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Viertes Kapitel.
Der nächtliche Ueberfall.

Diese günstige Gelegenheit zeigte sich auch schon, da kaum ein Jahr seit dem Abende ihrer Unterredung verflossen war.

Fernando war einmal in besondern Geschäften auf mehrere Wochen verreist. Dieß hatten Oviedo und Carlos inne geworden, und zugleich den Weg und die Zeit seiner Rückreise ausgespäht. Mit Sonnenuntergang gingen Beide bewaffnet aus den Thoren von Sevilla, und verbargen sich vermummt in das Dickicht eines wilden Kastanienwaldes, durch den der Weg den Reisenden nach seinem Landgute führte.

Schon war der Mond hinter dem Walde emporgestiegen, und sie lauerten noch immer auf die edle Beute, die ihnen werden sollte. – Da ritt Fernando in Begleitung eines einzigen Dieners, voll stiller Heiterkeit des Herzens, und die gräflichen Ungeheuer nicht ahnend, die sich im Hinterhalte versteckt hielten, die Anhöhe des Waldhügels herab. Seine Gedanken beschäftigten sich mit Gattin und Kind, die zu Hause so sehnlichst seiner harrten, deßwegen er auch den muthigen Schimmel mehr, als gewöhnlich, spornte. –

Jetzt sollte er am Dickicht vorbei. Mochte diese Stelle schon durch frühere Angriffe und Mordthaten raubsüchtiger Unmenschen verrufen sein, oder mochte Gott eine leise Ahnung nahenden Unglückes, daß er zu dessen Aufnahme nicht ganz unvorbereitet sei, in sein Herz gelegt haben, – es graute ihm unwillkürlich im Innern. Doch auf Alles gefaßt, empfahl er sein Leben dem Herrn, dessen liebliches Mondlicht so wohlthuend durch die Zweige der Kastanienbäume blinkte, gebot seinem Diener, der dicht hinter ihm ritt, Vorsicht, Geistesgegenwart und Muth – und ritt so vorüber. – Schon glaubte er sich außer aller Gefahr, als er aus dem tiefsten Gebüsche eine fürchterliche Stimme vernimmt: »Er ist's! Los auf den Buben! den Tod ihm!« – Und kaum, daß er auf diesen Ausruf den Degen gezogen, um jeden Anfall tüchtig abzuwehren, wird er von hinten aus dem Sattel gerissen. Schnell wendet er sich, um zu sehen, mit wem er es aufzunehmen habe; und mit dem Gedanken zum Himmel: »Herr, sei mir gnädig!« stößt er im Fallen dem Einen der vermummten Männer den Stahl in das Herz, daß dieser unter einem hohlen, fürchterlichen Seufzer zu Boden sinkt. Mit Blitzesschnelle reißt er ihm die Larve vom Gesicht, und erkennt den – jungen Grafen Oviedo. – Jetzt war ihm der Muth entsunken; er sah das Ganze des schrecklichen Planes und dessen Ursache lichthell vor seinen Augen. »Gott im Himmel! Richter der Welt! ich bin unschuldig an dem Tode dieses Mannes!« rief er aus im schmerzlichsten Tone, den Blick und die Hände halb bewußtlos zum Himmel erhoben. – Wie er so dasteht, stürzt der andere Vermummte, der bisher mit Fernando's Diener gefochten hatte, mit offenem Dolche herbei, und gibt ihm einen Stoß, daß er mit den Worten: »O meine Gattin! mein Kind!« ohnmächtig niedersinkt. Da lacht der Vermummte fürchterlich, und entflieht durch den nächtlichen Wald, der Stadt Sevilla zu. –

Wie der Diener sieht, daß sein Herr, vom Dolche durchbohrt, niedersank, gibt er in der Verzweiflung dem Pferde den Sporn, und rennt über Stock und Stein auf den nächsten, ihm wohlbekannten Wegen geradezu nach dem Landgute.

Da lagen nun in der stillen Mitternacht Oviedo und Fernando, lautlos und stumm im Anblicke des gestirnten Himmels, der den Schein seines Mondlichtes gerade auf die kalten, todtenblassen Gesichter warf. Der Eine ging auf Mord aus, der Andere tödtete, ohne zu wollen, nur um sein Leben zu retten.

Alles war todesstill im dunkeln Walde; nur Grillen umschwirrten die beiden Leichname, als wollten sie einen davon zum Leben erwecken. Und der Schimmel Fernando's stand trauernd und muthlos neben seinem Herrn, und schien um die wohlbekannte, süße Bürde zu klagen. –

Da regten sich allmählig wieder die Lebensgeister in Fernando, und die Pulse seines Herzens fingen fühlbar zu schlagen an. Schwach und müde durch die erlittene Mühe und Angst und durch Verblutung der erhaltenen Wunde erhob er sich halb von der Erde, und warf den Blick durch die nächtlichen Schatten der Bäume. »Ach, wo bin ich?« seufzte er: »wo ist mein treuer Diener? sollte er mich verlassen haben? – Hier liegt der Gemordete? das Auge ist starr, die Lippe kalt; todtenbleich die Wange, die Hand regungslos. Graf Oviedo, ich rufe Gott zum Zeugen in dieser schrecklichfeierlichen Stunde, ihr habt es selbst gewollt! O warum mußtet ihr den Frieden meines Herzens stören und mich zum Mörder machen? warum das stille, häusliche Glück zernichten, und die Ruhe ewig, ewig aus meiner Seele verjagen? Gott im Himmel, du allein weißt es, daß ich unschuldig bin, daß ich seinen Tod nicht wollte. O wie dank ich dir, daß ich vor dir gerecht erscheinen kann, mögen die Menschen mich auch für den schändlichsten Verbrecher halten! Gib mir nur deine Gnade, daß ich Alles geduldig ertrage, was über mich wird verhängt werden. Schwere Ahnungen durchkreuzen meine Seele. Man wird mich verfolgen, gefangen nehmen, einkerkern, zum Tode verurtheilen. Deinen Trost nur, Herr, sende mir in Leiden und Kummer, deine Erquickung in jeder mißlichen Lage – und ich bin gefaßt auf Alles, was über mich kommen wird.« –

Jetzt verband er sich mit einem Tuche die Wunde. Der Dolch des Vermummten hatte seinen rechten Arm getroffen; und nur durch den Schrecken und die Verzagtheit bei der Entdeckung, daß Oviedo sein Gegner gewesen, war er bewußtlos niedergesunken.

Nun erhob er sich vollends von der Erde, nahm von dem Leichname Oviedo's mit einem stummen Seufzer Abschied, setzte sich auf sein Pferd, das vor Freude zu wiehern anfing, und ritt im langsamen Schritte durch die Nacht des Waldes. Der Gedanke, sich als Mörder Oviedo's bei seiner Gemahlin anklagen zu müssen, lag centnerschwer auf seiner Brust. Nur das Bewußtsein seiner Unschuld konnte den Gleichmuth seines Herzens wieder aufrecht halten.

So erreichte er das Ende des Waldes, als der Mond hinter den Thürmen von Sevilla niedersank. Die Schmerzen der Wunde hatten etwas nachgelassen. Da spornte er das Roß, und lenkte seitwärts auf den Fußpfad, um sein Landgut vor Tagesanbruch noch zu erreichen.


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