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Tief hinter dem Bergwalde graute allmählig der Tag, als Fernando vor dem Schloßthore vom Pferde stieg. Der Morgen war kalt und rauh, und die Schmerzen seiner Armwunde waren beträchtlich gestiegen, weßwegen er langsamer den Weg nach seinem Landgute verfolgen mußte, als er anfangs im Sinne hatte. –
Das erste lebende Wesen, das ihm entgegen kam, war sein Diener, der ihn vergangene Nacht als tobt verlassen hatte. Er war so eben im Begriffe, nach der traurigen Stelle, wo das schreckliche Unglück vorgefallen, heimlich hinzueilen, um die Leiche seines Herrn zu verbergen. – »Großer Gott im Himmel!« rief er nun, und starrte Fernando an: »mein lieber, guter Herr! – oder ist es sein Geist? und kommt er, Gattin und Kind in ein seligeres Land abzuholen?« –
»Ich bin's,« entgegnete Fernando: »dein Herr ist's mit Leib und Seele. Doch sprich, was macht meine Gattin? mein Kind? wo sind sie? war ihnen recht bange um mich? Geschwind sprich! quäle mich nicht mit deiner langen Weile!«
»O Gott sei tausendmal gelobt und gepriesen, edler Herr,« rief der Diener, Freudethränen in den Augen: »weil ihr nur da seid. Das wird eine Freude sein. Gott! Dank! Dank! O ich alter armer Mann, daß ich so viel Unheil stiften mußte! Gott verzeih' mir's! – Da ihr, von dem Mordstahl getroffen, zu Boden sänket, hielt ich euch für todt, gab meinem Pferde den Sporn, und eilte hierher auf's Schloß. Wie ein Lauffeuer verbreitete sich noch in der Nacht die schauervolle Botschaft: Fernando ist todt! der edle Herr des Schlosses ist gemordet! – Die gute Gräfin sank ohnmächtig zu meinen Füßen nieder. Ach, was wird das für eine schreckliche Nacht für sie gewesen sein! – Und nun, welche Freude, welch ein Jubel! – O ich alter Mann sehe meinen Herrn wieder. Jetzt wird mir das Leben erst theuer und angenehm. Du guter Gott, solche Freude durf't ich nie mehr hoffen! – Kommt, noch weiß die Gräfin nicht, daß ihr lebt, daß ihr hier seid. – Kommt mir nach! ich eile die Treppe hinauf; die Freude macht mich jung. – O daß sie es jetzt schon wüßte! Jeder Augenblick, den sie umsonst vertrauern muß, liegt zentnerschwer auf meinem Herzen.«
So sprach der Diener, eilte die Treppe hinan, und zog seinen Herrn, dem es noch an Kraft gebrach, ihm schnell zu folgen, mit sanfter Gewalt nach sich. –
Kaum daß er die Thüre am Zimmer der Gräfin halb geöffnet hatte, rief er schon in freudiger Hast: »Trauert nicht, edle Frau, lobt und dankt Gott; euer Gemahl lebt!« – Aber ach, das Zimmer war zerstört und leer.
»Mein Gott!« rief Fernando in der höchsten Angst aus: »was ist hier vorgefallen? Rede, Alter, hast du die Gräfin vergangene Nacht noch hier getroffen? oder lügst du nur? und willst mir durch eine grausenhafte Ungewißheit den fürchterlichen Schmerz herabstimmen?« –
»So war ich lebe, und euer treuer Diener bin,« erwiederte Jener: »ich rede die Wahrheit.« –
»Und hast du,« fiel Fernando ein, »die ganze Nacht hindurch keinen Lärm in und außer dem Schlosse gehört?« –
»Nicht den geringsten,« entgegnete der Diener, »und ich habe doch beinahe die ganze Nacht schlaflos zugebracht.« –
Fernando lag im schmerzlichsten Kummer auf einen Sessel hingestreckt, und redete kein Wort. Bald warf er den Blick auf die noch glühende Asche des Kamines, der die Wahrheit der Aussage des Dieners bestätigte, und bald auf die leeren, offenstehenden Schränke, die eine eilige Hand entleert zu haben schien.
Nun gab er seinem Diener Befehl, alle Zimmer, ja alle Winkel des Schlosses genau durchsuchen zu lassen, ob nirgends eine Spur von Valeria zu entdecken wäre. Er aber blieb zurück in ihrem Zimmer. Die schreckliche Ungewißheit, ob sie und ihr Kind lebe, wo sie sich aufhalten könnten, belagerte sein Herz. – Doch tröstete er sich wieder mit dem Gedanken, daß sie, um den Verfolgungen Oviedo's zu entgehen, sich in der Eile in ein benachbartes Kloster geflüchtet habe. Darin bestärkte ihn der Umstand, daß er den Schlüssel zur entlegensten Gartenpforte vermißte, vorzüglich aber auch das Geschenk, das sie auf seine Ankunft verfertigt und in der Eile auf ihrem Arbeitstisch zurückgelassen hatte. Mit einer stürmischen Freude ergriff er es, und las darauf die Worte: »Dem treuen, wiederkehrenden Fernando von seiner Gattin.« –
Tausendmal küßte er es, und weinte heiße Thränen darauf. »Daran,« seufzte er, »holde, treue Gattin, erkenn' ich deinen zarten Sinn. Welch hohe, schöne Gedanken, welch eine süße, freundliche Zukunft mußte dich da umschweben, als du dieses Geschenk verfertigtest! Wie oft wirst du dabei unsern lieblichen Knaben geküßt, wie oft ihn Gott und seinem heiligen Willen geopfert haben! – O damals erfüllten dich noch die süßesten Hoffnungen meiner Wiederkehr; damals harrtest du schon mit der zärtlichsten Ungeduld, mir in die Arme eilen zu dürfen. – Aber nun, da ich zurückgekehrt, wo bist du? Zu welchem Unternehmen hat dich die schreckliche Nachricht, daß ich ermordet, gezwungen? – O Gott,« betete er, »der du ja Alles siehst, und Alles weißt, gib mir den leisesten Funken von deinem Lichte in die Seele, daß ich erkenne, wohin sie geflohen.«
Dann sah er wieder auf das Geschenk seiner Gattin, und sagte wehmüthig lächelnd: »Komm, einziges, theures Kleinod, dich will ich an meinem Herzen tragen, so lange ich athme. Ich allein habe das erste Recht auf dich, erhielt ich dich auch nicht aus ihrer Hand; ihr Herz, ihre Liebe hat dich mir schon tausendmal bestimmt, ehe ich etwas von dir wußte. O wie wird es sie geschmerzt haben, daß sie selbst dich mir nicht geben konnte, und wie wird sie jetzt um dich jammern, da sie nicht ahnet, in wessen Hände du gerathen bist!« – So sprach er weinend, drückte das Geschenk an sein Herz, und steckte es in die Brustfalten seines Mantels.
Da kam der Diener hastig hereingeeilt. »Nun, Alter,« rief er ihm entgegen, »hast du keine Spur entdeckt?« Aber die traurige Miene und der düstere Blick des Mannes antworteten ihm mit einem zitternden Nein. Er sank betroffen und gramvoll auf den Stuhl nieder.
Als er sich wieder erholt hatte, trat der Diener mit Thränen im Auge näher. »Zudem, edler Herr, daß ich keine Spur von der Vermißten entdecken konnte, erfahrt ihr noch eine traurigere Nachricht. Euer Leben, wenn ich euch rathen kann, müßt ihr retten. Fliehen müßt ihr diesen Augenblick, bevor euch die Wuth der Rache ergreift, und euch das Leben nimmt. Die grimmigste Gefahr droht über euch hereinzubrechen! Hört diesen ehrlichen Mann, der euch Wichtiges zu berichten hat!« –
Mit diesen Worten führte er dem Grafen einen Landmann vor, der in aller Eile auf dem Landgute angekommen war, so daß er vor schnellem Athem kaum zu Wort kommen konnte.
»Don Fernando,« fing dieser an, und trocknete sich den Schweiß von der Stirne: »ich bitte und beschwöre euch bei meiner armen Seele, flieht, flieht aus diesen Mauern! Eure Verfolger sind nicht mehr ferne. Sie nehmen den geraden Weg hierher.« –
»Woher habt ihr die Kunde?« fragte Fernando hastig.
»Ihr wißt,« fiel der Landmann ein, »mein Haus steht an dem Ufer desselben Stromes, der hier am Schloßhügel vorbeifließt, nicht weit vom Eingänge in den Waldesgrund. Ich war heute schon frühe aufgestanden, und arbeitete in meinem Hofraume. Da trabten auf Ein Mal aus dem Walde eine Menge Reiter daher, gerade auf mein Haus zu. Ich erschrack. Der seltene Vorfall befremdete mich. Sie machten Halt, und der Vornehmste aus ihnen – Graf Oviedo hört' ich ihn nennen – ritt dicht vor mich hin, und fragte mich mit forschendem Blick und wilder Miene, ob ich frühmorgens keinen vornehmen Herrn aus dem Walde durch die Gegend hätte reiten sehen. Und da ich mit einem ehrerbietigen »Nein!« antwortete, fügte er hinzu: »Wir sind schon, ehe der Tag anbrach, aus Sevilla geritten, in der sichersten Hoffnung, im Walde dort zwei Leichen zu treffen. Leider traf ich nur eine, und gerade die ich nicht treffen wollte, die Leiche meines Sohnes. Die andere hat der Schwarze sammt der Seele geholt, oder sie ist von den Todten erstanden. Ist das Erste der Fall, wünsch' ich ihr Glück; im zweiten Falle bin ich eben auf dem Wege, sie wieder den Todten zurückzuliefern. Den Besitzer jenes Landgutes, das sich so stolz auf dem Hügel erhebt, will ich erspähen, wenn er wirklich noch lebt. Wenn nicht, so soll der herrliche Landsitz zu einer Ruine zusammensinken, damit die ganze Gegend mit Zittern es einsehe, wie furchtbar Oviedo sich an denen rächt, die ihm wehe gethan.« –
Mit diesen Worten gab er dem Pferde den Sporn, und rief noch zurück: »Wenn ihr die vier Thürme übereinanderstürzen sehet, so zittert vor der schrecklichen Wahrheit meiner Rede.« –
Im Galopp ritt er über die Brücke, Alle ihm nach. Tiefer einwärts im Thale, mein Blick konnte sie noch verfolgen, hielten sie an einer Herberge, und schmausten.
Dieser Umstand war mir erwünscht. Wartet, dacht' ich, ihr sollt nicht eher, als ich, die Burg meines Herrn erreichen, wo ich euern schändlichen Anschlag eilends hinterbringen will. Ich lief, wie ich war, längs des Stromes hinauf, dem Fußsteig zu, der auf der Rückseite des Hügels hierher führt. Ihr wißt nun alles, edler Herr; säumt nicht, flieht, rettet euch! Es kann keine Viertelstunde mehr anstehen, und die Verfolger haben euer Schloß erreicht.« –
Und wirklich tönte auch schon nach einigen Minuten ein furchtbares Pferdegetrabe und Menschengeschrei am Hügel herauf; und weil man in der Angst und Eile vergessen hatte, die Thore zu schließen, so war auch bald der geräumige Hof voll Lärm und Gerassel.
Das erweckte den Grafen aus seinem stummen Dahinstarren. Er griff schnell nach dem Bettlergewande, das ihm sein treuer Diener eilig darreichte, wandte den nassen Blick noch einmal im Kreise herum, drückte die Hände der beiden treuen Männer, die weinend vor ihm standen, zum letzten Lebewohl, und – verschwand plötzlich durch eine verborgene Pforte. –
Der Weg führte ihn über die felsige Rückseite des Schlosses, über die ihn die Feinde, wenn sie auch seine Flucht entdeckt hätten, nicht verfolgen konnten. So klomm er rastlos vorwärts unter Thränen und Seufzern, bis er endlich, überrascht von der hereinbrechenden Nacht, matt und kraftlos an einem Felsenstück niedersank, und unter dem Gedanken an Gattin und Kind, und unter dem Gebete zu Gott um Schutz für ihn und die Seinigen, von einem schweren Schlafe umfangen wurde.