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Erste Abteilung.


Erstes Kapitel.
Das Stiergefecht.

In einer der anmuthigsten Gegenden von Spanien, unweit der Stadt Sevilla, lag auf einer üppigen, blumigen Anhöhe unter den sinnreichsten, zierlichsten Anlagen, die das Auge des Wanderers überraschten, der Landsitz des alten Grafen de Vellamare, ehemals die stolzeste Burg spanischer Rittersleute. Das Schloß selbst, ein fast unzerstörbares Meisterstück alter Bauart, hob sich mit seinen vier mächtigen Thürmen über die dunkeln Kastanienwälder in die Höhe der Wolken so majestätisch empor, daß es von den Bewohnern naher und entfernter Gegend der Stolz des Thales genannt wurde. Auf der Rückseite des Schlosses thürmte sich der Hügel zu einem hohen, von hinten unbesteigbaren Felsen. Von der vordern Seite war das Gebäude mit einem Walle umschanzt, der einen tiefen Graben in sich einschloß; und ein nahe am Fuße des Hügels vorbeirauschender Strom machte es vollends sicher vor jedem Angriffe von Außen. Doch war das Rauhe der altritterlichen Bauart des Schlosses selbst durch liebliche Anlagen in der Umgebung einigermaßen gemildert worden. Die schattigsten Lustgänge von Ahornbäumen schlängelten sich drei- und viermal am Hügel hinauf, Blumen aus den fernsten Ländern prangten wohlduftend im Garten und unter den Fenstern; und ein mächtiger Springbrunnen, den die Kunst vom Strome über den Hügel bis in die Mitte des Schloßhofes geleitet hatte, belebte mit seinem ewigen Sprudeln die Einsamkeit des Schlosses.

Diesen bequemen Landsitz hatte der alte Graf de Vellamare seiner Tochter Valeria gegeben, die erst seit kurzer Zeit mit Don Fernando de Oliva vermählt war. Er selbst aber hielt sich mit seinem Sohne Don Carlos in Sevilla auf, wo sein Haus eines der angesehensten war.

Don Fernando de Oliva stammte aus altadeligem Geschlechte. Aber verschiedene Unglücksfälle hatten Reichthum und Ruhm seiner Ahnen aufgezehrt, daß ihm nichts mehr übrig geblieben war, als seine eigenen sowohl äußern als innern Vorzüge: schöner, stattlicher Körperbau, männlichernste und anziehende Gesichtsbildung, ungeschwächte, jugendliche Kraft; ein edles, biederes Herz, eine großmüthige, zu jeder schönen That gestimmte Seele. Seine Gattin liebte er mit der aufrichtigsten Zärtlichkeit, so wie sie ihm Alles that, was sie ihm nur an den Augen ansah. Häuslicher Friede, dieser beglückende Engel der Menschheit, hatte auf ihrem Landgute Einkehr genommen, und schuf diesem jungen glücklichen Ehepaare die angenehmsten Stunden, so daß ihm die Zeit vorüberstrich, wie wenn sie mit den Flügeln des Windes davongeflogen wäre.

Aber wie denn auf Erden keine Rose des stillen häuslichen Glückes erblühen kann, ohne daß Dornen des Grams gemeinschaftlich mit ihr am Stocke sich zeigen – so war auch die Zufriedenheit dieser sonst glücklichen Leute durch einen Umstand gestört. Der alte Graf hatte die Verbindung seiner Tochter mit Don Fernando nie gebilligt, nur mit einer Miene voll Zorn und Mißmuth zugegeben; und jene hätte wohl auch den anmuthigen Landsitz nie von ihm erhalten, wäre er ihr nicht von Seite ihrer verstorbenen Mutter zugefallen, die ihn der Tochter, im Falle sie sich versorgen wollte, mit gerichtlichen Urkunden zum Brautgeschenke vermacht. Der Sohn eines angesehenen Hauses, Graf Oviedo, sollte mit seiner Tochter sich vermählen. Dieß war des Grafen Anschlag von vielen Jahren her, weßhalb er sie wider ihr Wissen mit Oviedo schon verlobt hatte. Aber ein für Fernando glücklicher Zufall mußte den Plan des alten Grafen vernichten, und ihm Valeria zur langersehnten Gemahlin geben.

Fernando, dessen schöner, hoher Körperbau, männlicher Ernst und unbescholtener Lebenswandel in ganz Sevilla und in der Umgegend Aufsehen machte, vielleicht auch manchen Neider auf sich zog, erwarb sich, da auch sein alter, nicht unberühmter Name in Betracht kam, schon als Jüngling eine Hauptmannsstelle im Regimente Zamora, die wahrlich keinem Würdigern hätte verliehen werden können. Denn er bekleidete dieses Amt mit einem unverdrossenen Eifer und einer Genauigkeit in allen seinen Verrichtungen, daß er in kurzer Zeit die Aufmerksamkeit, Achtung und Liebe sowohl seiner Vorgesetzten, als Untergeordneten im vollsten Maße gewonnen hatte.

Da war einmal in Sevilla ein Stiergefecht ausgeschrieben. Denn zur damaligen Zeit war die Art solcher grausamen Vergnügen noch sehr im Blühen.

Die ganze männliche Jugend der Spanier, tapfere, hoffnungsvolle Söhne, zogen bewaffnet im majestätischen Zuge in die Schranken des Fechtplatzes. Fernando wohnte zum ersten Male dem Stiergefechte bei. Eine ungeheuere Menge von Zuschauern, aus allen Gegenden herbeigeströmt, drängte sich zu Tausenden und Tausenden in die Nähe des Schauplatzes. Selbst die spanischen Edelfrauen scheuten sich nicht, dem grausamen Mordspiele beizuwohnen. Im glänzendsten Schmucke füllten sie alle die Logen. Nur ein Fräulein erschien im einfachen Gewande, schöner als alle durch die Reize der Natur geschmückt, und schöner als alle durch die edeln Eigenschaften ihrer unverdorbenen Seele. Schon lange hatte Fernando sie im Stillen zu seiner Gattin erkoren; denn er glaubte, nur allein in ihr finden zu können, was er so sehnlichst wünschte: stille, häusliche Zufriedenheit, ein bescheidenes, zuvorkommendes Betragen, richtige Einsicht in häuslichen Geschäften, aufrichtige, herzliche Liebe zu Gatten und Kindern. Aber ach, die Erfüllungen seiner Wünsche schienen ihm so ferne; das Ziel seiner Hoffnungen fast unerreichbar. –

Jetzt war das Zeichen zum grausamen Spiele gegeben. Alles Volk war in der gespanntesten Erwartung; es jauchzte und schrie; die Trompeten schmetterten; die Peitschen knallten; die Stiere brüllten; die Schwerter klirrten. Es kämpfte ein wackerer Jüngling mit einem der unbändigsten Stiere, verwundete und reizte ihn zur höchsten Wuth. Der Stier drohte über ihn herzufallen; des jungen Mannes Leben kam in Gefahr. – Da plötzlich streckt das Fräulein in der Loge ihre Arme ringend gen Himmel, und will im verzweiflungsvollen Ausrufe: »o Gott! o Gott! mein Bruder! ach, mein Bruder!« durch die dichten Schaaren bis zu den Schranken des Fechtplatzes dringen. Fernando sieht's; ihre Stimme drang ihm in das Mark der Seele. Er vertraut sich Gottes Gnade mit einem Blick zum Himmel; und ohne zu wissen, was er thut, ohne eine andere Waffe, als seinen Degen, springt er in die Schranken, stürzt auf das brüllende Ungeheuer, verwundet es, zieht dessen ganze Wuth auf sich allein, und gibt so dem bedrängten Jünglinge Gelegenheit, zu entweichen.

Indessen eilten nun andere Kämpfer herbei, und Fernando, nicht Ruhm und Ehre im Gefechte suchend, sondern zufrieden in ruhiger Freude, daß es ihm gelungen, des sittsamen Fräuleins Bruder zu retten, zog sich still zurück, ungerührt von dem lärmenden Beifall, den die Menge des Volkes ihm zuklatschte. Allein Gott wollte die herrliche That des Jünglings augenblicklich vor aller Welt mit einem noch herrlicheren Lohne krönen.

Als Don Carlos unversehrt in der Mitte des Kampfplatzes dastand, hatte sich das Fräulein durch die dichtgedrängten Schaaren gewunden, und zur Rührung und Theilnahme aller Anwesenden mit Freudenthränen und einem dankenden Blicke zum Himmel dem geretteten Bruder in die Arme geworfen. »O mein Bruder! mein Carlos!« waren die Worte, die sie stammeln konnte. –

Nun war auch der alte Graf herbeigebracht worden. Auf die Nachricht, sein Sohn schwebe in Todesgefahr, war der Arme ohnmächtig am Boden niedergesunken. Denn er liebte ihn ohne Gränzen, zumal da er sich nur eines Einzigen erfreuen konnte, der der Vater seines altadeligen Geschlechtes für die Zukunft werden sollte. Als er wieder zu sich gekommen, nahmen ihn Männer, die in der Nähe standen, über die Schultern, und trugen ihn so durch die Schaaren des Volkes in die Schranken des Fechtplatzes. Die Freude war unbeschreiblich groß, da er seinen lieben Sohn unversehrt in den Armen hielt. Und hatte auch kein rührender Zufall sich irgend einmal einer Thräne aus seinem Auge erfreuen dürfen – dießmal brach sein Herz, daß er laut weinte. »Wer ist der Retter meines Sohnes?« rief er? »wo ist er? warum zeigt er sich nicht, daß ich ihm vergelte die schöne That? – und sollte er auch meine Tochter zur Gemahlin fordern?«

Man brachte Fernando, der sich schon unter der Menge des Volkes verloren hatte, im lauten Jubelgeschrei und Jauchzen hervor in die Mitte des Platzes. Verlegen stand er da vor der großen Anzahl der Zuschauer, den demüthigen Blick zur Erde gerichtet.

»Bist du es, Fernando,« rief der Graf freudetrunken, indem er auf ihn zueilte: »bist du es, der meinen Sohn aus den Armen des Todes gerissen? Wie kann ich dir lohnen, Fernando? Alle meine Güter sind zu wenig für das Verdienst einer solchen That. Sprich, was dein Herz begehrt; ich will es dir mit tausend Freuden geben, wenn es mir zu Gebote steht.«

Mit einer Thräne im Auge blickte Fernando zum Himmel. Dann wandte er sich zum Grafen, und sprach: »Was mir Gott in das Herz gegeben, was seine Gnade mich vollbringen ließ, – dürfte ich dafür einen Lohn verlangen? Graf Carlos (mit diesen Worten wandte er sich an den Geretteten), mit euch an der Brust der Freundschaft ruhen, euch lieben zu dürfen, und von euch geliebt zu werden, dieß wäre der süßeste Lohn für mich.«

Carlos, gerührt durch Fernandos Edelmuth, umarmte den theuern Retter seines Lebens. »Ja, Fernando,« rief er, »so wahr Gott ist, der in diesem Augenblicke herabsieht aus seinen Höhen, ich will mit euch einen Bruderbund schließen, der unzertrennbar sei, wie die Felsen von Alpujarras.«

»Deß' ungeachtet,« fiel der alte Graf ein, »bleib' ich doch immer sein Schuldner. Fernando, ich bitte dich, sage mir, womit ich dir vergelten kann. Siehst du, wie das Volk ungeduldig harrt, ob ich die That dir erwiedere? Es soll nicht sagen dürfen, der alte Graf de Vellamare war undankbar. So rede offen von der Brust, und begehre, was es auch immer sei.«

»Edler Graf,« entgegnete Fernando, »den Lohn trag' ich in meinem Herzen. – Schlummern muß er darinnen, daß er nicht laut werde, und mich in's Verderben stürze. Aber schlummert er, so ist er das Morgenroth des Trostes für die bangen Mitternächte des Grams.« –

»Sonderbarer Jüngling,« sprach der Graf, »deine Worte sind mir ein Räthsel; ich verstehe sie nicht. Rede offen mit mir.«

»Ja, ich will offen mit euch reden,« erwiederte Fernando. »Gott möge mich stärken. Entweder schüttet er in diesem Augenblicke das Füllhorn seines Glückes über mich, oder er läßt das schwere Ungewitter seiner Prüfung hereinbrechen. Auf Alles, Alles bin ich gefaßt. So wisset, Gras, mein Lohn ist der Gedanke, daß ich den Bruder derjenigen gerettet habe, die ich von ganzem Herzen liebe. Dieser Lohn geleitet mich durch alle Schicksale des Lebens und wird Worte des Trostes mir einflüstern in verhängnißvoller Trübsal. Doch wollt ihr diesen stillen, genügsamen Lohn, den ich mir selbst gab, verherrlichen – Graf Vellamare, o so gebt mir eure Tochter zur Gemahlin. Der Himmel mag entscheiden, ob ich zu viel verlange. Aber das Innerste meiner Seele sagt mir, er schuf sie für mich!«

Jetzt hielt er inne. Unter der ganzen Rede standen Thränen in seinen Augen. Valeria heftete das glühende Antlitz zur Erde. Der Graf drehte grimmig die schwarzen Augen im Kopfe, und runzelte die Stirne voll Unmuth. Don Carlos stand betroffen in der Ferne. Alles Volk war stille, und harrte, was da werden sollte.

»Valeria,« sprach der Graf nach einer Weile zu seiner Tochter, »entspricht der Freier, der vor dir steht, den Wünschen deines Herzens?«

»Ja, Vater,« entgegnete Valeria, »im Herzen trug ich ihn, seit ich ihn kenne.« »So nimm ihn,« sprach der Graf mit verstellter Freundlichkeit, um vor dem Volke seinen Unwillen zu verbergen. »Zwar für einen theuern Preis ist Carlos Leben erhalten. Doch daß dein Herz selbst für den Freier spricht, wiegt einen großen Theil der Forderung Fernando's auf.« –

Das Kampfspiel war geendet. Das Volk ging im lauten Jubel auseinander. Ueberall ertönten dem Muth und der Tapferkeit Fernandos hohe Lobeserhebungen. Ueberall wünschte man dem neuen Brautpaare von Herzen Glück.

Der alte Graf aber verfinsterte täglich mehr die düstern Mienen seines Gesichtes. Es reute ihn ungemein, im Jubel der Freude vor allem Volke ein so großes Versprechen gegeben zu haben. Tausendmal hätte er es schon zurückgenommen, wenn er vor aller Welt als Lügner hätte erscheinen wollen.

Bald darauf wurde die Vermählung Fernando's mit Valeria gefeiert. Sie fand auf dem Landsitze vor Sevilla statt, den der alte Graf seiner Tochter abtreten mußte. Er selbst war bei dem Feste nicht zugegen. Seinen Sohn Carlos sandte er dahin, mit dem Auftrage an Valeria: seines Segens dürfe sie nicht gewarten; zernichtet hätte sie die Hoffnung des greisen Vaters, die darin bestand, daß sie mit dem Grafen Oviedo sich vermählen werde, um die mächtigsten Häuser von Sevilla zu Einem zu verbinden. Graf Oviedo werde gewiß nicht ruhen, bis Fernando, der Räuber seiner goldenen Erwartungen, im Verderben krieche.

Valeria weinte bei dieser Nachricht die bittersten Thränen. Fernando suchte sie zu beruhigen; aber da half nichts. »Dieß,« sprach sie nur immer im schmerzlichsten Tone, »dieß konnte mein Vater gesagt haben, aus dessen Munde ich tausend Segnungen zu hoffen hatte? Gott im Himmel, laß ihn einsehen, daß ich ihm nicht zuwider handeln wollte. Mein Glück zu befördern – dieß war ja stets sein Gedanke bei Tag und Nacht, und – glücklich bin ich geworden in dir, Fernando, theurer Gemahl. O, daß er es wüßte, daß er es glaubte, wie glücklich Valeria ist in den Armen Fernando's!«


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