Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Achtes Kapitel.
Der Graf von Kreuz.

Mehrere Monate waren vorüber seit jenem traurigen Ereignisse auf dem Landgute vor Sevilla. Der Frühling mit seinen Knospen, Blättern und Blüthen war wieder zurückgekehrt. Lerchen schwirrten, Schmetterlinge flogen über die Fluren, und Kraniche badeten sich klappernd an Teichen und Seesufern. –

Fernando war seit dieser Zeit in unbekannten Gegenden, wie ein Geächteter, herumgeirrt. Sein Bettlergewand und das allgemeine Gerücht, er müsse in jenem nächtlichen Gefechte todt geblieben sein, hatten ihn glücklich vor allen Verfolgungen sicher gehalten. Ohne Rast und Ruhe, unter Thränen und Weheklagen hatte er oftmals die Stelle wieder aufgesucht, wo ehedem das Glück ihm geblüht; in allen Nonnenklöstern hatte er heimlich nachgeforscht, ob vielleicht nicht eines derselben seine unglückliche Gemahlin mit ihrem Kinde verborgen hielt, ja er hatte sich, die schreckliche Gefahr, entdeckt zu werden, nicht scheuend, sogar ein Mal innerhalb der Mauern von Sevilla hineingewagt, um zu erfahren, ob nicht der erbitterte Vater sie eingefangen in seinem Hause bewachte, sie und ihr Knäblein nicht mißhandle – allein alle seine Nachforschungen blieben fruchtlos. Er konnte keine Sylbe über das Schicksal der Unglücklichen erfahren. Daß sie in jener Nacht, da sie die falsche Todesnachricht von seinem Diener erhalten, durch die verborgene Gartenpforte entflohen, um sich dadurch den Verfolgungen ihrer Gegner zu entziehen – war ihm wahrscheinlich, ja beinahe gewiß. – Weil er aber durchaus keine Spur von ihrem Aufenthalte erkunden konnte – so mußte er endlich glauben, daß sie auf ihrer Flucht mit ihrem Kinde und ihrem Dienstmädchen von irgend einem traurigen Unfall überwältigt worden, und nun in einem Abgrunde begraben liege. – So groß der Jammer war, der aus diesem Glauben für ihn hervorging, so lag doch zugleich das süße tröstende Bewußtsein in ihm, sie seien in Gottes und nicht in der Menschen Händen. Wo er ging und stand, wenn die Sonne aufging und wenn sie niederging, um Mittag und Mitternacht weinte er um sie, und betete für sie, ob sie nun in Verborgenheit noch lebten, oder ob der Herr sie schon heimgeholt hätte. – So wandelte er in seinem ärmlichen Anzuge immer weiter und weiter, und kam gegen die Wälder von Montilla. –

Es war eine sternhelle Frühlingsnacht. Ein lauwarmer Wind regte sich in den Oliven und in den wildwachsenden Rosmaringesträuchen, die einen angenehmen Duft durch die Landschaft hinstreuten. Hier und dort zirpten Cicaden; und Nachtvögel flatterten in der Luft, wie Gespenster.

Da stand Fernando vor dem Doppelthor eines einsamen großen Gebäudes, das dem Anscheine nach als ein Ueberrest aus der alten Ritterzeit von einem mäßig erhabenen Hügel in's Thal hinabschaute. So weit er im Dunkel der Nacht unterscheiden konnte, wurde er gewahr, daß die Kunst der neuesten Zeit diesen Ort in die angenehmste Wohnung irgend eines vornehmen Herrn umgestaltet habe. Rechts und links vor dem Thore erhoben sich zwei Statuen von riesiger Größe, die einem Fremden, der eingelassen zu werden wünschte, vorzüglich beim nächtlichen Anblick eine Art von Schauer und Ehrfurcht einflößen. Dagegen sah man mit freudiger Ueberraschung durch einen künstlich angelegten Lustgarten hin, der sich rings um das Gebäude herumzog, und mit seinen kleinen Wasserfällen und Springquellen, so wie mit den verschiedenartigsten Pflanzen und Gesträuchen und Bäumen, die den Duft ihres Blüthenflors überallhin ausbreiteten, dem Ganzen ein äußerst romantisches Ansehen gab. –

Fernando lehnte sich an einen Akazienbaum und schaute gegen die hohen Fensterbogen des Hauses hinan, aus denen ihm der Glanz eines zwölfarmigen Lusters entgegenleuchtete. »Wenn ich nur wüßte,« sagte er traurig vor sich hin, »ob da oben, wo so viel Glanz und Herrlichkeit zu wohnen scheint, auch wohl ein Herz von Mitleid zu einem Unglücklichen schlägt. Ich bin hungrig und müde. Thränen und Gram haben meine Kraft verzehrt. Der Tag ist vorüber, und ich weiß noch nicht, wo mein ermattetes Haupt ein Ruheplätzchen fände. Mein erbärmlicher Zustand zwingt mich zu betteln. Ich will einmal versuchen, ob ich nicht durch den traurigen Ton eines Gesanges Rührung in diesem Hause erwecken kann. O Valeria! Valeria! wie tief hat das Unglück deinen armen Gemahl erniedriget!« –

Er trocknete sich ein paar große Thränen aus den Augen, trat einige Schritte näher zwischen die großen Statuen, lehnte sich auf seinen starken Wanderstab, und begann mit tiefer zitternder Stimme:

»Wenn das Unglück droht, wenn der Kummer nagt,
Wenn das Herz verblutet, der Geist verzagt,
So blickt nach den glänzenden Sternen! –
Er ist's, der das Auge weinen sieht,
Und Balsam streut, wenn die Wunde glüht,
Er ist's in den himmlischen Fernen.« –

Bei den letzten Versen knarrte von Innen die eine Hälfte der Doppelthüre auf, und ein kleiner magerer Mann, es schien der Thürdiener zu sein, trat murrend und grämlich unter die Oeffnung. Fernando aber war in den Sinn der Worte, die er so eben abgesungen, so sehr vertieft, daß er weder das Geräusch bei der Eröffnung der Thüre vernahm, noch den gespenstartigen Mann in seiner Nähe bemerkte – und fuhr im Liede fort:

»Gott ist's, der auch meinen Kummer versteht,
Und das Herz, das zu ihm weinet und fleht
In mitternächtlichen Klagen! –
O so hilf auch mir, du Lenker der Welt,
Eh mein Geist und Gemüth im Innern zerfällt –
Und laß die Freude mir tagen!« –

Da trat der grämliche Mann aus der Thüre, ging gerade auf Fernando zu, der immer noch in Gedanken vertieft und regungslos auf seinen Stab gestützt dastand, und betrachtete ihn, indem er eine kleine Handlaterne vorhielt, mit einer hämischen Eilfertigkeit vorn Kopf bis zum Fuße. »Hab ich mir's gleich gedacht,« fing er zu schmähen an, und gab dem erschrockenen Fernando einen unsanften Stoß in die Seite: »das muß wieder ein Zigeuner sein, der sich nicht bei Tage in ein ehrliches Gesicht zu schauen getraut, und wenn er einen Schmaus oder ein Fest gewittert, bei der Nacht unheimlich daher schleicht, um den Hauseignen den Bissen unter der Nase wegzuschnappen, und diebischer Weise noch mitzunehmen, was ihm in den Weg kommt. Ihr seid mir gerade wie die Raben, die nach der Abenddämmerung auf den Raub ausgehen, wenn sie ein Aas riechen.«

Fernando, der sich von seinem Schrecken bereits erholt hatte, nahm seinen Bettlerhut ab, und wandte sich bittend zu dem Mann mit der Laterne: »O seid nicht böse,« sagte er, »wenn ich euch in eurer behaglichen Ruhe gestört habe. Ihr sehet, lieber Alter, ich bin ein fremder, armer Bettler, arm, aber ehrlich, von Herzen ehrlich. Ich möchte euch für diese Nacht um eine Herberge bitten; der Weg durch diese Gegend ist mir unbekannt; die Wälder sind dicht; die Nachtluft ist feucht und schaurig. Gebt mir einen Bündel Stroh und eine Herberge, wenn auch nur im Stalle, oder bei euren Knechten!« –

»Ei warum nicht gar!« brummte der unfreundliche Alte, und schickte sich an, indem er dem Bittenden den Rücken wandte, den Weg in's Haus zurückzunehmen: »das hieße ja wohl dem Mörder das Messer in die Hand spielen, damit er um sich stechen könnte, wie er wollte. Packt euch von hier, und laßt ein Haus in Frieden, das die Ruhe liebt.« –

»So gebt mir doch wenigstens ein Stücklein Brod, das meinen Hunger stillt,« bat Fernando mit Thränen in den Augen: »ich habe den ganzen Tag nichts gegessen. Seid barmherzig! Gott wird es euch vergelten.« –

»Da geb' ich's ja lieber meinen Hunden, von denen ich weiß, daß sie mir treu sind,« grinselte der Mann durch seine zwei schwarzen Zähne, die ihm das Alter noch übrig gelassen hatte: »Packt euch, sag' ich noch ein Mal; und wenn es euch morgen noch hungert, so kommt meinethalben vor die Hausthüre, damit ich bei Tage euer Gesicht sehe.« – Er begleitete diese hartherzige Rede mit lautem Lachen, und war im Begriffe, die Thüre zu schließen.

»So sagt mir nur,« bat Fernando zum letzten Male, indem er einen Schritt vorwärts that: »wessen Diener ihr seid, und welche Feierlichkeit die Säle da oben so prächtig beleuchtet hat.« –

Damit ihr euch um so schneller davon macht, will ich euch schnell antworten,« versetzte Jener, und bog den grauen Kopf zwischen der Thüre und dem Gerüste noch einmal zur Hälfte auswärts. »Da oben wird der Geburtstag meines Herrn gefeiert. Ein paar Dutzend Grafen und Edelleute sitzen reihenweise an gedeckten Tischen herum, und schmausen und spielen auf das hohe Wohl desselben. Wir Diener haben vollauf zu thun, Wein und Speisen zuzutragen, und uns selbst lustig zu machen. D'rum haltet mich nicht länger auf, und seid froh, wenn ich euch erlaube, dort am Eingänge des Gartens in einer Taxuslaube schlafen zu dürfen. Und wenn ihr um Mitternacht von den beleuchteten Sälen herab ein gewaltiges Lebehoch anstimmen hört, dann denkt nur, das gilt dem schwedischen Gesandten am spanischen Hofe, dem dieses Lustgebäude zum Sommeraufenthalte dient; er heißt – –«

»Graf von Kreuz!« ertönte eine ernste Stimme ganz in der Nähe: »den der Himmel glücklicher Weise hieher geleitet hat, damit er erfahre, wie unmenschlich seine Diener armen unglücklichen Leuten begegnen.« –

Der Alte erschrack bei der ihm wohlbekannten Stimme so heftig, daß er die Laterne aus der Hand fallen ließ, und an der Pforte halb ohnmächtig auf ein Knie niedersank; Fernando aber blieb ruhig auf seinen Stab gestützt, und betrachtete die schöne Gestalt eines großen Mannes, der ganz nahe an ihm eine Blendlaterne öffnete, und in seinem langen schwarzen Mantel, mit den großen Schwungfedern auf dem geschlitzten Barett, und mit den vielen glänzenden Ordenszeichen neben dem Bettler sich wunderbar ausnahm. – Es war wirklich der Graf von Kreuz, ein edler, allgemein geachteter Mann. Er hatte sich auf eine Weile aus dem rauschenden Gesellschaftssaale heimlich entfernt, um in der stillen Abendstunde auf einem Spaziergange durch die schönen Anlagen seines Gartens den frommen Empfindungen, die die Feier seines Geburtsfestes in ihm erregte, ungestört sich überlassen zu können. Da hörte er Fernando's Lied. Neugierde und ein Gefühl von Wehmuth zogen ihn in die Nähe; und er kam eben recht, die freundlichen Bitten des Bettlers und die harten Reden seines rauhen Dieners zu hören. Er war so erbittert, ein so entehrendes Betragen an einem der Seinigen entdecken zu müssen, daß er sich nur mit aller Mühe bis zu dem Augenblicke zurückhalten konnte, da der knurrige Alte eben die Hauspforte hinter sich zuschlagen wollte. –

»Ich entlasse dich deines Dienstes,« sagte er mit Ernst und Kürze zu seinem Diener, der todtenbleich sich immer noch in der nämlichen Stellung befand: »morgen in der Frühe wirst du meinen Landsitz verlassen. Bessere dich und lerne einsehen, daß der Mann im Bettlergewande unser Mitbruder ist, den wir, wenn er zu uns fleht, nicht verstoßen dürfen. Kommst du nach einem Jahre gebessert zurück – so kannst du deine alten Tage hier ruhig verleben.« –

Der rauhe Mann erhob sich, und entfernte sich mit so erbärmlichem Heulen, daß es lange durch den gewölbten Hausgang forttönte. – Nun wandte sich der Graf zu dem Bettler. »Kommt, armer Mann,« sagte er mitleidsvoll und sanft: »was ihr durch die harten Reden meines Dieners gelitten habt, das soll durch eine reichliche Verpflegung in meinem Hause wieder gut gemacht werden.«

»Das vergelt euch Gott, edler Graf von Kreuz,« erwiderte Fernando in einem Tone, der dem Grafen verrathen mußte, daß kein gewöhnlicher Bettler vor ihm stehe: »Ich kann euch bei meinem Herzen, das ein schwerer Kummer drückt, das Wort geben, ihr verschwendet eure Gaben an keinen Unwürdigen.« –

»Kein ungebildeter und gewöhnlicher Bettler, viel weniger ein unwürdiger hätte ein so hohes rührendes Lied gesungen, als ich vorhin aus eurem Munde vernommen,« sagte der Graf von Kreuz, indem er Fernando die rechte Hand bot, mit der linken aber die Laterne erhob, um dessen Gesichtszüge genauer betrachten zu können. »Die Weichheit eurer Hand, und der hohe Ausdruck in euren Mienen,« fuhr er fort, »sagen mir deutlich genug, daß dieses Bettlergewand einen unglücklichen Mann von nicht gewöhnlichem Stande verberge. Vertraut euch mir ohne Scheu; ich geb' euch Schutz, und will euch zu euren Rechten verhelfen, wenn ihr sie wider eigenes Verschulden verloren habt; ich will es thun, so wahr ich schwedischer Gesandter am spanischen Hofe bin.« –

»Laßt mich meinen Kummer allein tragen, Graf von Kreuz,« entgegnete Fernando mit Thränen auf der Wange, in denen die Lichtstrahlen aus der Laterne des Grafen sich spiegelten: »mein Loos ist also geworfen, meine Freude am Weltglück ist also zernichtet, daß es mir nur an den einsamsten Orten wohl wird, wo ich der Erinnerung an die schöne Vergangenheit mich hingeben und mit stillen Thränen zu Gott beten kann. Es genüge euch die Versicherung, daß unter diesem Bettlergewand ein adeliges Herz schlägt, das rein von Schuld und Verbrechen im Elende herumirrt, und sich endlich einmal ein Plätzchen ersehnt, wo es sich ungestört ausweinen könnte. Edler Graf von Kreuz, wenn ihr ein solches Plätzchen in eurem einsamen Hause habt, o so vergönnt es diesem unglücklichen Herzen. Zum Zeichen, meine dunkle Rede sei wahr, seht auf meiner Brust den Orden von Sant Jago.«

Mit diesen Worten entfaltete er das Bettlerkleid, und Stern und Band schimmerten dem Grafen entgegen. – »Euer Gesicht bedarf keines Zeugen,« sagte dieser, indem er sich verneigte: »ich ehre euer vorsätzliches Schweigen, und werde von nun an nimmermehr mit einer Rede in euer Geheimniß eindringen wollen. Es ist mir genug, weil ich weiß, ihr seid unglücklich, und weil ich mich freuen darf, euer Unglück lindern zu können. Jetzt kommt mit mir in das Haus, und erfrischt euch mit Wein und mit stärkenden Speisen, und vergeßt, was ihr ausgestanden.« –

Der Graf wollte den Fremden in den großen beleuchteten Saal einführen; dieser aber bat um ein kleines, einsames Zimmer. Hier saßen sie noch eine Weile beisammen – dann wünschte der Graf seinem unglücklichen Gaste eine gute Nacht, und verließ ihn.

Fernando kniete, da er allein war, an dem Gitterfenster des Zimmers nieder, und schaute hinaus an den gestirnten Himmel. Es war ihm auf einmal wunderbar wohl in seinem Herzen. Thränen der Rührung und des Dankes strömten hervor aus seinen Augen. Ein leiser Funke von Hoffnung, als wenn die Zukunft für ihn noch einmal glücklich werden könnte, wollte aufglimmen in seiner Brust. Er faltete die Hände und sang mit lauter Stimme:

›Und der Herr dort über dem Firmament,
Wo sein mächtiger Arm in den Sternen brennt,
Hat erhört mein kindliches Flehen.
Ich werde noch einmal glücklich sein –
Und jubelnd mich seiner Gnade freu'n –
Ich werde nicht untergehen.‹ –

Der Graf hatte noch von Außen den Gesang des Bettlers gehört, wischte sich eine Thräne von der Wange – und kehrte zurück in den Saal zu seinen Gästen. Hier kam ihm Alles entgegen und forschte mit Befremden, warum er sich so lange zurückgezogen. – Bald aber sah so Mancher in den ernsten Mienen des Grafen, daß etwas Besonderes währenddem vorgefallen sein müsse, und hier und dort zogen sie sich zurück, und suchten ihr Nachtlager, so daß nach Verlauf einer Stunde, außer dem Grafen, Niemand mehr im Saale zugegen war. –

Jetzt erhob er den Blick und die Hände, und betete mit gerührter Stimme: »Dank dir, lieber Gott! daß du mich die Feier meines Geburtstages mit einer edlen That beschließen ließest. Noch nie war mir so wohl, wie heute. Noch nie konnte ich mich so heiter zu Bette legen. – Ich danke dir.«


 << zurück weiter >>