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Juanita war in einer seltsamen Stimmung nach Hause gekommen. Sie quälte sich nicht mit unruhigen Gedanken. Eine tiefe Freudigkeit, ein stilles Glücksgefühl waren in ihrer Seele, wie sie es nie gekannt hatte. Kein Vorwurf wurde in ihr gegen sich selbst wach, daß ihre Seele Gerd Falkner entgegengeflogen war. Ihr Empfinden war lauter und rein. Sie war sich bewußt, ihrem Gatten nichts zu nehmen, worauf er ein Anrecht hätte. Das, was sie Gerd entgegenbrachte, hatte Dolf nie gehört, würde ihm nie gehören. So losgelöst bis ins Innerste von Dolf kam sie sich vor, daß sie sich wie selbstverständlich das Recht nahm, ihr bestes, reinstes Empfinden einem Mann zu schenken, der ihr schon seit ihren Kindertagen ein treuer Helfer und Freund gewesen war, zu dem sie gläubig und vertrauend aufblickte wie zu einem Ideal.
Von diesem Tage an lag eine stille Freudigkeit über ihrem Wesen, die nichts erschüttern konnte. Und sie blühte wieder auf wie eine Blume, die neue Nahrung und wärmenden Sonnenschein erhalten hatte.
Zugleich kam sie sich innerlich vollends losgelöst von ihrem Gatten vor. Sie teilte nichts, gar nichts mehr mit ihm als die formellen Mahlzeiten. Sonst gehörte sie sich ganz allein.
Tina hatte sofort nach ihrer Heimkehr ihrer jungen Herrin Gerds Auftrag ausgerichtet. Mit einem Lächeln hörte Nita zu, und dann umfaßte sie die alte Dienerin und sagte aufatmend:
»Ich habe ihn selbst noch gesehen und gesprochen, mein Altchen, wir begegneten einander noch einmal. Und ich bin sehr, sehr froh darüber.«
Gerd Falkner konnte seine Ruhe nicht wiederfinden. Seine Begegnung mit Juanita hatte sein ganzes Wesen in Aufruhr gebracht. Während der beiden Tage, die er noch bei seinen Verwandten weilte, trieb ihn eine fieberhafte Unrast umher.
War er allein, so stand er am Fenster und wünschte sich brennend, Nita möge vorübergehen oder -fahren. Ging er auf der Straße, so sah er jedem schlanken, weiblichen Wesen erwartungsvoll entgegen, in der Hoffnung, Nita zu erkennen. Wenn seine Verwandten mit ihm sprachen, so mußte er seine Gedanken zu ihnen zurückzwingen, und im Wachen und im Traum sah er Nitas süßes Gesicht, ihre dunklen, wundersamen Augen vor sich.
Am Nachmittag desselben Tages, an dem er mit Nita zusammengetroffen war, mahnte ihn Lotti an sein Versprechen, mit ihr auszugehen. Willig ging er darauf ein und bummelte mit ihr durch die Straßen. Bei Frohne erstand er ihr eine Bonbonniere, die nach Lottis Ausspruch »traumhaft schön« und »riesengroß« war. Auch einen Strauß herrlicher Rosen kaufte er ihr, und sie ging stolz und beglückt an seiner Seite und wünschte sich brennend, das Dr. Bruckner ihnen begegnen möge, damit er ihren Triumph erlebe.
Dieser Wunsch sollte ihr in Erfüllung gehen; als sie über den Marktplatz gingen, begegnete ihnen Bruckner wirklich.
Lotti zeigte ihm mit jubelnder Wonne ihre Schätze.
Er machte übertrieben neidische Augen.
»Hm! Wollen Sie denn all diese herrlichen Süßigkeiten allein verzehren? Ich wünschte, ich könnte mithalten«, sagte er begehrlich, seine Blicke nicht von ihrem freudestrahlenden Gesicht lassend.
Sie sah ihn erstaunt an.
»Mögen Sie Pralinen auch so furchtbar gern, Herr Doktor?
Er legte die Hand aufs Herz und sah verzückt gen Himmel.
»Leidenschaftlich gerne«, log er gewissenlos.
»Ach, das habe ich ja gar nicht gewußt. Ich denke, berühmte Männer sind über solche Schwächen erhaben.«
»Ich nicht, Fräulein Lotti.«
»Nun, dann sollen Sie mir beim Verzehren dieser Herrlichkeiten Gesellschaft leisten, wenn Sie wieder zu uns kommen.«
»Wird denn dann noch etwas für mich übrig sein?« erkundigte er sich sehr besorgt.
Sie nickte lachend.
»Ich werde dafür sorgen, daß Sie Ihren Anteil bekommen. Die schönsten Pralinen suche ich Ihnen aus.«
Er seufzte vor Wonne, sich in den Anblick ihres Gesichtchens vertiefend.
»Das Leben ist doch schön«, zitierte er begeistert.
Lotti lachte.
»O Gott, solch ein Süßigkeitsschwärmer sind Sie, Herr Doktor?«
»Wenn die Süßigkeiten danach sind, ja«, versicherte er mit einem so strahlenden Blick in ihr Gesicht, daß sie errötete und zur Seite blickte.
Gerd hatte lächelnd dabeigestanden.
»Gehen Sie noch ein Stück mit uns, Herr Doktor, oder ist Ihre Zeit schon anderweitig besetzt?« fragte er freundlich.
»Wenn ich nicht störe, schließe ich mich gern an.«
So gingen sie, Lotti in der Mitte, zu dreien weiter.
»Ach Gott -- ist das herrlich«, seufzte die junge Dame.
»Was ist denn so herrlich?« erkundigte sich Bruckner, während Gerd in Gedanken versunken nebenherschritt. Lotti seufzte glückselig auf.
»Eine Riesenbonbonniere, einen herrlichen Rosenstrauß und rechts und links zwei Kavaliere, deren Ruhm die ganze Welt verkündet, dazu Sonnenschein und tausend neugierige Augen --ich komme mir sehr bedeutend vor.«
Bruckner lachte warm und herzlich.
»Sie sind ein Kindskopf, Fräulein Lotti -- aber ein sehr lieber«, sagte er, seine Augen mit aufleuchtendem Blick in die ihren senkend.
Erst wollte sie protestieren, wies den »Kindskopf« zurück und wollte als »Dame« respektiert werden. Aber als seine Augen so leuchtend in die ihren trafen, schwieg sie still. Schweigend schritten sie dann nebeneinander her und bogen in eine stille Seitenstraße ein. Da kam ihnen ein Wagen entgegen.
»Du, Gerd -- da kommt der Falknersche Wagen, die beiden Damen sitzen darin -- verstecke dich schnell hinter Dr. Bruckner, damit dich deine Stiefmutter nicht sieht«, sagte Lotti schnell.
Gerd zuckte zusammen und trat hinter Bruckner zurück.
Aber seine Augen wandte er nicht ab. Und da sah er im Fond des Wagens seine Stiefmutter sitzen, stolz, kalt und hochelegant gekleidet, noch immer eine schöne Frau. Aber Gerds Augen streiften sie nur flüchtig, denn neben ihr saß eine schlanke, junge Frau mit großen, dunklen Augen, die verloren und sehnsüchtig vor sich hinblickten.
Wie gebannt ruhten Gerds Augen auf dem süßen Gesicht mit dem warmen, südlichen Kolorit. Und es war, als ob Nita seinen Blick gefühlt hätte. Noch im letzten Moment, ehe der Wagen vorüberfuhr, hob sie die Augen und sah ihn an. Eine jähe Röte stieg in ihre Wangen, und ihr Blick grüßte ihn leuchtend. Unwillkürlich hatte sie eine hastige Bewegung gemacht. Ihre Schwiegermutter wandte sich ihr fragend zu.
»Was war denn, Nita?«
Schon war der Wagen an Gerd und seiner Begleitung vorüber.
Nita hatte sich schnell gefaßt.
»Nichts, Mama, ich habe mir nur an einer Nadel wehgetan«, sagte sie rasch, um ihre Schwiegermutter nicht auf Gerd aufmerksam zu machen.
Lotti hatte dem Wagen nachgesehen.
»Gerd, hast du deine junge Schwägerin gesehen? Sag, ist sie nicht ein süßes Geschöpf? Ich schwärme für sie, sie ist so schön und gewiß auch gut. Aber sie sieht fast immer traurig aus, gar nicht, als ob sie sehr glücklich wäre.«
Gerd drückte Lottis Arm an sich.
»Du bist ein gutes Kind, liebe, kleine Lotti.«
Dr. Bruckner lenkte Lotti aber schnell wieder ab von ihren ernsten Betrachtungen, und bald plauderten die beiden wieder frisch drauflos.
Gerd aber schritt stumm an ihrer Seite und dachte an Nita.
Am nächsten Abend war Dr. Bruckner bei Horsts zum Souper eingeladen, und als der Nachtisch serviert wurde, brachte Lotti ihre Bonbonniere herbei. Sie setzte sich neben Bruckner.
»So, Herr Doktor, jetzt wollen wir zwei uns mal gründlich an Gerds süßer Stiftung laben. Ich habe schon eingehende Versuche angestellt. Sehen Sie, diese in dem roten Stanniol -- die sind famos, und dann kann ich auch diese Halbmonde sehr empfehlen, da ist Maraschinocreme drin, und diese hier sind mit Likör gefüllt. Also, bitte, zulangen.«
Bruckner sah mit Schrecken, daß er Süßigkeiten schlucken mußte. Lotti ließ nicht nach, ihn damit zu traktieren. Er hielt sich wenigstens an die mit Likör gefüllten Pralinen.
»Aus purer Menschenliebe vertilge ich die, Fräulein Lotti, das ist nichts für Sie, davon bekommen Sie eine rote Nase«, scherzte er.
»Wirklich? Bekommt man davon eine rote Nase?« fragte sie lustig.
»Von dem Likör -- ganz sicher.«
Da entzog sie ihm energisch die Likörbonbons.
»Dann sollen Sie auch nicht davon nehmen. Ich kann mir nicht denken, daß Sie durch eine rote Nase sonderlich verschönt werden.«
Alle lachten, und Frau Gertrud erbarmte sich Bruckners und konfiszierte für heute die Bonbonniere.
»Es ist mir weniger um die roten Nasen zu tun als um einen verdorbenen Magen«, sagte sie lachend.
»Aber Mutti«, schmollte Lotti, »der Herr Doktor ißt doch so furchtbar gern Süßigkeiten, laß ihn doch noch zulangen.«
»Nein, nein, ich danke sehr, ich habe wirklich reichlich genug«, beeilte sich Bruckner zu versichern.
Lotti zuckte die Achseln.
»Sie sind aber sehr schnell zufrieden gestellt, Herr Doktor.«
»Ich bekämpfe die unmännliche Schwäche, Fräulein Lotti, und außerdem will ich Sie nicht mehr berauben.«
»Ach -- ich gebe Ihnen wirklich gern noch mehr ab.«
»Ein andermal, Fräulein Lotti«, sagte er und küßte zum Dank ihre Hand.
Da wurde sie sehr rot.
Frau Gertrud entging das nicht. Sie bemerkte aber auch, daß Gerd sehr still und zerstreut schien. Sie hatte ihn schon seit gestern besorgt beobachtet.
Nach Tisch war sie ein Weilchen mit ihm allein. Lotti neckte sich im Nebenzimmer mit Bruckner und ihrem Vater. Da fragte Frau Gertrud leise:
»Hast du Unannehmlichkeiten gehabt, Gerd?«
Er drückte ihr beruhigend die Hand.
»Nein, Tante Gertrud.«
»Konntest du gestern Tina sprechen?«
»Ja, es klappte ganz vorzüglich, alles ging gut.«
»Du scheinst aber keine beruhigende Auskunft bekommen zu haben.«
Er atmete gepreßt.
»Beruhigend? Nein, Tante, ich weiß jetzt, das Juanita nichts weniger als glücklich geworden ist mit meinem Bruder. Aber helfen und ändern kann ich nichts. Sie trägt ihr Los sehr ruhig und tapfer. Bitte, laß uns nicht mehr davon reden -- es quält mich.«
Sie strich ihm mütterlich besorgt über die Stirn.
»Nimm es nicht zu schwer, Gerd. Du bist noch immer der alte, der sich gern quält. Sei doch vernünftig, du hast doch keine Schuld daran.«
Er küßte ihre Hand und lächelte.
»Nein, Tante Gertrud, gewiß nicht. Und vernünftig will ich auch sein -- laß mich nur erst wieder bei meiner Arbeit sein.«
Von seiner Begegnung mit Nita sprach er nicht.
Am nächsten Morgen reiste Gerd wieder ab. Albert Horst hatte ihn zum Bahnhof begleiten wollen, wurde aber im letzten Moment durch einen wichtigen geschäftlichen Besuch abgehalten. Die beiden Damen waren nicht zum Ausgehen fertig und konnten ihn deshalb nicht begleiten. So begab er sich nach herzlichem Abschied allein zum Bahnhof. Er nahm kein Fahrzeug, weil er vor der langen Eisenbahnfahrt ein Stück gehen wollte.
Ein Diener war mit seinem Koffer vorausgegangen. Gerd schritt die Lessingstraße hinab, dann über einen großen Platz und die städtische Promenade entlang bis zur Bahnhofstraße.
Er war froh, von L… wieder fortzukommen. Ihn verlangte nach anstrengender Tätigkeit, die seine Gedanken ablenken sollte von dem, was sein Herz erfüllte. Hier hatte er zuviel Zeit gehabt, an Nita zu denken und an die Möglichkeit, ihr nochmals zu begegnen. Er fühlte die Notwendigkeit, sich abzulenken, damit er seine Ruhe wieder fände.
Als er nun, in Gedanken verloren, in die Bahnhofstraße einbog, merkte er, daß ihm plötzlich jemand den Weg vertrat. Er blickte hoch und erschrak bis ins tiefste Herz. Vor ihm stand sein Vater. Er war vollständig ergraut und sah blaß und vergrämt aus. Gerd fühlte sich tief erschüttert, als er in die schlaffen, müden Züge des alten Herrn blickte.
Wie angewurzelt blieben sie eine Weile voreinander stehen und sahen sich an.
»Vater!« rief Gerd endlich, als er sich gefaßt hatte, in herzlich bittendem Ton.
Bernhard Falkner richtete sich aus seiner gebeugten Haltung auf, und über sein Gesicht flog ein Leuchten.
»Ich habe gehört, daß du in L… bist, Gerd, unser alter Buchhalter Steckner hat dich gestern gesehen und sagte es mir. Da bin ich heute morgen in die Lessingstraße gegangen, weil ich hoffte, dich wenigstens von weitem zu sehen. Und da kam gerade ein Diener mit einem Koffer aus dem Horstschen Haus. Auf dem Koffer konnte ich die Buchstaben G. F. erkennen. Ich folgte dem Diener, weil ich glaubte, du wärest schon auf dem Bahnhof -- im Begriff abzureisen. Aber der Diener setzte sich am Bahnhof wartend auf eine Bank. Und da kehrte ich um und wartete hier auf dich.«
Der alte Herr hatte das halblaut und mit unterdrückter Bewegung gesagt. Gerds Herz klopfte stark und freudig. Ein heller Glanz trat in seine Augen. Schnell faßte er des Vaters Hand mit warmem Druck.
»Du hast mich sehen wollen, Vater, du wolltest mir begegnen?«
»Ja, da du den Weg ins Vaterhaus nicht mehr findest«, sagte der alte Herr schmerzlich und bitter.
Gerd preßte dessen Hand fest in der seinen.
»Hast du denn gewünscht, daß ich kommen sollte, Vater?«
Der alte Herr sah mit einem langen, gequälten Blick in Gerds Augen.
»Bist du nicht mein Sohn? Wäre es nicht unnatürlich, wenn ich es nicht gewünscht hätte?«
Gerd zögerte eine Weile, dann sagte er leise:
»Ich habe es nicht gewußt, Vater, und glaubte, du grolltest mir und wolltest mich nicht sehen.«
Nun preßte Bernhard Falkner die Hand seines Sohnes.
»Nein, nein, ich grolle dir nicht -- längst nicht mehr. Ich habe verstehen gelernt, das du gingst -- und daß du nicht wiederkamst.«
»Vater -- lieber Vater!« rief Gerd, schmerzlich betroffen durch den düsteren Ausdruck in des Vaters Gesicht.
Der atmete gepreßt und winkte ab.
»Laß nur, mir ist geschehen, was ich verdiente. Aber -- nun ist die Sehnsucht nach dir in mir gewachsen -- so groß, daß ich nicht widerstehen konnte, und so wartete ich nun hier auf dich.«
Gerd war tief ergriffen.
»Vater, lieber Vater -- hab Dank für dieses Wort. Auch ich hatte grenzenlose Sehnsucht nach dir, aber ich wartete, bis du mich rufen würdest.«
»Und wenn ich dich nun rufe? Wirst du noch immer mein Haus meiden?«
Gerds Augen strahlten.
»Nein, Vater, nein -- jetzt nach dieser Stunde fürchte ich nicht mehr, daß noch etwas trennend zwischen uns steht. Du hast mir dein Herz wieder aufgetan, so finde ich auch den Weg wieder zu dir. Jetzt muß ich zwar abreisen, aber ich werde wiederkommen, wenn mich meine Arbeit einmal losläßt. Und dann Vater -- dann komme ich zu dir.«
Bernhard Falkner atmete auf. Ein mattes Lächeln spielte um seinen Mund.
»Darauf will ich warten -- laß es nicht zu lange dauern.«
»Nein, Vater, ich habe aber noch für längere Zeit Verpflichtungen, da kann ich so schnell nicht abkommen.«
Wieder lächelte der alte Herr, diesmal mit einem stolzen Aufleuchten der Augen.
»Bist ein berühmter Mann geworden, Gerd, ein ganzer Mann. Ich bin stolz auf dich, du hast doch den rechten Beruf für dich erwählt. Dieser Stolz auf dich hat mich aufrechtgehalten -- als mein Glauben an deinen Bruder zusammenbrach. Es war ein schwerer Schlag für mich -- aber ich darf mich nicht beklagen, alle Schuld rächt sich auf Erden.«
»Vater -- lieber Vater!« rief Gerd beschwörend.
Dieser winkte mit bitterem Lächeln ab. Und dann sagte er, sich zusammenreißend:
»Nun geh, mein Sohn, du versäumst sonst deinen Zug. Geh mit Gott -- und -- auf Wiedersehen.«
»Auf Wiedersehen, Vater.«
Sie sahen sich groß und ernst in die Augen und hielten sich fest bei den Händen.
»Und schreibe mir in Zukunft nicht mehr so lapidar wie bisher, bat der Vater.«
»Nein -- da ich nun weiß, daß ich zu deinem Herzen dringe mit meinen Worten, will ich dich gern an allem teilnehmen lassen, was mich bewegt. Lebe wohl, lieber Vater, und nochmals -- heißen Dank, daß du mich wiedersehen wolltest.«
Sie trennten sich, und in beider Herzen war ein trennender Wall niedergerissen worden mit dieser kurzen Begegnung. In einer seltsam weichen Stimmung saß Gerd in dem Zug, der ihn wieder in die Welt hinausführte. Diese kurzen Tage in seiner Vaterstadt hatten einen tiefen Eindruck auf ihn gemacht, hatten ihn bis ins Innerste erschüttert. Die Begegnung mit dem Vater hatte viel Bitterkeit in seiner Seele ausgelöscht, und die Begegnung mit Nita hatte seinem ganzen Dasein eine andere Note gegeben, hatte ihn seltsam verändert.
Mit geschlossenen Augen lag er in das Polster zurückgelehnt und ließ in sich ausklingen, was in ihm lebendig geworden war. Des Vaters Schuld -- wie war sie klein geworden in seinen Augen, da er jetzt selbst wußte, wie leicht es war, schuldig zu werden.
An seinem Reiseziel angekommen, erwartete ihn anstrengende Tätigkeit. Mit einer wilden Energie stürzte er sich in die Arbeit und suchte damit alles in sich zu betäuben, was unruhevoll in sein Leben getreten war.
Aber so sehr er sich in seine Arbeit versenkte, das süße, holdselige Frauenantlitz konnte er nicht aus seiner Erinnerung drängen. Mitten in der Arbeit preßte er oft die Hände vor die Augen und rief sehnsüchtig einen Namen, der jetzt für ihn die Seligkeit der ganzen Welt umfaßte. Und er rief sich jedes der Worte ins Gedächtnis zurück, die Nita zu ihm gesprochen hatte. Wenn er an seinen Werken arbeitete, die er später herausgeben wollte, dann war es, als wenn er alles einzig und allein für Nita niederschrieb, und zwischen den Zeilen standen dann oft heiße, zärtliche Worte für sie.
Es half dann nicht viel, daß er sich selbst zur Ordnung rief, daß er sich wieder und wieder das drohende Wort vorhielt: »Du sollst nicht begehren -- deines Bruders Weib.« Er stürzte sich dann immer wieder mit verbissenem Grimm auf seine Arbeit und suchte sich zu bezwingen -- bis die Sehnsucht wieder heiß und flammend emporwuchs.
Trotz aller Selbstzucht vermochte er nicht ruhig wie ein Bruder an Nita zu denken.