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Valeria saß an dem Abende, an dem sie ihren Gatten voll der zärtlichsten Sehnsucht erwartete, unter dem Fenster ihres Zimmers, von wo aus sie über die lange und breite Straße, auf der Fernando zurückkehren mußte, bis zum Saum des Waldes hinsehen konnte. Sie hatte so eben an ihrem reinlichen Arbeitstische ein Geschenk für Fernando vollendet, mit dem sie ihn bei seiner Ankunft überraschen wollte. Zwei Herzen, die in ihrer Mitte ein drittes, noch zartes Herzchen, mit Epheu bekränzt, einschlossen, und über denen ein Engel mit Dornen in der Linken, und einem Palmzweig in der Rechten schwebte, waren voll sorgfältiger Kunst auf himmelblauen Atlas gestickt, und darunter standen mit goldenen Buchstaben die Worte: »Dem treuen, wiederkehrenden Fernando von seiner Gemahlin.«
Lange betrachtete Valeria die vollendete Arbeit, und Thränen der Freude traten ihr in die Augen. Dann nahm sie den Knaben von den Armen Luziens, ihres Dienstmädchens, und küßte ihn tausendmal. Denn das holde Kind hatte, seitdem Fernando abwesend war, zum ersten Male den Namen Vater aussprechen lernen, und Fernando sollte beim Eintritte in das Zimmer mit diesem holden Namen aus dem Munde des Knäbleins begrüßt werden.
Die Sonne war schon untergegangen. Die purpurnen Wolken des Abends zogen sich schwächer gegen die Tiefe des westlichen Himmels hin, und Valeria sah noch keinen Reiter von der Anhöhe der Straße dahertraben, wie starr sie auch das Auge gegen den Eingang des Waldes hinwandte.
»Gott im Himmel verhüte, daß ihm ein Leid begegnet,« sprach sie voll Unruhe, und trocknete dem Kinde die Thräne ab, die aus ihrem Auge auf seine Rosenwange gefallen war. »Seid unbekümmert, edle Gräfin,« erwiederte Luzie: »die zu häufigen Geschäfte nur machten, daß er sich eine Stunde später auf den Weg nach der Heimath begeben konnte. Er hat ja ein sicheres Pferd, und einen treuen Diener zum Begleiter. Zudem zeigt sich die nächtliche Silberlampe am Himmel, die ihn immer auf der geraden Straße halten wird. Glaubt mir, man wird bald die Thüre öffnen, und ihr werdet euern Gemahl vor euch sehen. Lange läßt er nimmer auf sich warten, denn er weiß ja, wie besorgt ihr immer um ihn seid.« –
»Der Herr sei sein Leitsmann, und führe ihn glücklich in meine Arme zurück. Seinem Schutze und seiner allweisen Vorsehung vertrau' ich ihn. Er wird seinen Engel vor ihm hersenden, daß er ihn vor allen Gefahren bewahre.« –
Nun legte Luzie Holz zum Kamine, und machte Feuer an. Denn Valeria wollte, daß der Gatte, wenn er mit starren, an der Nachtluft erkalteten Gliedern heimkehre, sogleich beim Eintritt in das Zimmer eine behagliche Wärme fühle. Sie selbst richtete Alles, was zu seiner Bequemlichkeit nach einer langwierigen Reise dienen könnte, in Bereitschaft, und setzte sich dann schweigend und nachdenkend mit ihrem Kinde an die Flamme des Kamines. –
Der Mond hatte schon einen geräumigen Theil seiner Bahn am Himmel hinter sich, und Fernando war noch nicht zurückgekehrt. Jetzt stieg von Minute zu Minute die Sorge und Angst um den theuern Gemahl im Herzen Valeries. Wohl tausendmal gab sie das Kind Luzien in die Arme, eilte hinaus auf die Altane des Schlosses, von wo aus man die Aussicht auf das Schloßthor und die Brücke gewann, und harrte in der gespanntesten Hoffnung, daß jetzt bald ein Pferdegetrab am Thore halten, und die Glocke den Eintritt Fernando's verkünden werde. Aber ach, immer kehrte sie wieder in das Zimmer zurück mit gesteigerter Angst, mit bangerer Seele. –
Thränen über Thränen flossen aus dem blauer: Auge. Reden konnte sie nichts vor Schmerz; aber Seufzer aus der tiefsten Brust drangen zum Himmel, ausgepreßt von den bangsten Ahnungen ihrer Seele. Da half kein Zureden des Dienstmädchens, das sich am Ende selbst nicht mehr fassen konnte, und in einer Ecke des Zimmers weinte; da half kein sanftes Lächeln des Kindes, das mit ihren Locken spielte. Nur in heftigeren Schmerzen drückte sie es stumm und schweigend an ihre Brust, und begoß es mit ihren Thränen.
»Fernando! Fernando! Theurer meines Herzens!« rief sie ohne Ende: »wo du auch seiest, o höre das Jammern und Klagen deiner Gemahlin, die ohne dich ärmer als eine Bettlerin; gedenke deines holden Knaben, der ohne dich vaterlos, eine arme Waise ist. – Ach, er sieht so mitleidig aus meinen Armen zu mir herauf, als wollte er fragen, warum die Mutter weine. – Ewiger Vater der Menschen, der du die Blumen auf dem Felde kleidest, und dem Vogel in der Luft seine Nahrung gibst, der du die Haare auf dem Haupte der Menschen gezählt, und des Säuglings nicht vergissest, könnte auch die Mutter seiner vergessen – o laß mein heißes Flehen dieser nächtlichen Stunden zum Throne deiner Allmacht hinaufdringen; steh' die Thränen meines Kummers gnädig an, und sende mir den Gatten, diesem Kinde den Vater zurück. O dann sei unser Dank unendlich, wie die Wohlthaten und Gnaden, die du uns bescheerest.« –
So betete sie oft und lange, suchte sich dann wieder zu beruhigen, lief bald an's Fenster, bald hinaus auf die Altane; seufzte, betete, weinte und betete wieder. Aber Fernando kam nicht.
Nun schlug schon die eilfte Stunde vom Schloßthurme. Valeria's Schmerz stieg auf's Aeußerste. Weinen konnte sie nicht mehr. Ihre Augen waren roth und thränenleer. Aber um so drückender lag der Kummer auf ihrer Seele. Sie stand mit starrem Blick in einem finstern Winkel des Zimmers. Das Kind hatte sie Luzien gegeben. Sein Anblick vermehrte nur den stummen Gram ihres Herzens. Bisher hatte noch immer Hoffnung einen Theil ihres Kummers verdrängt; aber nun wollte auch diese verschwinden. Krampfhafte Seufzer brachen ihr beinahe das Herz. Wenn sie betete, ward sie zwar ruhiger, aber ach, nur auf kurze Zeit.
In dieser schrecklich ungewissen Lage hatte sie noch eine ganze Stunde zugebracht. Da klopfte man um Mitternacht von Außen in aller Eile an die Pforte. Die Stille der Nacht und ihre gespannte Erwartung hatten ihr das Klopfen hörbar gemacht, und in der freudigsten Gewißheit, Fernando, der Langersehnte, eile in ihre Arme, zündete sie eine Lampe an, und flog aus dem Zimmer, ihm entgegen.
Da kam im gewölbten Gange Fernando's Diener auf sie zu, todtenblaß, an allen Gliedern zitternd, mit starrem Blicke, als wäre er aus dem Grabe gestiegen. Kaum daß sie ihn sah, drückte eine fürchterliche Ahnung ihre Brust zusammen; sie sank mit einem Schrei ohnmächtig zu Boden. Luzie, die im Zimmer ungeduldig der Ankunft ihrer Gebieterin harrte, legte den Knaben, der auf ihren Armen eingeschlummert war, auf das Sopha, eilte hinaus, und fand die Gräfin bewußtlos am Boden liegen. »Gott im Himmel, was wird das werden?« rief sie voll Schrecken, und gab sich alle Mühe, die Gräfin in das Zimmer zu bringen. Es gelang ihr mit Hilfe des Dieners.
Nach einer Viertelstunde erwachte Valeria aus ihrem todesähnlichen Schlafe. – »Was war das?« sprach sie mit hohler Stimme: »Wirklichkeit oder Traum?«
»Gott verzeiht mir's, daß ich es euch sage,« fing der Diener an: »Leider die furchtbarste Wirklichkeit!« – Valeria faltete die Hände, sah zum Himmel, und sprach dann im gefaßten Tone: »Schonet meiner nicht mit eurer Nachricht! erzählt mir die ganze schauerliche Todesbotschaft!« –
»Mein Gott im Himmel!« seufzte der Diener, und weinte: »Schauerliche Todesbotschaft! Der Herr erbarme sich euer und eures Kindes. Ja, Fernando ist todt! Euer Gemahl ist todt! Mein guter, lieber Herr ist todt!« – »Ist todt,« wiederholte Valeria mit tiefer Stimme, mit verzweiflungsruhiger Miene: »Weib, dein Gatte ist todt! Kind, dein Vater ist todt!« –
Sie schwieg. Sie konnte nicht weinen, nicht seufzen, nicht beten. Sie sah nichts, und hörte nichts. Alles Furchtbare und Schreckliche schwebte in diesem Augenblicke vor ihrer zerrütteten Seele. Zerstört sah sie das häusliche Glück, da es kaum begonnen. Statt der süßen Hoffnungen sah sie eine grausenhafte Zukunft vor sich. Alles in ihrem Gemahle fühlte sie sich genommen. –
»Oviedo,« unterbrach der Diener die Todesstille, »Oviedo hörte ich den Mörder Fernando's nennen.« – »Oviedo?« fiel ihm die Gräfin schnell in die Rede: »Gott im Himmel! Oviedo?« –
Dieses Wort schien sie im Innern mächtig gerührt zu haben. In verlegener Eile und Unruhe wandte sie sich zum Diener: »Gut, lieber Mann! habt meinen Dank auch für die Todeskunde. Seht, diesen Beutel nehmt von mir als Beweis meines Dankes. Ich weiß, ihr seid arm, und habt eine kranke Frau. Dieses Geld soll euch aus der Noth helfen. Nehmt's und lebt zufrieden. Betet für mich zum Lenker meines Schicksals. Laßt euer Weib für mich beten. Laßt sie für Fernando beten. Betet auch ihr für Fernando, denn ihr habt ja euern Herrn verloren.« – Dieß Alles sprach sie mit einer Eilfertigkeit, daß der Diener nicht wußte, was in ihr vorgegangen, und mit einem nassen, fragenden Blicke stehen blieb. »Geht,« sprach sie wieder: »nehmt! thut, was ich sagte! gedenkt meiner, des unglücklichen Weibes!«
»Nun, so möge der Herr euch gnädig sein,« sprach der Diener mit Thränen im Auge, »und eure Güte gegen mich armen Mann lohnen. Er möge euch trösten in eurem fürchterlichen Leiden, und euch und euer Kind gesund erhalten. Tag und Nacht will ich mit meinem Weibe für euch beten. Ach ihr war't ja eine gar so gute freundliche Herrschaft! – Gute Nacht, gnädige Frau! lebt recht wohl! der Herr möge euch trösten! o ich will gewiß beten, daß er euch tröste!« – Mit diesen Worten küßte er schluchzend die Hand der Gräfin, und verließ das Zimmer. –
Jetzt erst konnte sich Valeria ihrem Schmerz ganz hingeben. Sie verbarg das Angesicht in den Falten ihres Kleides, und weinte bitterlich. – Der Knabe war indessen erwacht, und da er die Mutter schluchzen hörte, fing auch er zu weinen an.
Thränen hatten ihr für einen Augenblick das Herz erleichtert. Sie empfahl mit einem Blick zum Himmel sich und ihr Kind Gottes Vorsicht und Gnade, und trocknete die Thränen. –
Jetzt gedachte sie der Worte des Dieners: »Oviedo ist sein Mörder!« und erhob sich schnell vom Sopha. »Wir müssen fort, Luzie,« sprach sie zu ihrem Dienstmädchen, »fort, weit fort in eine Gegend, wo uns Niemand kennt, wo uns kein Bekannter mehr finden kann.« – »Und diese Nacht noch,« fiel Luzie ein. »Ja, noch diese Nacht,« entgegnete die Gräfin entschlossen. »Oviedo ist Fernando's Mörder: er ist's, der im Stillen um meine Hand geworben, dem mein Vater mich auch schon versprochen hatte. Aber mit ihm hätt' ich nie glücklich, nur ewig unglücklich werden können. Ich kannte seine Sitten, seinen Stolz, seine Unfreundlichkeit; mein Herz sprach nie für ihn. Ergrimmt darüber, daß ich Fernando ihm vorzog, war ihm dieser schon längst ein Dorn im Auge. Nun hat er die schändliche That, die er seitdem im Sinne trug, ausgeübt. Fernando ist todt! – Oviedo wird kommen, die Früchte seiner Schandthat einzusammeln. Er wird mich zwingen wollen, seine Gemahlin zu werden. Wir müssen fort, Luzie, fort. Gott wird uns nicht verlassen. Lieber ein Strohhüttchen in den Felsen von Alpujarras, wo ich mein Leben in Gedanken an Gott, an Fernando zubringen, wo ich mich meines Kindes freuen, und einsam den Kummer meines Herzens ausweinen kann, – als die Gemahlin des Mörders meines Fernando. – Noch diese Nacht müssen wir fort. Kein Mensch darf wissen, wohin wir den Weg einschlagen, Gott, du wirst herabsehen auf unser Elend, wirst der treue Gefährte auf unserer nächtlichen Flucht sein.« –
Schnell packte sie mit Luzien das nothwendigste Reisegeräthe zusammen; nahm ihre Juwelen und Edelsteine, die sie einst als Brautschmuck in jener glücklicheren Zeit von Fernando erhalten hatte, aus dem Schranke, benetzte sie mit tausend Thränen, und band sie mit dem Portrait Fernando's, das über ihrem Arbeitstisch an der Wand gehangen hatte, in ein Bündelchen zusammen. Das Geschenk aber, das sie auf die Wiederkehr Fernando's verfertigt hatte, ließ sie auf dem Tische liegen. »Es soll,« sprach sie bitterlich weinend, der, der nun dieß Zimmer zuerst betreten wird, erfahren, wie innig Valeria ihren Gemahl liebte.«
Nun war Alles zur Reise hergerichtet. Da sprach die Gräfin zu dem Mädchen: »Aber warum, arme Luzie, sollst du mit mir die Beschwerden einer so weiten Flucht ertragen? Bei mir lächelt dir nie mehr die Freude. Und dich die schönen Mädchenjahre vertrauern zu sehen, thut mir in der Seele zu wehe. Du bist jung; verlasse mich! gehe in die Welt! suche dir eine Herrschaft, die dich liebt! sei ihr treu, wie du es mir stets warst. – Geh, armes Mädchen; ich entlasse dich zwar ungerne, aber mit meinem Segen, und mit der Ehre, daß du stets ein liebes, gutes, treues Mädchen warst.« –
Bei den Worten der Gräfin verbarg Luzie das Gesicht in ihre Schürze, und weinte sehr. »Nein, gnädige Frau,« sagte sie, »ich werde euch nie verlassen, so lang' ich lebe. Ihr habt mit mir die glücklichen Tage auf dem Landgute getheilt, ich will nun auch treue Theilnehmerin an eurem Unglücke sein. Vergönnt mir nur die Freude, daß ich euch nie, gar nie verlassen darf.« –
»Ja, du sollst bei mir bleiben, treue Seele,« erwiederte die Gräfin, »Gott wird es dir noch Wohlergehen lassen, und dich für deine Treue reichlich belohnen.« –
Es schlug Ein Uhr vom Thurme. »Nun muß es sein! es ist die höchste Zeit!« sprach Valeria wieder, und ein neuer Strom von Thränen unterbrach sie im Reden. Sie nahm den Knaben auf die Arme, wickelte ihn in warme Kleider, um ihn vor der rauhen Nachtluft zu schützen, und hüllte ihn in ihren langen Schleier. »Armes, vaterloses Kind, wie bedaur' ich dich, schon in so zartem Alter die Leiden der Mutter mit ertragen zu müssen! – Wie es die Händlein nach mir ausstreckt, als wollte es sagen, daß es gerne Alles erdulde, wenn ihm nur die Mutter bleibe! – – Wie freute ich mich auf den Augenblick der Wonne, da Fernando zum ersten Male den süßen Namen Vater hören sollte von den zarten Lippen des Knäbleins! Aber, welcher Schmerz! welcher unbeschreibliche Schmerz! Fernando, du hörtest den süßen Namen nicht mehr! – – Sei stille, liebes Kind, weine nicht! Dein Vater im Himmel lebt; zu dem rufe nun Vater hinauf. Er wird dich hören; denn es rührt ihn ja der Jammer und das Elend armer Waisen. – Komm, laß dir die Thräne von der Wange küssen. So! jetzt recht nahe an mein Herz! Wärme dich an den kummervollen Schlägen meiner Brust, daß dir der kalte Nachtwind nicht schade. – Noch einen Kuß – und meinen Segen. O, was ist das für ein Segen voll Kummer und Thränen! Fernando, der du herniedersiehst von einem seligeren Lande, o segne auch du deinen Knaben!«
Thränen erstickten ihre Worte. – Der Jammer wollte ihr die Brust zerschneiden. Mit krampfhafter, gramvoller Freude drückte sie den Knaben an ihr Herz, und erwärmte ihn mit ihren Thränen. Er schlummerte so sanft, so süß in den Mutterarmen. Nur diese kannte er, und darinnen fand er seine ganze Welt.
Luzie hatte inzwischen an der Glut des Kamines eine Wachsfackel angezündet, und von der Wand einen schweren, eisernen Schlüssel gelangt. Die nöthigen Geräthschaften auf die Reise trug sie mit einem Tragbande über den Schultern; in der Linken hielt sie die leuchtende Fackel, in der Rechten die Schlüssel zur einsamen Gartenpforte.
Schon lange stand sie bereit, als die Gräfin sich immer noch voll zärtlicher Liebe mit dem Knaben beschäftigte. Der Hammerschlag vom Thurme gab das Zeichen zum Aufbruche. Das war ein herzzerschneidender Abschied der Gräfin von allen stillen Freuden der vergangenen Zeit. Jedes Plätzchen ihres Zimmers, das sie nun nie mehr wieder betreten sollte, möchte sie noch küssen; jede süße Stelle, wo sie mit Fernando geruht, Freuden und Leiden getheilt, mit einem Strom von Thränen benetzen.
»Lebt wohl, ihr tausend lieben Plätzchen, ihr Zeugen meines früheren Glückes! Lebt wohl! Lebt Alle wohl!« –
Sie wandte den nassen Blick zum Himmel, und trat aus ihrem Zimmer, um es auf ewig nie mehr zu betreten. Luzie leuchtete mit der Fackel voran durch eine lange düstere Reihe gewölbter Gänge, durch deren sparsame Eisengitter der Mond seine Strahlen warf. Ohne zu reden, folgte die Gräfin; nur unwillkürliche Seufzer unterbrachen bisweilen die traurige Stille, und die leisesten Fußtritte ächzten im Echo der Bogengänge doppelt und dreifach zurück.
Da standen sie vor der engen Gartenpforte. Luzie öffnete sie. »Fasset Muth, gnädige Frau,« sprach sie leise zur Gräfin, »und vertraut euch Gottes Schutz und meiner Leitung. Wir müssen durch den Garten am Schloßhügel hinabsteigen, damit wir in aller Stille auf einem Nachen, deren mehrere im Ufergebüsche angebunden sind, über den Strom setzen können. So erreichen wir vor Tagesanbruch die Mitte des dichten Waldes, und sehen einen Pfad vor uns, der schnurgerade an die Fischerhütte meines Bruders führt, wo ich euch verbergen will. Drum seid nur ruhig, und folget mir!« –
Mit diesen Worten zündete sie, da sie die Länge des mühsamen Weges wohl kannte, eine neue Fackel an, verlöschte die halbausgebrannte im Sande, und trat in die Nacht hinauf
Die Gräfin, sich ihrer Leitung vertrauend, sandte noch einen Blick zum Himmel, drückte den schlummernden Knaben fester an ihre Brust, und – verschwand in der Finsterniß.
Luzie aber hatte, um keine Spur von ihrer nächtlichen Flucht zurückzulassen, den Schlüssel wieder zu sich genommen, und schloß von Außen mit grausenhaftem Knarren die Pforte. –