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Der Plan, den Don Carlos und Fernando bei der Abreise des Grafen von Kreuz einstimmig gefaßt hatten, war auch wirklich nach Jahresfrist durchgesetzt. Carlos war nach den ersten Tagen des Wiedersehens zurück nach Sevilla gereist, und nach Verlauf von wenigen Wochen hatte er alle seine Güter und Habseligkeiten in Gold verwandelt, um es mit Fernando und Valeria Zeitlebens theilen zu können. –
An der Stelle der ärmlichen Hütte, die Fernando bewohnt hatte, stand jetzt ein Lustgebäude, voll Anmuth und Geschmack. Längs dem Ufer des Stromes hin war der Boden mit größter Mühe veredelt worden, es prangte ein herrlicher Garten zu beiden Seiten des Schlosses mit allen Arten von fruchtbaren Bäumen und duftenden Gesträuchen und Gewächsen. Auf den Felsen, wo das Kreuz gestanden, zu dem Fernando täglich zum Gebete hinangestiegen, war eine Kapelle im italienischen Style erbaut worden. Da verrichtete die edle Familie unter dem Vortritt des frommen Franzesko, der in der Woche zweimal aus dem Kloster über das Gebirge herunter stieg, mit Demuth und Gottesfurcht ihre Andacht. –
Luziens Bruder, der ehrliche Fischer, mit seinem Weibe und seinen Kindern, war nun auch nach Almeria gezogen. Denn Fernando hatte ihn aus Dankbarkeit gegen das Gute, das er seiner Gemahlin in den Tagen des Unglückes erwiesen, zum Verwalter der angekauften Güter gewählt. Alexis aber blieb, wie zuvor, der nächste Diener seines Herrn. Denn von dieser Stellte wollte er durchaus sich nicht entfernen lassen. –
So waren dieser allgemeinen Familie mehrere Jahre in der größten Glückseligkeit verflossen – und der Gedächtnißtag des Wiedersehens unter diesen Felsen erschien aufs Neue.
Es war ein herrlicher Sommerabend, da sie hinauswandelten in den duftenden Garten, um in der Stille der Dämmerung gegenseitig ihre frohen Empfindungen sich mitzutheilen, die Augenblicke jenes Wiedersehens zurückzurufen, und Gott auf's Neue einstimmig zu danken. –
In der Mitte des Gartens erhob sich über einem schwarzen Marmorsteine eine Urne aus Alabaster. – Da hinan waren zuerst Aller Schritte gerichtet. Denn es ruhten unter diesem Steine die letzten Gebeine des alten Grafen de Vellamare, die Carlos auf seiner letzten Reise nach Sevilla aus dem Todtengarten mitgenommen hatte.
Valeria lehnte an der Urne, und – weinte. Am Fuße des Steines saß der Sohn Fernando und streute Blumen. Carlos aber und Fernando und Franzesko standen unter der Trauerweide, die ihre Zweige über die Urne herüberbog und sangen:
Schlafe, schlafe, schlafe leise!
Drinnen empfindest du keine Pein.
Kurz ist der Weg, und kurz die Reise!
Warte, wir schlafen auch bald ein!« –
Langsam und wehmüthig gestimmt wandelten sie jetzt in die Laube. – Ein sanfter Abendwind spielte in den Blättern der Bäume; leichte Wellen schlugen an's Stromesufer, und Nachtgeier flatterten hie und da in ihre Felsennester; oder es klang von den Hügeln des andern Ufers aus den sanften Kehlen der Hirtenmädchen eine spanische Romanze. Sonst aber wurde die Abendstille durch kein Geräusch unterbrochen. In der friedlichsten Heiterkeit stieg der Vollmond aus den östlichen Kastanienwäldern, und sandte seine Strahlen durch die Orangenzweige der Laube.
Sie sprachen einstimmig und mit Rührung von jenem Wiedersehen. – Da tönten mit einem Male Waldhörner in ihrer Nähe. Und eine männliche, tiefe Stimme sang:
»Und der Herr dort über dem Firmament,
Wo sein mächtiger Arm in den Sternen brennt,
Hat erhört mein kindliches Flehen.
Ich werde noch einmal glücklich sein –
Und jubelnd mich seiner Gnade freu'n –
Ich werde nicht untergehen.« –
Fernando, der sich wohl erinnerte, wo er ehemals dieses Lied gesungen, ahnete sogleich, wer der Urheber dieser Ueberraschung sein möge. Er trat aus der Laube, und lag in den Armen des edlen Grafen von Kreuz.
Voll reiner Herzlichkeit war die gegenseitige Begrüßung, da Fernando den Grafen in die Laube einführte. – »Mein Geschäft ist vollendet,« begann Letzterer. »In meinem Vaterlande hält mich nichts mehr zurück. Ich habe kein Weib, keine Kinder. – Ich will bei euch bleiben und wohnen bei euch, bis mich der Tod abruft, damit ihr mich begrabt unter die Schatten der Cypressen. Mein Vermögen sei das eurige.« –
Alle reichten ihm mit Freuden die Hand – und er umarmte sie Alle. »Doch höret,« sprach er nach einer Weile: »ich habe noch einen Mann bei mir, der zu unsrer großen Familie gehört.« –
Ein Pilger trat in die Laube. Er fiel zuerst vor Valeria, dann vor Fernando nieder. »O verzeiht,« rief er, »verzeiht mir das Unheil, das ich angestiftet. Ich habe es nicht gewollt.« –
Es war der treue Diener Fernando's aus jenen glücklichen Zeiten.
Valeria und Fernando hoben ihn von der Erde, und hatten eine unbeschreibliche Freude, auch diesen wieder zu sehen. »Ach,« fuhr der Diener fort: »ich habe mein vorschnelles Wesen wohl schon gebüßt. Bald nach dem traurigen Ereignisse auf dem Landgute ist mein liebes, krankes Weib gestorben. Jahrelang irrt' ich umher ohne Rast und Ruhe. Ich habe euch überall gesucht, edler Herr, aber nirgends gefunden. Nun eben bin ich zurückgekehrt von Toledo aus der alten heiligen Wallfahrtskirche a la Viegue del Sagrario. Diesen frommen Weg hab' ich mir zum Gelübde gemacht, damit ich euch und eure Familie wieder sehen sollte.«
»Auf meiner Reise in dieses Gebirgsthal,« fiel der Graf von Kreuz ein, hab' ich diesen Mann getroffen. – Er hat mir sein Vertrauen geschenkt, und die traurige Geschichte der Vergangenheit erzählt. Sonst hätt' ich ihn euch wohl nicht zuführen können.«–
»Nun sind wir Alle beisammen,« sagte Fernando nach einer Weile, indem er voll Freude im Kreise herumsah: »Wer von uns hätte an diese frohen Stunden je wieder einmal denken können? Gottes Güte währet doch ewig.«
»Amen,« antworteten sie Alle, wie aus Einem Munde. –
»Geist meines Vaters!« rief Valeria und faltete die Hände: »diese seligen Stunden hast du bei Gott für uns erfleht! – O sieh jetzt herab und segne uns!« – »Laßt uns knieen!« sagte Franzesko: »unser letzter Gedanke in dieser feierlichen Nacht sei ein Dankgebet zum Himmel!« – Und sie sanken auf ihre Kniee. –
Das Mondlicht stand in der schönsten Mitternacht, die von den Glocken der Klosterthürme herüber verkündet wurde. – Und der Engel des Friedens schwebte lächelnd hernieder, und breitete segnend seine Arme aus über das Thal von Almeria.