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Mehrere Monate waren vergangen, seit Gerd und Nita sich wiedergesehen hatten.
Dolf Falkner war nun schon das dritte Jahr Juanitas Gatte. Sie lebten beide fremd nebeneinanderher, wurden sich fremder von Tag zu Tag.
Dolf lebte ausschweifender und zügelloser denn je. Sein wüster Lebenswandel bildete schon das Stadtgespräch.
Frau Helene suchte ihn noch immer zu entschuldigen, obwohl er ihr gegenüber auch recht lieblos war. Er verlangte von ihr, daß sie den Vater bearbeite, damit dieser ihm Juanitas Vermögen auszahlen solle, denn er strebte fort aus seiner Vaterstadt, die er »Krähwinkel« nannte, weil seine schlimmen Streiche überall kritisiert wurden. Der Boden wurde ihm immer heißer wegen verschiedener Affären, in denen er durchaus keine glänzende Rolle spielte. Er wollte nach Berlin oder Paris übersiedeln, wo er in der Masse untertauchen konnte. Ob Nita mit ihm gehen wollte, danach fragte er gar nicht. Wenn er nur erst ihr Vermögen in Händen hielt, dann mußte sie sich in das fügen, was er bestimmte. Übergab ihm der Vater Nitas Vermögen nicht, dann blieb er immer abhängig, dann würde man ihn hier festhalten, und er bekam nach wie vor die Zinsen aus seines Vaters oder gar aus Nitas Hand.
Das paßte ihm nicht.
Er suchte selbst mit allerlei heuchlerischen Schmeichelworten den Vater wieder auf seine Seite zu bringen und gab sich auch zuweilen den Anschein, als arbeite er wirklich ernsthaft. Aber sein Vater hatte gelernt, ihn zu durchschauen. Er hüllte sich in Stillschweigen.
Und wenn ihn seine Gattin auf Dolfs Wunsch bearbeitete und zu erfahren suchte, ob Dolf Nitas Vermögen an deren einundzwanzigsten Geburtstag in die Hände bekäme, dann antwortete er nur mit bitterem Lächeln: »Warte ab, bis es soweit ist -- dann wirst du meinen Entschluß erfahren -- genau wie Dolf.«
Frau Helene machte ihm dann manche Szene. Aber es war, als gleite das jetzt alles an ihm ab, als berühre es ihn kaum. Während er früher unglücklich war, wenn Helene einmal mit ihm schmollte, blieb er jetzt ruhig und kalt. Und je ruhiger und kühler er sich zeigte, desto mehr verlor sie ihre Ruhe. Ihre Klugheit lies sie dann im Stich. Sie ließ sich gehen, wurde scharf und bissig und vergaß alle Vorsicht, so daß er immer tiefere Einblicke in ihren Charakter bekam und sich innerlich schaudernd von der Frau abwandte, die er einst so heiß geliebt hatte, daß er ihr zuliebe schwere Schuld auf seine Seele geladen hatte.
Je mehr sich ihr Gatte vor ihr verschloß, um so inniger wandte Frau Helene ihr Herz ihrem Sohn zu. Es war seltsam. Ihr kaltes, berechnendes Wesen löste sich mehr und mehr in eine große Zärtlichkeit für Dolf auf, obwohl er sich ihr gegenüber keine Mühe mehr gab, sich anders zu zeigen als er war. Sie kannte seine ganze Herzlosigkeit, seine zynische Rohheit, er erlaubte sich ihr gegenüber eine Sprache, die sie peinigte und demütigte, und doch liebte sie ihn -- vielleicht, weil er ihr im Innersten so ähnlich war wie im Äußeren.
Er quälte sie oft namenlos mit seiner Brutalität, ohne daß sie sich wehren konnte.
So schaffte das ausgleichende Schicksal für diese Frau eine Zuchtrute, die sie alle Sünden abbüßen ließ. Bisher war sie kalt und ungerührt über Menschenherzen und Menschenschicksale hinweggeschritten. Nun lernte sie selbst Schmerzen und Bitterkeiten kennen, lernte leiden -- durch das einzige warme Gefühl, das in ihrem Herzen war, durch die Liebe zu ihrem Sohn. In ihm erwuchs ihr die Strafe für ihre Schuld.
Helene hatte erkannt, daß ihr Zauber über ihren Gatten gebrochen war, sie wußte, daß sie nicht mehr viel Einfluß auf ihn hatte, seit er einen Blick in ihr wahres Wesen getan hatte. Das tat ihr aber nur leid, weil sie diesen Einfluß nicht mehr zu Dolfs Gunsten geltend machen konnte, sonst war es ihr ziemlich gleichgültig, wie er über sie dachte. Sie hatte ihren Gatten nie geliebt, auch damals nicht, als sie ihm eine heiße, alles bezwingende Leidenschaft vorgetäuscht und ihn von der Seite Marias in ihre Fesseln gelockt hatte. Ihr ganzes Leben war eine Lüge gewesen, die sie aufrechthielt, um in Glanz und Reichtum leben zu können. Nur ein wahres Gefühl war in ihr -- die Liebe zu ihrem Sohne, und an diesem einen wahren Gefühl wurde sie gestraft, wohl weil sie nur da getroffen werden konnte.
Es war an einem Sonntag.
Wie gewöhnlich an diesem Tag waren Dolf und Nita mittags bei den Eltern zu Gast. Diese Einrichtung bestand, seit Nita mit Dolf verheiratet war. Am Anfang waren diese gemeinsamen Sonntage für beide Teile sehr angenehm verlaufen, aber jetzt herrschte immer große Mißstimmung zwischen den Familienmitgliedern, und es kam selten zu einem erfreulichen Beisammensein.
Dolf waren diese Zusammenkünfte direkt verhaßt, und er hätte längst eine Änderung getroffen, wenn Nita nicht dagegen gewesen wäre -- des Vaters wegen. Auch an diesem Sonntag, einem trüben, winterlichen Novembertag mit frühzeitigem Schneegestöber und Sturm -- saß man sich an der Tafel sehr schweigsam gegenüber.
Bernhard Falkners Augen blickten trübe und müde, und seine Züge waren schlaff. Frau Helene zerkrümelte nervös ein Stück Brot zwischen ihren Händen, Dolf stierte übernächtigt und stumpfsinnig vor sich hin. In seinem schönen Gesicht machten sich bereits die Spuren seines ausschweifenden Lebens recht bedenklich bemerkbar.
Juanita saß zwischen diesen drei Menschen wie die holdselige Verkörperung der blühenden Jugend. Sie war noch schöner geworden. Ihre Augen blickten strahlender, seelenvoller, und ihr ganzes Wesen war wie getragen von einer tiefinnerlichen, stillen Freude, gegen die das Elend ihres Ehelebens machtlos war. Es war, als hätte ihr die Begegnung mit Gerd im Sommer neue Kraft gegeben, das Dasein zu ertragen, als hätte Gerd ihrem Leben neuen Wert verliehen.
Die Unterhaltung wollte nicht in Gang kommen. Dolf gähnte verstohlen hinter seiner wohlgepflegten Hand, und alle waren wie erlöst, als die Tafel beendet war.
In dem an das Speisezimmer angrenzenden Salon wurde gleich nach Tisch der Kaffee serviert. Nachdem er eingenommen worden war, zog sich Frau Helene in ihre Zimmer zurück, um ein Stündchen zu ruhen. Auch Dolf verließ den Salon, angeblich, um drüben eine Zigarette zu rauchen. In Wirklichkeit wollte er ebenfalls ein Schläfchen halten, weil er erst am Morgen heimgekommen und sehr müde war.
So blieb Juanita mit ihrem Schwiegervater allein. Das war schon während der letzten Sonntage so gewesen, und sie freuten sich beide auf ein ungestörtes Plauderstündchen, denn diese beiden Menschen waren sich einander in der letzten Zeit sehr nahegekommen.
Bernhard Falkner ließ sich Nita gegenüber in einem Sessel nieder.
»Du mußt also wieder mit meiner Gesellschaft vorliebnehmen, Nita«, sagte er mit trübem Lächeln. Sie blickte ihm -- von herzlichem Mitleid erfüllt -- in das blasse Gesicht. Noch oft hatte sie seit jenem Nachmittag, an dem ihr Tina aus der Vergangenheit erzählt hatte, von dem Drama, das sich einst im Falknerschen Hause abgespielt hatte, mit der alten Dienerin gesprochen. Und stets hatte Tina behauptet, daß die größte Schuld daran Frau Helene trüge.
»Unser gnädiger Herr hätte sich schon wieder zurechtgefunden, wenn ›sie‹ ihn nur in Ruhe gelassen hätte. Wenn ›sie‹ es nicht darauf angelegt hätte, wäre er seiner ersten Frau gar nicht untreu geworden, denn er hatte sie doch erst sehr lieb und war glücklich mit ihr, bis der ›Rotkopf‹, verzeih Nitachen, ich meine die gnädige Frau Schwiegermutter -- ins Haus kam.«
So hatte Tina gesagt.
Und Nita konnte ihrem Schwiegervater nicht gram sein. Er war immer so gut und liebevoll zu ihr und widmete ihr jetzt immer so viel Zeit, als fühle er, daß sie im Herzen einsam war.
Sie nahm jetzt freundlich und besorgt seine Hand.
»Lieber Papa -- du siehst jetzt immer so blaß und leidend aus. Fühlst du dich nicht wohl?«
Er stützte den Kopf in die Hand und sah sinnend auf die schöne, junge Frau, die ein schlichtes, aber sehr elegant und vornehm wirkendes Kleid aus goldbraunem Seidenkrepp trug.
»Doch, Nita, mir fehlt nichts -- vielleicht ein bißchen Ruhe. Wir haben mächtig zu tun in der Fabrik, die Bestellungen häufen sich, unsere neuen Muster haben kolossal eingeschlagen. Ich persönlich habe so viel zu tun, daß ich manche halbe Nacht drangeben muß, um meine Arbeit zu bewältigen.«
Sie sah ihn ernst an.
»Du solltest Dolf einen Teil dieser Arbeit tun lassen, er könnte dich wahrlich mehr entlasten.«
Er lächelte bitter, fast verächtlich.
»Dolf! Du weißt ja, er kommt vor elf oder zwölf Uhr morgens gar nicht hinaus in die Fabrik. Und wenn er sich dann ein bis zwei Stunden im Sessel vor seinem Schreibtisch herumräkelt und ein halbes Dutzend Zigaretten geraucht hat -- dann hat er sein Tagewerk getan.«
Es war das erste Mal, daß er sich Nita gegenüber so scharf über Dolf äußerte.
Nita preßte die Lippen zusammen und strich sich über die Stirn. Dann sagte sie erregt, fast zornig:
»So solltest du ihn einmal energisch an seine Pflicht erinnern.«
Bernhard Falkner lachte hart und spöttisch auf.
»Seine Pflicht? Meinst du, das habe ich nicht in allen Tonarten versucht? Frag ihn doch einmal, was er für seine Pflicht hält. Weißt du, was er dir antworten wird? ›Meine einzige Pflicht ist, mein Leben zu genießen und es so zu leben, wie es mir gefällt.‹ So wird er sagen. Ach Kind, Kind, ich würde das Schicksal anklagen, das mir dieses Leid auferlegt hat -- ich leide ja namenlos um diesen Sohn --, wenn ich es nicht selbst verdient hätte, daß ich so elend bin. Glaube mir, es gibt nichts Ärgeres, als wenn ein Vater einsehen muß, daß er einen mißratenen Sohn hat.«
Sie richtete sich plötzlich empor und neigte sich zu ihm. Ein leises Rot stieg in ihre Wangen, und ihre Augen leuchteten in wundersamem Glanz. Und dann sagte sie leise: »Hast du nicht noch einen Sohn? Und kannst du auf diesen nicht so stolz sein wie nur je ein Vater? Kann dich das nicht trösten?«
Er blickte sie überrascht und betroffen an. Nie war bisher zwischen ihnen Gerds Name erwähnt worden.
»Ja«, sagte er dann schwer, »auf diesen Sohn könnte ich stolz sein -- wenn ich nicht fast das Recht auf ihn verloren hätte.«
Sie schüttelte mit einem lieben Lächeln den Kopf.
»Nie verliert ein Vater das Recht auf sein Kind. Und er wird dir sicher dieses Recht nicht streitig machen.«
Ein mattes Lächeln huschte um seinen Mund.
»Was weißt du von ihm, daß du das so sicher behauptest? Stolz und frei hob sie das Haupt.«
»Mehr, als du denkst -- genug, um zu wissen, daß er dich liebt und in dir seinen Vater ehrt.«
Innig umfaßte er ihre Hände.
»Du willst mir Mut zusprechen, mich trösten -- du mein armes Kind, das selbst Mut und Trost so nötig braucht. Ach, meine arme Nita, wenn ich doch wenigstens dich vor diesem Elend hätte bewahren können. Aber glaube mir, Kind, ich habe selber nicht gewußt, wem ich deine Hand gab. Ich kannte meinen Sohn selbst nicht und habe erst zu spät seine Untugenden erkannt. Sonst -- bei Gott --, sonst hätte ich es nicht zugegeben, daß -- daß er dich unglücklich machte. Ich selbst hätte dir die Augen über ihn geöffnet, wenn ich nicht auch wie mit Blindheit geschlagen gewesen wäre. Mein Vertrauen zu ihm war so groß, daß ich ihn deiner für würdig hielt. Ich habe dich schlecht bewahrt. Und du mußt es nun büßen. Das wollte ich dir schon lange einmal sagen und dich bitten: verzeihe mir, daß ich dich in diese Ehe hineintaumeln ließ. Du warst noch ein unerfahrenes Kind, ich hätte besser über dich wachen müssen.«
Nita streichelte mitleidig seine Hand. Ein heißer, tiefer Schmerz sprach aus seinen Worten.
»Denk nicht mehr daran, lieber Papa, und sorge dich nicht auch noch um mich. Ich bin fertig mit Dolf, und nichts, was er beginnt und läßt, kann mir noch wehe tun. Das ist vorbei. Du leidest viel mehr um ihn als ich, denn du liebst ihn noch, trotz allem, weil er dein Sohn ist. Ich aber liebe ihn nicht mehr -- schon lange nicht mehr, er ist meinem Herzen fremd. Siehe -- das wollte ich dir auch schon immer sagen.«
Er seufzte tief auf.
»Du bist im Recht, wenn du ihm deine Liebe entziehst. Und daß er dir sonst nicht mehr viel schaden kann, dafür laß mich sorgen. Zum Glück war dein Vater weitsichtiger und vorsichtiger als ich, zum Glück war ich nicht berechtigt, dein Vermögen bei deiner Verheiratung in Dolfs Hände zu legen. Und nun soll es nicht mehr geschehen, denn er wäre imstande, auch so ein großes Vermögen zu vergeuden.«
»Wie willst du das aber in Zukunft verhindern, Papa? Mußt du Dolf nicht mein Vermögen auszahlen, sobald ich einundzwanzig Jahre bin?
»Nein, mein liebes Kind, gottlob nicht! Dein Vater hat es mir zur Pflicht gemacht, dich in Gütertrennung mit deinem Manne leben zu lassen, wenn er nicht meines höchsten Vertrauens würdig ist. Und das ist Dolf leider nicht. Also wird er auch in Zukunft nur die Nutznießung an deinem Vermögen haben und kann immer nur über die Zinsen verfügen. Und die werden ihm wie bisher nur jedesmal für ein Vierteljahr in die Hände gegeben werden, so daß er nie über zu große Summen auf einmal verfügt. Das ist ja noch das einzige Mittel, um ihn von gar zu unsinnigen Verschwendungen zurückzuhalten. Und ich werde nach wie vor dafür sorgen, daß er stets nur die Hälfte eures Einkommens erhält, während du die andere Hälfte direkt ausgezahlt bekommst, damit du nie in irgendeiner Weise unter seinem verschwenderischen Leben leiden mußt.«
Nita sah ihn dankbar an.
»Mir liegt so wenig an Geld und Geldes wert, Papa. Aber ich sehe in deinen Worten den Ausfluß deiner Fürsorge und Zuneigung für mich -- und dafür danke ich dir aus vollstem Herzen. Aber nun laß uns nicht mehr von so trüben Dingen reden. Ich möchte so gern einmal über etwas anderes mit dir sprechen. Sag, hast du schon einmal die Werke deines ältesten Sohnes gelesen?«
Er nickte, und seine Augen strahlten.
»Ja Nita, mehr als einmal -- ich kenne sie fast auswendig. Meine seltenen Mußestunden widme ich dieser Lektüre.«
Sie preßte die Handflächen zusammen.
»Ach, wie mich das freut! Ich kenne sie auch genau. Gelt, er weiß von seinen Forschungen und Reisen hochinteressant zu berichten?«
Bernhard Falkner wunderte sich gar nicht, daß Nita so genau wie er in Gerds Werken Bescheid wußte, als sie nun eifrig über den Inhalt derselben plauderten. Es war ihm ganz selbstverständlich, daß sich jeder Mensch dafür interessieren mußte. Und es war ihm eine Wohltat ohnegleichen, daß er mit ihr darüber sprechen konnte. Das führte sie noch viel näher zusammen.
Im Fluge verging ihnen die Zeit. Mit belebten Mienen und strahlenden Augen saßen sie einander gegenüber, während draußen der Schneesturm immer ärger tobte.
Als die Uhr die fünfte Stunde verkündete, sahen sie überrascht auf.
»Schon fünf Uhr? Da müssen wir wohl zu Mama hinüber, um den Tee mit ihr einzunehmen«, sagte Nita, sich erhebend.
Der Tee wurde immer in Frau Helenes kleinem Salon eingenommen.
Ihr Schwiegervater erhob sich ebenfalls.
»Sie scheint noch zu schlummern, sonst hätte sie uns wohl rufen lassen«, sagte er, Nita den Arm reichend.
»Wir können ja leise hinübergehen, Papa; schläft Mama noch, dann kehren wir wieder um.«
»Dolf scheint ebenfalls die versäumte Nachtruhe nachzuholen«, sagte der alte Herr bitter.
Leise schritten sie auf den weichen Teppichen durch mehrere Zimmer. Ganz behutsam öffneten sie die Tür zu dem kleinen Salon Frau Helenes und traten ein.
Er war leer; in dem Sessel, wo Frau Helene ihre Mittagsruhe zu halten pflegte, lag achtlos herabgeglitten ein seidenes Tuch, das sie um die Schultern zu tragen pflegte. Aber aus dem Nebenzimmer, Frau Helenes Boudoir, erklangen Stimmen, Mutter und Sohn waren dort. Die beiden Zimmer waren nur durch eine Portiere getrennt, und man konnte deutlich jedes Wort der Unterhaltung verstehen, obwohl beide nicht sehr laut sprachen.
»Also, ich bitte dich, Mama, verschone du mich wenigstens mit diesen blödsinnigen Moralpredigten. Davon genieße ich reichlich. Der Alte ertränkt mich bald darin, und jeder Atemzug meiner tugendhaften Frau Gemahlin ist ebenfalls ein Protest gegen meine Lebensführung. Wenn du mir also nichts weiter zu sagen hast, brauchtest du mich nicht aus meinem Mittagsschläfchen zu wecken und hierher in dein Allerheiligstes zu schleifen«, sagte Dolf soeben.
Nita wollte, als sie das hörte, schnell wieder hinausgehen; aber Bernhard Falkner hielt sie mit einem düster funkelnden Blick zurück und ließ ihren Arm nicht aus dem seinen. Dabei machte er ihr gebieterisch ein Zeichen, zu schweigen.
So standen sie beide nebeneinander und wurden Zeugen der folgenden Unterhaltung zwischen Mutter und Sohn.
»Bleib doch, Dolf«, bat Frau Helene dringend, »du mußt mich anhören. Ich sehe dich jetzt so selten, daß ich diese Gelegenheit benutzen muß. Ich rate dir dringend, wenigstens jetzt, bis zu Nitas Geburtstag, vorsichtiger zu sein. Bedenke doch, wenn du ihr Vermögen in Händen hast, dann kannst du tun und lassen, was du willst. Nita ist ja in Geldsachen zu unerfahren, daß du von ihr keine Einwendungen zu befürchten hast. Aber dein Vater läuft mit einer Miene herum, die mich fürchten läßt, daß er dir einen Streich spielen wird, wenn du jetzt nicht ernstlich einlenkst und den Soliden spielst. Ich habe leider gar keinen Einfluß mehr auf ihn. Sei doch vernünftig, die paar Monate wirst du dich doch einmal bezwingen können. Stelle dich besser mit Nita! Es kann doch nicht so schwer sein für dich, ihr die Illusion vorzugaukeln, daß du sie trotz allem liebst, du hast doch Macht über die Frauen. Glaubst du, mir ist es leicht geworden, deinem Vater eine leidenschaftliche Liebe vorzutäuschen? Ich habe ihn so wenig geliebt, wie du Nita liebst, aber ich wollte aus Not und Armut heraus, und was man ernstlich will, das geht auch. Bist du Nitas wieder sicher, dann wirst du auch deinen Vater wieder herum kriegen. Ich bitte dich, verdirb dir nicht selbst alles, halte dich einmal ein paar Monate in der Gewalt, sonst hast du dann das Nachsehen und bleibst immer abhängig und auf deinen Anteil an Nitas Zinsen angewiesen.«
Dolf stieß einen unwilligen Ton aus.
»Verdammte Schinderei! Daß du auch gar nichts mehr über den ›Alten‹ vermagst, gerade jetzt, wo ich mal deine Hilfe brauche. Wozu habe ich denn meine kostbare Freiheit aufgegeben und mich an dieses prüde Gänschen gefesselt, wenn ich nicht einmal ihr Vermögen in die Finger bekommen soll. Um ihr hübsches Lärvchen war es mir wahrlich nicht zu tun -- davon kann ich haben, soviel ich will, ohne Ehefesseln. Ich muß das Geld haben, und ich muß hier heraus. Papa mit seinem blödsinnigen Pflichteifer verlangt tausenderlei, das mir total gegen den Strich geht. Ich will endlich seiner Bevormundung los und ledig sein. Wozu soll ich ewig auf dem Kontorsessel sitzen? Dazu habe ich mir doch nicht eine Millionärin gekapert. Nee, so haben wir nicht gewettet! Der alte Herr ist kindisch geworden auf seine alten Tage. Was er nicht alles verlangt -- lächerlich! Ich spiele nicht mehr mit. Sobald ich freie Hand habe, siedle ich ganz nach Berlin oder Paris über, damit man endlich mal nach seinem Gusto leben kann. Nita wird ja dann auch ein bißchen lebhafter und flotter werden. Sie wird dann schon am Großstadtleben Gefallen finden, und ich werde ihr sowenig Zwang auferlegen, wie ich welchen vertragen kann. Sie ist ja noch das reine Gänschen mit ihrem langweiligen Tugendstolz. Das wird sich schon ändern, wenn wir erst mal hier weg sind und in Berlin oder Paris ein Leben in großem Stil führen.«
Frau Helene seufzte.
»Ich wollte, ich könnte mit dir gehen. Dein Vater macht mir das Leben jetzt auch schwer genug. An allem nörgelt er herum. Ich bin zuweilen am Rande meiner Geduld. Jetzt fehlte mir bloß noch, daß Gerd wieder ins Haus käme -- dann faßt der sicher wieder festen Fuß.«
Dolf lachte roh.
»Das wäre allerdings erheiternd. Wir haben uns doch wahrlich Mühe genug gegeben, ihn hinauszugraulen. Das könnte mir passen, wenn der mit seinen kritischen Augen überall herumleuchtete. Er hat mir weidlich genug zugesetzt, solange er im Hause war. Seine Moralpauken waren genauso langweilig wie die des Alten. Ich finde überhaupt, daß Gerd das getreue Ebenbild seines Vaters ist, dieser ›berühmte‹ Musterknabe. Ich wette, der Alte bedauert es schon lange heftig, das Gerd nicht mehr heimkommt.«
»Das kann schon sein. Nun, mit meiner Einwilligung kommt er nicht mehr ins Haus, das ist gewiß. Aber du, mein lieber, lieber Dolf, versprich mir, daß du vernünftig sein willst, mache mir nicht den Kummer, daß du dir dein Glück selbst zerstörst. Das ertrüge ich nicht, mein Sohn -- ich habe ja nichts auf der Welt als dich.«
Dolf lachte häßlich auf.
»Mein Gott -- werde bloß nicht sentimental, Mama! Du weißt, das kann ich durchaus nicht vertragen.«
Frau Helene seufzte.
»Versprich mir, daß du vorsichtig sein wirst und dich wieder besser zu Nita stellen willst«, drängte sie.
Wieder lachte er zynisch auf.
»Na schön, ich kann ja die kleine Frau ein bißchen verliebt machen, das ist Spielerei; ich bin schon mit Spröderen fertig geworden, auf den Sport verstehe ich mich. Und sie ist jetzt ohnedies verteufelt hübsch geworden, sie hat in der letzten Zeit etwas Besonderes an sich, was mich reizt. Ich kann mich ja zur Abwechslung mal wieder ein bißchen in meine eigene Frau verlieben und auch dem Alten den Gefallen tun, ein bißchen Pflichteifer und Zerknirschung zu markieren, dann wird die Chose schon in Ordnung kommen.«
Wie gelähmt hatten die beiden Zuhörer gestanden, einer den andern gleichsam haltend und stützend. Nun raffte sich Nita aus der Erstarrung auf und zog ihren Schwiegervater mit sich fort.
»Komm, Papa, laß uns gehen, wir haben genug gehörte«, flüsterte sie, von Ekel und Abscheu geschüttelt.
Willenlos, wie vernichtet, folgte er ihr. Leise schloß Nita die Tür hinter sich, als sie Frau Helenes Salon verlassen hatten.
Mechanisch gingen sie in das Zimmer zurück, wo sie vorher gesessen und geplaudert hatten.
Mit einem Ächzen sank Bernhard Falkner in seinen Sessel und verbarg das Gesicht in den Händen. Erst jetzt hatte er voll und ganz die niedrige Denkungsart der beiden Menschen erkannt, die einst sein ganzes Herz besessen hatten. Nun war er wie zerschmettert.
Nita saß, gleichfalls wie versteinert, ihrem Schwiegervater gegenüber. Ekel und Abscheu erfüllten ihr Herz, und ein heißes, inniges Erbarmen mit dem alten Herrn. Und zum erstenmal stieg die Frage in ihr auf, ob sie denn gezwungen war, ein ganzes Leben lang an der Seite eines Mannes zu leben, der ihr solch ein Grauen, solch eine Verachtung wie Dolf einflößte. Zum erstenmal fragte sie sich, ob in solch einem Falle eine Scheidung nicht der einzige Weg war, den sie gehen konnte.
Aber sie dachte doch zu hoch von der Ehe, von der Heiligkeit ihres Gelöbnisses vor dem Altar, um diesen Gedanken nicht schnell wieder von sich zu weisen. Hatte sie bisher die Gemeinschaft mit Dolf ertragen, obgleich sie wußte, daß er sie betrog und ein ausschweifendes Leben führte, so mußte sie es auch weiter ertragen, neben ihm zu gehen. Nur mit ihm konnte sie nie mehr einen Schritt gehen. Das, was sie jetzt gehört hatte, schied sie noch viel weiter und auf ewig innerlich und äußerlich von ihm. Nach einer Weile hatte sie sich mühsam gefaßt und neigte sich voll Erbarmen zu ihrem Schwiegervater.
»Papa, lieber, lieber Papa, ich fühle mit dir, möchte dir gern ein Wort des Trostes sagen, aber ich kann nicht, ich finde keines«, sagte sie leise.
Er hob das blasse Gesicht zu ihr empor.
»Mein armes Kind -- hast selbst Trost nötig. Mir wird ja nur mein Recht -- nur mein Recht! Ich habe es verdient und werde da gestraft, wo ich einst gesündigt habe. Du weißt nicht, was hinter mir liegt -- weit in der Vergangenheit. In diesem Hause, ja Kind, in diesem Hause geht ein Schatten um -- der Schatten eines Wesens, das ich einst geliebt und dann grausam leiden ließ. Nun rächt sich das alles -- mir geschieht nur mein Recht. Aber du -- du leidest schuldlos. Das laß dir ein Trost sein! Furchtbar ist der Gedanke, daß ich verdient habe, was jetzt über mich hereinbricht.«
Er sagte das in einem so düsteren, hoffnungslosen Ton, daß sie bis ins tiefste Herz erschüttert war. Sie wußte nichts mehr zu sagen, streichelte nur stumm über seine zitternde Hand und sah mit feuchten Augen in sein verstörtes Gesicht.
So saßen sie eine Weile und rangen um Fassung.
Als Nita die Tür zum Salon ihrer Schwiegermutter ins Schloß gedrückt hatte, war ein leiser Laut davon zu Mutter und Sohn gedrungen. Sie schwiegen sofort und lauschten. Dolf trat ins Nebenzimmer und sah sich forschend um, ging aber dann beruhigt zurück.
»Es war nichts. Aber wir wollen diese Unterhaltung jetzt beenden, es ist fünf Uhr vorüber. Du mußt wohl nun den Alten und Nita zum Tee herüberbitten lassen.«
Frau Helene klingelte und gab dem Diener den Auftrag, den Teewagen hereinzubringen und ihren Mann und ihre Schwiegertochter zu rufen.
Aber nur Nita folgte dem Ruf.
»Papa fühlt sich nicht recht wohl und hat sich zur Ruhe begeben. Er hofft, daß es ihm nach einigen Ruhestunden wieder bessergeht. Es ist wohl besser, Dolf, wenn wir aufbrechen und nach Hause fahren«, sagte sie ruhig, und nichts verriet mehr die Aufregung von vorhin.
»Papa hat sich wohl schon lange zurückgezogen?« fragte Dolf.
»Vor einer Weile.«
»Er ist doch nicht ernstlich krank, ich will doch lieber nach ihm sehen«, sagte Frau Helene.
Nita hielt sie zurück.
»Er hatte nur starkes Kopfweh, laß ihn lieber ganz ungestört, dann vergeht es am schnellsten.«
»Nimm erst noch eine Tasse Tee, ehe ihr heimfahrt, Nita«, bat Frau Helene mit schmeichlerischer Freundlichkeit.
»Ja, Nita, komm, nimm Platz, wir können ja Mama noch ein wenig Gesellschaft leisten.«
Nita zwang sich, eine Tasse Tee zu nehmen, aber dann drängte sie zum Aufbruch; sie verlangte danach, zu Hause allein zu sein, wie ihr Schwiegervater, der es nicht über sich gebracht hatte, jetzt in seiner Stimmung Frau und Sohn zu begegnen.
Als Nita ihrem Gatten im Wagen gegenübersaß, sagte sie, ihren Blick ernst und groß auf ihn richtend:
»Kannst du deinen Vater nicht etwas mehr entlasten? Mir scheint, er überanstrengt sich zu sehr.«
Dolf lehnte sich behaglich zurück und schlug die Beine übereinander.
»Er hat es ja nicht nötig, sich so anzustrengen. Ich habe ihm bereits mehrere Male den Vorschlag gemacht, die Fabrik zu verkaufen. Sie floriert jetzt, und er kann ein schönes Stück Geld dafür lösen. Aber er ist eigensinnig und will es nicht tun. Wem nicht zu raten ist, dem ist nicht zu helfen«, sagte er gleichgültig.
Nita zog die Stirn zusammen.
»Kannst du im Ernst deinem Vater zumuten, daß er die Fabrik verkauft? Sein ganzes Leben lang hat er dafür gearbeitet, um sie dir einmal hinterlassen zu können. Nun verlangst du, daß er sie aufgibt, statt deine ganze Kraft einzusetzen, sie zu erhalten.«
Er lachte überlegen.
»Kleine Frau, du sprichst genau wie Papa, er redet auch immer so Sprüche daher von Lebenspflichten und Segen der Arbeit. Du bist viel zu jung und zu hübsch, um solche Weisheitssprüche loszuwerden. Sei nicht langweilig! Papa ist ein Tor, er reibt sich auf bei seiner blödsinnigen Arbeit und hat nichts davon.«
»Nichts als die Befriedigung, treuer Pflichterfüllung! Dies Wort existiert wohl gar nicht für dich?«
Er wollte sie erst brutal zurückweisen, aber dann dachte er daran, was er seiner Mutter versprochen hatte, und er bezwang sich und spielte den Gemütlichen.
»Es kommt darauf an, was du darunter verstehst. Ich habe auch eine Pflicht zu erfüllen, und das tue ich mit Ausdauer und Inbrunst. Das ist nämlich die Pflicht gegen mich selbst. Ich will wissen, wozu ich auf der Welt bin, und wenn ich mal am Ende meiner Tage bin, dann will ich mir sagen können, daß ich nicht eine Stunde des Lebens ausgeschlagen habe, die mir Genuß und Freude brachte. Für nüchterne Arbeit habe ich nun mal keinen Sinn. Dazu sind Leute da, die man bezahlen muß und die arbeiten müssen, um sich ihr Brot zu verdienen. Soll ich solch einen Bedürftigen dadurch um seinen Verdienst bringen, daß ich arbeite? Siehst du -- das ist meine Lebensweisheit. Nun beweise mir, daß sie keine Berechtigung hat.«
Nita lehnte sich mit geschlossenen Augen zurück.
»Laß uns dies Thema beenden, wir haben zu verschiedene Ansichten über diesen Punkt.«
»Wie leider über viele andere auch. Es ist schade, kleine Frau, daß ich dich nicht zu meinen Ansichten bekehren kann. Die würden dir viel besser zu Gesicht stehen als deine langweiligen Pflichtpredigten«, sagte er, sie von der Seite beobachtend.
Sie war wirklich bildhübsch, die kleine Frau. Ihre Formen waren etwas voller und runder geworden, hatten das Allzuschlanke, Kindliche abgestreift. Wie fein der helle Goldton ihres Kleides zu dem warmgetönten Teint stimmte. Sie verstand es ausgezeichnet, Toilette zu machen.
Da Nita aber schweigend mit geschlossenen Augen verharrte, pfiff er leise vor sich hin und betrachtete wohlgefällig die Spitzen seiner eleganten Lackschuhe.
Daheim angekommen, zog sich Nita sofort in ihre Zimmer zurück. Sie kleidete sich um. Ihre Zofe zog ihr ein weißes Hauskleid über, das sich in weichen, fliesenden Falten um ihre edelgeformten Glieder schmiegte. Dann ließ sie sich die Kämme und Nadeln aus ihrem Haar nehmen, das ihr wie eine schwarze, lockige Flut über den Rücken floß und sie fast darin einhüllte.
Wohlig ließ sie es eine Weile so hängen, bis die Zofe aufgeräumt hatte und das üppige Haar wieder in zwei starke, lange Flechten zwang und diese um den feinen Kopf legte.
Dann ließ Nita die alte Tina herbeirufen und plauderte ein Weilchen mit ihr, weil sie sich nach einem Menschen sehnte, der ihr gut war.
Als Tina sich dann wieder entfernt hatte, ging die junge Frau in ihren kleinen Salon, der neben ihrem Ankleidezimmer lag. Sie ließ sich in einen Sessel nieder, der vor dem Marmorkamin stand, der den Zentralheizungskörper verkleidete.
Neben dem Sessel stand ein Tischchen, auf dem Bücher und Zeitungen lagen. Eines dieser Bücher nahm sie auf und begann, sich in den Inhalt zu vertiefen. Es war ein Werk Gerhard Falkners. Nita meinte immer, Gerd sprechen zu hören, wenn sie seine Worte las. Und sie wollte durch diese ihr so lieb gewordene Lektüre den schlimmen Eindruck der letzten Stunden verwischen.
Eine Störung befürchtete sie nicht. Dolf kam nie mehr in ihr Zimmer, sie trafen im Haus immer nur auf neutralem Boden zusammen. Wahrscheinlich würde er erst einmal die versäumte Nachtruhe nachholen und dann, wie üblich, wieder ausgehen, um mit gleichgestimmten Seelen die Nacht wieder zum Tage zu machen. Das war sie schon gewöhnt und kümmerte sich kaum noch darum.
Um so mehr war sie erstaunt, als plötzlich die Tür geöffnet wurde und Dolf eintrat, der, seiner Mutter Rat folgend, mit Nita wieder auf einen vertraulicheren Fuß kommen wollte. Und da er gerade nichts Besonderes vorhatte, machte er gleich den Anfang.
Nita schloß sofort das Buch, das sie in der Hand hielt, und legte es auf das Tischchen zurück. Ihre peinliche Überraschung verbergend, fragte sie ruhig:
»Was wünschst du?«
Es klang kühl und erstaunt.
Er zog sich einen Sessel an die andere Seite des Tischchens, das nun zwischen ihnen stand.
»Du erlaubst, daß ich Platz nehme. Ich möchte ein wenig mit dir plaudern. Das Wetter ist so schlecht, daß ich nicht ausgehen mag. Ich hoffe, daß ich dich nicht störe.«
»Ich hatte soeben mit der Lektüre begonnen«, sagte sie ziemlich abweisend. Er ließ sich aber nicht beirren, setzte sich ihr gegenüber und sah sie mit dem seltsam flimmernden und betörenden Blick an, dessen Zauber sie einst, wie alle Frauen, die er erobern wollte, gefangengenommen hatte.
Er beugte sich zu ihr und senkte seinen Blick in den ihren.
»Diese Lektüre ist dir doch hoffentlich nicht so sehr wichtig, Nita?«fragte er mit einschmeichelnder Stimme.
»Wenn du etwas Wichtiges mit mir zu besprechen hast, geht das natürlich vor«, sagte sie kühl.
Er ließ seine Augen nicht von ihr und faßte ihre Hand.
»Muß es denn einen so besonders wichtigen Grund haben, wenn ich ein Stündchen mit dir plaudern möchte? Wie schön du bist, kleine Frau, wie reizend das weiße Kleid zu deinem schwarzen Haar stimmt«, sagte er zärtlich einschmeichelnd.
Sie zog hastig ihre Hand aus der seinen.
»Laß diese Komödie, in diesem Ton haben wir zwei uns, denke ich, nichts mehr zu sagen.«
Er seufzte tief auf. Ihr Widerstand reizte ihn, sie schien ihm fast begehrenswert.
»Nita, warum bist du so kalt und streng zu mir? Sei doch wieder gut, süße, kleine Frau, laß das Schmollen nun endlich wieder sein. Du hast mich lange genug knappgehalten. Ich bin ja bereit, in Sack und Asche Buße zu tun für alles, was ich im jugendlichen Leichtsinn getan habe. Nun sei doch endlich wieder meine süße, liebe, kleine Nita. Es soll alles wieder werden wie früher. Hast du ganz vergessen, wie schön es war in den ersten Monaten unserer Ehe? Weißt du noch -- als wir in Nizza in dem idyllischen Häuschen am Stand wohnten? Warst du da nicht glücklich in meinen Armen? Erinnerst du dich noch an die Mondnacht auf dem Meer, wir zwei ganz allein in unserem Boot? Da hattest du dich fest an mich geschmiegt, und unsere Lippen ruhten aufeinander.«
Nita sprang plötzlich mit einem Ruck auf. Ihr Gesicht hatte sich mit glühender Röte bedeckt. Seine leise, flüsternde Stimme hatte den bestrickenden Klang angenommen, dem sie damals zum Opfer gefallen war. Aber er hatte alle Macht über sie verloren. Nur zu gut wußte sie, weshalb er diese Komödie in Szene setzte. Ekel und Abscheu erfüllten sie und eine tödliche Scham, daß sie diesem Mann einst ihr Bestes in gläubigem Vertrauen gegeben hatte.
Dolf frohlockte innerlich, als er sah, daß sie ihre Ruhe und Gelassenheit verlor. Aber Nita rief nun außer sich:
»Schweig! Erinnere mich nicht an jene Zeit, wenn mich die Empörung nicht ersticken soll. Ich schäme mich, schäme mich bis zur Verzweiflung, wenn ich jener Tage gedenke, die ich ungeschehen machen möchte um jeden Preis, an die ich nicht mehr denken will.«
Er gab indes sein Spiel noch nicht verloren. Mit einem Mal konnte er natürlich nicht allen verlorenen Boden zurückgewinnen. Ein wenig Geduld mußte er mit ihr haben. Aber schließlich war es doch Ehrensache für ihn, die kleine Widerspenstige zu zähmen. Es lohnte sich schon, sie wieder in ein zärtlich girrendes Täubchen zu verwandeln. Er fühlte, das er warm zu werden begann, daß er langsam selbst wieder Feuer fing. Er ließ seinen Blick auf ihr ruhen, und in seinen Augen glomm es auf wie ein leidenschaftliches Funkeln. Schön war sie geworden, die kleine Frau. Es lag jetzt eine so berückende Herbe in ihrem Wesen. Und es war immer sein besonderer Sport gewesen, die Herbsten, Kältesten zu besiegen und sie sich untertan zu machen. Gerade diese anscheinend kalten Frauen wurden dann die feurigsten Liebhaberinnen. Und es gelüstete ihn danach, bei seiner eigenen Frau die Probe auf Exempel zu machen. Je schwieriger der Kampf war, um so süßer würde der Sieg sein. Das war doch wieder einmal eine interessante Abwechslung. Sein Leben begann jetzt ohnedies ein wenig fade zu werden. Bis er nach Berlin oder Paris übersiedeln konnte, war das Werben um die eigene Frau ein ganz netter Zeitvertreib.
Durchaus nicht niedergeschmettert von Nitas Worten, beschloß er, sie zu ignorieren. Angeregt erhob er sich und trat vor Nita hin, sie mit heißen Augen betrachtend.
»Wie schön du bist, süße Nita! Weißt du, daß du erst jetzt mein Herz wirklich in Flammen gesetzt hast? Nur im Trotz habe ich tausend Torheiten begangen. Du hast mich mit deiner Kälte von dir getrieben. Ich suchte Vergessen in törichten Zerstreuungen. Glaube mir, ich will mich nicht besser machen als ich bin. Du siehst aber das Leben mit anderen Augen an, als es wirklich ist. Ein Mann ist kein Heiliger, er lebt gern anders als eine Frau. Du warst zu streng mit mir, und da trieb ich im Trotz allerlei Törichtes. Aber trotzdem bist du mir von Tag zu Tag lieber geworden. Und jetzt, Nita, jetzt verlangt mein Herz stürmisch nach deinem Besitz. Du sollst mir dein Herz wieder zuwenden, ich werde nicht ruhen, bis du mir alles verziehen hast und mir wieder in Liebe angehörst.«
Er wollte ihre Hand fassen, aber sie wich vor ihm zurück bis an die Wand des Zimmers und barg ihre Hände auf dem Rücken. Ein verächtlicher Zug lag um ihren Mund. Sie sah ihm groß und kalt in die Augen.
»Glaubst du wirklich, daß deine Worte irgendwelchen Eindruck auf mich machen? Dann bist du im Irrtum. Spare dir jede Mühe und mir derartige Szenen. Wir haben nichts mehr gemein miteinander.«
Dolf sagte sich, daß er eine andere Taktik und feinere Mittel wählen mußte. Nita war nicht mehr das kleine, törichte Mädchen von damals, das er im Sturm gewonnen hatte. Sie kannte ihn jetzt besser, und er mußte erst ihr Mißtrauen besiegen. Es bedurfte schon einiger Strategie, um sie zurückzuerobern.
Seufzend, wie tief bekümmert, ließ er sich wieder in seinen Sessel nieder.
»Du hast recht, mir zu zürnen, Nita. Aber ich werde dich überzeugen, daß mein Herz eine Wandlung durchgemacht hat, daß ich dich jetzt wirklich liebe. Einen Reuigen soll man nicht von sich weisen. Es ist in deine Hand gegeben, einen besseren Menschen aus mir zu machen. Sei gut, Nita, laß mich dich überzeugen, daß ich dich liebe. Ich wünsche nichts sehnlicher, als dich alle Kränkungen vergessen zu machen, die ich dir zugefügt habe. Es soll alles anders werden, das verspreche ich dir. Wir wollen wieder gemeinsam unser Leben führen. Komm, setz dich zu mir, fürchte nicht, daß ich wieder ungestüm werde. Ich will geduldig harren, bis sich dein Herz mir verzeihend zuwendet. Komm, du sollst jetzt nichts tun als ein wenig mit mir plaudern.«
Dolf hatte das alles mit einer flehenden Miene gesagt. Wenn Nita nicht zuvor Zeugin seines Gesprächs mit seiner Mutter gewesen wäre, so hätte sie sich vielleicht von seinem Wesen täuschen lassen. War auch in ihrem Herzen alles erloschen, was sie einst für ihn gefühlt hatte, so hätte doch ihre echt weibliche Güte, wenn sie an seine Umkehr hätte glauben können, ihm die Hand helfend entgegengestreckt. Aber ihr klangen noch seine zynischen Worte von vorhin in den Ohren, und sie wußte nur zu gut, was er mit dieser Komödie bezweckte.
Sie kam langsam an ihren Platz zurück und setzte sich wieder. Nach einem Thema für die Unterhaltung suchend, faßte Dolf nach dem Buch, das Nita aus der Hand gelegt hatte.
»Bei welcher Lektüre habe ich dich denn unterbrochen? Darf ich sehen?«fragte er.
»Bitte sehr«, antwortete sie kühl und konventionell.
Er schlug das Titelblatt auf. Als sein Blick auf den Namen seines Bruders fiel, entstellte ein hämischer Ausdruck sein Gesicht, und er warf das Buch auf den Tisch zurück, als hätte er Feuer angefaßt.
»Du liest in diesem langweiligen Buch meines Herrn Bruders! Ich bewundere dich und rechne es mir zum Verdienst an, dich in dieser langweiligen Lektüre unterbrochen zu haben.«
Nita sah auf ihre Hände herab.
»Hast du denn dieses Buch schon gelesen, daß du es so wegwerfend kritisierst?«
Er machte eine abwehrende Bewegung.
»Ich danke, ich danke sehr energisch. Es verlangt mich gar nicht danach.«
»Wie kannst du dann sagen, daß es langweilig sei. Du irrst dich sehr, es ist nichts weniger als langweilig.«
»Mein Gott, wenn du diesen arroganten Tugendbold kenntest wie ich, dann würdest du dich auch für die Lektüre seiner Bücher bedanken. Ich kann mir schon denken, wie wichtig er sich darin aufspielt mit seinen Reisen und Erlebnissen. Natürlich verübt er auf jeder Seite irgendeine kolossale Heldentat.«
»Du irrst dich abermals. Er übergeht seine eigenen Leistungen und Verdienste mit einer beispiellosen Bescheidenheit. Nur die Tatsachen sprechen von seinen Verdiensten für die Wissenschaft.«
Er schob das Buch verächtlich von sich.
»Bah -- das kennt man ja. Mir kann er keinen Sand in die Augen streuen. Du scheinst allerdings von diesen Büchern außerordentlich entzückt zu sein.«
»Allerdings -- sie sind meine liebste Lektüre und haben mir über viele einsame Stunden hinweggeholfen.«
»So so! Nun -- nimm es mir nicht übel, Nita, ich finde, du müßtest schon in Anbetracht der Stellung, die mein Herr Bruder zu uns einnimmt, darauf verzichten, seine Bücher zu lesen. Sie gehören nicht in unser Haus.«
Mit aufflammenden Augen sah sie ihn an.
»Warum nicht? Was hat denn dein Bruder getan, daß du nicht einmal seinen Werken in deiner Umgebung Raum gewähren willst?«
»Was er getan hat? Ach, das gehört nicht hierher. Jedenfalls besteht zwischen ihm und uns keine Gemeinschaft mehr. Von meiner Mutter und mir will ich da noch gar nicht reden. Aber bedenke, was mein Vater empfinden würde, wenn er zufällig diese Bücher in deinen Händen sähe.«
Nitas Augen leuchteten auf.
»Oh, da kannst du ganz unbesorgt sein, dein Vater würde sich nicht so darüber entrüsten wie du. Er besitzt diese Bücher selbst und hat sie gelesen.«
Dolf fuhr auf.
»Nicht möglich!«
»Doch, ich habe erst heute mit ihm darüber gesprochen, und er ist wie ich von dem Inhalt begeistert. Wir haben unsere Meinung darüber ausgetauscht und sind beide der Ansicht, daß dein Bruder Hervorragendes geschaffen hat. Er ist ja auch in allen maßgebenden Kreisen anerkannt, das kannst du täglich in den Zeitungen lesen. Sein Name ist berühmt geworden«, sagte Nita mit einem Gefühl heimlichen Stolzes.
Dolf nagte nervös an seinem Bärtchen, und seine Augen blickten tückisch.
»So so, der alte Herr liest Gerds Werke? Das ist ja sehr interessant. Und ihr habt eure Meinungen darüber ausgetauscht? Dann habt ihr euch heute wohl auch ohne Mama und mich vorzüglich unterhalten?« fragte er, seinen Groll bezwingend, mit lauernder Miene.
Nita sah ihm stolz und gerade in die Augen.
»Das Gespräch über deines Bruders Werke war jedenfalls der beste Gewinn des heutigen Tages für mich.«
Er lachte hart auf. Und dann zwang er sich zu einem Scherz, um seinen Arger zu verbergen.
»Ei, ei, das klingt ja ganz schwärmerisch. Wenn ich nicht wüßte, das du meinen Bruder seit ungefähr zwölf oder dreizehn Jahren nicht gesehen hast und ihm überhaupt nur flüchtig als Kind begegnet bist, dann könnte ich meinen, dein Interesse gälte mehr seiner Person als seinen Büchern. So schwärmerisch pflegen Frauen nur zu sein, wenn sie verliebt sind.«
Nita fühlte, wie ihr das Blut ins Gesicht schoß. Ihr war zumute, als habe Dolf mit seinen frivolen Worten ihr heiligstes Gefühl in den Staub gerissen. Sie war nicht fähig, seine Unterhaltung länger zu ertragen, und erhob sich.
»Du gestattest, daß ich mich zurückziehe, ich habe Kopfweh.«
Mit diesen Worten verließ sie schnell das Gemach und trat in ihr Ankleidezimmer, das sie hinter sich abschloß.
Er starrte eine Weile mit umheimlich flimmerndem Blick auf die Tür. Sein Gesicht bekam einen brutalen Ausdruck.
Warte nur, mein Täubchen -- du sollst bald wieder betteln um meine Gegenwart. Jetzt reizt du mich -- jetzt will ich dich wieder in meine Arme zwingen, jetzt verlangt mich nach deinen Küssen, dachte er und ein wildes Licht glomm in seinen Augen auf. Einige Minuten saß er noch unschlüssig und blätterte in Gerds Buch. Neidisch und boshaft blickte er darauf nieder.
Dann warf er den Band wütend auf den Tisch.
Ich muß doch Mama erzählen, daß der alte Herr Gerds Bücher liest und sich mit Nita angeregt darüber unterhält. Das gibt zu denken, dachte er.
Und dann erhob er sich mit einem Blick auf Nitas verschlossene Tür und verließ zögernd das Zimmer. In seinem eigenen Zimmer warf er sich auf den Diwan und zündete sich eine Zigarette an.
Gehe ich nun aus oder schlafe ich mich einmal gründlich aus?
Über diese Frage dachte er nach, und ehe er sie entschieden hatte, war er schon eingeschlafen.