Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Von der Nacht an, da Fernando als Bettler verkleidet vor das beleuchtete Landgut gekommen war, hatte der edle Graf von Kreuz den adelichen Unbekannten gastfreundlich bewirthet. Er ehrte in ihm das strenge Stillschweigen über sein trauriges Loos, weil er überzeugt war, er sei ein unglücklicher Edelmann, deren zur damaligen Zeit in Spanien bald als Pilger, bald als Bettler oder Lautenschläger Viele herumirrten. –
Auch war er froh, daß dieser Mann seinen Aufenthalt auf dem Landgute verlängerte, weil er ihm ohne Scheu die Verwaltung der Güter und die Aufsicht über die Gebäude und den schönen Lustgarten anvertraut hatte, da er selbst oft Monate lang als schwedischer Gesandter am spanischen Hofe verweilen mußte.
Fernando hatte während dieser Zeit in müßigen Stunden aus der vortrefflichen Büchersammlung des Grafen große Geistesschätze geschöpft. Er hatte bei der schönen Gelegenheit, die ihm der mit den ausgezeichnetsten Gewächsen aller Art verzierte Lustgarten darbot, die Pflanzenkunde studiert, und vorzüglich auch die verborgenen Heilkräfte der verschiedenen Kräuter zu erfahren gesucht. Auf diese Weise hatte er manche angenehme Stunde verlebt. Und nur die Tage gingen traurig und trübe an ihm vorüber, an denen er sich besonders lebhaft der Vergangenheit erinnerte, und den Verlust seiner Familie zu Herzen nahm. –
So waren zwei Jahre vorüber. Da erfuhr er durch irgend einen Zufall, daß auf's Neue Späher von Sevilla ausgesandt seien, die Familie de Oliva zu verfolgen. Weil er nicht wußte, ob man nicht vielleicht seinem Leben, ja wohl gar seinem Aufenthalte auf die Spur gekommen, so befiel ihn bei dieser Nachricht eine fürchterliche Unruhe, um so mehr, da er nun glauben durfte, Valeria und ihr Kind, wenn sie noch lebten, seien ebenfalls bis hieher unentdeckt geblieben, jetzt aber könnten sie zu seiner und ihrer Qual von der Rache ihrer Verfolger erspäht werden. –
Er faßte den Entschluß, das Landgut zu verlassen. Der edle Graf von Kreuz hielt sich gerade am spanischen Hof auf, wurde aber nach Verlauf einiger Tage auf das Landgut zurückerwartet. –
In der Mitternacht vor dem Morgen, da der Graf zurückkommen sollte, saß Fernando, als Pilger verkleidet, in seinem einsamen Zimmer an dem Schreibpulte, und schrieb an den Grafen folgenden Brief:
»Edler Graf von Kreuz! Empfangt mit diesen letzten wenigen Worten und mit den Thränen, die ihr auf diesem Blatte sehen werdet – den rührendsten Dank des Unbekannten, den ihr so gastfreundlich aufgenommen, und zwei Jahre lang so großmüthig bewirthet habt. Aus Furcht vor den Gefahren neuer Verfolgungen muß er in der stillen Mitternachtsstunde euer Landgut verlassen, das ihm so lange zum friedlichen und sichern Hort gedient. Wohl verläßt er es jetzt. Aber er wird seiner, und der Ruhe, die er darin genossen, mit dankbarer Freude gedenken, so lange er athmet.«
»Lebt wohl! edler Graf von Kreuz, lebt wohl! – Wenn das Glück eurem Schützling vielleicht noch einmal lächelt, so werdet ihr seinen Namen erfahren; und es wird euch nicht gereuen, daß ihr ihn an eurer Schwelle ehedem so freundlich willkommen geheißen. Wenn er aber im Verborgenen dahingeht, und keine Spur seines früheren Glanzes mehr sichtbar werden darf – so hoffet fest, ihr werdet jenseits seinen Namen erfahren, wo er euch dankbar entgegeneilen wird.« –
»Die zwölfte Stunde hat geschlagen! Die Bahn ist gezeichnet! der Weg ist schroff und steil! Und der Pilger geht mit blutendem Herzen! – Lebt wohl! Lebt ewig wohl!«
Er versiegelte den Brief, und ließ ihn auf dem Tische in seinem Zimmer zurück. Dann wandte er den Schritt, arm und verlassen, wie er gekommen war, leise durch öde Seitengänge des Schlosses, und kam durch den Garten ungestört hinaus in das freie Dunkel der Mitternacht.
Er irrte lange umher, und forschte aufs Neue nach dem Theuersten, das er verloren hatte. Die traurigen Ruinen seines Landgutes, die nahen und fernen Klöster und Frauenzellen, die einsamsten Gegenden, in denen ein altes Rittergebäude aus den Zeiten der Kreuzzüge oder eine halbverfallene Hirtenherberge zu sehen war – Alles durchschaute er mit eilfertiger Genauigkeit, angetrieben von Kummer und Sehnsucht. –
Darüber waren nun einige Monate weniger als drei Jahre verflossen. –
Wie aber all' seine Mühe fruchtlos geblieben, da empfahl er sich und die Verlornen in den Schutz des Himmels. Bei dem Gedanken, daß er sie jenseits wieder sehen werde, sehnte er sich nach einem stillen Orte, um in tiefster Verborgenheit seine wenigen Tage verleben zu können, und – zog gegen das Gebirge von Alpujarras.