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Siebentes Kapitel
Die Fischerhütte.

Es war am nämlichen Morgen, an dem Fernando nach dem nächtlichen Ueberfall auf sein Landgut zurückkehrte – da strich die Herbstluft frostig und rauh durch den drei Stunden von dem Landgute entfernt gelegenen wilden Kastanienwald. Die Sonne lag noch tief hinter den Bäumen. Ein feuchter Nebel hatte sich auf die Erde gelagert; man sah nicht drei Schritte vor sich hin. Die Bewohner des Waldes schlummerten noch unter den Herbstblättern. Nur hie und da pfiff ein Vögelein einzelne Töne durch den Nebel, seine Brüder zu wecken.

Luzie stand mitten in dem Dickicht des Waldes neben der Gräfin, die an einem Felsen schlummerte. Bis hieher hatte sie ihre nächtliche Flucht ausführen können. Weiter zu gehen vermochte Valeria für den Augenblick nicht.

Sie war von der ungewohnten Anstrengung ermattet, bewußtlos am Felsen niedergesunken. Luzie zitterte in großer Angst für das Leben ihrer theuern Gebieterin. Sie setzte sich leise neben der schlummernden Gräfin nieder, und dachte tausenderlei Gedanken über ihre Zukunft.

Mittlerweile hatte das Kind auf ihrem Schooße zu schluchzen angefangen. Durch liebkosende Blicke und durch Wiegen auf den Armen wollte sie es wieder zur Ruhe bringen. Allein es half nichts; die rauhere Herbstlust und der schneidende Nebel mochte dem zarten Knäblein zu nahe getreten sein, und selbst daß es bei seinem Erwachen die Mutter nicht sah, schien es zu beunruhigen.

Durch die wohlbekannte Stimme ihres Kindes kam die Gräfin nun wieder zur Besinnung. Sie erhob sich müde vom Gestein, und sandte ihren Blick durch die rauhe Waldschlucht. »Wo bin ich?« sprach sie halblaut vor sich hin: »Gott! welche Felsen! und ich allein! Wie kam ich aus diesem unterirdischen Gewölbe? Ist es ein Traum? ein langer furchtbarer Traum? Aber wo ist Fernando? – Fernando, sieh die Felsen um mich her, wie sie so düster dastehen! – und der kalte Nebel! und das feuchte Moos, auf dem ich ruhe! Fernando, rührt es dich nicht? O sonst! Wie halt' ich es so gut bei dir! wie war ich so glücklich an deiner Seite! – aber da standen keine Felsen vor mir. – Doch still, still! wo ist Fernando? – er lebt nicht mehr! – Valeria, still! keine Seufzer, keine Klagen! er hört sie in seinem Grabe! das stört seine Ruhe, das thut ihm wehe! – Nein, Gott im Himmel weiß es, ich will nicht klagen! Fernando, ich verspreche es dir! ich will nicht klagen!« –

Da unterbrach ein Strom von Thränen ihre Worte. Sie blickte auf, und gewahrte Luzien. »O du gute, getreue Seele,« rief sie: »so hast du mich nicht verlassen in meiner Noth; hast mich sogar aus den Händen meiner Feinde gerettet! ach wie viel Dank bin ich dir schuldig! und nun, nun kann ich dir nichts mehr ersetzen!« –

Jetzt verlangte sie ihr Kind. Luzie gab es ihr auf die Arme, und blieb weinend neben ihr stehen. Der Knabe hatte nun, da er die Züge der Mutter erkannte, sogleich zu schluchzen aufgehört, und schien des Hungers und Durstes und der Kälte zu vergessen. Es suchte die eingewickelten Händlein frei zu machen, und spielte nun gar freundlich mit ihren Locken.

Da zum ersten Male mischte sich wieder unter, die Thränen der Mutter ein sanftes Lächeln. Sie neigte sich tiefer herab, um ja sein munteres Spiel nicht zu stören. »Nein, ich will nicht klagen,« sprach sie dann zu Luzien: »ich will nicht murren! Gott ist doch gut! ich will ihm tausendmal danken! er hat mir meinen Fernando nicht ganz genommen; er hat mir ja seinen Knaben gelassen, sein lebendiges Bild. Nun erst versteh' ich die Worte des frommen Franzesko; o wie wahr hat er geredet! Ja nun ist mir der Name des Kindes lindernder Balsam auf die Wunden, die der Herr mir in dieser schweren Zeit der Prüfung schlägt.« –

Die Herbstsonne stieg nun schon höher am Himmel herauf, und verscheuchte durch ihre milden Strahlen den Nebelflor. –

»Hier,« begann die Gräfin nach geraumer Zeit tiefen Nachdenkens aufs Neue: »hier, gute Luzie, können wir nur so lange bleiben, bis wir durch kurze Ruhe gestärkt worden. Soll ich nach Sevilla zurück? meinem Vater zu Füßen fallen? Den Sohn seiner Tochter ihm zeigen, das arme Knäblein ihm zeigen, das unverschuldet den Jammer und das Elend der Mutter trägt? wird es ihn nicht zum Mitleid bewegen? wird er uns nicht aufnehmen mit offenen Armen? – Doch nein, nein, dort ist auch Oviedo! er wird den Vater reizen gegen uns. Er wird mit Gewalt erlangen, was er durch List nicht vermochte; er wird in mich dringen, und mein Kind – man wird es mir entreißen! – – – nein, nie, nie mehr darf ich Sevilla sehen. Lieber in diesem Walde unter den wilden Thieren leben und Wurzeln genießen, als in Sevilla bei Musik und Becherklang an Oviedo's Seite!«

»Edle Frau,« fiel Luzie ein, »wie ich euch schon gesagt, wir wandern der Hütte meines Bruders zu. Er wird uns mit tausend Freuden aufnehmen, und gewiß Alles thun, euch den Aufenthalt in seinem Hause so angenehm als möglich zu machen. Dort können wir leicht jedem Späherauge, jedem Nachforschen der Verfolger entgehen, und uns so lange verborgen halten, bis ein einsamer bequemer Ort aufgefunden ist.« –

Durch diese Rede des Dienstmädchens war in Valeria's Herzen auf's Neue eine sichtbare Ruhe zurückgekehrt. »Gott wird uns nicht verlassen,« sprach sie getrost und faltete die Hände: »er hat uns sicher bis hieher geleitet, er wird uns ferner seine Hilfe nicht entziehen.« –

Luzie hatte indessen trockenes weiches Moos zusammengetragen, und unter einem Felsenabhang der Gräfin einen sanften Ruhesitz bereitet. Aus der Quelle, die in einiger Entfernung gar freundlich aus einem Felsen sprudelte, trug sie in einem irdenen Geschirre, das sie unter ihrer kleinen Reisegeräthschaft hatte, frisches Wasser herbei. Aus Brod und Aepfeln bestand die kärgliche Mahlzeit. Ach, sie wollte weder der Gräfin, noch ihrem Dienstmädchen schmecken, und hätte sie auch aus den kostbarsten Gerichten bestanden. Der kleine Fernando aber trank mit Begierde die süße Milch, die die vorsichtige Luzie in einem verschlossenen Trinkglase mit sich genommen hatte.

Die Stunde der Ruhe war bald vorüber. »Laß uns in Gottes Namen den mühsamen Waldweg nun antreten,« sagte Valeria, und erhob sich vom Moossitz, den Knaben aus dem Schooße Luziens in ihre Arme zu nehmen: »die Herbstsonne lenkt in ihre mittägige Höhe, und wir werden eilen dürfen, wenn wir vor ihrem Untergange ein gastfreundliches Obdach erreichen wollen.« –

Luzie brach von einem Ahorngesträuch einen Wanderstab für ihre Gebieterin. Sie ging voraus, um das spitzige Reisholz auf die Seite zu heben; Valeria folgte mit dem Knaben. Stunden vergingen, ohne daß ein Wort über die Lippen der Wandernden kam. Die wehmüthige Stille wurde nur durch das Geräusch unterbrochen, das ihre Fußtritte im falben Herbstlaube verursachten, oder hie und da durch einen lauten Seufzer, mit dem die Gräfin dem gedrückten Herzen Luft machen wollte, oder durch das Flattern einer Goldamsel, die aufgeschreckt durch das Herannahen der Reisenden den dichten Hollunderstrauch verließ, und mit Angstgeschrei durch das Gehölz flog. Bald ging es den Bergwald mühsam hinan, bald zog sich der Weg steil und dunkel durch schaurige Waldschluchten hinunter; jetzt lagen schroffe Felsspitzen mit verfaulten abhängenden Baumstämmen, die unübersteigbar schienen, vor ihren Augen; dann hatten sie wieder mit wildverwachsenen Dornengesträuchen zu kämpfen. Nur selten zeigte sich nach vielen überstandenen Mühseligkeiten ein freundliches Plätzchen, das mit lindem Moos und duftenden Waldblumen bewachsen, und von den Strahlen der immer tiefer sinkenden Herbstsonne beleuchtet, den Erschöpften kurze Ruhe vergönnte. –

Luzie sah sich oft traurig nach ihrer Gebieterin um, ob sie noch Kraft genug hätte, ihr zu folgen. Aber Valeria klagte nicht, und murrte nicht, betete in der Stille, hob den nassen Blick flehend zum Himmel, und – folgte mit aller Anstrengung ihres zarten Körpers. Luzie verlangte oft den Knaben von ihr, um ihr das Wandern auf den ungebahnten schmalen Fußsteigen leichter zu machen. Aber Valeria drückte die süße Bürde nur um so inniger an ihr Herz, benetzte sie mit Thränen ihrer mütterlichen Zärtlichkeit und folgte mit aller Anstrengung ihres zarten Körpers. –

Die Sonne war hinter dem Walde niedergestiegen – da traten sie aus der letzten Krümmung der dichtverwachsenen Gesträuche – und standen im Anblicke eines kleinen, lieblichen Thales. Aus den Felsen, die rechts aus dem Walde sich erhoben, rauschte eine große Bergquelle, die in einem schäumenden Wasserfall von der Höhe stürzte, und, indem sie sich schlängelnd den Thalgrund durchzog, zu einem bedeutenden Wiesenbache anschwoll. Am Ausgang des Thales lag eine freundliche Hütte, deren moosige Dachung so eben von den scheidenden Strahlen der Herbstsonne beleuchtet ward. Daneben vorbei zog sich das dießseitige Ufer des Baches. Auf der linken Seite sah aus einem dunkeln Waldesgrund eine freundliche Kapelle von einem kleinen Hügel herunter, die den Bewohnern jener einzigen Hütte zur Andacht geweiht schien. Aus der Ferne aber dämmerten im Herbstabendgolde die Spitzen der Gebirge von Alpujarras.

»Das ist die Hütte meines Bruders,« sagte Luzie, und lächelte der Gräfin zu, die überrascht vom Anblicke stehen blieb. »Hier wird es euch wieder wohl werden,« fuhr sie fort, »denn ihr findet hier gute Menschen, die in Frieden und Lieb' und Eintracht sich von dem kleinen Ertrag ihrer mühsamen Fischerei nähren, und in ihrer Armuth reicher sind, als manche Herren, die sich in Gold und Sammet kleiden. Sie werden sich unendlich freuen, euch dienen zu können. Kommt, laßt uns eilen, damit wir sie noch grüßen können, ehe die Abenddämmerung zu tief in's Thal sich herniedersenkt.« –

Der Gräfin wurde es auf Ein Mal wunderbar wohl im Herzen. Schon der Eindruck, den die Lieblichkeit der romantischen Partien des kleinen Thales auf ihr Gemüth machte, dann der Gedanke, daß sie hier unter freundlichen Leuten ein stilles, Gott geweihtes Leben führen, daß sie der tröstenden Rückerinnerung an die frohverlebten Tage sich hingeben, in stillen Stunden den Tod ihres Gemahls unbemerkt beweinen, und ganz mit der frommen Erziehung ihres Knäbleins, der einzigen Freude, die ihr noch geblieben war, sich beschäftigen könne – dieß Alles wirkte so auf ihr Inneres, daß sie unter einem Strome von wohlthuenden Thränen ihrem Dienstmädchen auf dem Wege durchs Thal mit erneuerter Kraft folgte. Luzie hatte sich von jeher viel zu sehr an die Empfindungen ihrer Gräfin gewöhnt, als daß sie jetzt nicht fühlte, was im Innern derselben vorging – und unterbrach ihre Thränen mit keinem Worte. –

Bald standen sie vor der Hütte. Aus einem kleinen Gärtlein dufteten ihnen die letzten Herbstblumen entgegen. Vom Ufer des Baches her tönte ein rührender Abendgesang in der eigenthümlich angenehmen spanischen Weise. Es war die Stimme eines Mannes, der in einem Nachen saß, und Fischernetze auswarf. Vor der Hütte spielten ein Knabe von etwa fünf, und ein Mädchen von vier Jahren mit einer Forelle, die im Kalter lustig sich herumbewegte, und verzehrten dabei ihr Abendbrod. Eben jetzt trat ein junges Weib von angenehmer Gesichtsbildung aus der Hausthüre, und ermahnte die Kleinen, sie sollten nicht zu lange in der rauhen Herbstluft verweilen; drinnen in der Stube könnten sie ihre Händlein erwärmen, und mit dem Wasservogel spielen, den der Vater erst neulich lebendig heimgebracht. Die Kinder aber schienen zu bitten, und das Weib trat lächelnd wieder zurück in das Haus. – Von dem nahen Anger zogen eben zwei Kühe und ein Mutterkalb heimwärts; sie hatten die Ueberreste der Halmen verzehrt, ehe der Nachtfrost des nahenden Spätherbstes sie rauben würde; und von dem Felsen des Wasserfalls her meckerte eine Ziege, die mit Lebensgefahr die letzten Steinkresse abgepflückt hatte. –

Der Mann im Nachen, es war der Fischer selbst, erhob sich alsogleich, da er fremde Reisende herannahen sah, legte den Köder auf die Seite, und stieg, indem er die Mütze abnahm, an's Ufer. Luzie erkannte ihren Bruder, und eilte ihm entgegen. »Ei! wirklich? meine Schwester,« rief dieser freudig überrascht, und bot ihr die Hand zum freundlichen Gruße: »ja du bist's, liebe Luzie! Nun tausendmal herzlich willkommen an meiner Hütte! Aber was führt dich so unvermuthet zu mir? Hab' ich dich schon oft durch meinen Jungen, der die Fische nach Sevilla auf den Markt trägt, grüßen und einladen lassen. Aber du hast mich noch nie besucht. Nun sei dir's verziehen, weil du endlich einmal da bist.« –

Jetzt wurde er erst auf die Gräfin aufmerksam, die er jedoch nicht erkannte. Er sah mit einem fragenden Blick auf seine Schwester. »Es ist meine Gebieterin, lieber Ruperto,« sagte diese mit weinender Stimme: »seit wenigen Stunden eine unglückliche Frau, die jammernd vor deine Hütte kommt, und um ein kleines, verborgenes Stübchen unter deinem Dache dich anfleht.« –

Der Fischer trat mit einer tiefen Verbeugung einen Schritt näher: »Nichts von Flehen: nichts von Bitten!« erwiederte er mit seiner gewöhnlichen Treuherzigkeit: »müßt' ich ein erbärmlicher Mann sein, wenn ich nicht der edlen Donna, die meiner Schwester schon so viel Liebes erwiesen, eine Herberge, so gut man sie bei armen Fischersleuten haben kann, von Freiem anbieten würde. Es kommt im Gegentheil darauf an, ob ihr euch erniedrigen wollt, bei mir einzukehren und zu bleiben.«

Valeria war von der Gutmüthigkeit des Fischers bis zu Thränen gerührt. Sie blickte gefaßt und heiterer, als sie heute noch zu werden vermuthet hatte, an den azurnen Himmel, an dem so eben ostwärts die volle Scheibe des Mondlichtes heraufstieg, und durch ihren matten Glanz die Abenddämmerung, die sich unter verschiedenen Farben über Wald, Thal, Hügel und Wasser hingezogen hatte, noch heimwehlicher und feierlicher gestaltete. »Lieber Mann,« sagte sie dann zum Fischer, indem sie seine Hand ergriff und freundlich drückte: »mein Glanz und mein Glück ist seit wenigen Stunden so tief gefallen, daß ich nichts mehr zu verlangen, Alles nur zu erflehen habe. Wenn es aber dem lieben Gott einst gefallen sollte, mich wiederum zu erhöhen, so werde ich euch Alles, was ihr mir nun Gutes erweisen wollt, mit Dank und Freude doppelt zurückgeben.«

»Thut mir nicht wehe,« fiel Ruperto der Gräfin schnell in die Rede: »und nun kommt mit mir in das Haus. Die Herbstluft ist rauh, und die Tagreise wird euch müde gemacht haben.«

Er trat voran, nachdem er den Nachen fester an's Weidengesträuch des Ufers gebunden hatte. Ihm folgte die Gräfin mit dem Kinde, und Luzie. Der Knabe aber und das Mädchen, die vorhin mit der Forelle gespielt, doch bei der Ankunft der Fremden sich schüchtern hinter die Hütte zurückgezogen hatten, schlichen einige Schritte hinten drein. –

Wie der Fischer die Thüre öffnete, rief er seinem Weibe, das in der Küche die gewöhnliche Nachtsuppe bereitete, sogleich entgegen: »Elvira, ich bringe dir hier ein paar herzensliebe Gäste. Schon oft hast du deine Schwägerin sehen wollen. Nun denn, da steht sie. Grüßt euch freundlich, und thut nicht fremd, und laßt eure Herzen verwandt sein! – Aber zuvor bezeige dieser edlen Frau deine Achtung! Es ist die Gebieterin meiner Schwester.« –

Die Fischersfrau, die anfangs erschrocken war, trat nun herbei, verneigte sich anständig und schüchtern vor der Gräfin, eilte dann auf Luzie zu, und grüßte sie schwesterlich. – Der Fischer aber ließ ihr wenig Zeit, ihre Freude und ihr Willkommen äußern zu können. »Hörst du, Elvira,« sagte er: »die Gäste sind müde und erschöpft. Sorge, so schnell du kannst, für ein kräftiges Abendessen und weiches Nachtlager! Ich will die werthen Gäste indessen unterhalten, obwohl ich mit wenig Neuigkeiten aufwarten kann. Denn mein Junge, der mir so manches Unterhaltliche, das er auf dem Markte sieht oder hört, nach Hause bringt, ist heute noch nicht zurück aus Sevilla. Wo er auch so lange bleiben mag? Steht doch schon der volle Mond am Himmel. – Aber verzeiht, edle Donna, ihr habt mir noch immer nicht erzählt, was euch begegnet. Nehmt mir's nicht übel, daß ich es wissen möchte. Es ist nicht blos Neugierde, nein! es ist reines, aufrichtiges Anerbieten, der Gebieterin meiner Schwester mit Rath und That beistehen zu wollen, wenn ich einmal weiß, was begegnet ist.« –

Valeria, die den Fischer schon früher aus der Beschreibung, die Luzie so oft von ihrem Bruder machte, und nun aus seinem eigenen Benehmen als einen redlichen Mann kennen gelernt, zögerte keinen Augenblick, die Vorfälle der letzten Tage zu erzählen. Ach, es geschah unter hervorbrechenden Thränen, die sie oft zwangen, in der Erzählung inne zu halten, so daß Luzie drinnen fortfahren mußte. Die Fischersfrau, die unter der Küchenthüre der Erzählung zuhörte, wischte beständig mit ihrer Schürze unter den Augen. Der Fischer selbst war so gerührt, daß er ein paar Mal das Gesicht abwandte, um die Thränen zu verbergen, die auf seiner Wange standen.

Da die Erzählung zu Ende war, und Alle still und lautlos sich die Thränen abgetrocknet hatten, sagte er endlich, indem er die Hand der unglücklichen Frau faßte: »Laßt den Muth nicht sinken, edle Gräfin! und wenn ihr den Tod eures Gemahls beweint habt, so erheitert euch! Tröstet euch mit dem Gedanken, daß da oben über den Sternen und über dem schönen Mondlicht Einer ist, der euch nicht vergißt, der euch nicht verläßt? Hat er euch nicht sicher hieher geleitet? euch vor den Verfolgungen eurer Feinde bewahrt? Drum verzagt nicht und seid recht gerne bei mir! Ich und mein Weib, wir wollen euch den verborgenen Aufenthalt dahier so angenehm machen, als es unsere Nothdürftigkeit gestattet. Und wenn sich eure Verfolger auch nur von Weitem in diesem Thale wollen blicken lassen – die will ich mit meinem Fischerspieße nach Hause jagen, daß sie auf zwanzig Meilen nimmermehr nach einer fremden Frau sich erkundigen. – Aber nun, Elvira,« wandte er sich zu seinem Weibe, »spute dich, und bringe, was du zubereitet hast. Ich hätte ob der traurigen Geschichte beinahe vergessen, daß unsere lieben Gäste hungrig sein müssen.« –

Unterdessen beschäftigte sich Luzie mit dem kleinen Fernando. Sie richtete in einem Weidenkorbe, der in einer Ecke neben dem zubereiteten Nachtlager der Gräfin angebracht war, ein Bettlein zurecht; dann gab sie ihm eine nahrhafte Eiersuppe, legte ihn endlich, da er schon allmählig die Aeuglein schloß, zur Ruhe, und setzte sich wieder zu den Andern an den Tisch. –

Jetzt erst wagten es die Kinder des Fischers, die bisher neugierig und freudig aus einem Winkel heraus dem Dienstmädchen zugeschaut hatten, leise zum Körblein zu treten, in dem Fernando schlummerte. »O wie lieb! o wie lieb!« flüsterten sie zu einander: »dem pflücken wir morgen die schönsten Blümlein! Und der Vater muß ihm ein buntfarbiges Fischlein fangen. Nur recht leise! recht leise! – Dürften wir ihm nur ein Küßchen geben! Aber wir wollen das Wiegenlied singen, das die Mutter uns lehrte, wenn sie vor dem Bette unsers kleinen Bruders saß, der jetzt ein Engelein ist.«

Und die Kinder sangen vor sich hin:

»Gute Ruh'! gute Ruh'!
Engelein steigen hernieder,
Singen dir himmlische Lieder!
Engelein drücken die Aeuglein dir zu!
Schlafe sanft! Träume süß!
Träume vom göttlichen Paradies,
Gute Ruh'! Gute Ruh'!«

Sie sangen es immer wieder, und sangen es so oft, bis sie beide am Boden neben dem Korbe sich hinlehnten, und, indem sie von Zeit zu Zeit einige Worte des Liedes wiederholten, endlich selbst entschlummerten.

Unterdessen deckte Elvira den Tisch. Eine schmackhafte Krebssuppe, eine gebackene Forelle mit Gartensalat waren die Gerichte, die die emsige Hausfrau in der kurzen Zeit hatte zubereiten können. Der Fischer brachte Aepfel, Feigen und Datteln, und einen Becher mit rothem Wein gefüllt. »Nun laßt es euch schmecken, edle Gräfin,« sagte er mit freundlich einladender Miene: »trinkt aus diesem Glase Freude und Heiterkeit und Hoffnung auf bessere Zeiten. Der Wein ist gut. Ich trinke ihn nur an Festtagen, oder wenn mir der Herr eine besondere Hausfreude bescheert hat. Vor einem halben Jahre – da war meine Elvira recht krank. Ich saß Stunden- und Tagelang vor ihrem Bette – und habe weder gegessen noch getrunken. Thränen waren mein Trank, und Kummer war meine Speise. Doch da sie sich wieder erholte – und da sie das erste Mal aus der Hütte trat, und an den Strahlen der Frühlingssonne sich erquickte, und zu mir sagte: »o wie ist mir nun so wohl!« – da hab' ich das erste Mal nach langer Zeit wieder aus diesem Becher getrunken. Drum erheitert euch! stoßt an auf den Trost, den euch der Himmel gewähren wolle!« –

Valeria nippte auf das Zureden des treuherzigen Mannes von dem Weine, und ließ den Becher in der Runde herumgehen.

»Für heute,« hub der Fischer an, »nachdem die Mahlzeit vorüber war, müßt ihr euch schon mit dieser Stube begnügen. Wir haben euch dort ein Nachtlager bereitet, so gut wir konnten, und ich denke, ihr werdet nach einem Tage voll Kummer und Mühseligkeiten bald einschlafen können. Morgen aber werde ich mit meinem Weibe ein paar Stübchen im Hinterhause für euch einrichten, damit ihr selbst haushalten könnt nach Lust und Vergnügen.« –

Endlich kam der Fischerjunge vom Markte aus Sevilla zurück. Ruperto schalt ihn, da er ihn auf wiederholtes Pochen in die Stube einließ: »wo du auch wieder so lange bleiben magst? hat dich ein leichter Geselle in eine Weinschenke verleitet? oder bist du wohl wieder einer Truppe Zigeunern nachgelaufen? Juan, ich sage dir's nun ein für alle Mal: kehrst du mir künftighin nicht mit der untergehenden Sonne aus der Stadt zurück, so schnür' ich dir den alten Rock, den du vor fünf Jahren zu mir gebracht, in ein Bündel zusammen, und schicke dich in Gottes Namen aus meinem Hause.« –

Der Fischerknabe zog mit einem weinerlichen Gesichte den Erlös für die Fische aus der Tasche, und legte ihn auf den Tisch: »Seid nur nicht böse, Meister,« sagte er; »heute ist es gewiß nicht meine Schuld, daß ich so spät aus Sevilla zurückkehre. Es war dort in allen Straßen und Gassen ein fürchterlicher Zusammenlauf von Menschen. Ich konnte kaum durchkommen durch das Gedränge. Edelleute und Knechte, Handwerker und Soldaten – Alles lief durcheinander, die Leiche des jungen Grafen Oviedo zu sehen, die am Morgen im Walde vor Sevilla gefunden, und gegen Mittag auf Maulthieren in die Stadt gebracht wurde. Es gehen mannigfaltige Reden über diesen sonderbaren Vorfall. Ich hörte die Namen: Graf de Vellamare – Don Fernando de Oliva – aber weiter konnte ich nichts verstehen. Mit Mühe erreichte ich das Stadtthor zur Heimkehr. Da sah ich denn mit Entsetzen, daß der herrliche Landsitz vor Sevilla, der dem Grafen de Oliva gehörte, während dem Verlauf des Tages von Grund aus zerstört worden. Ein Wanderer, an dem ich zufällig vorüber kam, sagte mir, das habe die Rache des alten Grafen Oviedo gethan. Ein Schrecken überfiel mich, als wenn ich fürchten müßte, von Feinden verfolgt zu werden. Ich nahm einen Umweg, um an dem zerstörten Schlosse nicht vorbei wandern zu müssen. Und dieß ist der Grund meines langen Ausbleibens. Drum, lieber Meister, werdet ihr« – –

»Nicht zürnen, wenn du mit deiner Hiobspost inne hältst,« fiel ihm Ruperto, der in dem Augenblicke die Todesblässe im Gesichte der Gräfin bemerkte, schnell in die Rede: »Du hast uns schon mehr erzählt, als wir wissen wollten. Geh', verzehre deine Nachtsuppe, und lege dich nieder. Wir müssen morgen in aller Frühe an's andere Ufer, um die Netze an's Land zu ziehen.«

Juan verneigte sich, indem er neugierig nach den Fremden hinschielte, und zog sich bald in seine Kammer zurück. –

Der Fischer und sein Weib erhoben sich von der Bank, und sagten gute Nacht. »Wir wollen euch, setzte Ruperto hinzu, »in den wehmüthigen Empfindungen, die die Erzählung meines Knaben in eurem Innern verursachen mußte, nicht länger stören. Schlafet wohl! und stehet morgen heiterer auf, als ihr euch jetzt niederlegt. Wir wollen beten für euch und euer Kind. Gott sei mit euch! Schlaft wohl!«

Sie verließen die Stube. »Das wird eine schlaflose Nacht werden für die arme Frau,« sagte der Fischer leise zu seinem Weibe, als er in die anstoßende Kammer getreten war: »Hörst du? wie sie schluchzt und weint! daß auch der Bube gerade vor ihr mit seinen traurigen Neuigkeiten herausrücken mußte! – Gott wolle sie trösten!«

Unter mannigfaltiger Rücksprache, wie sie das traurige Leben in diesem einsamen Thale der Gräfin angenehm machen wollten, waren die Fischersleute endlich eingeschlafen.

Um Mitternacht erwachte Ruperto – und horchte leise nach dem Schluchzen der Gräfin. Da war es auch drüben stille geworden. Er dankte Gott – und legte sich wieder. – Und Alles schlief in der Hütte.


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