liebe und Anhänglichkeit bewahrst. Trotz alledem aber gehört meine Frau auch jetzt noch an meine Seite, sie ist die Mutter meines Sohnes -- und fester als jedes andere Band kittet die Menschen gemeinsame Schuld aneinander. Und deshalb bitte ich dich, begegne ihr, wie es der Frau deines Vaters gegenüber gehörig ist. Weil sie nach wie vor zu mir gehört, kann ich auch nicht zu Gertrud Horst gehen und sie bitten, mir zu verzeihen, was ich an ihrer Schwester gesündigt habe, denn ein Verkehr zwischen uns ist wie bisher unmöglich. Gertrud kann unmöglich mein Haus betreten, weil die Frau darin wohnt, die ihre Schwester aus meinem Herzen verdrängte. Wenn du deine Tante aber einmal ohne Zeugen sprichst, dann sage ihr -- Maria ist gerächt.«

Gerd war tief bewegt.

»Vater, lieber Vater, wie bitter ist das alles für dich.«

Gramvoll sah der alte Herr in sein Gesicht.

»Ja, mein Sohn, mein Leben ist jetzt mit Bitterkeiten angefüllt. Der einzige Lichtstrahl kommt mir von dir -- unverdienterweise. Laß mich dir dafür danken. Und nun sage mir, ob du nach dieser Beichte noch in mein Haus kommen willst.«

Gerd fuhr sich über die Stirn und faßte dann aufatmend des Vaters Hand.

»Lieber Vater -- du hast mir kaum etwas Neues gesagt. Bis auf deine eigenen trüben Erfahrungen mit Dolf und meiner Stiefmutter wußte ich alles. Ich wußte auch, daß nur sie zwischen uns standen, denn ich habe diese beiden Menschen mit klaren, scharfen Augen gesehen, vielleicht mit zu scharfen Augen. Ich muß dir gestehen, daß ich früher mit der harten, herben Urteilskraft der Jugend meine Stiefmutter haßte und dir grollte. Aber inzwischen habe ich das Leben besser kennengelernt, habe in manches Leid, in manche Schuld hineingeblickt und -- habe auch an mir selbst erfahren, wie leicht es ist, vom rechten Weg abzuirren. Heute kann ich nur sagen: Das Schicksal bewahre uns alle vor Schuld! Als ich damals aus dem Vaterhaus ging, da war ich gewillt, nie mehr dahin zurückzukehren, solange meine Stiefmutter darin weilte. Heute denke ich anders darüber. Ich werde kommen, und ich werde mich mit meiner Stiefmutter so zu stellen wissen, das du nicht unter unserem Verhältnis zu leiden hast. Auch Dolf werde ich so weit entgegenkommen, wie es mir möglich ist und es unsere verschiedenen Charakteranlagen zulassen. Und damit, lieber Vater, wollen wir dieses unerfreuliche Thema begraben. Ich werde sehr glücklich sein, wenn ich deinem Leben wieder ein wenig Licht und Wärme geben kann. Plage dich nicht mehr mit Gewissensbissen. Reue ist ein schwachmütiges Gefühl, das uns alle Kraft raubt und nichts -- gar nichts ändert. Sei versichert meine Mutter selbst würde dir alle Schuld vergeben.

So sprach Gerd mit warmer Eindringlichkeit. Seines Vaters Augen wurden feucht. Mit keinem Wort, mit keinem Blick hatte Gerd verraten, daß er wußte, das seine Mutter absichtlich aus dem Leben geschieden war. Nur die Hand hatte er unwillkürlich fest auf die Stelle gedrückt, wo in seiner Brieftasche der letzte Brief seiner Mutter ruhte, den er nie von sich ließ. Es war, als wolle er mit dieser Handbewegung das Geheimnis noch tiefer und fester verschließen. Mit seinem Willen sollte der Vater nie erfahren, daß sich seine Mutter selbst getötet hatte.

Noch eine Stunde saßen Vater und Sohn zusammen und besprachen noch mancherlei. Als sich Bernhard Falkner endlich erhob und sich verabschieden wollte, sah er die Veilchen auf Gerds Schreibtisch stehen. Lächelnd streichelte er darüber hin.

»Das sind sicher Juanitas Veilchen?« sagte er weich.

Gerd zuckte unmerklich zusammen.

»Du weißt -- daß sie mir die Blumen schickte?

»Ja, Gerd, sie hat es mir gesagt. Du mußt wissen, daß mir Juanita jetzt wie eine wirkliche Tochter geworden ist. Wir haben beide kaum noch ein Geheimnis voreinander. Ich habe sie von Herzen lieb, und daß sie mir sehr zugetan ist, weiß ich. Sie war mir in den schlimmsten Stunden meines Lebens ein Trost. Mit ihr konnte ich auch immer ungehindert von dir sprechen. Wir haben beide eifrig deine Werke studiert, und ich glaube nicht, daß jemand besser darin Bescheid weiß als wir. Du hast keine begeisterteren Anhänger als uns. Vor wenigen Tagen hat sie mir auch offenbart, daß du in ihrem Denken und Fühlen eine große Rolle eingenommen hast und daß ihr euch gesehen und gesprochen habt, als du das letzte Mal hier warst. So hat sie mir auch gesagt, daß du als Willkommensgruß Veilchen von ihr bekommen sollst. Sie behauptet, du seist der beste, edelste Mensch, den sie kenne. Nun, ich will als Vater nicht zu eitel sein -- aber ich glaube, sie hat recht.«

Mit einem Lächeln sagte das Bernhard Falkner -- und er ahnte nicht, wie laut und unruhig seines Sohnes Herz bei seinen Worten klopfte.

Gleich darauf verabschiedete sich der Vater.

»Bis morgen also, auf Wiedersehen daheim. Unsere Gäste sind für sieben Uhr geladen, ich hoffe, du kommst ein Stündchen früher, es braucht kein fremdes Auge Zeuge zu sein, wenn du nach langen Jahren das Vaterhaus zum erstenmal wieder betrittst.«

»Es ist gut, Vater, ich werde um sechs Uhr kommen.«

Bernhard Falkner verließ das Haus, und Gerd sah ihm vom Fenster aus nach, wie er über den Promenadenplatz ging. Wie gebückt der sonst so stattliche Mann einherschritt! Heißes Mitleid erfüllte Gerds Seele.

Und dann trat er wieder zu Juanitas Veilchen und barg mit einem tiefen Seufzer sein Gesicht darin.

 

Bernhard Falkner trat, als er nach Hause kam, in das Zimmer seiner Frau.

»Hast du zu unserem morgigen Fest alle Vorbereitungen nach meinem Wunsch getroffen?« fragte er höflich gemessen, wie er jetzt immer mit ihr sprach.

Sie sah ihn halb unsicher, halb trotzig an.

»Gewiß, es ist alles vorbereitet, und wie du wünschst, habe ich auf alles besondere Sorgfalt verwendet. Ich möchte nur wissen, warum du jetzt, am Ende der Saison, durchaus noch so ein besonderes Fest veranstaltest. Du bist doch sonst ein Gegner aller großen Gesellschaften und kümmerst dich nie darum. Warum nun gerade diesmal? Liegt denn ein besonderer Anlaß vor?«

»Allerdings! Ich kam zu dir, um dir mitzuteilen, weshalb ich dieses Fest so besonders glänzend gestalten will. Mein Sohn Gerd ist als Professor an unsere Universität berufen worden, und der wird morgen abend unser Gast sein. Ihm zu Ehren soll dieses Fest stattfinden.«

Helenes Gesicht rötete sich jäh, und ihre Augen flimmerten unheimlich.

»So -- dein Sohn Gerd soll gefeiert werden? Und das erfahre ich erst jetzt!« stieß sie mit verbissenem Grimm hervor.

Er sah sie scharf an.

»Ich fürchtete, du würdest wenig Sorgfalt auf die Vorbereitungen zu diesem Feste verwenden, wenn du wußtest, wem zu Ehren es veranstaltet würde.«

Sie richtete sich kampfbereit auf.

»Das hast du allerdings mit Recht gefürchtet, denn ich hätte keinen Finger gerührt für deinen Sohn, der mir stets nur Ärger und Widerwärtigkeiten bereitet hat.«

»Und den du dafür aus meinem Herzen und aus meinem Hause verdrängt hast«, sagte er bitter.

Sie warf den Kopf zurück.

»Nach meinem Willen wäre ihm jedenfalls kein festlicher Empfang zuteil geworden.«

»Nach deinem Willen«, sagte er scharf und schneidend, »wäre er wohl überhaupt nicht wieder in sein Vaterhaus zurückgekehrt. Aber ob mit oder ohne deinen Willen wird er morgen seinen Einzug halten. Und ich verlange von dir, daß mein Sohn so von dir empfangen wird, wie es ihm hier in diesem Hause zukommt. Er hat mir versprochen, dir unter Wahrung aller Formen zu begegnen, dasselbe verlange ich von dir ihm gegenüber.«

Sie biß die Zähne fest in die Lippen. Diesen befehlenden Ton hatte er ihr gegenüber früher niemals gehabt. Er reizte sie zur Wut, und doch fühlte sie sich machtlos, sie fühlte, daß sie ihm gegenüber keine Gewalt mehr hatte.

»Und wenn ich mich nun weigere?« fragte sie knirschend.

Dicht trat er an sie heran und sah ihr starr und kalt in die Augen.

»Das wirst du nicht tun -- du wirst nicht vor der Öffentlichkeit dartun, wie schlecht du zu deinem Stiefsohn stehst. Dazu bist du zu klug. Es könnten sonst unliebsame Gerüchte aus der Vergangenheit wieder auftauchen.«

Sie fühlte in ihm zähneknirschend den Meister. Seit Bernhard Falkner seine Frau nicht mehr liebte und ihren wahren Charakter kannte, war er ihr überlegen. Aber sie bäumte sich noch gegen seine Macht auf.

»Bah -- was kümmert mich müßiger Klatsch!« rief sie wegwerfend.

Er machte ein düsteres Gesicht.

»Wohl dir, wenn du so erhaben darüber bist -- ich bin es nicht, denn ich bin nicht rein von Schuld.«

Sie stand eine Weile unschlüssig. Ein wildes Verlangen war plötzlich in ihr, ihn wieder wie früher zu ihren Füßen zu sehen.

Wie eine gleißende Schlange huschte sie zu ihm heran, legte ihre weiße Hand auf seinen Arm und sah mit dem alten faszinierenden Blick zu ihm auf.

»Bernhard, warum bist du jetzt immer so kalt und hart zu mir, weshalb hast du kein gutes, liebes Wort mehr für mich? Wenn Dolf dir Ärger bereitet und ich seine Partei nehme, so halte es meinem Mutterherzen zugute. Ich kann nicht hören, wenn du ihn schiltst. Ist das ein Verbrechen? Vielleicht bin ich zuweilen dir gegenüber etwas schroff gewesen in meiner gekränkten Mutterliebe. Aber deshalb brauchst du mir doch deine Liebe nicht zu entziehen. Müssen wir uns deshalb feindlich gegenüberstehen? Dolf ist dein Sohn wie der meine, und du musst doch sehen, daß er auf dem Wege der Besserung ist. Seine Fehler waren nichts als jugendlicher Leichtsinn. Er ist schon jetzt vernünftiger und wird es von Tag zu Tag mehr. Sieh, wenn ich ihn in Schutz nehme, geschieht es doch nur, weil er doch auch dein Sohn ist, der Sohn des Mannes, den ich allezeit nur zu sehr geliebt habe. Willst du mir deshalb einen Vorwurf machen?«

Sie sagte das alles in der alten bestrickenden Art und schmiegte sich immer dichter an seine Seite.

Er sah finster auf sie herab.

»Weil du mich allezeit nur zu sehr geliebt hast?« fragte er schneidend und lachte bitter auf. Und dann fuhr er fort: »Bemühe dich nicht weiter -- ich weiß ja, wie schwer es dir geworden ist, mir die Illusion deiner Liebe vorzutäuschen. Aus deinem eigenen Mund habe ich gehört, wie du zu deinem Sohn sagtest, das du mich nie geliebt hast, daß du nur meine Frau wurdest, um aus Not und Armut zu kommen. Einen hohen Preis hast du fürwahr gezahlt, um Glanz und Reichtum zu gewinnen.«

Sie war zusammengezuckt und sehr bleich geworden.

»Du hast gelauscht!« stieß sie hervor.

Er nickte langsam.

»Ja -- ich hörte, welche guten Lehren du deinem Sohn gabst, ich hörte auch seine liebevollen Aussprüche über mich -- und ich weiß nun, wie eure Liebe zu mir in Wahrheit aussieht. Es hätte auch dieses Beweises kaum noch bedurft, denn ich wußte schon vorher, auf welcher Lüge mein Glück aufgebaut war. Ich beschwere mich nicht darüber, mir ist nur zuteil geworden, was ich verdient habe. Die Schuld, die ich auf mich lud, als ich Gerds Mutter die Treue brach, hat sich an mir gerächt. Du weißt nun, daß es jetzt keine andere Gemeinschaft zwischen uns geben kann als die Gemeinschaft unserer Schuld.«

Sie machte eine heftig abwehrende Bewegung.

»Ich bin mir keiner Schuld bewußt.«

Mit einem großen, stillen Blick sah er sie an.

»Wohl dir, wenn du sie nie zu erkennen brauchst. Aber nun genug, dieses Thema ist zwischen uns erledigt. Du weißt also, daß Gerd morgen kommt, und deine eigene Klugheit wird dir sagen, wie du dich ihm gegenüber zu verhalten hast.«

Damit wandte er sich zum Gehen.

Als Helene allein war, riß sie wütend an ihrem spitzenbesetzten Taschentuch, daß es in Fetzen ging, und ihre Lippen preßten sich fest zusammen.

Daß ich so unvorsichtig gewesen war, nicht zu bedenken, daß wir belauscht werden konnten! Was haben wir nur damals alles besprochen, Dolf und ich? Wie ist es nur möglich, daß er uns belauschen konnte, ohne daß wir etwas davon merkten? Das darf ich Dolf gar nicht sagen, sonst wird er unsicher und verdirbt schließlich alles.

So dachte Frau Helene. Kein Gedanke des Mitleids regte sich in ihr für ihren Mann, den sie belogen und betrogen und in Schuld und Sünde verstrickt hatte. Sie war nur wütend, daß sie alle Gewalt über ihn verloren hatte.


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