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Fernando hatte sich, seinen Gefühlen sich überlassend, eine ziemlich weite Strecke von seiner Hütte entfernt, und stand nun plötzlich im Anblicke – zweier Männer, die so eben vom Felsen stiegen.
Diese beiden waren Don Carlos und Franzesko, sein Leitsmann. Sie hatten sich während des Weges durch wechselseitige Reden an die schönen Tage der Vergangenheit erinnert, und waren nun in so wehmüthige Gedanken vertieft, daß sie den Gebirgsmann nicht bemerkten, da er schon in ihrer Nähe stand.
Jetzt mit einem Male, wie Don Carlos aufsah, und dem ernsten Gesichte des Mannes begegnete, ergriff er, starr vor Schrecken, die Hand seines Begleiters, ward blaß wie eine Leiche, rief mit zitternder Stimme: »Gott! Gott! sei mir gnädig! das ist sein Geist! so muß er mich bis unter diese Felsen verfolgen! das ist der Geist meines Freundes, den ich gemordet!« – und fiel ohnmächtig zu Boden.
»Nein, das ist nicht sein Geist; das ist er selbst!« rief Franzesko und fiel dem staunenden Fernando um den Hals, der jetzt in ihm den frommen Geistlichen aus jenen bessern Zeiten erkannte.
Wie das erste Wiedersehen vorüber war, eilten Beide, den Kranken wieder zu sich zu bringen. Aber, – wer wollte nun Fernando's Freude beschreiben? – er sah in der blassen Gestalt den Bruder seiner Valeria. – Mit leichter Mühe war Don Carlos wieder Zur Besinnung zurückgebracht. Und da er sich endlich von dem Leben und Wiederfinden Fernando's überzeugt fühlte, fiel er nieder auf seine Kniee und weinte laut wie ein Kind, und stammelte: »Dank! Dank dir, Gott! so bin ich denn kein Mörder! So ist der zentnerschwere Stein von meinem Herzen! O wie ist Gott so gütig gegen mich!« – Dann wandte er sich zu Fernando: »Ich war der fürchterliche Störer deines häuslichen Glückes. Die seligen Hoffnungen in eine schöne, liebliche Zukunft hab' ich frevelhaft zernichtet. Ja sogar unter den Mördern im Walde mußt' ich sein; den Dolch mußt' ich gegen den ziehen, dem ich ewige Freundschaft geschworen, der mir kurz vorher das Leben rettete. O Fernando! kannst du, kannst du mir verzeihen?« –
Fernando ließ ihn nicht weiter reden, und hob ihn von der Erde empor in seine Arme. Er wußte nicht, wie ihm war. Was er sprach, war ein lautes Gebet zum Himmel. Längst hatte er alle Hoffnungen auf ein Wiedersehen aufgegeben: und nun hatte er den gefunden, der einst sein treuer Freund war, und mußte ihn nun sehen in seiner tiefsten Reue und Zerknirschung.
»Laßt uns,« sprach Fernando: »gemeinschaftlich zurückkehren in meine Hütte. O, wie viel ruhiger bin ich, wie gestärkter, als noch vor einer Viertelstunde, da ich sie verließ! Kommt, wir wollen eilen. Es harret dort meiner ein Freund, der mir viel, sehr viel Gutes gethan. Wie wird er sich bei meiner Freude mitfreuen, der edle Graf von Kreuz!«
»Graf von Kreuz,« fiel Don Carlos schnell ein: »der ist mein Reisegefährte, ohne ihn hält' ich dich nie gefunden, nie in meine Arme gedrückt. Denn wie wär' ich wohl ohne ihn in dieses Gebirg gekommen?« –
Nun erzählte Don Carlos unter Wegs jene Nacht im Todtengarten vor Sevilla, wie sich der edle Graf seines Grames immer so freundschaftlich angenommen, und die Stunden der Schwermuth durch leise Hoffnungen in die Zukunft verdrängt habe.
Dann mußte Fernando seine ganze Geschichte in Erinnerung bringen, bis zu dem Tage, an dem er unter diesen Felsen seinen Wohnsitz aufgeschlagen. Er that es dießmal nicht ungerne, aber oft unter schweren Thränen um Valeria, von deren Aufenthalt und Leben er immer noch nicht das Mindeste erfahren hatte.
Auch der Ordensgeistliche erzählte, wie er in das Kloster der barmherzigen Brüder gekommen. »In jener verhängnißvollen Zeit,« sagte er: »da die Herrschaft auf dem Landgute vor Sevilla mit einem Male verschwunden, und das herrliche Gebäude von Oviedo's Wuth zerstört war, hatte jene Gegend nichts Erfreuliches mehr für mich. Der Anblick der Ruinen machte mich jeden Tag düsterer; und da ich endlich an das Wiedererscheinen der gnädigen Herrschaft nicht mehr denken durfte, so beschloß ich, in einer andern Gegend mich niederzulassen, und kam in das Gebirge von Alpujarras. Da wünschte das Kloster der barmherzigen Brüder dort oben, daß ich in seinen Kreis träte. Und warum sollte ich nicht? Meinen dürftigen Mitmenschen beizuspringen, das mußte mir ja das Willkommenste sein. Ich lebe nun seitdem einsam und zurückgezogen, aber zufrieden mit mir und der Welt.« – Die Freunde sahen sich einander voll Erstaunen an. In der Geschichte eines Jeden erkannten sie dankbar die allweisen Fügungen der göttlichen Vorsicht. Alles, was geschehen war, mußte geschehen. Wie hätten sie sich sonst so schön zusammenfinden können? – Sie waren Alle gerührt. Kein Auge war trocken. Sie standen still, und blickten zum Himmel. Die Sonne schien gerade im Westen dem Gebirge zu. Das erhöhte ihre Feierlichkeit. Einem Jeden schlug das Herz voll Andacht. Sie knieten nieder und dankten Gott wie aus einem Munde.
Und Fernando fügte am Ende des Gebetes noch hinzu: »O Gott der Güte und Erbarmung, nur Einen Wunsch, den einzigen meines Herzens erhöre noch! Vollende die Freude dieses Wiedersehens durch das Wiederfinden meiner Gemahlin und meines Kindes!« –