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17

Als Ringe sich entfernt hatte, um sich für sein Zusammentreffen mit Annie Ranten umzukleiden, nahm Williams das Paket mit den Glasscherben und dem blutigen Hammer und zog sich in sein Laboratorium zurück. Eilig warf er den weißen Kittel über und begann, mit dem Photoapparat zu arbeiten. Er machte ein paar Aufnahmen des Hammers von der Seite und ein paar Großaufnahmen von dem umwickelten Kopf, um ein genaues Bild zu haben, in welchem Zustand sich der Hammer befand, als sie ihn draußen im Tiergarten im Gebüsch fanden.

 

Dann untersuchte er mit seinem starken Vergrößerungsglas sorgfältig den Hammer mit den unerklärlichen Blutflecken. Darüber, daß er zum Zertrümmern der Wagenscheibe verwandt wurde, konnte kein Zweifel herrschen. Wie die Flecke darauf gekommen waren, blieb allerdings ein Rätsel. Am Stiel ließ sich nichts Besonderes feststellen. Er war ziemlich abgenutzt und wies Öl- und Schmutzflecke auf. Außerdem war die Oberfläche so rauh, daß es hoffnungslos gewesen wäre, nach Fingerabdrücken zu suchen. Der Hammer war sicher schon viele Jahre im Gebrauch.

Der umwundene Kopf des Werkzeugs gab Williams viel zu denken. Er untersuchte genau die dünne Schnur aus Segelgarn, die viermal um den oberen Teil des Hammers gebunden und fest zugeknotet war. Es waren ganz gewöhnliche Knoten, so wie sie jeder Mensch zu machen pflegt, wenn er etwas zubindet, ohne daß er daran zu denken braucht, daß die Knoten wieder aufgemacht werden sollen. Williams hatte eine ganze Weile zu tun, ehe es ihm mit Hilfe einer Nadel glückte, die Knoten zu lösen und den Stiel des Hammers von der Schnur zu befreien. Vorsichtig wickelte er den Leinenstreifen auf und nahm ihn mit einer Pinzette ab. Der Kopf des Hammers war in Putzwolle eingewickelt, die von Blut durchtränkt war und sich hart und getrocknet anfühlte.

Wenn der Hammer in die kleine Lache gefallen ist, die sich auf der Gummimatte gebildet hat, als das Blut von den zerschnittenen Händen des bewußtlosen Ranten niedertropfte, so müßte er dort eine ziemliche Weile gelegen haben, dachte Williams, während er die Putzwolle vorsichtig abnahm und sie auf den Tisch legte. Und zerschlägt man dann eine Glasscheibe mit einem solchen blutdurchtränkten Ding, so müßten sich zumindest an einigen Glassplittern Blutspuren befinden. Vor allem an der Stelle, wo der Hammer die Scheibe getroffen hat, müßte das Glas blutbefleckt sein.

Williams richtete seine Aufmerksamkeit nun auf die Glassplitter in der Zeitung. Er nahm Stück für Stück und untersuchte es eingehend mit seinem Vergrößerungsglas. Dann setzte er die Stückchen wie zu einer Scheibe zusammen. Einen Teil konnte er sofort mit Hilfe der Bruchkanten zusammenfügen. Bei manchen war die Sache schwieriger. So rekonstruierte er Stück für Stück der zertrümmerten Wagenscheibe, und nach über zwei Stunden Arbeit hatte er ein ziemlich gut zusammengefügtes Ganzes vor sich liegen. Es war nicht schwer, zu sehen, wo der Hammerschlag die Scheibe getroffen hatte.

Aber Blutspuren fand er nicht, wie sorgfältig er auch seine Untersuchung fortsetzte. Gewiß fehlten ein paar kleine Glassplitterchen in dem Stern, der an der Stelle des Glases entstanden war, wo der Hammerschlag getroffen hatte, aber einige Blutspritzer mußten sich doch irgendwo finden. Wenn nicht …

Williams legte das Vergrößerungsglas zur Seite und stützte sinnend das Kinn in die Hand. Sein Blick bekam einen suchenden Ausdruck. Es sah aus, als ob seine Gedanken weit fort über Zeit und Raum hinausschweiften. Er saß unbeweglich und starrte zum Fenster hinaus. Er merkte nicht einmal, daß Elsie ins Labor kam. Erst als sie dicht neben ihm stand und fragend das sonderbare Glaspuzzle auf dem Tisch ansah, bemerkte er sie.

Er sah seine Frau an und nickte.

»Wenn nicht …«, wiederholte er laut, was er vorher im stillen gedacht hatte.

»Ja, so muß es sein«, fuhr er fort. »Eine andere Erklärung gibt es nicht.«

»Mein großer Detektiv scheint sehr nachdenklich zu sein?« fragte Elsie Williams und strich ihrem Mann zärtlich übers Haar. »Ist es immer noch der Fall Ranten?«

»Ja, mein Teures, und er wird immer komplizierter, je mehr ich mich mit ihm beschäftige. Du siehst diese Glasstückchen hier, die ich in mühseliger Arbeit zu einer Fläche zusammengefügt habe. Derjenige, der diese Scheibe hier zerschlug, hat auch Rantens Tod auf dem Gewissen, ja, vielleicht nicht nur sein Leben, sondern auch noch ein anderes. Die Glasstücke sagen mir das.«

»Wieso?« fragte Elsie. »Woran kannst du erkennen, daß der Mörder noch ein anderes Menschenleben auf dem Gewissen hat? Das verstehe ich nicht.«

»Der Hammer hier ist mit dieser Putzwolle und diesem Leinenstreifen umwickelt gewesen«, sagte Williams. »Und die sind, wie du siehst, blutdurchtränkt. Daß sie dies gewesen sind, ehe die Scheibe zertrümmert wurde, ist eine Tatsache, an der nicht zu rütteln ist. Wir fanden den Hammer nämlich, zusammen mit den Glasscherben, in einem Gebüsch im Tiergarten versteckt. Die Sachen müssen dorthin gelegt worden sein, unmittelbar bevor der Mörder das Auto mit dem bewußtlosen Ranten am Blockhauskap ins Wasser steuerte. Aber hat er die Scheibe mit einem Hammer zertrümmert, dessen Kopf mit blutdurchtränktem Zeug umwickelt war, dann müßten sich auf den Glasstückchen hier Blutspuren befinden. Und die gibt es nicht. Nicht den kleinsten Spritzer. Das Blut muß also viel früher dahin gekommen sein, so daß es trocknen konnte und keine Spur mehr beim Zertrümmern der Scheibe hinterließ. Zeigt es sich, daß es sich wirklich um Menschenblut handelt, und darüber werde ich gleich Klarheit haben, so ist die Schlußfolgerung zu ziehen, daß der Hammer nicht nur ein unschuldiges Werkzeug ist, mit dem eine Scheibe zerschlagen wurde, sondern, daß er auch gegen einen Menschen zur Anwendung gekommen ist. Ob er ein Mordwerkzeug gewesen ist, wird sich zeigen.«

»Ich will nicht weiter stören«, sagte Elsie.

Sie verschwand, und Williams nahm seine unterbrochene Arbeit wieder auf. Nun kam der blutige Lappen an die Reihe und wurde unter das Mikroskop gelegt. Vorsichtig stocherte er mit der Pinzette in der Blutkruste umher, und nach einer kleinen Weile hatte er ein Haar, kaum eineinhalb Zentimeter lang, hervorgezogen.

Er legte es unter das Mikroskop und untersuchte es genau. Es war leicht, die erstarrte Blutschicht zu erkennen, die wie eine grobe Binde das Haar bedeckte.

Williams ließ einige Wassertropfen auf das Objektglas fallen und beobachtete durch das Mikroskop, wie das geronnene Blut sich aufzulösen begann. Dann brachte er das Haar auf ein neues Glas und wiederholte den Auflösungsprozeß. Noch einige Male mußte er das Glas wechseln und Wasser auf das Haar träufeln, ehe es ganz von allen Blutteilchen befreit war.

Nachdem er das Haar eine Weile durch das Mikroskop untersucht hatte, nahm er das Haar hervor, das er im Salon der »Gamba« gefunden hatte. Er legte auch dieses auf das Objektglas und fing an zu vergleichen. Daß das auf der »Gamba« gefundene Haar von einem Frauenkopf herstammte, hatten seine früheren mikroskopischen Untersuchungen ergeben. Als er nun die beiden Haare verglich, war es nicht schwer, festzustellen, daß sie ungefähr den gleichen Durchmesser hatten, ja, es machte sogar den Eindruck, als ob das Haar vom Hammer ein wenig schmaler war als das andere.

 

Es mußte auch ein Stück von einem Frauenhaar sein. Infolge des einen zerfaserten Endes konnte man den Schluß ziehen, daß es einem gewaltsamen Schlag ausgesetzt und so von dem übrigen Teil des Haares getrennt worden war. Und da es sich festgetrocknet in dem blutigen Lappen befunden hatte, der um den Kopf des Hammers gewickelt war, lag die Vermutung nahe, daß der Hammer zu diesem Schlag benutzt worden war.

Ein Hammerschlag auf einen Frauenschädel …?

Williams erhob sich von seinem Mikroskop und stieß einen bedeutungsvollen Pfiff aus. Vor seinem inneren Auge tauchte der Mord am Torsplatz mit allen seinen grauenvollen Einzelheiten auf. Es war, als ob ein Vorhang von einer Szene beiseitegezogen wurde, und jetzt stand alles klar vor ihm.

Gunhild Maria Save, die Frau in der kleinen Wohnung am Torsplatz, war auf bestialische Art ermordet worden. Sowohl der Gerichtsarzt als auch die Kriminalpolizei hatten festgestellt, daß der Mörder das unglückliche Opfer verschiedene Male mit einem stumpfen Gegenstand auf den Kopf geschlagen hatte. Aber das Mordwerkzeug hatte man niemals gefunden. Man hatte hin und her geraten, was es wohl sein könnte, war aber zu keinem Ergebnis gekommen.

Konnte nicht ein Hammer, dessen Kopf mit Putzwolle und Lappen umwickelt war, ein geeignetes Mordinstrument sein?

Williams neigte sich wieder über das Mikroskop und untersuchte noch einmal eingehend das kleine Haarfragment. Dessen Farbe war bedeutend heller als die Farbe des Haares, das neben dem Objektglas lag. Gunhild Maria Save hatte ziemlich lichtes Haar gehabt, ohne jedoch ausgesprochene Blondine zu sein. Ganz bestimmt hatte die Kriminalpolizei eine Haarprobe von ihr genommen, ehe ihre sterbliche Hülle auf dem Skogsfriedhof beigesetzt wurde. Bei einem Vergleich würde es leicht festzustellen sein, ob das Stückchen Haar, das er vor sich hatte, von Gunhild Maria Saves Kopf stammte. Wenn das der Fall war, stellte der Hammer das Mordinstrument dar. Da galt es, den Mörder zu finden. Den Doppelmörder vielleicht sogar. Denn daran, daß derjenige, dessen Hand den Hammer führte, um die Wagenscheibe zu zertrümmern, auch für Rantens Tod verantwortlich zu machen war, konnte kein Zweifel herrschen.

Noch eine andere Frage beschäftigte Williams. Verband der Drohbrief, der in den Papierkorb befördert wurde, um bei einer Untersuchung eine glaubhafte Erklärung für Rantens Selbstmord zu geben, die beiden Fälle nicht miteinander? Der Schreiber dieses Briefes, der Ranten des Mordes an Gunhild Maria Save beschuldigte, war bestimmt näher über die Einzelheiten der grausigen Tat unterrichtet. Rein psychologisch gesehen mußte man zur Annahme kommen, daß der Mörder vom Torsplatz identisch war mit dem Mörder vom Blockhauskap. Aber ehe man nun weitere Schlüsse ziehen konnte, galt es, festzustellen, ob das am Hammer gefundene Haarfragment wirklich von dem Kopf der armen Frau stammte.

Williams legte das Haar in einen Umschlag und die blutige Putzwolle in eine Tüte. Dann rief er den Chef der Kriminalpolizei an. Nach einigen Augenblicken meldete sich Regierungsdirektor Ahlvar.

»Guten Tag, Ahlvar, hier ist Williams. Wie steht es mit dem Mord am Torsplatz? … Ach so, immer noch keine bestimmte Spur. Anscheinend ein ziemlich trostloser Fall? Aus den Zeitungen habe ich ersehen, daß ihr eine Reihe Verdächtiger verhört habt … Ich glaube nicht, daß der Mörder gerade in dieser Gesellschaftsklasse zu suchen ist … Ob ich etwas weiß? Nein, das kann ich nicht gerade behaupten, aber ich habe hier ein paar Kleinigkeiten, die dich sicher interessieren dürften. Ein Stück von einem Haar und ein paar blutdurchtränkte Lappen. Wenn du davon ausgehst, daß sie etwas mit dem Mord zu schaffen haben, weißt du am besten, welche Untersuchungen du vorzunehmen hast. Ich werde einen Angestellten mit den Sachen zu dir schicken, damit du gleich anfangen kannst. In einer Stunde etwa bin ich selbst bei dir, dann können wir uns über den Fall unterhalten. Auf Wiedersehen solange.«

Williams legte den Hörer auf, verschloß sorgfältig die Tür und steckte den Schlüssel in die Tasche.

Es schlug gerade sechs, als er ins Speisezimmer trat, wo seine Frau mit dem Abendessen wartete.


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