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12

Williams war ein Mann, der es stets vorzog, das Eisen zu schmieden, solange es heiß war. Schon am selben Abend saß er in einem kleinen Boot, das er auf einen ganzen Monat gemietet hatte, und ruderte mit kräftigen Schlägen von der Brücke am Allmännagränd fort.

 

Der Abend war wie geschaffen für seine Unternehmung. Der anhaltende Regen, der bisher niedergegangen war, hatte aufgehört, aber dunkle Wolken bedeckten weiterhin den Himmel. Es würde nicht so leicht sein, sein kleines Boot auf dem dunklen Wasser zu entdecken, falls jemand von der Villa Ausschau halten sollte. »Gröna Lund« erstrahlte noch in vielfarbiger Lichterpracht, und die schwachen Töne eines Jazz verklangen über dem Wasser.

Es war noch nicht elf Uhr; in zwanzig Minuten würde er am Schiffsfriedhof sein, wie er die Valdemarsbucht getauft hatte.

Würde der Chauffeur Smith auch heute abend wieder einen kleinen Ausflug zu den Schiffen machen, wie er es bisher so oft getan hatte? Williams hoffte es, aber sicher war es natürlich nicht. Vielleicht hatte Smith nach Herren Rantens Tod mit seinen Bootsfahrten aufgehört. Williams glaubte kaum, schon heute, am ersten Abend, etwas zu entdecken, aber er hatte sich auf jeden Fall vorgenommen, sich die »Gamba« etwas näher anzusehen, die wahrscheinlich das Ziel von Smiths Ruderfahrten darstellte.

Als er in die Nähe der Villa kam, steuerte er das Boot an Land. Er sprang hinaus, band die Fangleine um einen Stein und schlich sich vorsichtig zur Brücke hin. Aus einem Fenster von der Villa fiel Lichtschein, und Williams rechnete sich aus, daß das Fräulein Rantens Zimmer sein mußte. Wahrscheinlich hatte sie sich noch nicht zur Ruhe begeben.

In der Nähe der Brücke befand sich ein dichtes Gestrüpp, in dessen Schatten Williams einen Blick über die nähere Umgebung tun konnte. Er stellte mit Befriedigung fest, daß die beiden Schwesterboote Seite an Seite lagen, langsam auf dem Wasser schaukelnd. Er war also nicht zu spät gekommen, falls Smith beabsichtigte, sich heute hinauszubegeben. Williams hatte sich vorgenommen, einige Stunden in seinem Versteck auszuharren und dann hinauszufahren, um die »Gamba« etwas näher in Augenschein zu nehmen. Ein Vergnügen war es sicherlich nicht, hier so untätig unter dem Busch zu liegen, aber er mußte sicher sein, nicht überrascht zu werden, wenn er an Bord der »Gamba« ging. Das Boot an der Strickleiter würde ihn verraten, und die kleinste Unvorsichtigkeit konnte alles zerstören.

Williams sah auf die Uhr und stieß einen Fluch aus. Er hatte nur eine Viertelstunde hier gelegen, und die war ihm so langsam wie eine Stunde vergangen. Gerade als er sein Zigarettenetui hervorzog, um sich die Wartezeit mit einer Zigarette etwas zu verkürzen, glaubte er, Schritte von der Villa her zu hören. Schnell steckte er das Etui in die Tasche zurück.

Jetzt kam das Geräusch näher. Der Sand knirschte unter den Füßen eines Menschen, der auf dem Wege zur Brücke war. Williams kroch noch tiefer unter das Gesträuch und wartete. Die Schritte kamen immer näher, und bald konnte er undeutlich eine Gestalt unterscheiden, die aus dem Dunkel auftauchte und sich der Brücke näherte. Es war ein Mann in Chauffeursuniform. Der Größe und Haltung nach zu urteilen, mußte es Smith sein. Der Mann ging auf die Brücke und stieg dann langsam in eines der Boote. Es dauerte eine Weile, bis er das Fahrzeug losgemacht hatte. Dann hörte man ein Plätschern, etwas Dunkles trennte sich von der Brücke und glitt hinaus aufs Wasser.

Williams wartete eine Weile, bis sich das Boot ein gutes Stück entfernt hatte. Dann eilte er schnell zu seinem eigenen Boot und schob es vorsichtig vom Strande ab. Er nahm eines der Ruder zur Hand und wrickte sich langsam bis zur Landspitze vorwärts, von wo aus er das Fahrzeug in der Bucht beobachten konnte. Unmittelbar neben dem nächstliegenden Schiff sah er etwas, das sich bewegte und gleich darauf von der Dunkelheit verschluckt wurde. Smith war anscheinend in die schmale Fahrrinne zwischen den beiden Schiffen gerudert.

Trainiert, wie Williams in der schweren Kunst des Wrickens war, konnte er das Boot lautlos über das Wasser der Bucht führen, mit Kurs auf das Vorderteil des ersten Schiffes. Geräuschlos machte er das Boot an der Ankerkette fest und setzte sich dann, um noch einige Augenblicke zu warten. Smith mußte erst unter Deck sein, ehe Williams sich auf das Schiff wagen konnte.

Von dem geschützten Platz aus, auf dem der Advokat sich befand, hatte er einen guten Ausblick auf den Strand und die Villa, ohne daß er selbst gesehen werden konnte. Das Licht in Fräulein Rantens Zimmer war erloschen, aber im Giebelzimmer des Dieners Gustafsson brannte es noch. Der Alte war also noch wach.

Williams wartete ein Weilchen, dann kletterte er geschmeidig an der Ankerkette empor und schwang sich auf die »Gamba«. Er blieb einige Minuten auf dem Vorderdeck, um sich von der Anstrengung zu verschnaufen, und warf einen Blick auf die Villa. Nun lag auch das Zimmer des Bedienten im Dunkel. In der Villa hatte sich anscheinend alles zur Ruhe begeben.

Plötzlich blieb Williams stehen und lauschte.

Was war das?

Hörte sich das nicht wie ein Plätschern an, als ob Ruder ins Wasser getaucht würden?

Williams schaute über die Reling und spähte angestrengt ins Dunkel hinaus. Es war ein Ruderer, der von der Villa her kam und auf dem Wege zu den Schiffen war. Die Ruder tauchten taktfest ins Wasser, und das Plätschern wurde immer deutlicher.

Jetzt konnte Williams auch das Fahrzeug unterscheiden. Es saß nur eine Person darin. Anscheinend war es ein Mann. Auf jeden Fall ruderte er wie ein ganzer Kerl, stellte Williams fest, bedeutend besser als der Chauffeur Smith mit seinen ungleichen Ruderschlägen.

Das Boot verschwand hinter dem Heck der »Gamba« und Williams wartete mit Spannung, was sich nun ereignen würde. Lautlos schlich er sich auf die andere Seite des Schiffes. Jetzt hörte er das Plätschern zwischen den Fahrzeugen. Der Ruderer hatte anscheinend das gleiche Ziel wie Smith, weil er sein Boot ebenfalls in die schmale Rinne zwischen den Fahrzeugen gesteuert hatte. Dann hörte man schwach das Geräusch einer Kette, die festgemacht wurde.

Williams wagte sich noch einige Meter an die Strickleiter heran. Am liebsten wäre er bis ganz an den Platz vorgedrungen, an dem der Fremde vermutlich über der Reling auftauchen mußte. Aber er durfte sich nicht verraten. Er duckte sich und versuchte, das Dunkel mit seinen scharfen Augen zu durchdringen.

Jetzt tauchte ein Kopf über der Reling auf. Das erste, was Williams sah, war eine Chauffeursmütze. Die Gesichtszüge des Unbekannten konnte er nicht unterscheiden, aber als dieser auf das Deck hinuntersprang, stellte er fest, daß es ein Mann war, der eine Uniform von derselben Art trug wie der Chauffeur Smith. Größe und Figur schienen übrigens auch Smith zu gleichen. Der Mann war dem Chauffeur so ähnlich, daß Williams stutzte. Wenn er nicht gewußt hätte, daß dieser sich schon an Bord befand, würde er darauf geschworen haben, daß es Smith war, der jetzt kam, und daß der erste ein anderer gewesen sei. Gustafssons Beobachtung an jenem Abend, als er glaubte, Zeuge von Smiths Meisterfahrt gewesen zu sein, erhielt jetzt ihre Erklärung. Es waren zwei Ruderer, die Gustav gesehen hatte, und nicht, wie er selbst glaubte, zweimal ein und derselbe.

Der Fremdling war unter Deck verschwunden, und Williams schlich sich an die Strickleiter heran und schaute hinunter. Es war unmöglich, etwas zu sehen, denn es war ganz finster in der engen Rinne zwischen den beiden Schiffen.

Williams nahm seine Taschenlampe zur Hand und ließ sie einen Augenblick aufleuchten. Es waren die beiden Schwesterboote von der zur Villa Ranten gehörenden Brücke. Daran herrschte kein Zweifel. Der eben angelangte Mann war also auch von der Villa hergekommen. Aber damit war noch nicht bewiesen, daß er auch dorthin gehörte. Er konnte sich gut in das Gelände geschlichen und mit Smith ausgemacht haben, ihn draußen auf dem Schiff zu treffen, wie er es anscheinend damals getan, als Gustafsson seine Beobachtungen gemacht hatte.

Wer war dieser Mann, der auf die gleiche Art wie Smith gekleidet ging und gut als sein Doppelgänger gelten konnte? Der Diener Gustafsson? Unmöglich. Der war bedeutend größer und ging übrigens auf eine ganz charakteristische Weise vornübergeneigt. Nein, der alte Mann konnte auf keinen Fall die Rolle des Chauffeurs spielen. Und außerdem war er es ja, der von den Ruderfahrten des Chauffeurs berichtet hatte. Er hätte diese Sache sicher nicht zur Sprache gebracht, wenn er irgendwie in die Machenschaften des Chauffeurs verwickelt war. Einen anderen männlichen Diener außer diesen beiden gab es in der Villa nicht. Vielleicht war der Fremdling ein Kollege von Smith? Aber in diesem Falle war es doch merkwürdig, daß sie sich zur Nachtzeit draußen auf dem Schiffe trafen. Es wäre doch bedeutend einfacher gewesen, sich in Smiths Zimmer zu treffen, anstatt diese Ruderfahrten hin und zurück vorzunehmen.

 

Williams nahm sich vor, Klarheit in das Dunkel zu bringen. Er schlich sich vorsichtig bis an die Treppe heran, die er den Fremden hatte hinuntereilen sehen. Es dauerte mehrere Minuten, bis er die Tür erreicht hatte. Behutsam nahm er die Klinke in die Hand. Die Tür war verschlossen, und der Schlüssel stak auf der Innenseite. Zu versuchen, die Tür ohne ein Geräusch zu öffnen, das die beiden Männer gewarnt haben würde, war unmöglich. Das würde nur alles verderben. Da war es besser, den Chauffeur eine Zeitlang unter Beobachtung zu halten. Vielleicht würde sich noch eine bessere Gelegenheit finden festzustellen, wer der Fremdling war.

Williams legte sein Ohr an die Tür und lauschte. Er hörte zwei Stimmen unten sprechen, aber es war unmöglich, ein einziges Wort zu verstehen. Es hörte sich so an, als ob die beiden Männer stritten. Hier und da hoben sich die Stimmen. Besonders eine wirkte ungewöhnlich hell. Williams nahm an, daß es die Stimme des Fremden war, denn in der anderen Stimme glaubte er die des Chauffeurs Smith erkennen zu können.

Plötzlich ertönte ein Knall. Es war das Geräusch einer Tür, die aufgestoßen wurde.

»Es muß geschehen, Charlie, da gibt es kein Zurück«, konnte Williams gerade noch auffangen, ehe er mit schnellen Schritten von seinem Lauscherposten zurücksprang und sich hinter dem Oberlicht des Maschinenraums verbarg. Es war der Fremde, der sprach. Bei den letzten Worten ging seine Stimme in Diskanttöne über.

Die Tür öffnete sich, und die beiden Männer betraten das Deck, zuerst der Fremde und dann Smith. Sie standen einen Augenblick still, während Smith die Tür abschloß und den Schlüssel in die Tasche steckte. Dann gingen sie an die Reling und schauten zum Lande hinüber. Wahrscheinlich wollten sie sich überzeugen, ob die Luft rein war, ehe sie zurückzurudern wagten. Smith wollte anscheinend rauchen, denn er zündete ein Streichholz an, in dessen Schein Williams sein Gesicht sehen konnte. Williams wünschte, es wäre der andere gewesen, der sich nach etwas Rauchbarem gesehnt hätte. Denn dann hätte er Gelegenheit gehabt, einen Blick auf die Gesichtszüge des Fremden zu werfen. Und damit wäre viel gewonnen gewesen.

Alles was er wahrnehmen konnte, war, daß der Fremde ebenso groß wie Smith war.

Jetzt bewegten sich die beiden Männer an der Reling. Der Fremde schlug den Chauffeur auf die Schulter und sagte einige Worte. Dann gingen beide quer über das Deck zur Strickleiter. Der Fremdling kletterte über die Reling und verschwand auf der anderen Seite, und bald darauf hörte Williams leichte Ruderschläge. Der Unbekannte befand sich anscheinend auf dem Wege zum Strande.

Smith stand noch eine Weile unbeweglich da und rauchte. Hin und wieder glomm ein kleiner roter Schein auf, wenn er die Zigarette zum Munde führte und einen Zug nahm. Dann warf er die Zigarette fort und kletterte ebenfalls über die Reling.

Williams näherte sich vorsichtig mit schnellen Schritten der Strickleiter und lauschte. Der Chauffeur beschäftigte sich eine Weile mit der Kette und fluchte, als er das Boot nicht gleich losbekam. Aber bald hörte man das Plätschern von Ruderschlägen.

Williams war allein an Bord der »Gamba«.

Er sah auf die Uhr. Es war genau ein Uhr.

Das Geräusch des sich entfernenden Bootes wurde schwächer. Williams stellte sich dicht an die Reling und hielt die Hand wie einen Trichter hinter das Ohr, um besser hören zu können. Als er ein leises Kettenrasseln vernahm, nickte er zufrieden. Smith hatte sein Boot anscheinend an der Brücke festgemacht. Williams konnte sich also sicher fühlen und damit rechnen, auf der »Gamba« ungestört zu sein. Einen Besuch von Smith oder dem geheimnisvollen Fremden brauchte er nicht zu fürchten.


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