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Siebenzehntes Kapitel.
Die Freude.

Der Graf von Kreuz war indeß allein mit dem Knäblein bei Fernando's Hütte geblieben. In der Hand hielt er noch das bedeutungsvolle Bild. Er stand in sich gekehrt und nachdenkend. Eine hoffnungsreiche Ahnung durchschwebte seinen Geist. –

»Wie?« sprach er leise vor sich hin: »sollte es nicht in der Fügung des Herrn liegen, daß sich diese drei Herzen wieder finden? Ich weiß nicht, wie mir in diesem einsamen Thale zu Muthe wird. Mir ist, als dämmere mit der untergehenden Sonne ein entscheidender, seliger Abend in dieses Felsenland hernieder, als flögen die Engel Gottes herab, die edlen Bewohner dieser stillen Hütten zu segnen. Das gebe Gott! dann will ich, wenn auch ungerne, doch mit heiterem Herzen das Thal von Almeria verlassen.«

Aus diesem Selbstgespräch brachte ihn ein Angstschrei des Knäbleins, der bisher unter Blumen gespielt hatte, und jetzt mit Einem Male erschrocken aufgefahren war. Eine grüne Eidechse, die sich gesonnt, wurde durch sein Spiel beunruhigt, und schlängelte sich nun unter seinen Händen pfeilschnell am Felsen hinauf.

Der Graf trat hinzu und fing sie mit seinem Hute: »Fürchte dich nicht, liebes Kind, das Thierchen thut dir nichts zu Leide. Betrachte es recht! Sieh, wie schön grün! Hast du noch nie so ein Thierchen gesehen?«

»Warum nicht,« erwiederte der Knabe: »Luzie hat mir schon oft eines gefangen. Dann fürcht' ich es freilich nicht.« –

»Ist Luzie deine Mutter,« fragte der Graf. »Ei nicht doch!« fiel der Knabe ein: »Luzie ist – ja, was sie ist, das weiß ich nicht; aber gut ist sie, recht gut, das weiß ich wohl.« –

»Und deine Mutter?« fragte der Graf weiter. »Ei, die ist noch besser,« erwiederte der Knabe mit lebhafter Freude: »die ist besser, als alle Menschen auf der ganzen Welt. Nur traurig, sehr traurig und blaß, und weint immer. Und wenn ich mit ihr weine und sie frage, dann erzählt sie mir: ich hätte einen Vater gehabt, einen so guten Vater. Den hätten böse Leute um's Leben gebracht. Und wenn ich dann noch mehr weine, so trocknet sie mir die Thränen ab, und zeigt hinauf, hoch hinauf. Dort hätt' ich noch einen Vater. Der liebe Gott sei mein Vater. Dann wird sie wieder heiter, und ich freue mich kindlich, und falle ihr in die Arme, und bin so froh, daß sie meine Mutter ist. Aber, ach! nun bin ich schon so lange da, und ich sah sie noch nicht. Guter Mann, sage mir doch, wo ist sie, meine liebe, liebe Mutter?« –

»Sei ruhig,« sprach der Graf: »Alexis ist hinüber an's andere Ufer. Der wird sie finden, ihr sagen, wo du bist! und dann holt sie dich wohl ab.« –

So ließ sich der Knabe wieder auf kurze Zeit beruhigen. Der Graf aber hatte aus dessen Worten neue Nahrung für seine frohe Ahnung geschöpft. Er harrte mit Sehnsucht und gespannter Erwartung des Augenblicks, da Alexis zurückkehren und Nachricht bringen sollte. –

Jetzt mit Einem Male tönte aus der Ferne kaum vernehmbar: »Fernando! Fernando!« Beide horchten.

Da kam Alexis im vollsten Laufe beinahe außer Athem. Er war vor Freude der Menge vorausgeeilt, und rief nun: »Sie kommen, sie kommen, holder Knabe, sie bringen deine Mutter!« – Auf diese Nachricht hüpfte und sprang der Knabe, klatschte mit den kleinen Händlein, weinte vor Lust und Begierde, seine Mutter zu sehen, eilte von einem Felsen auf den andern, so hoch er konnte: kniete dann nieder und hob die Händlein zum Himmel; winkte, da er den Zug herbeieilen sah, und rief in die Ferne, so weit seine schwache Stimme reichte: »Da bin ich, Mutter, da bin ich!« –

Nun hatte sie ihn erblickt. O welche Freude! Sie drängte sich durch die Menge aus Luziens Armen. Sein Anblick hatte ihre Kräfte neu belebt. Sie eilte – eilte – Alles ihr nach – und nach wenigen Minuten, da hatte sie ihren Liebling, den Einzigen, den Trost ihres armen Lebens voll der innigsten Mutterliebe an ihrem Herzen. In dem Augenblicke war alle Angst vorüber, aller Kummer vergessen. Sie hob ihn hoch empor, küßte ihn tausendmal, drückte ihn fest in ihre Arme, kniete an ihm nieder, streichelte die noch feuchten Locken seines Haares, begoß seine Wangen mit ihren Freudenthränen, und wußte ihrer Wonne gar kein Ende. Dann langte sie aus den Falten ihres Kleides ein Bildniß hervor, küßte es, sah bald auf dieses, bald auf die Züge ihres Kindes und betete laut und voll Rührung: »O Gott, du bist gut, unendlich gut! o Dank dir! Dank! – Nun darf ich wieder leben! Du hast mir ihn nicht genommen, meinen Engel! An seinen Zügen darf ich mich wieder freuen; es sind ja Fernando's Züge. In seinem Sohne leben sie. Wie in diesem Bilde, so leben sie in ihm; schöner noch, lebendiger noch leben sie in ihm, meinem Lieblinge. – Gott der Erbarmung, o daß ich dir recht danken könnte! daß mein ganzes Leben ein Dankgebet wäre für diesen Augenblick der Freude! Komm, Fernando! du böser Knabe! hab' ich dich doch gewarnt! O warum hast du mir dieß gethan? – aber still! still! – ich habe dich ja wieder. – Komm, du lieber Knabe! drücke dich fester an mich, falte die Händlein hinauf, hoch hinauf zum lieben Gott! Sieh, der Geist deines Vaters hat dich umschwebt, und du bist mir geblieben. Er umschwebt uns noch; ich fühle seine Nähe; ich fühle sie, wie noch nie. O freue dich, Kind' er lächelt über uns, über diesen Augenblick – er segnet uns!« –

So sprach sie. Ihr unverwandter Blick zum Himmel, die Inbrunst, mit der sie den Knaben noch in den Armen drückte, die häufigen Thränen süßer mütterlicher Zärtlichkeit verriethen, daß sie noch lange betete.

Dieß war für Alle, die zugegen waren, ein heiliger Augenblick. Die Frauen und Mädchen trockneten zuerst Thränen ab. Dann thaten die Männer das Nämliche. Selbst der Graf stand in frommer Rührung, aber auch voll Hoffnung, daß Gott seine Ahnung in Erfüllung gehen lasse. –

Nun drängten sich Alle um den holden Knaben. Mädchen und Frauen drückten und küßten ihn tausendmal. Die Männer schaukelten ihn freundlich auf ihren Schultern, aus lauter Freude, daß er gerettet.


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