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Vierzehntes Kapitel
Der Mann von Almeria.

Unter verschiedenen Gesprächen war der Graf von Kreuz, geleitet von Alexis, durch einen kleinen anmuthigen Waldgrund am Ufer des Stromes hinabgewandelt, und – stand nun überrascht am Fuße eines abhangenden Felsens im Anblicke einer ärmlichen Hütte, die, von Gebirgspflanzen umwachsen, über dem grünen Grund ein moosiges Strohdach trug.

»Hier,« sagte der Knabe, und stellte den Korb mit den Kräutern auf die steinerne Bank: »hier siehst du die Wohnung meines Herrn. Wenn sie auch klein ist, für ihn und mich ist sie groß genug. Und wenn er fremde Wanderer auffindet, die die Nacht überfiel, und die nicht mehr weiter gehen können und verschmachten müßten, so bringt er sie hieher, und macht ihnen in der Hütte ein Lager zurecht. Wir aber legen uns dann in die Höhle dort auf weiches Moos, und wir schlafen recht gut.«

Der Graf konnte nicht genug staunen über den Anblick. Alles trug das Zeichen der Dürftigkeit an sich; aber Alles war mit sinnreichem Fleiße angeordnet. Die Hütte hatte ein Fensterlein, wodurch man den in der Mitte stehenden Tisch von Stein und eine aus hartem Holz gearbeitete Bank erkennen konnte. In der Nähe der Hütte sprudelte aus einem Felsen ein spiegelklarer Quell, und befeuchtete durch seine vielen Schlingungen die Wiesen des anmuthigen Thales. Der Hütte gegenüber führten sechs in Felsen gehauene Stufen zu einem großen steinernen Kreuze, das auf der Anhöhe stand. »Da hinan,« sprach der Knabe: »steigt mein Herr jeden Abend und betet. Darauf langt er ein Bildniß hervor, und küßt es und weint. Und wenn er dann herabkömmt, und sieht so traurig aus, und redet so gebrochene Worte, da möcht' ich fast auch weinen.« –

»Du hast mir nun,« fiel der Graf ein: »so viel Gutes erzählt von deinem Herrn, und hast mir noch immer seinen Namen nicht gesagt.«

»Ach,« erwiederte der Knabe: »den hätt' ich wohl auch schon oft wissen mögen; aber die andern Leute können mir ihn auch nicht sagen; und ihn darum zu fragen, das laß' ich wohl bleiben. So schlechtweg heißt er: »Der Mann von Almeria.«

Nun war der Graf in noch gespannterer Erwartung, den seltenen Mann kennen zu lernen, der allen Menschen, so weit er konnte, Gutes that, und dabei jeden Anspruch auf Dank und Wiedervergeltung floh. – –

»Was macht ihr denn mit den Kräutern?« fragte der Graf wiederum den Knaben, der jetzt die Gewächse aus dem Korbe über sonnigen Felsen ausbreitete. »Siehst du?« entgegnete der Knabe: »die müssen hier trocknen. Und wenn sie trocken sind, gibt sie mein Herr kranken Leuten, und dann werden sie wieder gesund. Die Kräuter da wachsen alle im Thale und auf niedern Bergen; und ich muß jeden Tag dahin, sie zu sammeln. Die Kräuter aber, die mein Herr nach Hause bringt, wachsen auf den höchsten Klippen; er klettert, wie eine Gemse; und wenn ich älter bin, darf ich ihm nachklettern.« –

Wie er noch redete, rief man aus der Ferne: »Alexis! Alexis!« – Der Knabe erkannte sogleich die Stimme seines Herrn. »Ich bitte dich, lieber Mann,« sprach er hastig zu dem Grafen: »entziehe dich doch ein wenig seinen Blicken; denn er bebt anfangs vor jedem vornehmen Herrn zurück, weil er meint, man wolle ihn aus seinem Frieden schrecken.« – Mit diesen Worten sprang er fort, seinem Herrn entgegen. Der Graf aber verbarg sich hinter dem Felsenvorhang, mit gespannter Stille auf die Ankunft des Mannes harrend. –

Nach einer Weile kam er. Es war eine schlanke, hagere Gestalt. Die Hälfte seines Gesichtes war von einem großen Strohhute nach der damaligen Sitte der Gebirgsleute bedeckt. Seine schwarzen Haare hingen über die Schultern. Unter einem mächtigen Bart waren die edlen Züge nicht zu verkennen. Ein langes, dunkles Kleid hatte er nachlässig über sich geworfen. Sein Gang war männlich-ernst und ruhig. –

»Aber, mein lieber Herr,« rief jetzt Alexis, und schlug die Hände zusammen: »seid ihr in's Wasser gefallen? euer Mantel trieft ja noch!« – »Ruhig, Alexis,« fiel der Mann ein; »ruhig, du wirst Alles hören; jetzt gehe, und hole das trockene Moos aus der Hütte, und bette es hieher an' diesen sonnigen Platz.« –

Alexis that Alles in hastiger Eile. Wie er nun fertig war, und neugierig zusah, was sein Herr damit wollte, warf dieser seinen nassen Mantel von den Schultern. Ein Kind lag auf seinen Armen. »Ei, was ist das?« rief Alexis verwundert: »je, ein Kind! wo habt ihr doch das wunderschöne Kind her? gehört es euch?« –

Der Mann horchte jetzt leise an den Lippen des Knäbleins! Welche Freude! welcher unbeschreibliche Jubel! es athmete! es lebte! Mit Thränen im Auge warf er einen Blick des Dankes zum Himmel, und legte es sanft auf das weiche Moosbett.

Alexis stand noch immer, und staunte das Knäblein an. »Nun,« sagte der Mann, »verstehst du wohl, warum mein Mantel so naß ist? Siehst du, dieses holde Kind spielte jenseits am Ufer, fiel in den Strom, und ward von den Wellen umschlungen. Ich wandelte gerade am Strande dießseits hinab, sah es, sprang ihm nach, und – o, Gott hat mich zum Glücklichsten gemacht, ich konnte es retten. Es athmet noch; auf diesem weichen, warmen Lager werden bald nach einem sanften Schlummer seine Lebensgeister zurückkehren! – Aber, ach Gott, des Knaben Eltern! welche Angst! sie werden ihn vermissen, suchen! und ihr Jammer, wenn sie ihn nicht finden! – Geschwind, Alexis, hinab an den Strom! dort im Gebüsche steckt der Nachen; binde ihn los, setze an's andere Ufer, frage überall, und wenn sie dir mit bleichen Gesichtern entgegenkommen, so sage ihnen, sie sollten fröhlich sein, der Knabe sei bei mir in Sicherheit; und führe sie hieher, daß sie ihn abholen!«

Kaum hatte er dies mit sichtbarer Freude geredet, war Alexis unter lautem Jubelausruf fortgeeilt, um über den Strom zu setzen.

Wie der Mann jetzt allein sich glaubte, kniete er nieder vor dem schlummernden Knäblein, und betrachtete es lange. »Du, holdes Kind,« sprach er leise: »du wirst es mir danken, daß ich dir das Leben rettete; aber, ach! ist dieß Leben denn so angenehm, wo nur Kummer und Elend deiner harren? O, der Strom, in dem du noch vor einigen Minuten deinen Tod finden solltest, ist nicht so fürchterlich, wie der Strom der Welt. Da stürzen die Wellen des Unglücks über dich her, und drohen grausenhaft, dich hinabzureißen in ihren Abgrund. Da mußt du selber kämpfen und ringen Tag und Nacht; es naht kein menschlicher Arm, der dich herauszöge. Ach, nun kämpf' ich schon jahrelang mit diesen Wellen, habe schon manches Gebet hinaufgesandt in den Himmel der Erbarmung; aber – noch nicht ist der furchtbare Kampf geendet. Armes Kind, Gott möge dir gnädig sein, und dich bewahren, daß du in einem solchen Kampfe nicht untergehest.« –

Jetzt fing der Knabe an, im Schlummer zu lächeln. Dieß schien den armen Mann zu erheitern. Es mochten wohl tausenderlei süße Erinnerungen aus einer glücklicheren Zeit an seiner Seele vorüberschweben. In seinem Herzen ging etwas Großes vor. Seine Augen waren voll Thränen; sein Blick bald zum Himmel, bald auf den Knaben gerichtet. Die Hände faltete er über die Brust; er schien zu beten. –

Da trat der Graf unter dem Felsenvorhange hervor. Er war von dem, was er gesehen und gehört hatte, tief in der Seele bewegt. »Verzeiht,« sprach er zum betenden Manne, und trat näher: »verzeiht einem Reisenden, der auf seinen Wanderungen durch diese schöne Gegend hier unvermuthet Zeuge einer schönen That geworden.« –

Der Mann erhob sich verlegen von der Erde. Er war heftig erschrocken. »Fremder,« sprach er zitternd: »verschont mein armes Herz mit eurem Lobe. Was durch mich geschehen, ist nicht mein Verdienst; es ist Gottes Werk. Dafür dank' ich ihm Tag und Nacht, daß er mir von so vielen doch diese Freude gelassen, andern Unglücklichen hilfreich beispringen zu können.« –

»Und diese Freude,« versetzte der Graf, »mag wohl dem Aermsten auf der Welt sein gramvolles Leben mildern?« –.

Wie er dieses sprach, erhob der Mann sein Gesicht unter dem Strohhute, und sah ihn bedeutend an. – –

»Wie? darf ich meinen Blicken trauen?« rief der Graf, und trat einen Schritt näher. »Und ihr,« erwiderte der Mann: »seid ihr nicht mein Wohlthäter, der mich so liebevoll aufnahm in seine Wohnung? der mich so lange beherbergte? Ja, ihr seid's!« – Mit diesen Worten eilte er auf den Grafen zu, und drückte dessen Hand im frohen Gefühle des Wiedersehens und der Dankbarkeit an seine Brust. –

»Aber wie konntet ihr euch entschließen,« sprach der Graf nach einer Weile: »unter diesen Felsen zu wohnen, abgeschieden von allen lebenden Wesen, und mein Landgut mit dieser ärmlichen Hütte zu vertauschen? – Wie? ihr weint? So ist denn die alte Schwermuth noch nie aus eurem Herzen gewichen! – Armer Mann, ich bedauere euch sehr! – Aus dem Schreiben, das ich nach eurem plötzlichen Verschwinden auf eurem Zimmer fand, konnt' ich schließen, daß ihr aus Furcht vor Verfolgern mein Landgut verließt. Weiter aber weiß ich auch nichts. Nicht einmal euren Namen habt ihr mir vertraut. Oft hätt' ich ihn wissen mögen; doch euer stiller Gram und die stete Schwermuth hielten mich immer zurück, um euer Vertrauen zu bitten.«

Der Mann mit dem Strohhute drückte dem Grafen die Hand. »Ihr seid der Edle,« sprach er gerührt, »der mich aufnahm in meiner Flucht, der mein Stillschweigen ehrte, und an meinem jahrelangen Kummer herzlichen Antheil nahm. Was soll ich euch länger meinen Namen und den Gram meines Herzens verborgen halten, zumal da ich unter diesen Felsen von Verfolgern nichts mehr zu befürchten habe?« –

»So wißt denn, ich bin der unglückliche Fernando de Oliva.« –

»Fernando de Oliva?« rief der Graf, und konnte die mächtige Bewegung nicht zurückhalten, die in seinem Innern vorging. –

»Was staunt ihr so,« fragte Fernando: »Nun, so wißt ihr wohl schon die ganze traurige Geschichte des armen Fernando de Oliva. Und wer sollte sie auch nicht wissen?« –

»Kam denn Fernando,« fiel der Graf ein: »in jenem nächtlichen Kampfe im Walde bei Sevilla nicht um's Leben?« –

»Daß es,« antwortete Fernando: »meine Verfolger glaubten, mag wohl der Grund sein, warum sie meinen Aufenthalt nicht schon lange erspäht haben. Ich erhielt nur eine Wunde am rechten Arme, die mir auf kurze Zeit die Besinnung nahm. Bald erwachte ich wieder, und mußte leben. Aber, ach! was war dieß für ein Leben unter Furcht und Kummer und Hoffnung! Wie ich in meinem Schlosse ankam, fand ich es verlassen von Gattin und Kind: kein Mensch wußte, wohin sie gekommen. Wohl konnt' ich, weil der Schlüssel zur verborgenen Gartenpforte fehlte, daraus schließen, sie hätten die Flucht ergriffen. Aber was sollt' ich anfangen? Mir vergingen meine Sinne. Ich hatte keine Zeit, nach den Verschwundenen zu forschen. Die Verfolger waren schon im Anzuge. Ich glaubte mein eigenes Leben retten zu müssen, und entfloh in dem Bettlergewande, in welchem euere Menschenfreundlichkeit mich aufgenommen. Aber auch auf eurem einsamen Landgute glaubt' ich mich nicht verborgen genug; ich verließ es in einer stillen Mitternacht, als Pilger verkleidet. Noch einmal nahm ich all meinen Muth zusammen, und wandelte in dieser Kleidung bis zu den Ruinen meines ehemaligen Landsitzes. Da strich ich in der dunkeln Dämmerungsstunde einsam um alle Frauenklöster der Nachbarschaft, ob ich nicht in einem sie finden könnte, die ich so lange suchte. Aber Alles war vergebens. – Nun war meine Hoffnung im Herzen ausgeglommen. Mein Gram war ohne Grenzen. Ich sank halb ohnmächtig nieder an den Trümmern meines Schlosses, den letzten Zeugen meines ehedem blühenden Glückes, und weinte die ganze Nacht, daß eine Zähre die andere schlug. Wie der Morgen graute, ward mir leichter. Ich konnte beten. Das that ich denn nun im Innersten meiner Seele. Ich nahm Abschied von allen Freuden dieser Welt, und irrte jahrelang herum ohne Heimath, in Jammer und Elend, meinen größten Hunger an den Hütten barmherziger Menschen stillend, bis ich endlich vor kurzer Zeit in dieses einsame Gebirgsthal eingetreten. – Seitdem leb' ich hier in diesem engen Raume, groß genug, um meinen Gram ausweinen zu können. Und was mir noch den Genuß des Lebens erträglich macht, ist, daß mir der liebe Gott beinahe jeden Tag Gelegenheit schickt, leidenden Brüdern beispringen zu können. – Von meiner Gattin aber und meinem Kinde hab' ich nie mehr ein Wort erfahren. Ach, sie haben wohl schon geendet, und sind nun heimgegangen in Gottes selige Wohnungen; und ich habe nicht einmal ihr Grab, daß ich die Blumen, die darauf wachsen, mit meinen Thränen begießen könnte. Nur ein kleines Bildniß hab' ich, ein Geschenk von Valeria, ohne daß sie es selbst weiß. An jenem Morgen, da ich vom Walde zurückkehrte, fand ich es auf dem Tische ihres Arbeitszimmers. Mit welcher Freude ich es ergriff und küßte, könnt ihr euch denken; es war ja dem wiederkehrenden Fernando bestimmt von seiner Valeria. Seitdem trug ich es an meinem Herzen, und bewahre es mehr als ein Kleinod.« –

Bei diesen Worten zog er das Bildniß aus den Falten seines Kleides hervor, weinte einen Strom von Thränen darauf, und reichte es dem Grafen dar, der es lange staunend betrachtete. »Nun,« sprach der Graf zu sich selbst: »wie wird Carlos sich freuen, wenn er hier unvermuthet den findet, dessen Mörder er zu sein sich anklagt in seinem Innern! Noch will ich Fernando nicht offenbaren, wie nahe ihm der Bruder seiner Gemahlin ist. Aber ich sehe mit Entzücken dieser Ueberraschung entgegen.« – –

Jetzt bewegte sich der Knabe auf seinem Moosbettchen. Er war erwacht. Langsam richtete er sich auf, und sah rings um sich her. Die neuen Gegenstände erregten in ihm ein ängstliches Gefühl. »Ach, wo bin ich denn?« schluchzte er, und fing an laut zu weinen. –

Fernando trat hinzu und suchte ihn zu beruhigen: »Fürchte dich nicht, lieber Kleiner! es geschieht dir kein Leid.« –

»Fürchten?« sprach nun der Knabe: »wofür? hab' ja nichts Böses gethan.« –

»Wer bist du denn?« fragte ihn Fernando, und nahm ihn freundlich am kleinen Händlein. »Ich heiße Fernando!« erwiederte der Knabe: »und meine Mutter? das weiß ich wohl selbst nicht.« –

»Wo wohnt sie denn,« fragte Fernando weiter: »Weißt du nicht?« erwiederte der Knabe, »in der kleinen Hütte unter den drei Kastanienbäumen. – Aber, wo bin ich denn? – da bin ich ja über den breiten Strom gekommen; zum ersten Mal in meinem Leben. Ist mir doch, als hätt' ich geträumt. Ein Blümlein wollt' ich pflücken. Es war recht schön blau. Die Mutter nennt es das Himmelsblümlein. Es sah mich gar so freundlich an, und lächelte aus dem Wasser. Das Denkmal meines Vaters wollt' ich damit zieren. Aber, ach! mein Arm war zu kurz. Ich bog mich über, und glitschte aus und fiel in den Strom. Das weiß ich noch. Aber als die Wellen über mir zusammenschlugen, da ist mir Hören und Sehen vergangen.« –

»Und siehe,« sprach der Graf, und deutete auf Fernando: »Dieser brave Mann hat dich gerettet.« – Da fing der Knabe vor Freude an zu weinen, und küßte Fernando's Hand: »Ich danke dir, du braver Mann! o, wie wird dir meine Mutter danken!« –

Diese Worte des unschuldigen Kindes rührten Fernando's Herz zu sehr. Er konnte sich hier der Thränen nicht mehr enthalten. Er bat den Grafen, in der Nähe des Kindes zu bleiben, und suchte unter dem Vorwande eines kleinen Geschäftes das Freie, um sich das Herz leichter zu machen. –


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