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Zu derselben Zeit, da Frau Gertrud Horst mit Lotti Gerds Wohnung zu seinem Empfang mit Blumen schmückte, trat Dolf Falkner hastig und ohne Anmeldung in das Zimmer seiner Mutter.
Sie wandte sich nach ihm um.
»Mein Gott, Dolf, hast du mich erschreckt. Was gibt es denn, daß du jetzt zu mir kommst?«
Er warf sich ungeniert in einen Sessel und fixierte sie mit boshaft funkelnden Augen.
»Eine reizende Überraschung bringe ich dir«, höhnte er.
Seine ganze Art sagte ihr zur Genüge, daß er Unangenehmes brachte. Sie erhob sich und trat vor ihn hin.
»Sprich !« bat sie nervös.
Er schaute sie, sich an ihrer Unruhe weidend, an. Sie war in den letzten zwei Jahren stark gealtert. Ihr einst so wundervoller Teint war welk und schlaff geworden. Wenn sie ausging, legte sie jetzt immer eine starke Puderschicht auf, aber jetzt fehlte dieses Verschönerungsmittel, und man sah deutlich die tausend Fältchen, die ihr Antlitz bedeckten. Und das einst so gerühmte rotgoldene Haar war fahl und farblos geworden und reichlich mit falschem Haar vermischt, da es die einstige Fülle verloren hatte. Sie machte den unangenehmen Eindruck einer alternden Frau, die die einstige Jugend und Schönheit vortäuschen will und diesen Zweck nicht mehr erreicht.
Dolf gestand sich im stillen, daß seine Mutter sehr wenig vorteilhaft aussah.
»Also höre und staune -- und bleib deiner Sinne Meister«, sagte er langsam und grimmig, »Dr. Gerhard Falkner ist als Professor an die hiesige Universität berufen worden und trifft bereits in diesen Tagen hier ein.«
Frau Helenes Gesicht verzerrte sich. Sie war sehr erschrocken.
»Woher weißt du das?« fragte sie heiser, und in ihren Augen zuckte ein böses Licht.
Er lachte höhnisch auf.
»Soeben gratulierte mir ein Bekannter freudestrahlend zu diesem frohen Ereignis. Er sprach sogar von einem Fackelzug, den die Studenten zu Ehren meines berühmten Bruders veranstalten wollen. Und ich mußte natürlich ein frohes Gesicht dazu machen, obwohl ich den Überbringer dieser Freudenbotschaft am liebsten in sein freudig grinsendes Gesicht geschlagen hätte«, stieß er wütend hervor.
Frau Helene fiel kraftlos in einen Sessel.
»Das hat mir gerade noch gefehlt! Natürlich wird er nun auch wieder hierher ins Haus kommen.«
Dolf lachte häßlich auf.
»Natürlich -- mit Pauken und Trompeten. Der Alte wird ihn schwachmütig willkommen heißen und ihm ein Kalb schlachten. Und wir beide -- wir dürfen ihn gebührend bewundern und uns in seinem Ruhm sonnen. Gib acht, das wird ein rührendes Familienidyll, bei dem wir die Kosten tragen.«
»Nimmermehr -- ich leide es nicht, daß er mir wieder über die Schwelle kommt mit seinem aufsässigen, trotzigen Sinn. Er ist mein Feind«, stieß sie hervor.
Dolf zuckte die Achseln.
»Wird dir alles nichts helfen, er kommt ganz sicher wieder ins Haus. Du weißt, der Alte ist ja begeistert von seinem berühmten« Sohn. Was gelten wir dagegen. Na, gottlob bin ich nicht mehr im Haus und kann ihm aus dem Weg gehen. Solange die Vermögensangelegenheit Nitas noch nicht geregelt ist, muß ich ja den Alten noch bei guter Laune halten. Ich habe mich in den letzten Monaten verteufelt zusammengenommen, und der Alte scheint ja auch gerührt zu sein. Er hat mir noch nicht ein einziges tadelndes Wort wiedergesagt, seit ich den reuigen Sünder spiele und öfter als sonst auf dem Kontorsessel herumrutsche. Sehr freundlich ist er zwar nicht, aber die Hauptsache ist, daß er an meine Bußfertigkeit glaubt und mir das Geld ausliefert. Nur noch kurze Zeit -- dann ist das überstanden, und dann bekommst du mich hier nicht mehr zu sehen.«
Frau Helene sah ihn verstört an.
»Und ich, Dolf -- und ich? Denkst du nicht an mich? Willst du auch von mir fernbleiben?a
Er zuckte ungerührt die Achseln.
»Du kannst ja zu mir kommen, sooft du Sehnsucht hast. Im übrigen möchte ich dich bitten, dich jetzt nicht so rar zu machen draußen bei Nita.«
»Was soll ich bei ihr? Sie ist so kalt und zurückhaltend mir gegenüber.«
»Ach, Unsinn, das bildest du dir nur ein. Jedenfalls ist es notwendig, daß du sie möglichst viel beeinflußt und bearbeitest. Allen meinen Bemühungen, ihr wieder näherzukommen, setzt sie einen mir unbegreiflichen Widerstand entgegen. Ich habe es mit allen Mitteln versucht und bin, weiß Gott, selber dabei warm geworden. Es ist mir ernsthaft darum zu tun, sie mir zurückzugewinnen. Aber sie mißtraut mir noch immer. Deshalb bitte ich dich, geh oft zu ihr, schildere ihr, daß ich dir gebeichtet habe, wie sehr ich sie liebe und wie ich mich nach ihrer Verzeihung sehne. Sag ihr, daß sie es in der Hand hat, einen andern Menschen aus mir zu machen. Das zieht immer bei den Weibern. Kannst ihr ja kleine rührselige Geschichten auftischen von meiner Reue und Umkehr. Na -- du bist ja sonst eine kluge Diplomatin. Und schließlich brauchst du gar nicht so sehr zu lügen, die kleine Frau hat mich wirklich wieder verliebt gemacht. Ich habe erst jetzt richtig Feuer gefangen. Es fällt mir jetzt gar nicht schwer, den zärtlichen Gatten zu spielen. Wenn der kleine Trotzkopf nur erst wieder weich wird. Sie will sich diesmal nicht so leicht einfangen lassen. Aber das hilft ihr alles nichts, ich bekomme sie doch wieder in meine Gewalt. Nur ihr Mißtrauen muß sie erst wieder verlieren. Und dabei mußt du mir helfen, Mama. Also leg dich mal ein bißchen ins Zeug.«
Frau Helene versprach es seufzend.
»Wenn nur dieser Gerd nicht hierherkäme, das geht mir vollständig gegen den Strich«, sagte sie verstimmt.
»Ja, da ist nichts mehr dran zu ändern, Mama. Und nun muß ich gehen, damit ich nicht so spät in die Fabrik komme. Ich muß doch ein bißchen Pflichteifer markieren, damit der Alte mit sich reden läßt in der Vermögensangelegenheit. Er hat ja schließlich doch den letzten Trumpf in der Hand.«
Die Mutter sah ihn bekümmert an.
»Ach Dolf, mir ist gar nicht wohl zumute bei alledem. Papa ist schrecklich zugeknöpft. Hättest du nur auf mich gehört und dich von Anfang an mehr zusammengenommen, bis du das Geld in den Händen hast.«
Sein Gesicht bekam den häßlichen, brutalen Zug.
»Verschone mich mit dergleichen Vorwürfen, die haben gar keinen Zweck. Geschehen ist geschehen! Sollte ich drei volle Jahre meiner Jugend versäumen und den Tugendpinsel spielen? Das fällt mir schon die paar Monate verteufelt schwer. Schade um jede Stunde, die man nicht genießt. Das Leben ist so kurz. Also adieu -- und freue dich auf die Heimkehr des verlorenen Sohnes. Das wird ja eine rührende Szene werden.«
Mit einem hämischen Lachen ging er hinaus und warf die Tür ziemlich unsanft ins Schloß.
Juanita ging mit leuchtenden Augen umher. Es sang und klang in ihrem Innern wie eine jubelnde Melodie: Er kommt, er kommt, ich sehe ihn wieder.
Und sie malte sich aus, daß sie ihm nun offen und ungehindert im Hause seines Vaters begegnen konnte, daß sie nun alles, was sie bewegte, zu ihm tragen konnte.
Mit strahlenden Augen hatte sie Tina verkündet, daß Gerd nach L… kam, und die alte Dienerin hatte Freudentränen vergossen, als sie hörte, das Vater und Sohn ausgesöhnt waren.
»Nun kommt eine bessere Zeit für dich, Nitachen, da kannst du sicher sein. Herr Gerd wird sich deiner schon annehmen und dir wie ein treuer Bruder zur Seite stehen.«
Nita nickte froh.
»Wie ein treuer Bruder«, dachte sie glücklich. Und sie wußte in ihrer Herzensreinheit nicht, daß das, was sie für Gerd empfand, viel tiefer und heißer war als schwesterliche Liebe. Sie wog dieses Gefühl nicht ängstlich ab und gab sich ihm ohne Sorge und Bedenken hin.
Sie hatte von ihrem Schwiegervater den Termin von Gerds Ankunft erfahren und schickte nun Tina in seine Wohnung mit einem Korb herrlicher duftender Veilchen. Das sollte ihr Willkommensgruß für ihn sein. Ein Kärtchen steckte sie in die Blumen, und darauf stand:
»Herzlich willkommen in der Heimat.
Juanita.«Dolf sagte sie nichts von diesem Blumengruß. Mit ihm sprach sie gar nicht von Gerd. Nur ihrem Schwiegervater erzählte sie es unbefangen. Er freute sich, daß Nita Anteil nahm an seiner Freude über die Wiederkehr seines Sohnes. Sie war ja die einzige, mit der er darüber sprechen konnte.
Mißgestimmt kam Dolf an diesem Tag nach Haus. Bei Tisch war er sehr schweigsam. Nita war das sogar angenehm, denn Dolfs Annäherungsversuche flößten ihr nur Grauen ein.
Sie ahnte nicht den Grund für Dolfs Verstimmung. Man hatte ihn noch von verschiedenen Seiten beglückwünscht wegen Gerds Berufung an die Universität. Das hatte ihn wütend gemacht.
Nachdem er jedoch dem vorzüglich bereiteten Mahl zugesprochen und einige Glas Wein hastig hinuntergegossen hatte, besserte sich seine Stimmung etwas. Und als er nun zu Nita hinübersah, fiel ihm wie so oft in letzter Zeit wieder auf, wie herrlich sie erblüht war. Seine Augen hefteten sich auf den schlanken, fein gerundeten Hals, der aus dem schmalen Ausschnitt ihres lichtblauen Kleides hervorschaute. Ein wildes Begehren nach ihr erfaßte ihn. Er wäre am liebsten aufgesprungen, um sie an sich zu reißen und ihr Gesicht mit Küssen zu bedecken. Es war wirklich eine begehrende Leidenschaft in ihm erwacht, und es fiel ihm gar nicht schwer, den reuigen Verliebten zu spielen. Aber etwas in ihrem Wesen mahnte ihn doch immer wieder zur Vorsicht. Er ahnte, daß er alles verderben konnte, wenn er zu ungestüm vorging.
Als aber der Nachtisch serviert war und der Diener sich zurückgezogen hatte, litt es Dolf nicht mehr auf seinem Platz an der andern Seite des Tisches. Er sprang auf, ging schnell zu ihr hinüber und fiel an ihrer Seite auf die Knie nieder. Er umschlang sie mit seinen Armen und barg den Kopf in ihrem Schoß.
»Nita, süße Nita, wie lange willst du mich noch schmachten lassen, wie lange soll ich noch bitten und flehen, das du mir wieder angehörst? Fühlst du denn nicht, daß ich dich liebe, daß ich mich danach sehne, dich wieder in meinen Armen zu halten? Sei gut, Nita, stoße mich nicht länger zurück, laß es nun genug sein der Prüfung. Du mußt doch fühlen, daß ich ein anderer geworden bin. Für meinen Leichtsinn hast du mich nun wahrlich genug gestraft, nimm mich nun wieder auf in deinem Herzen. Du kannst ja nicht alles vergessen haben, was uns einst so glücklich gemacht hat. Laß es genug sein der Strafe. Küsse mich, Nita, küsse mich! Meine Küsse sollen dir zeigen, wie ich dich liebe. Hab mich wieder lieb, süße kleine Frau! Ich will dich einhüllen in meine Zärtlichkeiten wie in einen rosigen Mantel. Du weißt doch, daß ich dich beglücken kann. -- Hast du vergessen, wie glücklich du einst warst in meinen Armen? So soll es wieder werden. Du sollst alles, alles vergessen in meinen Armen, unter meinen Küssen, nur nicht, das du mich liebst wie einst und daß ich dich liebe mit leidenschaftlicher Innigkeit. Sei wieder mein, süße Nita, sei mein!«
Nita saß wie gelähmt. Wie ein heißer Strom rauschten seine glühenden Worte über sie hin. Und gerade weil sie fühlte, daß sein Wesen von einem Funken echter Leidenschaft erfüllt war, sah sie mit namenlosem Entsetzen auf ihn nieder. Seine leidenschaftlichen Bitten fanden keinen Widerhall in ihrem Herzen. Da war alles tot und leer für ihn. Einst hatte sie solchen betörenden Worten ihr junges Herz weit geöffnet, hatte sie für den Ausdruck wahrhafter Liebe gehalten. Jetzt wußte sie, daß nicht ein Funke ehrlicher Liebe in ihm lebte, daß nur Berechnung und vielleicht ein Begehren seiner Sinne seine Worte diktierten.
Sie fürchtete sich vor ihm, weil dieses Begehren aus seinen Augen glühte, von dem seine Seele nichts wußte! Kraftlos und wie gelähmt hatte sie im ersten Schreck alles über sich ergehen lassen, und er triumphierte schon und hoffte, diesmal sein Ziel erreicht zu haben. Er fühlte, wie sie vor Erregung zitterte. Diese Erregung deutete er falsch, und er wollte sie fester in seine Arme ziehen. Aber da sprang sie plötzlich, sich mit Aufbietung aller Kraft aus seiner Umarmung lösend, empor und eilte wortlos und an allen Gliedern zitternd aus dem Zimmer.
Mit einem Siegerlächeln strich er das Haar aus der erhitzten Stirn und erhob sich. Noch nie hatte ihm ein Weib widerstanden, wenn er seine ganze Persönlichkeit, sein ganzes einschmeichelndes Wesen eingesetzt hatte, um sie zu betören. Ihr Zittern, ihre Erregung verhießen ihm auch jetzt baldigen Sieg. Er ahnte nicht, welche Gefühle Nita beseelten.
Ich wußte es ja -- nur noch ein wenig Geduld, und sie ist mein, dachte er frohlockend. Und er malte sich aus, wie sanft und hingebend sie sich in kurzer Zeit in seine Arme schmiegen, wie sie unter seinen Küssen zittern und bangen würde. Und je schwerer ihm dieser Sieg geworden war, desto süßer würde er sein. Großmütig nahm er sich vor, die kleine Frau zu beglücken und sie zu entschädigen für die lange Zeit der Entfremdung.
Wohlgefällig betrachtete er sich im Spiegel und drehte an seinem Bärtchen. Ein verfluchter Kerl war er doch! Und dieses Spiel mit seiner eigenen kleinen Frau war doch sehr reizvoll gewesen. Sonst fand er so wenig Widerstand bei den Frauen. Nita hatte ihm tüchtig eingeheizt, und es war eigentlich schade, das sie nun schon drauf und dran war, sich zu ergeben. Er kannte sich zu gut. Hatte er sein Ziel erreicht, dann war der Reiz vorüber, dann erlosch das jäh aufflackernde Strohfeuer seiner Leidenschaft zu schnell wieder. Und dann war alles wieder schal und öde. Ihn reizte ein Weib nur immer so lange, bis er es besiegt hatte.
Wenn er geahnt hätte, daß Nita sich in ihr Zimmer eingeschlossen hatte und noch immer von Grauen und Entsetzen gepackt vor sich hinstarrte, wenn er in ihrer Seele hätte lesen können, wie sie ihn verabscheute und wie sie seinen leidenschaftlich begehrenden Ton noch mehr fürchtete als seine brutalste Nüchternheit, dann hätte er wohl nicht in solcher Siegesstimmung das Zimmer verlassen.