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24

Ringe lag und dachte über das Gehörte nach. Es war die Bestätigung seiner Forschungsergebnisse. Der Chauffeur Smith war also der Mörder Gunhild Maria Saves, die seine Frau gewesen war. Er wollte sich unbedingt von ihr befreien und hatte kein Mittel gescheut, um sein Ziel zu erreichen. Nicht die geringste Spur hatte er in der kleinen Wohnung am Torsplatz hinterlassen. Alles, was die Polizei gefunden hatte, waren einige blutige Fingerabdrücke auf einem Handtuch, an dem der Mörder seine Hände abgetrocknet hatte. Die Abdrücke waren bei den Nachforschungen nach dem Mörder nicht von Nutzen gewesen. Keine Papiere, keine Briefe wurden in der Wohnung der Ermordeten gefunden, während das Bankbuch und Geld unberührt in einer der Schubladen lagen. Das verflossene Leben der Gunhild Maria Save war für die Kriminalpolizei ein Rätsel geblieben. Hätte man aber die geringste Ahnung davon gehabt, daß die Frau verheiratet gewesen war, würde man Nachforschungen nach ganz anderer Richtung hin angestellt haben.

Und hier, dicht neben ihm, hatte der Mörder gestanden, ohne daß Ringe nur einen Finger rühren konnte, um ihn zu ergreifen. Würde er überhaupt einmal verhaftet werden? – Oh – Annie! – Kalter Schweiß sammelte sich auf Ringes Stirn. Würde sie das Schicksal ihres Jugendfreundes teilen? Das satanische Frauenzimmer hatte es so bestimmt. Smith war in ihrer Gewalt, denn sie kannte sein Geheimnis. Smith würde es niemals wagen, für Annie Rantens Rettung etwas zu tun. Vielleicht hatte er auch Rantens Tod auf dem Gewissen, trotzdem er geschworen hatte, daran unschuldig zu sein …

Annie mußte aber gerettet werden. Wie nur –?

In Ringes Kopf entstand ein Plan. Ja, das war die einzige Möglichkeit. Vielleicht glückte es.

Er hob die Beine, soweit er konnte, und schlug mit den Absätzen auf den Boden. Ob Annie verstehen würde, was das Geräusch bedeuten sollte?

Er lauschte, und zu seiner großen Freude hörte er einen schwachen Klopfton aus der Gegend, in der er Annie vermutete. Sie hatte anscheinend verstanden, daß er eine Gegenäußerung von ihr hören wollte.

Mit gewaltiger Anstrengung gelang es Ringe, sich mehrmals um sich selbst in der Richtung, aus der der Laut gekommen war, zu rollen. Dann schlug er wieder die Absätze auf den Boden und lauschte. Annie antwortete auf die gleiche Weise. Ringe machte eine neue Umdrehung, klopfte auf den Boden und bekam dann Antwort. So fuhr er fort, sich zu rollen und mit den Absätzen Signal zu geben. Der Laut von Annies Antworten verstärkte sich, anscheinend war er jetzt ganz in ihrer Nähe. An seiner Stirn fühlte er etwas Weiches. Er hatte den Rand der Matratze erreicht. Dicht über seinem Kopf hörte er wieder das Geräusch von ihren Füßen. Der schwerste Teil der Arbeit stand also noch bevor.

Ringe lag eine Weile still und verschnaufte erst einmal. Jetzt galt es, so zu manövrieren, daß er mit Annie in eine Richtung kam. Gebunden, wie er an Händen und Füßen war, war das keine Kleinigkeit. Für eine schwächere Person als Ringe wäre es einfach unmöglich gewesen, den Körper so zu drehen. Aber seine Muskeln waren die treuen Diener ihres Herrn. Als alter Boxer und Ringkämpfer wußte er, was er zu tun hatte.

Annie lag mit dem Rücken ihm zugewandt. Das erleichterte sein Vorhaben bedeutend. Er glitt allmählich Zoll für Zoll in eine Längsrichtung zu Annie Ranten. Jetzt fühlte er ihre Hände in seinem Haar, auf seiner Stirn, die leise gestreichelt wurde. Noch eine anstrengende Bewegung, und ihre Hände lagen an seinem Munde. Er fühlte, wie die kleinen Finger arbeiteten, um den Knebel fortzubringen, der nur in den Mund gesteckt und nicht, wie bei Annie, um den Kopf gebunden war. Jetzt – endlich!

Mit einem tiefen Atemzug holte Ringe Luft. Heiße Freude durchzitterte seine Stimme, als er sagte:

»Annie, jetzt ist das Schlimmste vorüber! Wenn wir nur eine halbe Stunde ungestört bleiben, sind wir gerettet. Ich glaube, daß ich es schaffe, deine Fesseln zu lösen. Smith scheint jedenfalls kein Meister im Knotenmachen zu sein. Ein Glück, daß er früher nicht Seemann war, denn Schiffsknoten wären schwieriger zu lösen.«

Ohne den störenden Knebel war es Ringe bedeutend leichter, sich in gleiche Höhe mit Annie Ranten zu bringen. Nach einigen wenigen Minuten fühlte er ihre Hände an den seinen. Er konnte es nicht unterlassen, sie, so gut es ging, herzlich zu drücken, und bemerkte zu seiner Freude, daß sie den Druck erwiderte. Er rutschte noch ein wenig vorwärts und fühlte die Knoten ihrer Fessel. Der Strick war einige Male um ihre Handgelenke gewickelt.

»Das hier geht im Nu«, sagte Ringe, als er entdeckte, daß der Chauffeur nur ein paar einfache Knoten gemacht hatte.

Wenige Augenblicke später waren Annie Rantens Hände frei. Schnell befreite sie sich auch von dem Knebel. Die ersten Worte, die sie sprach, während ihre Finger Ringes Gesicht liebkosten, waren:

»Gustaf, Liebster, ich wußte, daß du kommen würdest.«

Dann beeilte sie sich, seine Handfessel aufzuknoten.

Im nächsten Augenblick saßen die beiden im Salon der »Gamba«, Seite an Seite, eng umschlungen.

»Was mußt du durchgemacht haben, mein Liebes«, sagte er und küßte Annie Kanten innig.

»Wir müssen so schnell wie möglich von hier fort«, flüsterte Annie.

»Ruhig. Ich höre Schritte auf Deck. Lege dich wieder auf die Matratze und tue so, als ob du noch gebunden wärst. Wenn das Smith ist, der da kommt, werde ich ihn empfangen, wie er es sich in seinen kühnsten Träumen nicht gedacht hat!«

Annie Ranten schlich leise zur Matratze zurück, und Ringe stellte sich abwartend neben die Tür. Jetzt hörte man das Knarren der Treppe und Schritte, die auf die Tür zukamen. Der Schlüssel wurde im Schloß herumgedreht und die Tür vorsichtig geöffnet. Der Schein der Taschenlaterne fiel auf die Matratze, auf der Annie Ranten wieder lag, und eine Gestalt schlich näher.

»Fräulein Ranten, ich, Smith, bin es, ich möchte …«

Weiter kam er nicht. Ringes rechte Faust schoß wie ein Blitz aus dem Finstern und traf das schwachbeleuchtete Gesicht mit einem gewaltigen Schlag unter dem Kinn. Ohne einen Laut sank Smith zusammen. Es war ein Knock out, wie er im Buche steht. Die Taschenlampe rollte auf die Matratze zu, und Annie Ranten sprang von ihrem Lager auf.

»Annie, willst du die Taschenlampe halten, während ich den Burschen hier ein wenig untersuche«, sagte Ringe.

Annie nahm die Lampe, und Ringe durchwühlte die Taschen des Bewußtlosen. Er brachte einen Browning und ein paar Reservemagazine zum Vorschein.

»Gut, daß er überrascht wurde, sonst hätte er sicher von der Waffe hier Gebrauch gemacht«, sagte Ringe und steckte sie in die Tasche. »Nun wollen wir mal sehen, wie es dem geschlagenen Helden geht.«

Er untersuchte den Ohnmächtigen und horchte auf seinen Herzschlag.

Ans Leben geht's ihm nicht. Er kommt sicher in einigen Minuten zu sich. Aber es ist vielleicht am besten, seine Füße ordentlich zu verschnüren, sonst macht er sich noch auf und davon, sobald er seine Lage erkennt.«

Ringe nahm seinen Strick, mit dem seine eigenen Füße gefesselt gewesen waren, und band ihn mit geübten Händen um den Chauffeur. Noch ein paar besonders starke Knoten, und dann war er fertig.

Smith begann zu stöhnen und schlug die Augen auf. Dann schnellte er den Oberkörper empor, seine Augen suchten die Tasche, in der eben noch der Browning gelegen hatte. Er versuchte sich aufzurichten, fiel aber fluchend auf die Matratze zurück.

»Ja, so kann's gehen, Smith, wenn man unvorsichtig ist«, sagte Ringe überlegen. »Jetzt sind Sie an der Reihe. Ich glaube bestimmt, daß ich meine Sache ebenso gut gemacht habe wie Sie. Daß ich sie in der Zukunft noch besser machen werde, davon können Sie überzeugt sein. Es passiert einem nicht jeden Tag, daß man einen Mörder überrumpelt.«

»Ich habe ihn nicht getötet, ich schwöre es«, murmelte Smith.

»Ja, ihn vielleicht nicht, aber sie«, sagte Ringe und sah Smith forschend an.

»Ich verstehe nicht, was Sie eigentlich meinen«, stammelte Smith.

»Ich werde Ihr Gedächtnis ein wenig auffrischen und den Namen Gunhild Maria Save nennen. Charlie Smith, Sie sind der Mörder vom Torsplatz! Das Spiel ist verloren, sowohl für Sie als auch für ihre reizende Freundin, Frau Ranten alias Sylvia Farina, ehemalige Königin eines Nachtklubs am Broadway. Sie sitzt jetzt wahrscheinlich ebenso fest wie Sie, Smith.«

Ringe zog sein Notizbuch hervor und schrieb eilig ein paar Zeilen.

»So, wollen Sie das Geständnis hier unterzeichnen«, sagte er. »Es hat keinen Zweck, sich zu weigern. Wir beide, Fräulein Ranten und ich, haben gehört, wessen Sylvia Farina Sie angeklagt hat. Zwei Zeugen also.«

»Wenn ich hängen soll, soll sie mir Gesellschaft leisten«, knurrte Smith. »Sie war es, die mich ins Verderben gelockt hat.«

 

»Die Todesstrafe ist abgeschafft worden, mein lieber Smith, also weder Sie noch Ihre Freundin brauchen zu hängen. Aber Pension auf Lebenszeit bekommt ihr sicher.« Ringe reichte ihm das Notizbuch. »Unterschreiben Sie nun und erleichtern Sie Ihr Gewissen!«

Ohne ein Wort zu sagen, nahm Smith das ihm gereichte Buch und den Füllfederhalter. Er setzte seinen Namen unter Ringes Zeilen und reichte Notizbuch und Federhalter zurück.

»Und jetzt die Zeugen«, sagte Ringe. »Willst du zuerst schreiben, Annie, dann halte ich die Lampe solange.«

Annie Ranten legte das Notizbuch auf den Tisch, auf dem der Leuchter stand, und unterschrieb. Danach unterzeichnete Ringe.

 

»Das ist ein Dokument, das sich sehen lassen kann, Smith«, sagte er und steckte das Notizbuch ein. »Sie mitzunehmen ist ein wenig schwierig. Deshalb ist es wohl am besten, ich behandle Sie ebenso vorsichtig, wie Sie mich behandelt haben. Hände auf dem Rücken und ein kleiner Knebel im Mund scheint mir ratsam zu sein.«

Ringe brachte die Hände des Chauffeurs auf den Rücken und band zur Sicherheit mit einem dritten Strick noch Arme und Beine zusammen. Dann versah er den Gefesselten mit dem Knebel, den Annie Ranten vorher gehabt hatte.

Smith war verstummt. Er lag apathisch mit geschlossenen Augen da und hatte sich anscheinend in sein Schicksal ergeben.

Annie Ranten und Gustaf Ringe verließen den Salon der »Gamba«. Ringe verschloß die Tür und steckte den Schlüssel in die Tasche. Sie gingen die knarrende Treppe hinauf und blieben dann eine Weile still an der Reling stehen, die milde Nachtluft in langen Zügen einatmend. Es hatte aufgehört zu regnen, und durch einige zerfetzte Wolken schaute der Mond. Ringe zog seine Uhr. Sie zeigte auf zwei.

Ringe legte einen Arm um Annie Rantens schmale Hüften und ließ den Blick in die Ferne schweifen. So standen sie unbeweglich eine ganze Weile. Sie lebte und gehörte ihm, die Frau, für die er freudig sein Leben gegeben hätte, wenn es erforderlich gewesen wäre.

Zu denken, daß sie …

Nein, er wagte nicht, den Gedanken zu Ende zu denken. Er preßte das Mädchen an sich und beugte sich über sie.

»Das waren die längsten und schwersten Stunden in meinem Leben«, sagte er zärtlich, »aber auch die glücklichsten.«

»Liebster!« flüsterte sie und stellte sich auf die Zehenspitzen, um seine Lippen zu erreichen.

Im Osten begann der Himmel sich zu röten.

»Jetzt gehen wir an Land«, sagte Ringe. »Du brauchst Schlaf, Kleines, nach allem, was du durchgemacht hast.«

Sie gingen auf die Backbordseite hinüber und fanden die Falltreppe. Ringe stieg zuerst hinunter, um Annie behilflich zu sein. Dann setzten sie sich in das Ruderboot, und Ringe machte die Fangleine los. Das Boot glitt hinaus in die Bucht.

Ohne ein Wort zu äußern, ruderten sie auf Haus Ranten zu.


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