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VI

Zehn Jahre waren vergangen. Juanita Trebin war jetzt eine sehr schöne und liebreizende junge Dame, deren Erscheinung noch immer ein fremdartiger Reiz umgab.

Frau Helene sah mit Befriedigung das Aufblühen ihrer Pflegetochter. Sie beschäftigte sich mit Plänen für die Zukunft, in denen Juanita eine große Rolle spielte, denn der Reichtum der jungen Millionärin sollte möglichst dem Hause Falkner erhalten bleiben.

Frau Helene hatte viel Macht über Juanita, obwohl diese auch jetzt noch mehr Furcht und Abneigung als Liebe für sie empfand. Und so wandte die kluge Frau ihren ganzen Einfluß auf, um Juanita für Dolf einzunehmen.

Dolf Falkner hatte sich inzwischen zu einem sehr schönen und eleganten jungen Mann entwickelt. Er war mehrere Jahre bei großen, ausländischen Firmen als Volontär tätig -- oder vielmehr untätig -- gewesen und hatte dann noch auf seines Vaters Kosten eine große Reise unternommen -- zu seiner Ausbildung. So sagte er dem Vater. Ihm war es aber weniger um seine Ausbildung als um sein Amüsement zu tun. Seiner Militärpflicht hatte er in einem der teuersten Regimenter genügt.

Mit seinen fünfundzwanzig Jahren hatte Dolf Falkner das Leben schon in allen Höhen und Tiefen genossen. Arbeit und Pflichten waren ihm feindliche Begriffe, die nur dazu vorhanden zu sein schienen, ihn am vollen Lebensgenuß zu hindern.

Und nun verlangte sein Vater entschieden, daß er heimkehrte und in die Fabrik eintrete, »um dort zu verwerten, was er gelernt hatte«. Dieser Passus in des Vaters Brief hatte Dolf wenig angenehm berührt. Er war sich auch bewußt, verteufelt wenig gelernt zu haben, außer des Vaters Geld auszugeben, eingerechnet die heimlichen mütterlichen Geldsendungen.

Etwas weniger unangenehm war ihm eine Stelle in einem mütterlichen Brief gewesen, die folgendermaßen lautete:

 

»Du mußt unbedingt heimkehren, mein lieber Dolf, ehe Juanita hier in Gesellschaft eingeführt wird. Lange kann ich das nicht mehr hinausschieben. Ist sie einmal in die Gesellschaft eingeführt, dann werden sich unzählige Bewerber um die Millionenerbin drängen, und dann wird es Dir nicht so leicht werden, sie zu erobern, wie jetzt, wo sie noch mit keinem jungen Mann zusammengekommen ist. Soll sich unser Plan verwirklichen, so ist es also die höchste Zeit, das Du heimkommst.

Und Du mußt Dich Nita natürlich von Deiner besten Seite zeigen. Ich glaube, sie ist ein wenig romantisch veranlagt. Es wird Dir ja nicht schwerfallen, solch ein völlig unberührtes Mädchenherz zu erobern mit Deinem blendenden Äußeren. Nur sei um Gottes willen vorsichtig und verrate ihr nichts von Deiner realistischen Weltanschauung. Du mußt Dich schon mit einem idealen Nimbus umgeben. Ich habe schon vorgearbeitet und ihr allerlei kleine Märchen über Dich aufgetischt. Ist sie erst Deine Frau, dann wird sie schon selbst vernünftig werden. Solange mußt Du Dich aber unbedingt beherrschen. Sei klug und bedenke, daß mit ihrer Hand Millionen in Deinen Besitz übergehen und Dir ein herrliches Leben ermöglichen. Ihr Vermögen ist unter Deines Vaters umsichtiger Verwaltung und durch die seit zehn Jahren nur zum kleinsten Teil verbrauchten Zinsen fast auf drei Millionen Mark angewachsen. Das ist es doch wert, das Du alle Kräfte einsetzt, Dir Nitas Besitz zu sichern.

Vergiß aber nicht, daß dies alles unter uns beiden bleibt. Papa darf nichts von unserem Plan wissen. Er muß, so gut wie Nita, überzeugt werden, daß Du nur aus Liebe um Nita freist, denn er hat so merkwürdig strenge Ansichten über das, was er seine Pflicht gegen Nita nennt. Und außerdem hat er sie sehr lieb gewonnen und will nur ihr Glück. Nun weißt Du alles. Du bist mein lieber, kluger Dolf und wirst vernünftig sein.«

 

So hatte Frau Helene an ihren zärtlich geliebten Sohn geschrieben.

Und nun wurde Dolf von seiner Reise zurückerwartet.

Juanitas Erzieherin, Fräulein Meta Schüpp, war vor einem Jahr entlassen worden. Frau Helene hatte Nita in all den Jahren nicht von sich gelassen, um sie immer unter ihrem Einfluß zu behalten. Der Plan, sie zu ihrer Schwiegertochter zu machen, keimte schon lange Zeit in ihr.

Sie konnte sich nicht verhehlen, daß Dolf ein sehr lockeres Leben führte und sehr untüchtig war. Seiner Mutter gegenüber sparte es sich der junge Mann, die Komödie der Vortrefflichkeit zu spielen, wie er es seinem strengeren Vater gegenüber schon tun mußte. Frau Helene war ihrem Sohne gegenüber nachsichtig bis zur Schwäche. Sie selbst hatte ihn ja direkt darauf hingewiesen, daß er sich ausleben, seine Jugend genießen sollte. Nur im Genuß allein schien ihr selbst alles Glück begründet, und die Gier nach Genuß war nun das einzige Streben ihres Sohnes geworden, dem sie nun auch die reiche Erbin zuführen wollte, damit er auch ferner im schrankenlosesten Lebensgenuß sein Glück finden konnte.

Dolf war sehr siegessicher in bezug auf Juanita. Er war von seiner Unwiderstehlichkeit Frauen gegenüber fest überzeugt. Bisher hatte er jede Frau, die er besitzen wollte, auch wirklich bekommen. Oft genug hatte er seine Macht schon erprobt. So, wie seine Mutter einst alle Männer durch ihre faszinierende Schönheit betört hatte, so flogen auch ihm die Frauenherzen zu.

Worin der Zauber eigentlich bestand, der von ihm ausging, das wußte niemand zu sagen. Manches seiner Opfer konnte seine Herzlosigkeit, die Roheit seines innersten Empfindens erkennen, wenn es aus dem Taumel erwachte und ihn mit sehenden Augen betrachtete. Aber dann war es zu spät. Und heimlicher Stolz schloß die Lippen, die ihn entlarven konnten.

Dolf Falkner aber schritt lachend und gewissenlos über gebrochene Herzen hinweg und sonnte sich eitel in neuen Triumphen.

Und dieser Mann sollte nach seinem und seiner Mutter Wunsch Juanitas Gatte werden.

Dolf hatte seiner Mutter kurz vor seiner Rückkehr auf jenen Brief geantwortet:

»Du kannst ganz unbesorgt sein, es wird mir nicht schwerfallen, die kleine Nita im Sturm zu erobern. Da sie, wie Du mir versicherst, eine Schönheit geworden ist, werde ich ja auch selbst etwas in zärtliche Stimmung kommen, und das ist natürlich angenehmer, als wenn ich mich um eine kleine Vogelscheuche bewerben müßte, was Nita bei ihren Millionen übrigens auch sein könnte, ohne mich abzuschrecken. Also sei unbesorgt und habe Dank für Deine Fingerzeige. Romantisch veranlagte Naturen sind leichter zu besiegen als nüchterne.«

Bernhard Falkner hatte keine Ahnung, welcher Art der Briefwechsel war, der zwischen seiner Frau und seinem Sohne geführt wurde. Er liebte seine Frau noch immer wie einst und sah in ihr ein vollkommenes Wesen. Und Dolf hielt er für einen offenen, ehrlichen Charakter, für einen gutherzigen Menschen, der zwar im Überschwang der Jugend ein wenig mehr Geld ausgab, als er sollte, der sich aber, erst daheim -- in geregelter Tätigkeit, gewiß noch zu einem tüchtigen, soliden Kaufmann entwickeln würde. Wie wenig in Wirklichkeit Gattin und Sohn dem Bild entsprachen, das er sich von ihnen machte, ahnte er nicht. Die Liebe machte ihn blind.

 

Gerd hatte seinem Vater regelmäßig kurze Berichte über sein Ergehen in all diesen Jahren gesandt. So wußte Bernhard Falkner, daß sein ältester Sohn sein Studium beendet, daß er summa cum laude seinen Doktor gemacht und dann, seinem Vorsatz getreu, große Reisen in ferne, fremde Länder unternommen hatte.

Man war in wissenschaftlichen Kreisen bereits auf Dr. Gerhard Falkner aufmerksam geworden. Ein von ihm verfaßtes und im Verlag Albert Horst erschienenes Werk über Reisen und Forschungen durch ein bisher völlig unerschlossenes Gebiet hatte Aufsehen erregt. Wertvolle wissenschaftliche Errungenschaften und ein blendender Stil gaben diesem Werk eine große Bedeutung und eine ungeahnte Verbreitung auch in Laienkreisen.

Momentan war Dr. Gerhard Falkner mit einer Expedition auf dem Weg zum Südpol. Große Artikel erschienen über sein Werk und seine interessante Persönlichkeit in allen Zeitschriften. Während Frau Helene und Dolf diese Artikel mit heimlichem Ärger lasen und sie völlig totschwiegen, sammelte Bernhard Falkner im Verborgenen alle diese Artikel und nahm sie mit in sein Privatkontor. Dort las er sie wieder und wieder durch. Und ein heimlicher Stolz erwachte in seiner Brust, dem freilich ein sehr schmerzliches Gefühl beigemischt war. War ihm doch zumute, als habe sich Gerd von ihm losgesagt, als gehöre er ihm nicht mehr an.

Im Falknerschen Hause las aber niemand die Artikel über Dr. Gerhard Falkner so eifrig und aufmerksam wie Juanita Trebin. Sie las sie auch der alten Tina vor, die noch immer im Hause war und auch noch immer heimliche Plauderstündchen mit Nita hielt. Tinas Augen leuchteten dann stolz auf, und Nita mußte ihr erklären, was ihr etwa unverständlich blieb.

Nitas Erinnerungen an Gerd Falkners Persönlichkeit waren mit den Jahren verblaßt und etwas unwirklich geworden. Aber er war ihr zu einer Idealgestalt geworden, mit der sie alles Liebe und Schöne in Gedanken in Verbindung brachte, und sie gedachte seiner wie eines unsichtbaren Schutzengels.

Sie glaubte jedoch, daß er sie längst vergessen habe und daß sie ihn wohl nie wiedersehen würde, denn sie wußte von Tina, wie er seiner Stiefmutter im Herzen gegenüberstand. Tina hatte ihr freilich verschwiegen, welch ein Drama sich einst in diesem Hause abgespielt hatte, sie wollte das junge Geschöpf nicht beunruhigen. Auch hatte sie Nita bisher verschwiegen, daß sie Gerd zuweilen über sie berichtete, und so wußte diese nicht, das Gerd Falkner auch heute noch innigen Anteil nahm an ihrem Ergehen.

 

Es war an einem hellen, warmen Maientag, an dem Dolf im Falknerschen Hause erwartet wurde.

Juanita saß in dem hinteren Teil des Gartens unter einer wunderschönen breitästigen Linde. Hier waren einige Rohrsessel und ein kleiner, runder Tisch aufgestellt. Dieses still und verborgen liegende Fleckchen war Juanitas Lieblingsplatz.

Manche Stunde hatte sie hier verträumt oder einer guten Lektüre gewidmet. Sie liebte die Einsamkeit und zog sie jedenfalls Frau Helenes Gesellschaft vor, mit der sie innerlich nichts Gemeinsames hatte.

Graziös lehnte ihre schlanke, ebenmäßige Gestalt in einem der Sessel. Sie trug ein weißes Tuchkleid, das sich knapp und glatt um ihre schlanken Hüften schmiegte. Das reiche, dunkle Haar war gescheitelt und am Hinterkopf in breiten, schweren Flechten aufgesteckt. Ein eigenartiger, blauschwarzer Glanz lag auf diesem Haar, so wie man ihn auf oxydiertem Stahl findet. Wundervoll war der klare Teint, der noch immer ein südliches Kolorit zeigte. Die Gesichtszüge waren fein geschnitten, und die granatroten, zart geschwungenen Lippen verliefen in entzückender Weichheit in dem feinen Oval der Wangen.

Das Schönste aber an diesem reizenden jungen Geschöpf waren die wunderbaren großen Augen, die sanft und feurig zugleich blicken konnten und jetzt gedankenvoll und sehnsüchtig über ein Buch hinweg ins Weite schweiften. Es lag ein eigenartiger Ausdruck darin, eine verlorene Bangigkeit, ein schmerzliches Sinnen, der diesem jungen Antlitz ein Gepräge von leiser Traurigkeit gab.

Nach einer Weile legte sie seufzend das Buch auf das Tischchen, dann lehnte sie den Kopf zurück und schloß die Augen.

Sie war aus dem Hause geflohen, um nicht zu stören bei dem Wiedersehen zwischen Dolf und seinen Eltern. Seit drei Jahren hatte sie Dolf nicht mehr gesehen und vorher war er auch schon für längere Zeit abwesend gewesen. Sie erinnerte sich seiner als eines sehr schönen und eleganten jungen Mannes, der ihr bei seiner letzten kurzen Anwesenheit im Elternhaus viele Artigkeiten erwiesen hatte. Das hatte auf ihr Backfischherz einige Wirkung gehabt. Nun war sie sehr gespannt auf den Eindruck, den er ihr jetzt machen würde.

Tante Helene hatte ihr viel Liebes und Schönes von ihm erzählt. Dolf mußte ein sehr edler und liebenswerter Mensch geworden sein, und sie freute sich, daß er nun daheim bleiben würde. So war doch außer ihr noch ein junges Blut im Hause. Sie kam fast gar nicht mit andern jungen Leuten zusammen. Freundinnen besaß sie nicht, und in Gesellschaft sollte sie erst im Winter eingeführt werden, wie Tante Helene ihr gesagt hatte. Sie verlangte auch gar nicht nach großen Geselligkeiten, aber es mußte doch schön sein, wenn noch ein junger Mensch im Hause war. Und Dolf wußte sicher viel Interessantes zu erzählen.

Tante Helene mußte Dolf sehr lieben. Und sie war doch sonst so kalt. Dolf verdiente wohl auch diese Liebe besonders. Ach -- es mußte doch wundervoll sein, wenn man eine Mutter hatte!

Juanita seufzte schmerzlich auf. So einsam und verlassen fühlte sie sich wieder einmal, daß sie hätte weinen mögen. Drinnen im Hause hielten wohl jetzt die Eltern ihren heimgekehrten Sohn in den Armen. Nach ihr fragte niemand, an sie dachte keiner. Sie besaß ja keinen einzigen Menschen, der zu ihr gehörte. Ihr junges Herz sehnte sich in fast krankhafter Innigkeit nach Liebe, nach einem Herzen, das ihr gehörte, dem sie alles sein konnte.

Wie lange sie so gesessen hatte im wärmenden Sonnenschein, wußte sie nicht. Ihr ganzes Wesen war aufgelöst in einer brennenden Sehnsucht nach Liebe. Und in dieser Stunde führte ihr das Schicksal einen Mann entgegen, der gekommen war, um mit allen Eroberungskünsten ihr junges Herz zu betören. Er fand den Boden bereit, wie sonst zu keiner Stunde, und der Sieg mußte ihm leicht werden. Die Frucht, nach der er die Hände ausstrecken wollte, war reif und fiel ihm von selbst entgegen. Nahende Schritte weckten Juanita aus ihren Träumereien. Weich und zärtlich, mit einem sehnsüchtigen Ton klang ihr Name an ihr Ohr.

»Nita -- liebe Nita!

Sie schrak empor.

Vor ihr stand Dolf Falkner. Elegant gekleidet vom Kopf bis zu den Füßen, machte er einen geradezu blendenden Eindruck. Sein schönes Gesicht hätte wohl für einen Adonis als Modell dienen können, ebenso die schlanke große Gestalt. Ein elegant gestutztes Lippenbärtchen zeigte eine etwas dunklere Schattierung als das rotgoldene Haupthaar. Und die Augen, diese seltsamen faszinierenden Augen, ruhten in wahrhaft bestrickender Zärtlichkeit in denen Juanitas.

Die junge Dame sprang auf und sah wie gebannt in diese Augen hinein. Wie überwältigt von ihrem Anblick, kam er dicht an sie heran, faßte ihre beiden Hände und drückte sie abwechselnd wie in heißer Zärtlichkeit an seine Lippen.

»Nita -- Nita! Wie schön bist du geworden!« rief er halb erstickt vor Bewegung.

Und er brauchte sich gar nicht viel Mühe zu geben mit diesem leidenschaftlichen Ton, denn Nitas jugendfrische Schönheit entflammte seine Sinne.

Sie erzitterte und stand wie gelähmt vor ihm. Und in ihrem jungen Herzen regte es sich wie ein jubelndes, süßes Erschrecken.

»Dolf -- du bist es --, fast hätte ich dich nicht erkannt«, stieß sie hastig hervor. Er bemerkte ihr Erzittern, sah das Blut in ihren Wangen kommen und gehen, und seine Augen leuchteten in Siegesfreude auf. An den Händen zog er die bebende Gestalt dicht zu sich heran. Er drückte ihre Hände an seine Brust und senkte seinen Blick tief in den ihren. Und wie aufs tiefste bewegt flüsterte er nochmals im fassungslosen Entzücken:

»Wie schön bist du, Nita, wie wunderschön.«

Die Glut schoß ihr ins Gesicht. Schmeicheleien aus Männermund waren ihr fremd.

Zum erstenmal tönten solch leidenschaftliche Worte an ihr Ohr. Ein unbeschreibliches Gefühl nahm sie gefangen. Es war wie ein Singen und Klingen in der Luft, und ihr war, als schwebe sie auf rosigen Wolken. Ihr junges, unerfahrenes Herz gab sich ungeschützt und ungewarnt dem süßen, betörenden Zauber hin, den dieser Mann auf sie ausübte.

Sie brachte kein Wort über ihre Lippen, aber ihr war, als hätte sich der Himmel mit allen Herrlichkeiten vor ihr aufgetan.

»Hast du kein Wort des Willkommens für mich, süße Nita?« schmeichelte er, wieder ihre Hände küssend. »Ich hielt es drinnen nicht mehr aus vor Sehnsucht nach meinem Pflegeschwesterchen. Mama sagte mir, daß ich dich hier finden würde. Aber ich suchte das liebe, kleine Mädchen mit dem kurzen Kleidchen und den schwarzen Hängezöpfchen. Und nun stehe ich geblendet vor einer wunderschönen jungen Dame. Nita, ach, Nita -- fühlst du, wie mein Herz klopft? Wie verzaubert komme ich mir vor. So süß und wundervoll bist du anzuschauen. Sag mir doch ein gutes Wort -- ein einziges gutes Wort. Du weißt ja nicht, welche heißen Empfindungen mich bestürmen, wenn ich dich so vor mir sehe.«

Nita war fassungslos vor seligem Staunen. Wie ein süßes Gift wirkten die heißen Schmeichelworte auf sie ein. Dolf war erfahren in der Kunst, Mädchenherzen zu betören. Die kleine, weltfremde Juanita erlag seinem Zauber in der ersten Stunde.

Noch nie hatte ein Mensch solche liebevollen Worte für sie gehabt. Ihr sonst so klarer Blick war getrübt, so daß sie nicht Wahrheit von Lüge unterscheiden konnte. Und ihr junges Herz sehnte sich nach Liebe wie eine verdurstende Pflanze nach Regen.

Sie glaubte Dolfs Worten, ahnte nicht, daß er nichts anderes für sie empfand als ein flüchtiges Wohlgefallen an ihrer jungen, unberührten Schönheit, wie er es schon oft genug empfunden hatte für andere schöne Blumen, die ihm am Wege geblüht und die er gewissenlos gebrochen hatte, um sich eine flüchtige Lebensstunde lang damit zu schmücken und sie dann achtlos zu zertreten.

Aufatmend und mit leuchtenden Augen sagte Juanita endlich:

»Willkommen daheim, lieber Dolf -- lieber Dolf.«

»Dank, heißen Dank, liebe, teure Nita! Sag, freust du dich ein wenig, daß ich wieder daheim bin?«

Sie nickte und lächelte verträumt zu ihm auf. War es ihr doch wie ein Wunder, daß sich ein Mensch so liebevoll um sie mühte.

»Ja -- ich freue mich«, sagte sie innig. Wieder küßte er ihre Hände, die er nicht aus den seinen ließ.

»Ach Nita, Nita -- wenn du wüßtest, wie mir zumute war, als ich dich vor mir sah in deiner ganzen holden Schönheit. Als ich fortging, schienst du mir wie eine liebe, kleine Schwester. So habe ich dich auch immer in Erinnerung gehabt. Aber jetzt -- da ich dich wiedergesehen habe, nun weiß ich, das du mir mehr, viel mehr geworden bist. Wie ein Blitz ist die Erkenntnis über mich gekommen -- ich kann nicht mehr ruhig wie ein Bruder an dich denken.«

So flüsterte er wie überwältigt von starken Gefühlen und zog sie näher und näher an sich heran, bis sie dicht an seinem Herzen ruhte.

Wie ein gefangenes Vögelchen lag sie in seinen Armen, und ihr Blick vermochte sich nicht aus dem seinen zu lösen.

»Laß mich -- ach, laß mich«, flüsterte sie erschauernd.

Aber er hielt sie fest. Und ihre mädchenhafte Bangigkeit entzündete sein Blut. Jetzt brauchte er sich kaum noch zu verstellen, als er ihr heiße, süße Liebesworte ins Ohr flüsterte.

Er ließ Juanita gar nicht Zeit, zu sich zu kommen und sich aus dem süßen Bann zu lösen. Klug nützte er seine Chancen.

Wie berauscht war Nita von seiner auf sie eindringenden Werbung, und ohne sich bewußt zu werden, was mit ihr geschehen war, duldete sie seine heißen Küsse und erwiderte sie in scheuer Innigkeit.

Eine Seligkeit ohnegleichen erfüllte ihr Herz. Sie liebte und wurde geliebt! Diese Gewißheit hob sie über alles hinweg. Dolf zog sie neben sich auf eine Bank und überschüttete sie förmlich mit Zärtlichkeiten. Und unter Zärtlichkeiten bettelte er ihr die Erlaubnis ab, daß sie eine kurze Zeit ihre Verlobung geheimhalten wollten.

»Nur wenige Tage, meine süße Nita. Ich will nicht, daß andere unser holdes Geheimnis erfahren. So süß wird es sein, wenn nur wir zwei wissen, wie sehr wir uns lieben. Heute abend stehlen wir uns dann beide wieder hier heraus in den Garten -- ach, meine Nita, wie glücklich wollen wir dann sein. Dann fasse und halte ich dich so wie jetzt, und meine Lippen brennen auf den deinen, mein Herz klopft an dem deinen. Die ganze Welt wird um uns her versinken. Wirst du mit mir kommen, Süße?«

Sie nickte nur und sagte zu allem ja. Ihre Lippen brannten unter seinen Küssen, und wie in einem Taumel lag sie in seinen Armen.

Dolf hatte seine besonderen Gründe, seine Verlobung mit Nita noch kurze Zeit geheimzuhalten. Er fürchtete, sein Vater würde eine so plötzlich geschlossene Verlobung nicht gutheißen. Dolf mußte ihn erst überzeugen, daß er wirklich eine ernste Neigung zu Nita gefaßt hatte, und um sicher zu gehen, wollte er sich eine kurze Frist auferlegen. Seiner Mutter konnte er ja schon einen Wink geben, daß zwischen ihm und Nita alles im reinen war. Ihr frohes Staunen würde seiner Eitelkeit schmeicheln. Aber mit dem »alten Herrn und seinen schwerfälligen Ansichten« mußte man vorsichtig sein. So folgte diesem Wiedersehen zwischen Dolf und Nita eine Zeit voll süßer Heimlichkeiten, die das junge Mädchen vollends um jede klare Urteilskraft brachten. Sie sah in Dolf einen mit allen Vorzügen des Leibes und der Seele ausgestatteten jungen Mann; ihr junges Herz gab sich ihm ohne Vorbehalt zu eigen, und sie war glückselig in dem Bewußtsein, einen Menschen gefunden zu haben, dessen Herz ihr gehörte mit dem starken, ewigen Recht der Liebe und dem sie alles war.

Vierzehn Tage später traten sie vereint vor Bernhard Falkner hin und baten um seinen Segen und um seine Einwilligung zu ihrem Bund fürs Leben. Der alte Herr freute sich viel zu sehr über diese Verbindung, um ernstlich Einspruch zu erheben. Dolf hatte ihn zu überzeugen gewußt, daß er Nita aufrichtig liebte, und Nita strahlte die Liebe offen genug aus den Augen.

Der einzige Einwand, den Bernhard Falkner machte, war das Bedenken wegen der großen Jugend des jungen Paares. Frau Helene überzeugte ihn jedoch, daß dies kein Fehler sei. Und sie wußte ihm auch die Einwilligung abzuschmeicheln, daß die Hochzeit des jungen Paares schon nach wenigen Monaten stattfinden sollte.

Juanita fügte sich willenlos Dolfs Bitten, daß die Hochzeit sehr bald gefeiert werden sollte. Sie sah in dieser Bitte nur einen neuen Beweis seiner großen Liebe.

Aber Dolf und seine Mutter hätten nicht so sehr für eine baldige Hochzeit gestimmt, wenn Dolf sich nicht selbst gesagt hätte, daß es besser sei, Juanita fest an sich zu binden, solange seine Verliebtheit anhielt und er mit einiger Wahrhaftigkeit den zärtlichen Bräutigam spielen konnte. Frau Helene aber kannte ihren Sohn und war in Sorge, daß er sein wahres Wesen verraten könne, ehe Nita für immer an ihn gefesselt sei.

So wurde der Termin zur Hochzeit festgesetzt.

Es traf sich gut, daß draußen am Stadtwald eine reizende kleine Villa zu verkaufen war. Bernhard Falkner erstand sie für das junge Paar und ließ sie behaglich und elegant einrichten. Frau Helene sorgte eifrig für die Ausstattung der jungen Braut. Da hierbei in keiner Weise gespart zu werden brauchte, war das ein besonderer Genuß für sie.

Man ließ so Juanita gar keine Zeit, ruhig Einkehr in sich selbst zu halten. Wie ein Sturm brauste alles über das unerfahrene junge Geschöpf hin, und niemand warnte sie vor einer Übereilung.

Nur zwei Augen im Falknerschen Hause sahen allem mit Besorgnis und Bangen zu. Das waren die Augen der treuen alten Tina, die ängstlich und unruhig auf dem strahlenden, verträumten Gesichtchen ihres Lieblings ruhten. Aber Tina wagte nicht zu reden von dem, was ihr das Herz bedrückte. Und Nita hatte jetzt so wenig Zeit für die alte treue Freundin ihrer einsamen, liebeleeren Kindheit.

So kam Juanitas Hochzeitstag heran, ohne daß sie nur eine Stunde der ruhigen Überlegung gehabt hatte.


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