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Länger als ein Jahr lebte Juanita jetzt schon mit ihrem Gatten in der reizenden Villa am Stadtwald. Es war an einem trüben, nebligen Dezembertag, als sie am Fenster des ganz mit weißen Möbeln ausgestatteten Frühstückszimmers stand. Sie blickte durch die bunten Stores in den verschneiten Garten hinab, der die Villa von allen Seiten umgab, und wartete auf ihren Gatten.
Dolf brauchte stets doppelt so lange Zeit wie sie, um Toilette zu machen. Sie konnte es nicht begreifen, wie ein Mann so eitel auf sein Äußeres sein konnte. Ach -- sie konnte so manches an ihm nicht begreifen.
Ihre Augen blickten glanzlos und erloschen in den feinen, niederrieselnden Schnee.
Was hatte sie alles begreifen lernen müssen in ihrer kurzen Ehe. Wie viele Ideale waren ihr erbarmungslos zertrümmert worden, wie wenig hatte sich von dem erfüllt, was sie ersehnt und erhofft hatte.
Und wie grau und kalt lag nun das Leben wieder vor ihr -- viel kälter und sonnenloser als zuvor, ehe sie gemeint hatte, das Glück gefunden zu haben.
Langsam, Stück für Stück, hatte Dolf sich selbst der guten Eigenschaften entkleidet, die sie ihm gläubigen Herzens angedichtet hatte, von denen ihr seine Mutter rührende Geschichtchen erzählt hatte. Er hatte es nicht lange mehr für nötig gehalten, sich ihr gegenüber zu beherrschen. Erst hatte er sie zu seiner eigenen, gewissenlosen Weltanschauung zu bekehren versucht, hatte ihre »romantischen Grillen« verlacht und ihr das Leben in der krassesten Nüchternheit und Realität gezeigt, um ihr zu beweisen, daß nichts auf der Welt erstrebenswerter sei als der Genuß. Als sie sich dann schaudernd von seiner Lehre abwandte und von den idealen Lebensvorstellungen nicht lassen wollte, als sie ihm von Pflichten und Forderungen sprach, da hatte er sie verhöhnt und verspottet.
Welche herben, bitteren Enttäuschungen hatte sie da erlitten.
Und dann war sie ihm langweilig geworden. Er hatte seine Freuden außer Hause gesucht, hatte sich leichtfertigere Gesellschaft gesucht und sich kaum noch Mühe gegeben, seine rohen, niederen Instinkte zu verbergen.
Was war da übriggeblieben von dem Mann, dem sie vor kaum anderthalb Jahren ihr junges, reines Herz jauchzend entgegengebracht hatte?
Sie schauderte zusammen.
Kein Mensch hatte von ihr erfahren, was in ihrem Herzen bei der Verwandlung ihres Gatten vor sich ging. Sie war gewohnt, ihr Denken und Empfinden in sich selbst zu verschließen. Stumm hatte sie das Grauen und Entsetzen verwunden, das ihr Herz erfüllte, als sie sah, wem sie sich fürs ganze Leben zu eigen gegeben hatte.
Sie kam sich selbst entehrt und erniedrigt vor durch die Gemeinschaft mit diesem Mann. Eine brennende Scham, eine müde Verzweiflung erfüllten ihre Seele. Sie sah angstvoll um sich, ob sich nicht ein Ausweg fand aus dem Käfig, in den sie sich selbst gesperrt hatte.
Aber sie dachte zu hoch und heilig über ihren Schwur am Altar, um an den einzigen Ausweg -- eine Scheidung -- zu denken, obwohl ihr Dolf schon wiederholt hinreichenden Grund zu einer solchen gegeben hatte.
Sie war gewohnt, sich stets über sich selbst und ihr Empfinden Rechenschaft zu geben, und so erkannte sie bald, daß sie ihre Liebe einem Phantom geschenkt hatte, daß sie aber niemals einen Mann lieben konnte, der so beschaffen war, wie Dolf sich ihr nun gezeigt hatte. Mit der Erkenntnis seines wahren Wesens kam zugleich das Wissen, daß sie ihn nicht liebte. Sie hatte nur das Bild geliebt, das sie sich von ihm gemacht hatte, nicht aber den wirklichen Menschen, als der er sich nun entpuppte, der so roh, so niedrigdenkend und bar jeden edlen, guten Gefühls war.
Sie wußte nun, welchen furchtbaren Mißgriff sie getan hatte, als sie seine, unter heuchlerischen Schmeichelworten gebotene, Hand ergriffen hatte, wußte nun, daß er einzig und allein nach ihrem Gelde getrachtet hatte.
Verzweifelte Stunden hatte sie hinter sich, in denen sie die Hände gerungen und sich gefragt hatte, ob es denn keinen einzigen Menschen auf der Welt gab, der sich ihrer Unerfahrenheit erbarmt und ihr die Augen hätte öffnen müssen, ehe sie in den Abgrund taumelte, den sie im Gefühlsüberschwang nicht vor sich gesehen hatte.
Ach nein, sie war allein, einsam -- wie immer.
Das empfand sie auch jetzt wieder, als sie in den leise herabfallenden Schnee blickte. Sie legte das Gesicht auf die Hände, die den Griff des Fensters umfaßten, und ließ die traurigen dunklen Augen hinausschweifen in die erstorbene Natur, die der Schnee mit einem Leichentuch zudeckte. Wenn sie doch auch schon still da unten ruhen könnte unter der weißen Decke.
Sie schrak empor aus diesen traurigen Gedanken. Die Tür wurde geöffnet, und Dolf trat ein in einem hocheleganten, seidengefütterten Morgenanzug. Vom Scheitel bis zur Sohle verriet seine Person die hingebende Pflege, die er ihr angedeihen ließ. Sein erstklassiger Kammerdiener, den er sich engagiert hatte, hatte jeden Tag stundenlang damit zu tun. Dolf war ängstlicher besorgt um seine Schönheit als die anspruchsvollste Weltdame.
Aber trotzdem machten sich auf seinem Gesicht schon leise Spuren des allzu flotten Lebens bemerkbar, das er stets geführt hatte und jetzt erst recht führte.
Juanita wandte sich sofort um, als er eintrat, und setzte sich, nachdem sie nach dem Frühstück geklingelt hatte, an den zierlich gedeckten Tisch. Dolf setzte sich ihr gegenüber und sah sie ein wenig unsicher an.
»Guten Morgen, Nita«, sagte er leichthin.
»Guten Morgen«, antwortete sie förmlich.
Dann brachte der Diener die Frühstücksplatte und verschiedene Kännchen und Gerätschaften. Flink und lautlos setzte er alles auf den Tisch.
Dolf hatte nur geschulte Dienerschaft engagiert, die zwar einen hohen Lohn bezogen, aber auch auf jeden Wink zur Stelle war. Das hielt Dolf für nötig, damit ihn nichts in seinem Lebensgenuß störte. Nur an der alten Tina hatte er immer auszusetzen, die paßte ihm nicht in die moderne Domestikenschar.
Aber in diesem Punkte stieß er bei seiner Gattin auf energischen Widerstand. Sonst ließ sie ihm in allen Dingen freie Hand, aber wenn er nur erwog, Tina wieder in sein Elternhaus zurückzusenden, machte sie mit großer Energie ihren Willen geltend.
»Ich möchte nur wissen, warum du so eigensinnig darauf bestehst, daß die Alte in unserem Hause bleibt. Sie paßt ja gar nicht in den Zuschnitt unseres Heimes und kocht durchaus nicht so, wie ich es wünsche. Also sei vernünftig und schicke sie wieder nach Hause«, hatte er einmal gesagt.
Darauf hatte ihm Juanita geantwortet:
»Ich habe dir schon oft gesagt, daß ich Tina zu behalten wünsche und daß ich mit ihr zufrieden bin. Es ist mir sehr lieb, eine so treue, erprobte Person unter den neuen Domestiken zu haben. Willst du durchaus einen anderen Koch haben, so werde ich Tina als Haushälterin behalten und sie mit der Aufsicht über Haushalt und Dienerschaft betrauen.«
Damit hatte sich Dolf zufriedengeben müssen. Tina war, mit einer Erhöhung ihres Gehaltes, zur Haushälterin avanciert, und in der Küche hantierte jetzt ein Koch mit zwei Gehilfen. Dolf konnte ja nicht genug Geld ausgeben. Und Juanita ließ ihn ruhig gewähren. Was lag ihr an Geld und Äußerlichkeiten, da sie ihren Herzensfrieden verloren hatte.
Der Diener hatte sich auf einen Wink seines Herrn wieder entfernt. Schweigend saß sich das junge Paar gegenüber. Dolf aß mit gutem Appetit, während seine Frau nur eine Tasse Schokolade trank und etwas Weißbrot dazu nahm.
Ab und zu warf Dolf einen hämisch forschenden Blick in Nitas stilles, blasses Gesicht. Endlich sagte er ironisch:
»Nun? Gnädige belieben zu schmollen?«
Sie hob den Blick langsam zu ihm auf. Und wie ein Frostschauer lief es ihr über den Rücken, als sie in seine flimmernden, kalten Augen sah. Wie sehr erinnerten sie diese Augen jetzt an die ihrer Schwiegermutter, die sie schon als Kind gefürchtet hatte. Wo waren nur ihre Sinne gewesen, daß sie nicht diese Ähnlichkeit erkannt hatte, solange es noch nicht zu spät gewesen war.
»Ich schmolle nicht«, antwortete sie scheinbar ruhig und kühl.
Er lachte spöttisch.
»So nenne es anders. Jedenfalls bitte ich mir aus, daß du mich nicht mit so kritischen Augen betrachtest. Sie irritieren mich.«
Bei diesen Worten sah er sie mit glitzernden, kalten Augen an.
Ihr Herz krampfte sich zusammen. Aber sie blieb ruhig, sie wußte, daß er sie reizen wollte, weil ihn ihre Ruhe, die sie sich unter tausend Schmerzen zurückerobert hatte, ärgerte.
»Ich habe dich nicht kritisch betrachtet«, antwortete sie.
Er schlug die Beine übereinander und dehnte sich faul.
»Spiele nur nicht die Erhabene. Du bist natürlich wieder tief beleidigt, weil ich spät nach Hause gekommen bin. Man kann doch nicht ewig den verliebten Seladon spielen, das wird doch auf die Dauer langweilig.«
Jetzt hatte er erreicht, daß sie ihre Ruhe verlor. Dunkles Rot stieg in ihr Gesicht, und ihre herrlichen dunklen Augen blitzten stolz und unmutig.
»Ich verlange durchaus nicht, daß du den verliebten Seladon spielst, wie du dich ja so geschmackvoll ausdrückst, im Gegenteil -- du könntest mir keine größere Beleidigung zufügen. Du kannst tun und lassen, was du willst, wenn du mir das gleiche Recht zubilligst«, sagte sie mit zornig bebender Stimme.
In seinen Augen blitzte es seltsam auf. Aber dann zwinkerte er ungläubig.
»Na, na -- nur nicht so stolz, kleine Frau!« rief er scheinbar gemütlich. »Spiele mir nur keine Komödie vor. Sage es nur ehrlich, das du verstimmt bist, daß ich nicht immer bei dir sitze. Komm, setz dich auf meinen Schoß, gib mir einen Kuß, dann ist die Sache erledigt, und du sollst entschädigt werden für die einsamen Stunden.«
Er streckte ihr gnädig die Hand entgegen, fest überzeugt, daß sie nun gleich versöhnt an seinem Halse hängen würde.
Dann kriegt das Täubchen ein wenig Zuckerbrot, ich darf es nicht ganz mit ihr verderben, dachte er selbstgefällig.
Juanita aber übersah seine Hand und blieb ruhig sitzen. Darüber war er erstaunt. Er hatte sie zwar lange vernachlässigt, war aber doch in seiner Eitelkeit fest überzeugt, daß sie ihn noch immer liebe, und daß er sich nur ein wenig anzustrengen brauche, um sie wieder in zärtliche Stimmung zu versetzen.
Bisher hatte immer er den Zeitpunkt bestimmt, wenn er einer Frauenliebe ledig sein wollte.
Es erschien ihm selbstverständlich, daß dies auch bei seiner Frau der Fall sein würde. Er glaubte, es bedürfe nur einiger Zärtlichkeiten von seiner Seite, um Nita sofort wieder in Feuer und Flamme zu versetzen. Und er war sich sehr großmütig vorgekommen, daß er sich trotz ihres »Schmollens« herbeigelassen hatte, ihr entgegen zukommen. Eigentlich hätte sie ihn doch »himmelhoch« bitten müssen, ihr wieder gut zu sein und sie lieb zu haben.
So war er es bisher von den Frauen gewöhnt gewesen.
Er dachte nicht daran, sich durch seine Frau in irgendeiner Weise genieren zu lassen. Als verheirateter Mann wollte er sich alle Freiheiten bewahren, die er als Junggeselle genossen hatte. In den ersten Flitterwochen hatte er Nita natürlich mit Zärtlichkeiten überschüttet. Da war es ihm auch gar nicht schwergefallen. So ein bildhübsches Weibchen konnte man schon mal ein Weilchen anschwärmen. Aber ewig hielt das natürlich nicht vor -- man sehnte sich nach Abwechslung. Und verwöhnen durfte man auch das hübscheste Frauchen nicht. Es wurde sonst zu anspruchsvoll. Also hatte er andere Saiten aufgezogen und ein bißchen Realität in den Zuckerbrei gemischt. Da hatte sie freilich große Augen gemacht. Aber natürlich mußte sie sich daran gewöhnen und schließlich so mit ihm leben, wie er den Ton angab.
Als Nita nun seine Hand nicht faßte und auch keine Miene machte, sich zärtlich an ihn zu schmiegen, glaubte er, sie wolle ihn durch ihre Zurückhaltung reizen.
Die kleine Frau ist schlauer als ich dachte, sie übt sich im Kokettieren, dachte er, sie forschend beobachtend.
Er lachte ein wenig.
»Na, also komm, kleiner Trotzkopf -- mach keine Flausen.
Mit solchen kleinen Manövern erreichst du nichts bei mir -- das kenne ich ja alles«, sagte er, noch immer gemütlich und überlegen.
Die Glut schoß aus ihrem Gesicht zurück, sie wurde sehr blaß, und plötzlich schob sie mit einer energischen Bewegung ihre Tasse von sich und sah kalt und stolz in sein Gesicht. Jedes seiner Worte empfand sie als eine Beleidigung.
»Du irrst, wenn du denkst, daß ich etwas bei dir erreichen will -- ich habe nicht die Absicht«, sagte sie scheidend.
Er stutzte bei diesem Ton und betrachtete sie mit nicht sehr geistreichem Ausdruck. Dann aber lachte er amüsiert auf.
»Ah, siehe da -- ein neuer Trick, um mich reuig zu deinen Füßen zurückzuführen. Nicht übel, mein Täubchen. Zu niedlich ist deine pomphafte Ruhe. Das muß belohnt werden.«
Er erhob sich und wollte sie in seine Arme ziehen. Sie sprang auf, ihn von sich abwehrend, und trat weit von ihm zurück. Ihn groß und kalt ansehend, sagte sie, ihre Erregung meisternd, mit verhaltener Stimme:
»Daß es nur einmal ganz klar wird zwischen uns, du scheinst schwer von Begriff zu sein -- ich verbitte mir diesen Ton. Der mag am Platz sein deinen zahlreichen Liaisons gegenüber, mit denen du dich in schamloser Weise mir gegenüber gebrüstet hast, nachdem ich deine Frau geworden war. Mir gegenüber wirst du einen anderen Ton anschlagen müssen, wenn du willst, das ich noch ein Wort mit dir spreche und mir deine Gesellschaft gefallen lasse. Um übrigen laß dir zugleich gesagt sein, daß ich zwar nun leider einmal deine Frau bin und wohl auch bleiben muß, daß du dir aber schon längst meine Achtung und Liebe verscherzt hast und daß ich dir im Herzen fremd und kalt gegenüberstehe. Du bist mir nichts als die fortwährende Erinnerung an den qualvollsten Irrtum meines Lebens.«
Er sah sie sprachlos an. In seinen Augen sprühte und glitzerte es wie in denen eines wütenden Raubtieres.
»Welch eine Sprache führst du mir gegenüber? Bist du von Sinnen?« rief er zornig.
Sie erschauerte unter seinem tückischen Blick. Ein Gefühl von Angst und Grauen erfüllte sie. Aber sie blieb stolz und ruhig stehen. Lange schon hatte sie Klarheit zwischen sich und ihm schaffen wollen. Bisher hatte es ihr an Mut gefehlt, auszusprechen, was sie empfand. Aber heute hatte sie sich aufgerafft, weil sie fühlte, daß sie ihre Selbstachtung verlieren würde, wenn sie länger schwieg und die Gemeinschaft mit ihm ertrug.
»Ich führe dir gegenüber jedenfalls noch eine achtungsvollere Sprache, als du sie dir mir gegenüber schon lange erlaubst. Willst du, daß ich anders mit dir reden soll, so befleißige vor allem du dich eines anderen Tons. Ich bin nicht mehr deine willenlose Sklavin. Das war ich nur, solange ich dich liebte und achtete. Jetzt ist das vorbei. Und nun stehe ich dir mit gleichen Ansprüchen gegenüber und verbiete dir energisch, diesen Ton mir gegenüber weiterzuführen. Diesen Standpunkt werde ich zu wahren wissen.«
So sagte sie fest und ruhig, mit blitzenden Augen und hoch erhobenem Haupt.
Und dann ging sie hochaufgerichtet aus dem Zimmer.
Er sah ihr ganz konsterniert nach. Eine Weile blieb er vollständig fassungslos stehen. Aber dann zuckte er die Achseln und schnippte mit den Fingern. Er war nicht der Mann, sich durch solch eine Szene das Leben schwermachen zu lassen.
Also gut, mein Täubchen -- trotze dich aus und hülle dich in stolze Entrüstung. Das legt sich schon wieder, dachte er und warf sich wieder in einen Sessel. Eine Weile grübelte er aber doch noch vor sich hin.
Sie muß irgend etwas Belastendes erfahren haben, daß sie so wild geworden ist. Sie ist doch sonst so sanft und ruhig. Na ziehen wir also wieder mal andere Saiten auf, damit sie wieder kirre wird. Sie hat das Geld -- also auch die Macht. Mir scheint, ich habe mich verteufelt in die Nesseln gesetzt mit dieser kleinen Spanierin! Es scheint doch ein Tropfen feurigen Blutes in ihren Adern zu sein. Na -- das vertreibt mal ein Weilchen die Langeweile! Sie sah verteufelt hübsch aus mit den zornig blitzenden Augen. Stolz lieb' ich die Spanierin! Ich kann mich ja zur Abwechslung mal wieder in meine eigene Frau verlieben. Dann ist sie doch in kurzer Zeit wieder weich wie Wachs, die kleine Frau. Das war sein Gedankengang. Und danach suchte er in der nächsten Zeit zu handeln.
Aber so leicht, wie er es sich gedacht hatte, ging es doch nicht.
Juanita verhielt sich seinen Annäherungsversuchen gegenüber sehr ablehnend. Sie hielt an einem höflich konventionellen Ton fest und vermied jede weitere Auseinandersetzung, aber er fühlte doch, daß sie ihm innerlich sehr kalt und kritisch gegenüberstand.
Eine Weile mühte er sich vergebens. Er war im Zweifel, wie er sich ihr gegenüber benehmen sollte, und schließlich sagte er sich, daß der von ihr angeschlagene Ton im Grunde sehr bequem war.
So standen sie sich bald durchaus fremd gegenüber. Jeder lebte sein eigenes Leben, jeder ging seinen eigenen Weg. Nur die Mahlzeiten nahmen sie gemeinsam ein, und Dolf befleißigte sich eines sehr höflichen, formellen Benehmens.
Juanita war damit zufrieden. Es kam nun wieder eine gewisse Ruhe über sie. Sie richtete sich ihr Leben ein, als wäre Dolf nicht vorhanden.
Und nachdem Dolf den ersten Ärger über ihre kalte, stolze Ruhe verwunden hatte, war er zufrieden, daß er nun eine so bequeme Frau hatte. Sie legte ihm keinerlei Fesseln auf, ließ ihn Geld ausgeben, so viel er wollte, ohne je nach dem Verbleib zu fragen, und kümmerte sich nicht um ihn. Wäre nicht sein Vater gewesen, der leider noch immer »den Daumen auf Nitas Vermögen drückte«, so wäre Dolf außerordentlich zufrieden gewesen.
Sein Vater pflegte sich in »höchst überflüssiger Weise« aufzuhalten über Sachen, die ihn doch eigentlich nichts angingen. Er hatte daran Kritik geübt, daß sich Dolf einen Kammerdiener hielt, daß er einen Koch engagiert und sich ein Automobil gekauft hatte. Was ging das den alten Herrn an? Er kümmerte sich viel zuviel um seine, Dolfs, Angelegenheiten und plagte ihn ohnedies mit seinen ewigen Ermahnungen und mit seinen schönen Reden über Pflichtgefühl und den Segen der Arbeit.
Dolf wäre am liebsten von L… fortgegangen und hätte sein bleibendes Domizil fern von der väterlichen Aufsicht aufgeschlagen. Aber Nita war nicht zu bewegen, die Stadt zu verlassen, und der Vater hielt ihn leider noch immer fest.
Wenn ich nur erst Nitas Vermögen in den Händen habe -- dann soll der Alte etwas erleben, dachte er oft. Er begann nun ein noch viel ausschweifenderes Leben und trieb es so arg, daß man überall darüber voll Entrüstung sprach. Die junge Frau wurde aufrichtig bemitleidet. Verschiedene Episoden aus seines Sohnes Leben drangen auch an Bernhard Falkners Ohr. Es kam zu schlimmen Szenen zwischen Vater und Sohn.
Bernhard Falkner machte Dolf ernste Vorhaltungen über sein ausschweifendes Leben. Dolf lehnte sich dagegen auf. Er hielt es kaum noch für nötig, seine wahre Denkungsart zu verhüllen. Seine zynischen Worte ließen den entsetzten Vater zum erstenmal einen vollen Einblick in Dolfs wahren Charakter tun. Ganz offen gab dieser dem Vater zu verstehen, daß er doch nicht eine Millionärin geheiratet habe, um wie ein Buchhalter zu arbeiten und den Klosterbruder zu spielen, sondern um sein Leben zu genießen. Und er machte dem Vater direkt Vorwürfe, daß er ihn daran hindern wolle mit seinen kleinlichen Moralpauken.
Bernhard Falkner war außer sich, als er so den wahren Charakter seines Sohnes kennenlernte. Über diesen Punkt kam es zu erregten Szenen zwischen ihm und seiner Frau. Helene ergriff offensichtlich ihres Sohnes Partei, obwohl sie sehr erschrocken war, daß Dolf dem Vater gegenüber nicht vorsichtiger gewesen war. Zum erstenmal in ihrem Leben verlor auch diese kluge, berechnende Frau ihre Selbstbeherrschung, und in ihrer Erregung brachte sie, um Dolf beizustehen, Ansichten zutage, die ihren Gatten wie ein Schlag ins Gesicht trafen.
Zum erstenmal lernte Bernhard Falkner nun auch seine Frau kennen, wie sie wirklich war.
Die Erkenntnis, wie sehr er sich in Gattin und Sohn getäuscht hatte, wirkte auf ihn wie ein vernichtender Schlag, von dem er sich nie mehr erholen konnte.
Helene versuchte zwar, als sie ruhiger geworden war, sofort wieder einzulenken und den Eindruck ihres Verhaltens zu verwischen. Aber es gelang ihr nicht mehr. Einmal sehend geworden, vermochte Bernhard Falkner nicht mehr die Augen zu schließen vor der furchtbaren Erkenntnis, daß sein Leben, sein Glück auf einer Lüge aufgebaut gewesen war. Jetzt wurde er fast erdrückt von dieser Erkenntnis.
Er konnte es nicht verhindern, daß er von nun an Mutter und Sohn mit heimlichem Mißtrauen, mit unruhigem Forschen beobachtete. Und seine kritisch geschärften Augen sahen nun allerlei, was ihm bisher entgangen war. Das furchtbare Gefühl, bisher betrogen worden zu sein von den beiden Menschen, die ihm die liebsten auf der Welt gewesen waren, erfüllte ihn mit einer grenzenlosen Bitterkeit und Trauer.
In dieser Zerrissenheit seiner Seele erwuchs ihm ein Trost. Juanita fühlte mit feinem Instinkt, daß ihr Schwiegervater ein rechtlicher Charakter war und auf ihrer Seite stand, während ihre Schwiegermutter ihr direkt grollte, daß sie Dolf nicht stillschweigend alles verzieh, was er ihr antat. Und Bernhard Falkner hatte das Gefühl, als müsse er ein Unrecht an Juanita gutmachen. Er machte sich Vorwürfe, Dolf nicht gewissenhafter geprüft zu haben, ehe er ihm Juanita auslieferte.
So kamen sich die beiden Menschen in dieser für sie so schweren Zeit innerlich näher als je zuvor. Juanita vermied zwar jede Aussprache mit ihrem Schwiegervater über ihr verändertes Verhältnis zu Dolf, aber er fühlte es selbst heraus. Juanita hatte erst auch ihrem Schwiegervater ein Gefühl des Mißtrauens entgegengebracht, hatte geglaubt, er habe gewußt und gebilligt, daß Dolf sich nur ihres Vermögens wegen um sie beworben hatte. Aber bald erkannte sie, daß sie ihm unrecht getan hatte. Sie sah, daß sich Vater und Sohn entfremdet hatten, und bemerkte, daß ihre Schwiegermutter sich auf die Seite des Sohnes schlug.
Und dann kam ihr Bernhard Falkner mit einer Güte und Herzlichkeit entgegen wie nie zuvor. Wie eine stumme Abbitte lag es in seinem ganzen Wesen, und einmal strich er ihr seufzend über den Kopf und sagte schwer:
»Kind, wie soll ich nur vor deinem Vater bestehen, weil ich nicht vorsichtiger gewesen war, daß ich nicht klarer sah als du selbst? Glaube mir -- das werde ich mir nie verzeihen, und ich wage es nicht, dich um Verzeihung zu bitten.«
Da nahm sie seine bebende Hand zwischen die ihren und sagte warm: »Quäle dich nicht, lieber Vater, du hast das Beste gewollt. Es ist doch kein Unrecht, wenn man einen Menschen, den man liebt, höher einschätzt, als er es verdient. Ich habe dir nichts zu verzeihen.«
So kamen sich diese beiden Menschen näher im Bestreben, einander über die schlimmen Enttäuschungen ihrer Herzen hinwegzuhelfen.
In Juanitas Seele war auch noch alles wund und wehe. Aber sie hatte sich doch zu innerer Ruhe und Klarheit durchgerungen. Sie reifte um Jahre in dieser kurzen Zeit und lebte still und zurückgezogen, weil sie sich scheute, ihr Leid unter Menschen zu tragen. Ohnedies war sie eine Natur, die lieber mit sich allein war, als gedankenlos mit fremden Menschen über Nichtigkeiten zu plaudern. Um Dolf kümmerte sie sich gar nicht mehr. Sein Gehen und Kommen ignorierte sie vollständig. Saßen sie sich bei den Mahlzeiten gegenüber, so sprachen sie nur das Nötigste, der Dienerschaft wegen.
Ihr Schwiegervater kam in letzter Zeit oft ein Stündchen zu ihr heraus, und sie suchten einander aufzuheitern.
Er brachte ihr die neuesten Bücher und Zeitungen, weil er wußte, daß sie gehaltvolle Lektüre liebte. Juanita besuchte gern und viel das Theater. Das junge Paar hatte mit den Eltern zusammen eine Loge abonniert. Dolf benutzte diese sehr selten. Er hatte nur hinter den Kulissen Beziehungen zum Theater, die ihn interessierten. Frau Helene besuchte auch nur selten eine Vorstellung. So machte Juanita um so eifriger von ihrer Loge Gebrauch, um über einsame Abende hin wegzukommen.
Um sich einen ernsteren Lebensinhalt zu schaffen, widmete sie viele freie Stunden allerlei wissenschaftlichen Studien.
Eines Tages, es war inzwischen wieder Sommer geworden, saß sie auf der blumengeschmückten Veranda, die mit modernen Korbmöbeln und japanischen Matten sehr behaglich ausgestattet war, und blätterte in neuen Journalen. Sie trug auch heute ein luftiges, weißes Kleid -- weis war ihre Lieblingsfarbe --, das sich elegant und fliesend um ihren Körper schmiegte.
Und als sie nun eine neue Seite in einem Journal umblätterte, da sah sie plötzlich die Illustration eines markanten Männerkopfes vor sich. Sie stutzte einen Augenblick, wie seltsam berührt durch den Anblick, und vertiefte sich dann in den Anblick dieses Porträts.
Die tiefliegenden Augen, die unter einer vorspringenden Stirn kühn und bezwingend aus dem scharfgeschnittenen, bedeutenden Gesicht herausschauten, schienen ihr bekannt und vertraut, wie die eines Menschen, der ihr nicht fremd war. Sie konnte den Blick nicht davon wenden.
Erst nach langer Zeit löste sich ihr Blick von diesen gedankenvollen, männlichen Zügen, und sie schaute zu der Unterschrift. Und da zuckte sie plötzlich zusammen, und ihre Augen weiteten sich wie in atemlosen Staunen: »Dr. Gerhard Falkner.
Ein tiefer Atemzug hob ihre Brust. »Gerd! Da ist Gerd«, flüsterte sie vor sich hin und strich mit zitternder Hand wie in scheuer Liebkosung über das Bild.
Lange, lange blickte sie darauf nieder und versenkte sich in den Anblick dieses Gesichts, das ihr längstvergangene Tage ins Gedächtnis zurückrief. Dann lehnte sie sich wie überwältigt von ihren Empfindungen zurück und schloß die Augen. In ein traumhaftes Erinnern versenkt, hörte sie, wie vor vielen Jahren, eine warme, tröstende Männerstimme:
»Weine nicht, arme kleine Nita -- mein armes kleines Vöglein.«
Und ihr war, als streiche eine warme Hand zart und tröstend über ihr Köpfchen, sie fühlte, wie diese Hand ihr mit einem weichen, seidenen Tuch die Tränen trocknete.
»Gerd -- guter Gerd.«
So hatte sie ihn damals genannt, ihren Freund und Tröster. Nur kurze Zeit hatte er seine Hand erbarmend über sie halten können, dann war er aus ihrem Leben entschwunden. Aber es wollte ihr plötzlich scheinen, als sei er ihr von allen Menschen der liebste und beste gewesen, als sei mit ihm ihr treuester, uneigennützigster Freund aus ihrem Leben geschwunden.
Und verdankte sie nicht ihm allein, daß sie in ihrer liebeleeren, einsamen Kindheit ein treues, gutes Herz gefunden hatte, das voll Liebe an ihr hing? Es war nur das Herz einer Dienerin, aber wie reich war es an Liebe und Ergebenheit für sie. Wenn sie Tina nicht gehabt hätte -- was wäre dann aus ihr geworden? Und wie würde sich wohl ihr Leben gestaltet haben, wenn Gerd Falkner sein Vaterhaus nicht verlassen hätte? Sie mußte wieder darüber grübeln, weshalb Gerd wohl fortgegangen war, weshalb er nie zu Besuch nach Hause kam, weshalb sein Name nicht einmal genannt wurde, auch von seinem Vater nicht? Nur Tina hatte früher oft mit ihr von Gerd gesprochen. Aber jetzt war er schon lange nicht mehr von ihnen erwähnt worden -- seit ihrer Verheiratung nicht mehr.
Sie atmete tief auf und blickte wieder auf das Bild herab. Und da fiel ihr erst auf, daß es zu einem großen Artikel gehörte, der die Überschrift trug:
»Das neue Werk Dr. Gerhard Falkners.« Und darunter stand in kleiner Schrift: »Der berühmte kühne Forscher ist soeben von einer Südpolexpedition heimgekehrt.«
Voll Interesse las Juanita diesen Artikel durch. Es war nach zwei Jahren wieder das erste, was sie von Gerd hörte. Mit der höchsten Anerkennung wurden darin Gerhard Falkners Verdienste beleuchtet und auf sein soeben erschienenes neuestes Werk aufmerksam gemacht. Auch dieses Werk war wieder im Horstschen Verlag erschienen, und Juanita beschloß, es sofort zu bestellen. Hatte sie doch schon Gerds erstes Werk, das vor ihrer Verlobung erschienen war, heimlich gelesen, aber mit niemand darüber gesprochen als mit Tina.
Sie freute sich sehr auf diese Lektüre. Es war ihr, als käme sie Gerd dadurch innerlich wieder näher.
Kaum war sie mit dem Artikel zu Ende, als Tina mit einem Tablett, auf dem sich allerlei Teegerät befand, auf die Veranda trat.
»Gnädige Frau müssen den Tee einnehmen -- es ist schon fünf Uhr vorbei«, sagte Tina förmlich und deckte das Tischchen, das vor Nita stand, mit eifriger Geschäftigkeit.
Die junge Frau sah lächelnd zu ihr auf.
»Gute Tina -- du sorgst, daß ich nicht Hunger leide.«
»Na ja, gnädige Frau vergessen sonst ganz und gar das Essen und Trinken. Und der gnädige Herr kommt ja doch nicht zum Tee nach Hause.«
Es lag ein dumpfer Groll in Tinas letzten Worten.
Nita streichelte ihr die Hand.
»Du, Altchen -- nun laß aber auch die gnädige Frau beiseite, wir sind ja allein.«
Tina sah sich scheu um.
»Na ja, mein Nitachen, -- es ist nur -- wir haben zu viele Dienstboten im Hause, die immer faul herumlungern, weil nicht genug Arbeit für sie da ist, und die brauchen es nicht zu hören, daß ich ›du‹ zu dir sage, Kindchen. Eigentlich ist es ja auch ganz respektlos.«
»Hast du mich nicht mehr lieb, Tina?« fragte die junge Frau neckend.
Tina schluckte.
»Ach, du mein lieber Gott -- so eine Frage. Wie kommst du bloß darauf?«
»Weil du mich mit Respekt drangsalieren willst, Altchen.«
»Ach Gott, mein Nitachen -- ich bin ja bloß bange, daß es jemand hört«, sagte die Alte zärtlich und tätschelte Nita die Hand.
Diese schüttelte energisch den Kopf.
»Dann ist es auch nicht schlimm, Altchen. Jetzt bist du doch bei mir in Stellung, und niemand hat da etwas dreinzureden.«
»Aber der junge gnädige Herr, Nitachen.«
Juanitas Stirn zog sich zusammen.
»Auch der nicht«, sagte sie fast schroff.
Tina sah sie besorgt und voll Liebe an.
»Ach, mein Kindchen -- was habe ich für ein schweres Herz um dich. Du siehst jetzt immer so blaß und traurig aus.«
Die junge Frau seufzte.
»Laß nur, Tina, das ist nun nicht zu ändern.«
»Mein armes, armes Nitachen. Komm, nun iß und trink, du kommst mir sonst ganz von Kräften.«
Sie legte Nita vor. Diese ergriff plötzlich in heiß hervorbrechendem Schmerz die harte, verarbeitete Hand der alten Dienerin und sah mit feuchtschimmernden Augen in ihr gutes, besorgtes Gesicht.
»Tina -- daß auch du mich nicht gewarnt hast damals! Du wußtest doch gewiß, wie der Mann beschaffen war, dem ich meine Hand reichte.«
Tinas Gesicht färbte sich vor Schrecken über diesen leidenschaftlichen Ausbruch dunkelrot. Und dann stammelte sie erregt:
»Ach, mein Nitachen -- ich wagte es doch nicht. Ich bin doch nur eine Dienerin, die nicht versteht, wie das so bei vornehmen Herrschaften ist. Und als ich's merkte, da hattest du ihn doch schon lieb, und ich wußte nicht, ob ich in meiner Einfalt etwas sehr Törichtes tun würde, wenn ich dir sagte, was ich für eine Angst um dich hätte. Ich konnte auch niemanden um Rat fragen, denn unser Herr Gerd war doch nicht da, na -- und meinen Brief, daß er kommen und helfen sollte, den hat er wohl nicht gekriegt, weil er doch so weit weg war, am Südpol -- aber das wußte ich da noch nicht.«
Juanita sah sie erstaunt und fragend an.
»Was sagst du da, Tina? Dein Brief, ein Brief an Gerd, ja hast du denn an ihn geschrieben?«
Tina sah plötzlich aus wie ein ertappter Sünder und schlug sich auf den Mund.
»Ach Gott -- da hab ich mich nun richtig verplappert. Na -- dann hilft es nichts. Und du wirst ja auch nicht böse sein, Nitachen, wenn ich dir nun alles sage. Also siehst du -- als der Herr Gerd damals fortging, da war er doch in Sorge um dich. Er hatte doch an sich selbst erfahren, wie es einem Kind bei seiner Stiefmutter gehen kann. Er hatte ja auch keine Seele, die ihn liebhatte, wo doch seine eigene Mutter so sehr zärtlich zu ihm gewesen war. Und da hat er gedacht, dir geht es auch so, und deshalb hat er mich zu dir gebracht, und ich habe ihm dann versprechen müssen, ihm immer mal zu schreiben, wie es dir geht, wie du dich in alles schickst und ob dir auch nichts Schlimmes geschieht.«
Juanita stützte den Kopf in die Hand und bedeckte ihre Augen, als blende sie zu helles Licht.
»Das hat er gewollt, so hat er sich um mich gesorgt -- um mich, das fremde Kind?« fragte sie leise.
»Na, ja doch, du warst ihm in deiner Not schnell genug fest ans Herz gewachsen. Er hatte dich sehr lieb, und es ist ihm sehr nahegegangen, daß er dich allein lassen mußte. Am liebsten hätte er dich mitgenommen, aber wo soll man so ein junger Mensch mit so einem kleinen Mädchen hin? Das ging ja auch gar nicht.«
Die junge Frau strich sich mit bebender Hand das Haar aus der Stirn.
»Und da hast du ihm dann auch wirklich geschrieben?«
»Aber ja, Nitachen, ich hatte es ihm doch versprochen. Oft ist es ja nicht geschehen, denn mit dem Schreiben hapert es bei mir. Aber immer, wenn was Besonderes war, dann hab ich's ihm geschrieben. Als du am Scharlach krank lagst, als du konfirmiert wurdest und als du dir damals beim Tennisspielen mit Dolf -- wollte sagen dem gnädigen Herrn -- den Fuß verrenkt hattest. Auch wie du mal am Weihnachtsabend so schrecklich geweint hast, weil dich niemand liebhatte, und all so was habe ich ihm geschrieben.«
»Aber woher wußtest du denn, daß er deine Briefe erhielt, wo hast du n sie denn hingeschickt?«
Tina sah sich ängstlich um, als fürchte sie, daß ein Lauscher in der Nähe sein könnte.
»Ja, Kindchen, die habe ich jedesmal zu seiner Tante Horst hingeschickt, du weißt, die Frau vom Buchhändler Horst in der Lessingstraße. Das ist die Schwester von Herrn Gerds seliger Mutter. Und die hat ihm dann die Briefe immer nachgeschickt. Ein paarmal habe ich Frau Horst getroffen, sie ist eine sehr liebe und feine Dame, gerade wie Herrn Gerds selige Mutter, ja -- und da hat sie sehr freundlich mit mir gesprochen. ›Tina‹, hat sie gesagt, ›mein Neffe hat all Ihre Briefe bekommen, und er läßt Sie schön grüßen und Ihnen herzlich danken, und Sie sollen ihm nur weiter von allem schreiben, Was Juanita Trebin betrifft.‹ -- Ja, ja, Nitachen, so hat sie zu mir gesagt. Aber nach deiner Hochzeit habe ich sie nicht mehr getroffen, und ich weiß nun auch nicht, ob Herr Gerd den letzten Brief von mir bekommen hat, den ich gleich nach deiner Verlobung schrieb. Daß du nun schon lange mit seinem Bruder Dolf verheiratet bist, wird er ja wohl von seiner Tante Horst oder von seinem Vater erfahren haben. Na -- einen schönen Schrecken wird er da wohl gekriegt haben, denn er kennt seinen Bruder ganz genau. Aber ich will nun weiter nichts sagen gegen den gnädigen Herrn -- es hilft ja doch nichts mehr.«
Juanita seufzte tief auf.
»Wie seltsam das ist, Tina! Da hat sich all die Jahre ein Mensch um mich gekümmert -- und ich habe nichts davon gewußt. Und du hast ihm geschrieben damals nach meiner Verlobung, daß er kommen und helfen solle?«
Tina nickte.
»Na ja doch, Nitachen, ich war doch so in Angst um dich. Und wenn er den Brief zur Zeit bekommen hätte, dann wäre er doch wohl gekommen, und dann wäre wohl manches anders geworden, was nun nicht mehr zu ändern ist.«
Die junge Frau preßte die Hände zusammen.
»Ja, ja, Tina, aber -- nun ist es zu spät, zu spät!«
Tina strich energisch glättend über ihre Schürze.
»Herr Gott -- wenn ich dir doch damals gleich selbst die Augen geöffnet hätte. Ich habe mir jetzt schon manchmal gesagt, daß es besser gewesen wäre. Aber du warst so glücklich damals -- und ich dachte doch, wenn der Herr Dolf so eine Frau bekommt wie dich, dann muß er ja wohl gut mit ihr sein. Aber nein, nein -- er ist eben der alte geblieben.«
Juanita stützte den Kopf in die Hand.
»Sag mal, Tina -- warum verkehren eigentlich Horsts nicht mit meinem Mann und seinen Eltern?«
Die alte Dienerin machte ein unbehagliches Gesicht.
»Ach, Kindchen, das sind alte traurige Geschichten, damit sollst du dir das Leben nicht auch noch schwermachen.«
»Aber sage mir wenigstens, warum Gerd niemals wieder nach Hause gekommen ist.«
Tina strich unschlüssig am Saum ihrer Schürze entlang.
»Ja, siehst du, Nitachen, das hängt eben auch mit der alten Geschichte zusammen.«
»Sag mir doch, was das für eine Geschichte ist, Tina.«
»Ach -- darüber spreche ich nun mal nicht gern, es tut nicht gut.«
»Auch zu mir nicht, Altchen? Hast du denn kein Vertrauen zu mir?«
»Ja doch, ja doch, Nitachen! Na -- schließlich bist du ja nun alt genug, um das zu verstehen. Also siehst du -- der Herr Gerd und seine Stiefmutter, die haben keinen guten Faden gesponnen. Er hat sie rechtschaffen gehaßt und sie ihn auch.«
»Aber warum, Tina?«
»Ich will es dir sagen, du wirst doch zu keinem Menschen davon sprechen?
»Nein, gewiß nicht.«
»Nun also -- aber warte, erst will ich mal sehen, ob keiner von den Leuten hier herumhorcht.«
Tina blickte über die Veranda und öffnete alle Türen. Dann kam sie zu Juanita zurück und sagte leise:
»Also höre, Nitachen. Herrn Gerds Mutter ist doch so jung gestorben. Ich war damals schon im Hause, und da war allerlei vorher geschehen. Die Stiefmutter von Herrn Gerd, die damals ein sehr schönes Mädchen war und die unsere selige, gnädige Frau in ihrer Güte beschützt hat, ist viel im Hause gewesen. Und sie hat unserem gnädigen Herrn immer Augen gemacht -- mir ist es heiß und kalt über den Rücken gelaufen, wenn ich's gesehen habe. Unsere selige gnädige Frau -- ich meine Herrn Gerds Mutter -- ist dann wohl auch dahintergekommen, daß zwischen dem gnädigen Herrn und der jetzigen Gnädigen etwas war. Sie ist immer so blaß und mit verweinten Augen herumgegangen und hat halbe Nächte lang an Herrn Gerds Bettchen gekniet und leise vor sich hin geweint. Mir hat manchmal das Herz weh getan, aber ich habe mir nichts anmerken lassen. Unfrieden und Herzeleid hat es gegeben, und der gnädige Herr ist auch herumgelaufen, als drücke ihn eine Schuld. Aber die andere -- ich meine deine Frau Schwiegermutter -- hat gelacht und hat ihm Augen gemacht und ist nicht, wie sich's wohl gehört hätte, weit fortgegangen. Ja -- und dann haben wir eines Morgens Herrn Gerds Mutter tot im Bett gefunden. Am Abend vorher hat sie schon ausgesehen wie eine Tote, so blaß und elend, und um zwei Uhr in der Nacht habe ich sie noch aus Herrn Gerds Schlafzimmer kommen hören. Es hat dann geheißen, sie hätte aus Versehen zuviel giftige Medizin genommen, aber siehst du -- o recht hat niemand dran geglaubt, und Gott verzeihe mir, wenn's eine Sünde ist -- ich auch nicht. Der gnädige Herr ist ja erst fast von Sinnen gewesen vor Entsetzen, aber -- dann ist die andere doch bald Frau Falkner geworden. Der arme Herr Gerd aber, der hat sich bald die Augen ausgeweint nach seinem Mütterchen und hat die Stiefmutter nicht ansehen mögen. Sie hat sich auch nicht um ihn gekümmert, und da bin ich dann zu ihm geschlichen und habe ihn getröstet. Später hat er aber allerlei gehört, und er hat auch einen Verdacht gehabt, dass seine Mutter nicht aus Versehen zuviel Medizin genommen hatte, sondern -- das will ich lieber nicht aussprechen.«
Juanita saß blaß und regungslos da und sah die alte Dienerin entsetzt an.
»Mein Gott, Tina -- das ist ja schrecklich! Wie muß da dem armen Gerd zumute gewesen sein! Ach -- nun versteh ich sehr gut, warum er nie mehr nach Hause kam.«
Tina nickte eifrig.
»Nicht wahr, Nitachen! Er hat es damals kaum erwarten können, bis er mündig war und sein Vermögen ausgezahlt bekam, das ihm von der Mutter aus zukam. Vorher hatte ihn der gnädige Herr nicht fortgelassen.«
Die junge Frau atmete tief auf.
»Ach, Tina -- wie schwer und dunkel ist doch das Leben.«
»Ja, ja, Nitachen -- es hat so jeder sein Päckchen zu tragen, der eine schwerer, der andere leichter. Ich möchte nur wissen, ob ich meinen Herrn Gerd noch einmal sehe, ehe ich sterbe.«
Nita lächelte, sich gewaltsam von düsteren Gedanken befreiend.
»Willst du ihn gleich sehen, Altchen? Soll ich dir sein Bild vorzaubern?«
Tina lachte.
»Ach, Nitachen, du treibst deinen Spaß mit mir. Aber tue es nur immerhin, wenn es dich ein bißchen aufheitert.«
»Nein, nein, Tina, ich meine es ganz ernst. Hier -- sieh dir das einmal an -- das ist das Bildnis von Dr. Gerhard Falkner.«
Sie reichte Tina die Zeitschrift mit Gerds Bild.
Die alte Dienerin war ganz aus dem Häuschen vor Freude über den unerwarteten Anblick.
»Ach, du mein lieber Gott! Ja, ja -- das ist er! Was ist er nun für ein berühmter Mann geworden, daß sein Bild in die Zeitung kommt! Und so schmuck und männlich sieht er aus! Aber einen Bart hat er noch immer nicht!« rief sie, die Augen nicht von dem Bild lassend.
»Solch ein Gesicht braucht keinen Bart, um männlich auszusehen, Tina.«
»Na, ja doch, er hat schon als ganz junger Mann immer so ernst und männlich ausgesehen. Ach, du mein Gott -- wenn sein Vater das Bild in die Hände bekommt, wie wird ihm da ums Herz werden! So stolz kann er sein auf diesen Sohn -- so stolz! Sieh nur -- hast du das gelesen, Nitachen? Der berühmte, kühne Forscher -- so steht es hier schwarz auf weiß. Ach Gott, was er wohl für gefährliche Reisen unternommen hat zu den wilden Völkern. Wenn das seine arme Mutter noch erlebt hätte, daß ihr Gerd so ein berühmter Mann geworden ist! Wie mir schon ums Herz ist, Nitachen, ich bin, weiß Gott, beinahe selber stolz und bin doch nur eine arme, alte Dienerin, die ihr Herz an ihn gehängt hat wie an dich.«
Juanita nahm die harte, verarbeitete Hand der alten Tina und legte ihre heiße Wange darauf.
»Liebes, gutes Altchen, du bist eine treue Seele. Und ich danke dir von Herzen, daß du mich liebhast wie Gerd. Wir können es dir gar nicht genug danken, daß du dich unser erbarmt hast. Und auch dafür danke ich dir, das du meinetwegen an Gerd geschrieben hast -- vor meiner Hochzeit. Er hat wohl den Brief nicht erhalten -- jedenfalls aber erst zu spät. Wahrscheinlich hätte er in diesem Falle auch weder helfen können noch wollen. Ich war ja so blind -- und nun muß ich tragen, was ich mir selbst angetan habe.«
Tina streichelte unbeholfen zärtlich über ihr Haar.
»Mein armes Nitachen -- Gott mag dir helfen«, sagte sie leise.
In demselben Augenblick fuhr draußen vor der Gartenpforte ein Wagen vor.
»Da kommt die gnädige Frau Schwiegermutter!« sagte Tina förmlich.
Nita hob den Kopf und strich sich hastig über die Augen. Mit bangen Blicken sah sie der eleganten Erscheinung entgegen, die durch den Garten auf das Haus zuschritt.
»Da, Tina -- nimm dir die Zeitung mit und sieh sie dir in Ruhe an. Wenn du fertig bist, lege sie in meinem Zimmer auf den Schreibtisch.«
»Ja, gnädige Frau, es wird alles besorgt«, erwiderte Tina laut, denn Frau Helene stieg soeben seidenrauschend die Verandatreppe empor, da sie ihre Schwiegertochter schon erblickt hatte.
Juanita erhob sich und ging ihr entgegen, während Tina verschwand.
»Guten Tag, Mama, es ist mir lieb, das du mich besuchst«, sagte die junge Frau artig, aber ohne Wärme, und ein Schauer rann ihr über den Rücken, als sie denken mußte, daß diese Frau vielleicht am Tode einer andern schuld sein könnte.
»Guten Tag, Nita! Du hattest wohl eben Konferenz mit deinem Hausminister? Dolf sagte mir, daß Tina jetzt gewissermaßen diesen überflüssigen Posten einnimmt. Unter uns, Kind, du könntest mir Tina wirklich wieder zurückschicken, ihr habt doch Leute genug -- und besser geschulte als die alte Köchin. Es ist ein bißchen lächerlich, daß du gerade sie gewissermaßen zur Aufseherin über die anderen gemacht hast.«
Nitas Gesicht rötete sich bei diesen spöttischen Worten, und ihre Lippen zuckten. Aber sie blieb ruhig und rückte ihrer Schwiegermutter einen Sessel zurecht.
»Tina ist mir jedenfalls unentbehrlich geworden, Mama, und da wir wirklich auf Dolfs Wunsch eine Anzahl überflüssiger Dienstboten im Hause haben, ist es mir eine Beruhigung, daß Tina die Aufsicht über sie führt.«
»Sie eignet sich doch gar nicht dazu.«
»Doch, Mama -- sie ist grundehrlich und mir treu ergeben. Ich kann mich auf sie unbedingt verlassen, das mußt du doch zugeben.«
»Nun ja, es ist ja auch schließlich deine Angelegenheit. Dolf erwähnte nur gelegentlich, daß Tina sich vielleicht allerlei anmaßen würde mit der Zeit.«
»Das wird nicht geschehen -- Tina hat sehr viel Herzenstakt.
Frau Helene lachte spöttisch und ein wenig gereizt.
»Herzenstakt? Du bist eine kleine Schwärmerin, Nita. Aber lassen wir das. Ist Dolf noch nicht zu Hause?«
»Nein, Mama! Nimmst du eine Tasse Tee?«
»Danke, nein. Ich will mich nicht lange aufhalten, habe noch einige Besorgungen zu machen und wollte nur einmal nach euch sehen. Wie geht es dir denn?«
»Danke, gut, Mama!«
»Und schmollst du noch immer mit Dolf?« fragte Frau Helene mit einem lauernden Seitenblick.
Nita hatte ihr gegenüber Platz genommen und sah sie groß und ernst an.
»Ich schmolle nicht, Mama.«
Frau Helenes Blick senkte sich in den Juanitas mit dem seltsam flimmernden Ausdruck, der ihren Augen eigen war.
»Nun, so nenne es ›zürnen‹ oder ›trotzen‹. Weißt du was, mein liebes Kind, du bist ein wenig zu sentimental und machst dir und Dolf das Leben unnötig schwer.«
Juanita wurde wie immer sehr unbehaglich unter Frau Helenes Blick, aber sie hielt ihn ruhig aus.
»Hat sich Dolf bei dir über mich beklagt?« fragte sie.
»Beklagt? Welch ein Ausdruck! Nein, Nita, nicht beklagt. Aber er hat mir gebeichtet, wie sehr er darunter leidet, daß du so schroff zu ihm bist und ihm jede harmlose Lebensfreude als Sünde anrechnest. Du mußt toleranter sein, mein Kind, und seiner Jugend Rechnung tragen. Männer sind nun mal anders geartet als wir Frauen, und guter Wein will gären und ausschäumen. Mache ihm doch keine Szenen und Vorwürfe, wenn er mal ein wenig über die Stränge schlägt. Eine kluge Frau beachtet das gar nicht und läßt die Zügel locker. Um so eher wird der Mann dann verständig.«
Juanita hatte ruhig zugehört. Ihre sonst so sanften, dunklen Augen blickten fest und kalt.
»Liebe Mama, du verkennst die Sachlage vollständig -- oder bist falsch unterrichtet. Ich mache Dolf weder Vorwürfe, noch verlange ich etwas von ihm, das gegen seine Natur geht. Er ist vollständig frei, zu tun und zu lassen, was er will. Ich verlange nur, daß er ebensowenig etwas von mir verlangt, was gegen meine Natur geht -- und damit wollen wir, bitte, diese Angelegenheit ruhen lassen, sie verträgt keine Berührung durch einen Dritten.«
Frau Helene war direkt erstaunt durch diese mit ruhiger Entschiedenheit vorgebrachten Worte. Bisher hatte sich die junge Frau stets in alles gefügt, was sie von ihr verlangte, hatte nie einen eigenen Willen geltend gemacht. Jetzt entwickelte sie plötzlich eine Energie, die verblüffend wirkte. Sie hatte geglaubt, es bedürfe nur weniger Worte, um Nita wieder ›vernünftig‹ zu machen, als Dolf sie gebeten hatte, ›seiner Frau einmal den Kopf zurechtzusetzen‹. Nun entwickelte aber Nita plötzlich eine so entschlossene Haltung, dass Frau Helene äußerst erstaunt war. Was war denn aus dem sanften, gefügigen Ding geworden?
Frau Helene wußte nicht, das Nita durch schmerzliche Erfahrung schnell gereift war, daß ihr weiblicher Stolz sich zur Wehr setzte gegen die Entwürdigung und Unterdrückung ihrer Person. In ihrer entschiedenen Haltung, ihrer unbeirrten Ruhe und Zurückhaltung sah Juanita das einzige Mittel, sich ihre Selbstachtung zu erhalten. Gedemütigt genug hatte sie sich gefühlt durch die Erkenntnis, daß sie sich einem Manne zu eigen gegeben hatte, der nur nach ihrem Gelde verlangte und dem sie selbst nur als eine Spielerei für wenige müßige Stunden gegolten hatte. Aber sie wollte sich nicht erneut von ihm demütigen lassen. Und deshalb wappnete sich die junge Frau mit ihrem Stolz und beharrte auf ihrem Standpunkt.
Als sich Frau Helene von ihrem Erstaunen erholt hatte, versuchte sie freilich nochmals, Dolfs Partei zu ergreifen. Sie ließ dabei ihre Blicke bannend auf Juanita ruhen, als wolle sie dieser ihre eigene Meinung suggerieren. Aber diese Blicke hatten alle Macht über Nita verloren. Nur das leise Grauen vor ihrer Schwiegermutter riefen sie wieder in ihr wach, ein Grauen, das durch Tinas Erzählung neue Nahrung gefunden hatte.
Frau Helene verabschiedete sich bald und sichtlich gekränkt, als sie merkte, daß ihre Schwiegertochter nicht mehr von ihr zu beeinflussen war.
Juanita sah ihr mit einem dunklen, gequälten Blick nach.
Wie anders hätte sich wohl mein Leben gestaltet, wenn statt dieser Frau Gerds Mutter ihre Hände über mich gehalten hätte, so wie es mein Vater gewollt hat, dachte sie schmerzlich bewegt.
Und eine starke Sehnsucht erwachte in ihr, frei zu sein, frei von der Fessel, die ihre Seele wund und ihr Leben freudlos machte, von der Fessel, die sie an Dolf Falkner band.