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Zwei Mal schon hatte der Frühling mit dem Sommer und der Herbst mit dem Winter gewechselt – seitdem Valeria im stillen Thälchen bei den redlichen Fischersleuten sich niedergelassen hatte.
Ihr Schmerz über den Verlust ihres Gemahles und des kaum begonnenen häuslichen Glückes war durch so manche stille Freude während dieser Zeit gemildert worden. Sie dachte zwar noch täglich und stündlich an den theuern Verlornen; aber es war nicht mehr der martervolle Jammer, mit dem sie ihn beweinte. Die tröstende Hoffnung an ein seliges Wiedersehen jenseits über den Sternen, wo keine Trennung mehr ist, hatte ganz in ihrem Herzen Einkehr genommen. Und kam hie und da ein Augenblick der Schwermuth und des Trübsinnes über sie, so war ein stilles Gebet in ihrer einsamen Kammer das erste und beste Mittel, sie wieder aufzurichten, und die alte Hingebung in den Willen des Herrn, den sie allzeit anbetete, in ihr Gemüth zurückzubringen. –
Ihre guten Hausleute gaben sich alle erdenkliche Mühe, den einsamen Aufenthalt so angenehm als möglich zu machen.
Ruperto hatte gleich Anfangs, wie sie in das Thal gekommen, noch im Spätherbste ein niedliches Gärtchen für sie angelegt mit allerlei nützlichen Gewächsen und lieblichen Blumen. Ein paar Stübchen im Hinterhause waren für sie eingerichtet worden, von wo aus die herrlichste Aussicht in die blauen Gebirge von Alpujarras sie ergötzte. –
So hatten sie bisher friedlich miteinander gelebt, als wenn sie alle nur Eine Familie ausmachten. In jeder häuslichen Arbeit boten sie sich treulich die Hände, und Valeria schämte sich nicht, mit Elvira und Luzien in der emsigen und genauen Verrichtung der weiblichen Geschäfte zu wetteifern.
Die Kinder des Fischers genossen im Umgange mit dem kleinen Fernando, der nun bereits dem Verflusse des dritten Lebensjahres entgegenwuchs, den größten Vortheil. Denn bei jeder Gelegenheit, da Valeria ihrem Sohne Unterricht ertheilte, um frühe genug den Keim zu allem Guten in sein Herz zu legen, durften sie ihm zur Seite stehen, und mit anhören, was sie ihn lehrte.
Oft wandelte sie mit den drei Kindern an einem schönen Sommermorgen hinaus in das Freie, und zeigte ihnen die Schönheiten der Natur in ihrem Morgenkleide, und lehrte sie in den wunderbaren Schöpfungen den Schöpfer anbeten. Sie benutzte das Kleinste wie das Größte, den rauschenden Wasserfall, wie den jungen Fisch in dem nahen Teiche, den hohen Adlerflug, wie das Kriechen des niedern Erdwurmes als Stoffe zu ihren lehrreichen Unterhaltungen. –
Die rauheren Tage brachte sie mit den Kindern in der Hütte zu, und währenddem sie ein jedes nach seiner Art zweckmäßig beschäftigte, erzählte sie ihnen schöne rührende Geschichten aus der alten spanischen Ritterchronik, oder am allerliebsten und häufigsten passende Schilderungen aus den heiligen Schriften der Vorzeit. –
So waren die Tage verflossen. Da saß Valeria eines Abends neben der Hütte. Die Kinder spielten zu ihren Füßen. Luzie begoß die Blumen und Pflanzen des Gärtleins. Elvira aber saß in einiger Entfernung von der Gräfin, und strickte an einem Fischernetze. –
Ruperto war mit Juan schon in aller Frühe nach Sevilla gewandert, um die Fische, deren Anzahl dießmal groß war, zu Markte zu tragen. So oft er dieß that, bat ihn Valeria jedesmal beim Weggehen mit Thränen in den Augen, er möchte doch Erkundigungen einziehen, wie ihre Verwandten in Sevilla sich befänden. –
Dießmal wurde es der Gräfin fürchterlich bange auf die Rückkunft des Fischers. »Mir ahnet nichts Gutes,« sagte sie zu Elvira: »ich fürchte, eure stille Hütte bald verlassen zu müssen.« –
»Quält euch nicht vergebens mit so bangen Gedanken,« sagte Elvira: »seht, edle Donna, wie die Sonne so golden niedergeht hinter den Gebirgsspitzen. Das bedeutet kein Unglück, o gewiß nicht. Seid heiter, und singt lieber ein Lied. Ich höre euch gar so gern singen. Ich aber will die Laute dazu spielen.« –
Valeria gehorchte Elvira's Ermunterung, lächelte zu ihr hinüber, als wollte sie ihr danken – und sang zum Lautenspiele die spanische Romanze:
»Schön, wie eine Maienfrühlingssonne,
Wenn sie aus der blauen Fluth sich hebt,
Herrlich schön in jugendlicher Wonne,
Die das Herz mit Himmelslust belebt« –
»Schön war Er – in seiner Nähe schwanden
Schnöde Sinnlichkeit, und Welt und Grab und Tod,
Keine ird'schen Fesseln banden
Mich an seiner Lippen Morgenroth.«
»Was entzückt sein Geist an meiner Brust empfunden,
Nimmer faßt es minder warmen Sinn
Eisenharter Sterblicher – die Stunden
Flossen schnell wie Augenblicke hin!« –
»Aber, ach, er ist nicht mehr! – Kein Klagen
Zieht ihn mächtig aus dem Jenseits her –
Meines Herzens ewigglühend Schlagen
Schlägt nur hoffnungsleer!« –
Ruperto, der währenddem von Sevilla zurückgekehrt war, und in der Hütte drinnen die Seinigen nicht gefunden hatte, hörte den Gesang, kam herbei, und stellte sich hinter die Gräfin, bis sie das Lied geendet.
Dann aber trat er vor sie hin, und grüßte sie mit einer ungewöhnlich traurigen Miene. Valeria erwiederte den Gruß mit erschrockenem Herzen. »Wie? lieber Ruperto!« sagte sie: »warum so niedergeschlagen? das ist mir auffallend an euch, da ich euch nie anders als in fröhlichem Muthe gesehen. Redet! was ist euch begegnet?« –
»Edle Donna!« erwiederte der Fischer: »ich kann es euch nicht verhehlen, daß ich heute in Angst und Trauer Sevilla verlassen habe. Man will dort aufs Neue euren Aufenthalt erspähen. Allenthalben werden Männer ausgeschickt, die euch aufsuchen sollen. Wer diese Anstalten getroffen, ob euer Vater, oder euer Bruder, oder der alte rachgierige Graf Oviedo – das konnte ich nicht erfahren. Allein ich vermuthe, daß es Letzterer gethan; denn es geht die Rede, er hätte sich entzweit mit eurem Vater und mit Don Carlos, unter schändlichen Flüchen das gräfliche Haus verlassen, und es seitdem nie mehr betreten. Wer könnte nun der Urheber dieser neuen Verfolgungen sein, als er selbst, um an euch, wenn er euch aufgefunden hätte, seine Rache zu vollenden? – Verzeiht mir, daß ich euch durch diese Nachrichten das Herz schwer gemacht. Ich hätte wohl schweigen können. Aber ihr seht, die Liebe zu euch, und der sehnliche Wunsch, euch zu retten, hat mir den Mund geöffnet.« –
Valeria sah lange schweigend und traurig zur Erde nieder. Dann aber blickte sie mit Fassung und Ruhe in das Abendroth, und sagte: »Der die Sonne dort untergehen läßt, damit sie morgen um so lieblicher wieder heraufsteige und den Menschen wohlthue, wird auch mich aus diesen neuen Gefahren herausführen. Er hat mich während des Verlaufes so vieler schwerer Tage recht im Vertrauen gestärkt. Dafür sei ihm mein innigster Dank gebracht.« –
Dann wandte sie sich zu dem Fischer. »Ihr habt mich, lieber Ruperto,« sagte sie: »bisher unter den Eurigen so liebevoll verpfleget; ihr werdet mich nun auch ferner nicht verlassen.« –
»Davor soll der liebe Gott mich bewahren, daß ich euch jetzt verlasse,« erwiederte Ruperto, »ich will euch sichern vor allen weiteren Nachstellungen. Aber damit ich dieß thun kann, wird es nothwendig sein, daß ihr wenigstens auf einige Zeit euch ferne von hier gegen das tiefe Gebirge hin flüchtet. Ich fürchte mich nicht vor einzelnen Spähern, die in dieses Thal kommen könnten; aber um euer Leben wird mir bange. Ich will euch in das Thal von Almeria einführen. Es liegt am Eingänge in das Hochgebirge von Alpujarras. Ich habe dort nahe Verwandte von Seite meines Weibes. Sie werden euch so freundlich und fröhlich empfangen, als schmerzlich wir euch von uns lassen. Wenn euch dieser aufrichtige Rath gefällt, so treten wir morgen in aller Frühe die Reise an.« –
»Ich bin ganz zufrieden,« sagte Valeria: »nur müßt ihr mir versprechen, daß ihr mich mit Elvira doch auch heimsuchen werdet.« –
Nun gingen sie in die Hütte, um das Nöthige zur schleunigen Reise in Ordnung zu bringen. Ruperto aber lief noch beim Mondenscheine in einen benachbarten Maierhof, um sich ein Maulthier zu erbitten, das die Geräthschaften und die edle Frau mit ihrem Sohne, wenn sie müde würden, tragen sollte. –
Am andern Tage in aller Frühe stand Valeria mit Fernando und Luzien reisefertig in ihrem Stübchen, umringt von Elvira und ihren Kindern, von denen sie Abschied nahm. Ruperto aber hielt mit den Maulthieren vor der Schwelle.
Alle weinten laut, da Valeria sagte: »Nun lebet wohl! und nehmet diesen aufrichtigen Händedruck zum Zeichen meiner Dankbarkeit. Ich will eurer nicht vergessen, wenn mich der Himmel wieder einmal glücklich machen sollte.« –
Am andern Tage zogen die Reisenden mit der sinkenden Sonne in das Thal von Almeria ein. Sie wurden von den Thalbewohnern mit einer Freundlichkeit ausgenommen, die eben so ungeheuchelt war, wie die der braven Fischersleute. Valeria erhielt zu ihrem Aufenthalte alsobald ein Hüttchen, das aus dem Schatten dreier Kastanienbäume gar freundlich herausschaute. –
»Nun,« sagte der Fischer: »könnt ihr ruhig und ohne Sorgen leben. Bis hieher reicht das Späherauge eurer Feinde nicht. Ich aber kann mit leichtem Herzen zu den Meinigen zurückkehren.« –
Er nahm Abschied, und trat noch am nämlichen Abende die Rückreise an. Denn es trieb ihn die Sehnsucht nach Weib und Kindern. –
Valeria aber, wie sie in die neue Wohnung getreten war – fiel mit Fernando und Luzie auf die Kniee nieder, und dankte Gott im frommen Gebet.
Und am Ende fügte sie noch den leisen Wunsch hinzu: »Gott der Güte, laß dieses liebliche Thal den Ort der Freude und des Glückes für mich werden – und ich will es nie mehr verlassen, um dir in frommer Einsamkeit dienen zu können!« –
Da stieg der Mond herauf, und schien so freundlich durch die Kastanienzweige, als wolle er ihr sagen: »Sei getrost! Gott wird deinen Wunsch erhören!« –